1921
Bekenntnisentwurf
von Arthur
Drews
Freie
Religion, Vorschläge zur Weiterführung des
Reformationsgedankens
Auflage: 1921
Nachfolgender Text aus:
M. Schlunk: „Die Weltanschauung im Wandel der
Zeit“
Druckerei des Rauhen Hauses, Hamburg
1.
Ich glaube an Gott, den Träger der Weltordnung und Begründer der
Weltzwecke, den unbedingten, allwissenden und allmächtigen, in seinem Wesen
über Raum und Zeit, in seinem Wirken über die Schranken des Bewusstseins und
der Persönlichkeit erhabenen absoluten Geist, das Wissende in allem Wissen, das
Wirkende in allem Wirken, das als Wesen aller Wirklichkeit zugrunde liegt.
2.
Ich glaube, dass die Welt die Erscheinung Gottes ist, die in Raum und
Zeit hinausgestrahlte, im Licht des Bewusstseins offenbar werdende Fülle seiner
Gedanken und Kräfte, durch welche Gott im Menschen zum Bewusstsein seiner
selbst gelangt, um vermittelst seiner seine Zwecke zu verwirklichen.
3.
Ich glaube, dass der Mensch, als bewusst geistige Persönlichkeit, die
Kraft besitzt, auf Grund seiner wesentlichen Einheit mit Gott sich selbst von
den Schranken der Endlichkeit, der Schuld und dem Übel zu erlösen, durch die
hiermit vollzogene Willenseinheit mit Gott an der Verwirklichung der göttlichen
Zwecke teilzunehmen und dadurch zum Frieden zu gelangen, der als solcher Gottes
Friede ist.
Oktober
1921
Beschluss der Bundesversammlung
Freireligiöser Gemeinden
und des
Deutschen Freidenkerbundes
auf dem
Freidenkerkongress[1] in Hannover
Aus:
Gustav Tschirn
(Prediger in Wiesbaden)
„Interkonfessionelles Lehr-
und Lesebuch, III. Teil, Oberstufe“
Oldenburg und Co. Verlag, Berlin SW 48, 1922
1.
Die einheitliche, natürliche Weltanschauung, auf der alle freien Denker
fußen, setzt an Stelle eines persönlichen, göttlichen Weltregiments die
Selbstregulierung der Welt nach eigenem Allgesetz. Dadurch empfängt über alle
Einzelrichtungen hinweg für alle freien Denker auch die Volksregierung im
Volks- und Staatstum, das demokratische, republikanische Prinzip etwas von
Unendlichkeitswert und Ewigkeitsbedeutung.
2.
Alle freien Denker sind einig in der Entwicklungslehre, d. h. darin,
dass über unseren Tod hinaus der Diesseitsfortschritt, kein Jenseitsglück, als
höchstes Ziel winkt. Als Kind der Mutter Natur fühlt der Mensch sich nicht nur
mit allen Mitmenschen innig verbrüdert, sondern mit allen Lebewesen und Welten
verschwistert.
3.
Alle freien Denker stehen deshalb auf dem Boden der natürlichen
Menschheitsmoral, dass der Mensch – kein ohnmächtiger, verlorener Sünder von
Natur – sittliche Anlagen besitzt, das Streben zum Guten in sich hat, was er
ohne Himmelslohn und Höllenfurcht aus eigener Kraft und Vernunft betätigt. Sie
erkennen das Urgebot: „Liebe den anderen wie dich selbst“ als Ausdruck des individuellen
und sozialen Urtriebes an und streben über Rassen-, Klassen- und Völkerhass
hinweg zur Menschheitsverbrüderung, zur Solidarität, wie zur
Persönlichkeitserhöhung, zum Sieg des Rechts über das Gewaltprinzip, zum Volks-
und Völkerfrieden, zum höchstmöglichen Glück des Einzelnen.
1924
Kernfragen der freien Religion
Aus:
„Freie Religion“
Nr. 4, 3. Jahrgang
April 1924
von E. Schramm
1.
Was ist freireligiös?
Freireligiös
heißt nicht frei von Religion, sondern frei in der Religion. Wir betrachten die
Religion nicht als einen überwundenen Standpunkt, sondern wir wollen eine neue
Religion, nämlich die freie Religion.
