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   FREIRELIGIÖSE  GEMEINDE  MAINZ


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Grundgedanken der Freireligiösen Gemeinde Mainz
Anlage zur Präambel der Verfassung der Freireligiösen Gemeinde Mainz

Im Wissen um die Geschichte und Tradition der Freireligiösen, deren oberstes Prinzip die freie Selbstbestimmung in allen religiösen Angelegenheiten sowie die Entwicklung einer auf die Bedürfnisse des Menschen bezogene Religiosität ist,
- gegründet auf dem Maßstab der Vernunft,
- verpflichtet der Verantwortung für Mensch, Natur und Umwelt,
- in Anerkennung der Vielfältigkeit der Lebens- und Weltanschauungen,
orientieren sich die Mitglieder der Freireligiösen Gemeinde Mainz an folgenden Grundgedanken, in dem Bewusstsein, diese auf Grund auch verändernder Erkenntniss und Bedürfnisse kritisch zu hinterfragen:

* 1. Religion ist grundlegendes Element der menschlichen Natur.
Religion ist etwas,
- was den Menschen im Innersten bewegt,
- was ihn zutiefst angeht,
- was ihm wesentlich ist.

*  2. Religiös ist der Mensch, der sich nicht gedankenlos vom Schicksal treiben lässt, sonder versucht, dem Leben einen Sinn zu geben. Das religiöse Bedürfnis ist das Bedürfnis, Sinn zu erfahren und Sinn zu stiften. Eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gefunden zu haben, heißt religiös sein.

Der kategorische Imperativ, den Immanuel Kant vor über 200 Jahren aufgestellt hat, gilt Freireligiösen als Lebensregel:
Handle so, als ob die
Maxime deiner Handlung
zum allgemeinen Naturgesetz
werden sollte!

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3. Im Beziehungsgeflecht von Individuum und Gemeinschaft lassen sich unter anderem folgende Funktionen der Religion bennenen, die dem Menschen helfen können:
- Anstoß und Hilfe zur Sinnfindung zu geben,
- Rückhalt und Orientierung auf existentielle Fragen zu finden,
- Krisensituationen anzunehmen und zu bewältigen,
- Wertorientierung zu finden,
- Grunderfahrung in größere Zusammenhänge zu stellen,
- bestehende Verhältnisse zu hinterfragen,
- gemeinschaftsbildend zu wirken.

* 4. Freie Religion fordert den Einzelnen auf, eigene Antworten auf existentielle Grundfragen zu erarbeiten. Sie gibt keine fertigen Antworten vor, bietet aber einen Rahmen an, indem sie
- den Menschen auf sich selbst verweist, auf seine Kräfte, Fähigkeiten und Gefühle,
- zum selbstständigen und unabhängigen Suchen nach Wahrheit ermutigt,
- zum solidarischen, die Rechte des Anderen nicht verletzenden Handeln auffordert.

*  Freireligiöse sind diesseitsorientiert, das heißt, sie glauben an die Einmaligkeit des Daseins, das sie durch ihr Tun und Lassen selbst verantworten, ohne sich auf eine überweltliche jenseitige Macht zu stützen.

Mensch werde wesentlich!
Denn wenn die Welt vergeht,
so fällt der Zufall weg,
das Wesen, das besteht.

Angelus Silesius

 
* 6. Die religiöse Haltung der Freireligiösen hat ihren Grund im Ergriffensein und positiven Annehmen einer Wirklichkeit, in der das Erforschliche und das Unerforschliche zugleich enthalten ist. Sie sind sich bewusst, dass die uns bekannte Wirklichkeit nicht die letzte Wahrheit, das ganze Universum nicht die letzte Wirklichkeit ist.

* 7. Freie Religion beruht auf der Idee der Ganzheitlichkeit und eine Einheit von
- Körper und Geist,
- Mensch und Welt,
- „Gott" und Welt.

Johann Wolfgang von Göethe hat „das Göttliche", wie Freireligiöse es empfinden, in einem Gedicht beschrieben:
Was wär' ein Gott,
der nur von außen stieße,
im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen,
so dass, was in ihm lebt und webt und ist,
nie seine Kraft, nie seinen Geist vermisst.


* 8. Das Göttliche ist den Freireligiösen ein Sinnbild für die gestaltenden Kräfte und Ordnungsstrukturen im Naturbereich. Das einzigartige Denkvermögen des Menschen ist Teil davon, und nur er ist Träger des religiösen Gedankengutes und damit der Religion. Somit ist für Freireligiöse „Gott" im besonderen Maße auch ein Symbol für des Menschen eigene Kräfte, die er in seinem Leben als Praxis von Vernunft und Liebe zu verwirklichen sucht.