2.
Warum nennen wir uns frei in der Religion?
Wir nennen
uns frei, weil wir nicht gebunden sind an irgend eine bestimmte, von der Kirche
oder der heiligen Schrift oder sonst jemand vorgeschriebenen Glaubenslehre,
sondern [weil ein jeder das
glauben kann, was er nach seiner eigenen freien Überzeugung für wahr halten
muss.
3.
Warum kann ein Freireligiöser nicht einer Kirche
angehören?
Weil die Kirche
auch in ihrer freiesten Form den Glauben an einen zugleich allmächtigen,
allgerechten und allgütigen Gott und Weltenlenker und an das christliche
Evangelium fordert, also nur bis zu einer gewissen Grenze Glaubensfreiheit
gewährt.
4.
Ist der Freireligiöse nun an gar nichts gebunden?
Er ist gebunden an die Wahrheit, und das ist
die stärkste Bindung, die man sich denken kann. Denn sie verlangt, dass man ihr
nicht nur die überlieferten und anerzogenen Glaubenslehren, sondern auch die
den eigenen Herzenswünschen entspringenden religiösen Vorstellungen zum Opfer
bringt. Wahrhaftigkeit aber gehört zugleich zu dem sittlichen Wesen des
Menschen.
5.
Was bedeutet dieses sittliche Wesen des Menschen?
Es
bedeutet, dass der Mensch auch gebunden ist an seine sittliche Menschenpflicht,
an das natürliche Sittengesetz. Wir dürfen uns nicht unseren Naturtrieben
überlassen, wenn sie uns nicht zum Guten leiten, wir dürfen nicht der
Selbstsucht folgen, wenn wir andere Menschen dadurch in Not und Elend bringen.
So sind wir vor allem gebunden an unser Gewissen und an die soziale
Gemeinschaft der Menschen, die auch uns selbst allein ein glückliches Leben
verbürgt.
6.
Warum nennen wir uns religiös?
Wir nennen
uns religiös, weil wir das hinter dem wechselnden äußeren Gewand sich verbergende
eigentliche Wesen der Religion auch für uns Menschen der neuen Zeit noch in
Anspruch nehmen.
7.
Welches ist dieses eigentliche Wesen der Religion?
Es ist der
Aufblick des Menschen aus der Begrenztheit seines Wesens zu höheren Mächten,
von denen er Erlösung erhofft.
8.
Welche höheren Mächte sind hier gemeint?
In den
alten Religionen glaubte man an übernatürliche göttliche Mächte, der
Freireligiöse sucht und findet diese Mächte in der Natur selbst. Sie sind
weiter nichts als die höhere Entwicklungsstufe der Natur selber in der
Annäherung an das Ideal, die unendlichen Möglichkeiten im unendlichen Weltall,
die sich auch dann noch öffnen, wenn der Mensch an aller Rettung und allem
Fortschritt verzweifeln möchte. Der Glaube an diese unendlichen Möglichkeiten,
an diese Höherentwicklung über den gegenwärtigen Zustand hinaus ist das
eigentliche Wesen der freien Religion.
9.
Wie aber, wenn kein Ausweg, keine Rettung in der
äußeren Natur mehr möglich ist, etwa im Tod?
Dann
bleibt dem Menschen noch die unendliche innere Kraft der Seele, sein
unvermeidliches äußeres Schicksal im Hinblick auf die nach ihm kommenden und
sein Werk fortführenden Geschlechter geduldig und heldenmütig zu tragen durch
die Erhebung eines guten Gewissens über alle äußere Gewalt, durch Entwicklung höherer
Mächte, der Erlösung in sich selbst. „Wenn etwas gewaltiger ist als das
Schicksal, dann ist’s der Mut, der´s unerschütterlich trägt!“
Freireligiöse Besinnung Freie Religion 1925, S. 88
Von Dr. Westphal
O führe
mich Vernunft In Stärke
und in Schwäche. Wenn ich
zusammenbreche, Sei du
mir Pflicht und Trost. Wandle
in Freuden Mein
Kümmern und Leiden; Wenn ich
ganz verzage, Scheuche
die Klage Von
meinen Lippen fort. |
O
leite mich Gefühl Bei
meiner Brüder Jammern, In
meine Herzenskammern Lass
ein dein Sonnenlicht. Mach
mich erweichen Und
lass mich erreichen Des
Edelsinns Höh´n. Will
fest dort stehn, Von
Selbstsucht befreit. |
Nach 1920
(= Zwanziger Jahre)
Freie Religion
aus:
Geschichte und Grundsätze
der Freireligiösen Gemeinde Magdeburg
von Prediger Dr. Hermann Köstlin
Verlag Freireligiöse Gemeinde Magdeburg
Es ist ein interessantes, weil einmaliges Phänomen, dass die
Freireligiöse Gemeinde Magdeburg ihre etwa um 1880 entstandenen Grundsätze in
einer Werbebroschüre der Zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts
unverändert verwandte und zeitgemäß kommentierte.
Die Grundsätze der Freireligiösen Gemeinde
1.
Wir wollen eine Gemeinschaft sein, welche die Pflege
der Religion und Sittlichkeit bezweckt. Jede Art von Politik ist innerhalb der
Gemeinde ausgeschlossen.
Unter
Religion verstehen die meisten Menschen heute noch den Glauben an
übernatürliche Mächte, an einen Gott oder mehrere Götter. Die Christen, Juden
und Mohammedaner bekennen sich zum Glauben an einen Gott, der die Welt
erschaffen hat und regiert und jeden Menschen je nach Verdienst belohnt oder
straft. Man bezeichnet diese Religion des Eingottglaubens
als Monotheismus. Die alten
Deutschen, die Griechen und Römer glaubten an mehrere Götter. Diesen Vielgottglauben nennt man Polytheismus. Wenn jemand die Gottheit
nicht jenseits der Welt in einem Himmel sucht, sondern sie als die Seele der
Welt, als schaffende Naturkraft, als Weltgeist bezeichnet, so heißt man diese
Gottesauffassung Pantheismus (Allgottglauben).Erklärt einer, dass er
weder in noch über der Welt einen Gott finden könne, so bekennt er sich damit
zum Atheismus (Keingottglauben).
Früher
hat man gemeint, man könne das Dasein eines überweltlichen Gottes beweisen. Man
sagte z. B., der Mensch habe in sich den Begriff eines höchsten Wesens, darum
müsse es auch ein solches geben. Aber ganz abgesehen davon, dass es doch viele
Menschen und ganze Völker gibt, die den Begriff eines höchsten Wesens nicht in
sich vorfinden, folgt aus ihm noch nicht das Dasein eines solchen Wesens. Ich
kann mir z. B. wohl ein geflügeltes Pferd vorstellen, damit ist aber noch nicht
gesagt, dass es nun ein solches auch geben müsse.
Oft wird
behauptet, das Dasein der Welt weise auf einen Schöpfer hin. Nun kann man wohl
sagen, alles, was geworden ist, muss auch eine Ursache haben. Wenn wir z. B.
ein Haus an einem Platz stehen sehen, wo vorher keines gewesen ist, so fragen
wir natürlicherweise: Wer hat dieses Haus gebaut? Von der Welt aber kann
niemand beweisen, dass sie im Laufe der Zeit entstanden ist. Die einzelnen
Weltkörper entstehen und vergehen, aber der Stoff, aus dem sie sich bilden,
kann sehr wohl ewig bestehen, wenn wir das auch nicht erklären und begreifen
können. Wenn einer aber trotzdem einen Schöpfer der Welt annehmen wollte, so
würden wir weiter fragen: Woher kommt denn dieser Gott und warum ist dieses
Wesen Gott? Ob man also sagt, ein Gott lebt seit Ewigkeit oder die Welt ist
ewig, ist beides gleich rätselhaft für uns Menschen.