* 9. Menschen Freier Religion fühlen sich gebunden an ds Prinzip der Ehrfurcht vor dem Sein und entwickeln eine religiöse Haltung, die das Mitgefühl und die Mitverantwortung für das Lebendige kultiviert.

* 10. Die Wurzeln Freier Religion liegen in den das offizielle Kirchentum kritisch hinterfragenden Bewegungen sowie in den Geistesbewegungen des Humanismus und der Aufklärung.

* 11. Freireligiöse nutzen – soweit ethisch verantwortbar – Erkenntnisse der modernen Geistes- und Naturwissenschaft zur eigenen Weiterbildung. In Fragen der Religion nehmen sie eine Haltung ein, die, ohne Preisgabe intellektueller Redlichkeit, praktisch lebbar ist.

* 12. Innerhalb des Spektrums Freier Religion ist Raum für theologische Positionen, die von pantheistischen Ansätzen bis hin zu religiös-humanistischen Überzeugungen reichen.

* 13. Freie Religion ist nicht gebunden an feststehende Glaubenssätze oder -bekenntnisse. In der Freireligiösen Gemeinde Mainz haben sich Menschen zusammengeschlossen, die bereit sind, ihr religiöses Bewusstsein zu vertiefen. Ihre Religion ist frei, weil sie unabhängig von der durch Kirchen geheiligten Glaubenssätzen (Dogmen) ist. Sie sind religiös, weil sie sich um eine eigene Haltung dem Leben, der Natur und dem Kosmos gegenüber bemühen. Diese innere Haltung ist durch eine Gemeinschaft getragen, die den Lebensgang des Einzelnen begleitet, ein aktives Gemeindeleben fördert und ihr besonderes religiöses Interesse nach außen vertritt.
Grundgedanken der Freireligiösen Gemeinde Mainz
(Als Anlage zur Präambel der Gemeindeverfassung am 17. März 1992 durch den Gemeinderat beschlossen.)

Ein Gedicht des Freireligiösen Pfarrers Gustav Tschirn aus der Zeit um 1910:

Freireligiöses Bekenntnis

Frei sind wir, also nicht gebunden,
durch Glaubenszwang in unsrer Religion.
Wir glauben, was wir selbst als wahr empfunden;
nicht was uns vorschreibt eine Konfession.

Bekenntnis, Überzeugung sind uns nicht verkäuflich,
auch nicht um ew'ge Seligkeit und Himmelslohn.
Denn was uns unnatürlich scheint und unbegreiflich,
das nennen wir nicht „wahr" aus Furcht vor Höllendroh'n.

Die Wahrheit bau'n wir auf die Wirklichkeit,
auf die Vernunft und der Natur Gesetze,
die ehern stehn voll Unverbrüchlichkeit,
dass auch kein Gott durch Wunder sie verletze.

Allmächtig, ewig und unendlich,
allgegenwärtig in der kleinsten Spur,
unfassbar hoch und doch so nah verständlich,
das höchste Wesen – ist uns die Natur.

Die unerschaffne Schöpferin der Welten,
aus deren Schoß hervor die Sonnen gehen,
und die aus Sternentrümmrn, aus verschellten,
durch Welten-Nebel webt ein Welten-Auferstehn.

Sie lässt im Kreise auch unsre Erde rollen
und auf der Erde alles Leben blüh'n,
daraus zuletzt, zuhöchst erwachsen sollen
wir selbst, das Menschenherz, des Geistes Glühn.

Entwicklung hat uns empor getragen
tief aus dem Zellen-, Pflanzen-, Tieresstand
zum Aufrechtgehn, zum Sprechen, Denken, Wagen,
zur Kunst- und Arbeitsfähigkeit der Hand.

Natur gab uns die sittlich hohen Triebe
des Einzelnen zu der Gemeinsamkeit,
zu Menschenrecht und -pflicht, zur Nächstenliebe,
dass jeder sich dem Großen Ganzen weiht.

So leben wir mit Hoffen, Lachen, Weinen
und schauen über unsern Tod hinaus
der besser'n Zukunft stetiges Erscheinen
und atmen dafür unser Leben aus.

Im Kampfe singen wir mit Jubeltönen,
was aus des Weltalls Tiefe zu uns spricht:
In uns der Geist des Guten, Wahren, Schönen
führt segnend höherwärts – durch Nacht zum Licht.

Gustav Tschirn
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