Da halten
wir uns aber doch lieber an die Welt, in der wir leben und die auf unsere Sinne
einwirkt, als dass wir von einem Gott reden, dessen Dasein bloß auf Glauben
sich stützen kann. Und wenn auf die Zweckmäßigkeit in der Natur hingewiesen
wird, besonders auf den sinnvollen Bau von Pflanzen, Tier und Mensch, so sagen
wir: allerdings gibt es vieles in der Welt, was uns zweckmäßig erscheint, aber
diese Zweckmäßigkeit kann doch auch natürliche Ursachen haben. Manche
Naturforscher erklären sie durch „Erhaltung des Angepassten“. Schon der
englische Gelehrte Charles Darwin hat darauf hingewiesen, dass im Kampf ums
Dasein die Tüchtigen sich erhalten, während die Lebensunfähigen aussterben.
Gewiss
laufen heute die Gestirne am Himmel in geordneten Bahnen, ohne miteinander zusammen
zu stoßen. Aber wer sagt uns, dass das immer so gewesen ist? Vielleicht hat vor
Jahrmillionen auch am Himmel ein „Kampf ums Dasein“ stattgefunden, und die
größeren Weltkörper haben die kleineren vernichtet, die sich ihnen hindernd in
den Weg stellten. Und gibt es neben dem Zweckmäßigen in der Natur nicht auch
vieles, was uns unzweckmäßig erscheint? Die meisten Tiere sterben im Magen
anderer Tiere, Erdbeben, Überschwemmungen, Vulkanausbrüche vernichten öfters
zahlreiche Menschenleben und menschliche Wohnstätten. Oder was hat z. B. der
Wurmfortsatz des menschlichen Blinddarms für einen Zweck, durch dessen
Entzündung oft schwere Krankheit, ja der Tod den Menschen trifft?
Auch eine
sittliche Weltordnung lässt sich nicht behaupten. Wie sollte ein Gott den furchtbaren
Weltkrieg zugelassen haben, den wir alle erlebt haben? Wenn einer vorhanden
wäre, hätte er gewiss die in allen Ländern zur Rechenschaft gezogen, welche
seit Jahren zum Krieg gehetzt haben, statt Millionen Unschuldiger leiden und
sterben zu lassen.
Es ist
zwar richtig, wenn man sagt, dass der gute Mensch gewöhnlich ruhig und
zufrieden sei, während der böse trotz allem äußeren Glück meist innerlich nicht
froh sein könne, aber niemand wird leugnen, dass Tugend und Glück sich auf
Erden oft nicht entsprechen. Und es ist doch sehr zweifelhaft, ob in einer
anderen Welt ein Ausgleich stattfindet, von der doch niemand etwas weiß!
Freilich kann man auch nicht restlos beweisen, dass es keinen Gott geben könne,
jeder muss sich auf Grund des Eindrucks, den ihm persönlich Welt und Leben
machen, in dieser Frage entscheiden.
Jedenfalls
kann ein Mensch heute mit gutem Gewissen Atheist sein und braucht es sich nicht
gefallen zu lassen, dass man diesen Standpunkt als einen falschen oder
unsittlichen bezeichnet. Wir Freireligiösen üben in dieser Frage keinen Zwang
auf den Einzelnen aus. In unseren Gemeinden haben sich allerdings meist
Atheisten und Pantheisten zusammen geschlossen; wir würden aber keinen
Gottesgläubigen zurückweisen, der sich uns anschließen will, vorausgesetzt,
dass er auch unseren Atheismus oder Pantheismus achtet und nicht die törichte
Meinung hat, er müsse andere zu seiner Anschauung „bekehren“.
Nun
sagt man oft, wir Freireligiösen haben keine Religion, weil wir in der
überwiegenden Mehrzahl den Glauben an das Dasein eines Gottes ablehnen. Aber
dieser Vorwurf berührt uns innerlich nicht. Wir tragen ja unsere Religion im
Herzen, und auch andere werden die Kraft anerkennen müssen, die von uns
ausgeht.
Es darf
darauf hingewiesen werden, dass die Wissenschaft keine allgemein anerkannte
Bestimmung des Begriffs Religion
kennt.
Der Eine
versteht darunter Glaube an einen Gott und Verehrung desselben, ein anderer
ehrfurchtsvolle Betrachtung des Weltalls, wieder ein anderer Hingabe an die
höchsten Ziele der Menschheit. Es ist jedenfalls einseitig, wenn man als
Religion nur Glauben an übernatürliche Mächte gelten lassen will. Wir heißen
Religion ein bestimmtes persönliches Verhalten zum Leben und zu den Menschen,
eine eigenartige Willensrichtung.
Wer den Willen
zur Liebe und Barmherzigkeit besitzt, wer ehrlich nach Wahrheit strebt, wer
duldsam gegen andere ist, wer wünscht, dass das Gute auf Erden siege und an
diesem hohen Ziel mitarbeitet, der hat Religion.
Diese
eigentümliche Willensrichtung finden wir bei den religiösen Menschen aller
Völker und Zeiten, mögen ihre Glaubensvorstellungen noch so verschieden sein.
Religion
ist nicht gleichbedeutend mit Weltanschauung,
die Sache des Verstandes ist und es mit der Erkenntnis der Welt zu tun hat,
sondern sie zeigt sich erst in der Lebensauffassung,
die man auf Grund seiner Weltanschauung hat.
Wo
Eltern und Kinder sich bemühen, im Frieden miteinander zu leben, wo Völker ihre
Streitigkeiten ohne Krieg zu schlichten suchen, wo man nicht sich selbst
rücksichtslos durchsetzen will, sondern auch andere Interessen respektiert, da
herrscht echte, menschentümliche Religion. Und obwohl wir niemand zu dieser
Religion zwingen können und wollen, so dürfen wir doch mit gutem Gewissen
behaupten, dass nur die Menschen wertvoll sind, die sie im Herzen tragen. Und
wo Angehörige der alten Religion diese Willensrichtung zeigen, erkennen wir sie
gerne an, auch wenn ihr Glaube ein anderer ist.
Wie
steht´s bei uns mit der Pflege der Sittlichkeit?
Meinen
doch manche Leute, wir Freireligiösen können leicht unsittliche Menschen
werden, weil wir nicht an ein Gericht nach dem Tode glauben. Ein unsittlicher
Mensch fragt nicht, was ist gut und böse, sondern was ist für mich leicht und
angenehm, was verschafft mir Genuss und Vorteil, gleichgültig ob andere Schaden
dabei erleiden!
Solche
Menschen wollen wir Freireligiöse nicht sein, das zeigt die lange Geschichte
unserer Gemeinde mit all den Verfolgungen, die sie erlitten hat. Wenn die
Freireligiösen immer nur gefragt hätten, was ist bequem und vorteilhaft, dann
wären sie ruhig bei der Kirche geblieben oder zu ihr zurückgetreten, statt all
die Schikanen auf sich zu nehmen, denen sie als Glieder unserer Gemeinde früher
ausgesetzt waren.
Im
Staate sind nicht diejenigen die besten Bürger, welche die Gesetze nur aus
Furcht vor dem Strafrichter befolgen, sondern die, welche innerlich jenen
Gesetzen zustimmen, weil sie eingesehen haben, dass ohne eine bestimmte
Ordnung, ohne Schutz von Leben und Eigentum Menschen nicht zusammen leben
können. So sind auch die noch keine wirklich guten Menschen, die das Gute nur
aus Furcht vor einem Gott tun, die zugeben, dass sie vielleicht anders handeln
würden, wenn es keinen Gott gäbe. Nur der Mensch ist gut, der Freude am Guten
und Abscheu gegen das Böse hat. Wir suchen darum schon der Jugend zu zeigen,
dass all unsere Handlungen im Leben gute oder schlimme Folgen für uns und
andere haben, dass wir Himmel und Hölle nicht jenseits des Todes suchen
dürfen, sondern dass wir sie auf Erden
haben können oder müssen, je nachdem wie wir leben.
Aber nicht
bloß an den Verstand des Menschen wenden wir uns, um ihm zu zeigen, dass alle
unserer Taten segensreiche oder üble Wirkungen haben, wir suchen auch das Ehr-
und Mitgefühl, die Begeisterung für das Gute, Wahre und Schöne im Menschen zu
wecken, um ihn für ein gutes Leben zu gewinnen. Wir alle haben Fehler und sind
unvollkommene Wesen, aber nur der ist ein schlechter Mensch, dem seine bösen
Taten gleichgültig sind. Wer seine Fehler bereut, darf nicht verzweifeln, er
muss versuchen besser zu machen, was er gefehlt hat, oder, wenn das nicht
mehr möglich ist,
sich bemühen, selbst besser zu werden.
Auch
durch die Schuld hindurch kann der Mensch reifer werden zu einem besseren
Leben.
Während wir
in der Gemeinde in diesem Sinne Religion und Sittlichkeit pflegen, ist jede Parteipolitik innerhalb derselben
ausgeschlossen.
Die
Beschäftigung mit Politik ist gewiss notwendig. Das hat uns der Krieg gezeigt,
der dem Volke die Augen darüber geöffnet hat, dass es die Verantwortung für
sein Schicksal nicht einigen wenigen Persönlichkeiten überlassen darf, sondern
selbst die Entscheidung über seine Zukunft in die Hand nehmen muss.
Auch
im Innern kann es uns nicht gleichgültig sein, welches Maß von persönlicher
Freiheit der Einzelne genießt, welches Verhältnis der Staat zu den einzelnen
religiösen Organisationen einnimmt, welche Steuern bezahlt werden müssen.
Deshalb müssen jeder Mann und jede Frau es lernen, politisch zu denken und
dementsprechend sich zu betätigen.
Aber die
Gemeinde ist hierzu nicht der Ort. In ihr haben sich Anhänger verschiedener
politischer Parteien zusammengefunden, die in dem Bestreben, ein edles
Menschentum zu pflegen, eins sind. Die Mitglieder unserer Gemeinde werden ihren
Parteien und dem Volke am besten nützen, wenn sie die religiösen und sittlichen
Grundsätze, die in unserer Gemeinde hoch gehalten werden, innerhalb ihrer
Parteien betätigen.
Ein
freireligiöser Politiker wird niemals eine Gewaltpolitik von rechts oder links
gutheißen, er wird jede andere Meinung achten, auch wenn er sie bekämpfen muss,
er wird nie bloß die Interessen eines Standes vertreten, sondern nach allen
Seiten gerecht zu werden sich bemühen, er wird niemals zu den Kriegshetzern
gehören, sondern zu denen, die selbst einen aufgezwungenen Verteidigungskrieg
für ein furchtbares Übel halten, und mit allen Kräften auf den Völkerfrieden
hinarbeiten. Dass wir solche Persönlichkeiten im öffentlichen Leben brauchen
können, wird jeder edel denkende Mensch zugeben.
Die
idealen Bestrebungen der freireligiösen Gemeinde finden einen schönen Ausdruck
in den Worten Eduard
Baltzers:
Du suchst und möchtest gern
es finden,
was deine Seele selig
macht;
Du suchst es in des Wissens
Gründen
und in der Berge tiefem
Schacht;
Du suchst es über fernen
Meeren,
in einer andern Sonne
Licht!
Du schmückest dich mit Ruhm
und Ehren
doch das Ersehnte hast du nicht.
O so verlass das eitle
Drängen,
lass ab von törichter
Begier!
Tönt´s nicht in reineren Gesängen:
Das
Himmelreich ist nah bei dir?
Such´s
nicht in Höhen, nicht in Gründen,
nicht
in der schnell verblühten Lust;
willst
du den wahren Himmel finden,
such ihn,
o Mensch in deiner Brust!
2.
Wir sehen die Vernunft als die oberste Richtschnur für
alles menschliche Denken an und können auch in religiöser Beziehung nur das
anerkennen, was sich vor der Vernunft als wahr erweist.
In Bibel
und Christentum gibt es viele Geschichten und Lehren, die unserer Vernunft
anstößig sind. Wir denken da besonders an die Wundererzählungen des Alten und
Neuen Testaments. Es wird dort berichtet, dass Blinde, Lahme, Taube, Aussätzige
plötzlich wieder geheilt, Tote auferweckt worden oder wie Jesus auferstanden
seien. Heute ge-schehen solche Wunder nirgends, darum sind wir überzeugt, dass
sie auch früher nicht geschehen sind.
Übrigens
werden solche Wunder auch in anderen Religionen erzählt, ein Beweis dafür, dass
wir es überall mit sagenhaften Überlieferungen zu tun haben. Hätte Jesus
wirklich Tote auferweckt, wie die Evangelien des Neuen Testaments das melden,
so hätte gewiss niemand gewagt, ihn ans Kreuz zu schlagen, denn solch ein
Wundertäter wäre den anderen unheimlich gewesen. Dass Jesus manche Nervenkranke
durch Sugges-tion (geistige Beeinflussung) geheilt hat, ist allerdings möglich,
solche Heilungen kommen auch heute noch vor, man heißt sie aber nicht
Wunderheilungen. Weil Jesus ein bedeutender Mensch gewesen ist, der auf seine
Anhänger einen großen Eindruck machte, sind wohl bald nach seinem Tode allerlei
wunderbare Geschichten über ihn erzählt worden, die der Fantasie begeisterter
Jünger entsprangen.
Ebenso
lehnen wir aus Vernunftgründen die Grundlehren
des Christentums ab. Nach christlicher Auffassung sollen durch den
Sündenfall Adams im Paradies das Leid und der Tod
in die Welt gekommen sein, und alle Menschen sind nach dieser Meinung deshalb
von Geburt an mit der Erbsünde und dem Hang zum Bösen behaftet. Aber die
heutige Wissenschaft lehrt uns, dass schon lange, ehe es auf Erden Menschen
gab, der Tod, das aus dem Kampf ums Dasein entspringende Leid, Erdbeben,
Vulkanausbrüche, Überschwemmungen geherrscht haben und nicht erst durch den
Sündenfall des Menschen in die Welt gekommen sind. Und wie ungerecht würde uns
ein Gott erscheinen, der die Nachkommen Adams und Evas für die Sünde der
Stammeltern straft!
Gewiss
haben wir alle von unseren Vorfahren nicht bloß Tugenden, sondern auch Fehler
geerbt, aber wir Menschen sind eben nicht bloß in körperlicher, sondern auch in
sittlicher Beziehung von Natur unvollkomme-
ne Wesen.
Oft müssen im Leben Kinder schwer für die Fehler ihrer Vorfahren büßen, aber
ist das etwa ein Beweis für die Gerechtigkeit eines Gottes?
Die Kirche
lehrt, dass Christus, der Sohn Gottes, für die Sünden der Menschen am Kreuz gestorben sei, um Gott durch sein
unschuldiges Leiden und Sterben mit den Menschen zu versöhnen.
Aber
wie sollte ein Gott es zulassen, dass sein unschuldiger Sohn für die Schuld
anderer büßt und wie sonderbar mutet uns der Gedanke an, dass jener Christus
auch für die Sünden der Menschen, die nach ihm geboren wurden, am Kreuze
gestorben sei!
Nach
dem Tode kommen die guten Menschen nach christlicher Lehre in den Himmel, die bösen in die Hölle, wo sie ewige Strafen leiden müssen. Wäre das nicht ein grausamer
Gott, der auch die ärgsten Bösewichter ewiger Pein überantworten würde? Müssen
es nicht grausame Menschen gewesen sein, die eine solche Lehre erdacht haben?
Dagegen
verkennen wir nicht, dass Jesus,
in dem wir Freireligiöse zwar nicht einen Gottessohn, aber einen edlen Menschen
sehen, manches gelehrt hat, was auch uns als gut und recht erscheint. Die
Bedeutung Jesu liegt für uns nicht in seiner vermeintlichen Gottessohnschaft,
auch nicht in seinem Gottesglauben, sondern in seinem vorbildlichen Leben voll Güte
und Barmherzigkeit und in seinen von einem scharfen Blick für das Leben
zeugenden Worten.
Wenn
er z. B. einmal sagt:
“Alles, was ihr wollt, dass
euch die Leute tun, so tut auch ihr ihnen, denn dies ist das Gesetz und die
Propheten“,
so
erkennen wir, dass dieses Wort eine goldene Lebensregel bedeutet.
Oder
wenn er rät:
„Liebe deinen Nächsten wie
dich selbst“.
so
leuchtet es ein, dass es unseren Nebenmenschen nicht schlecht gehen kann, wenn
wir sie ebenso behandeln wie uns selbst, denn sich selbst fügt kein
vernünftiger Mensch absichtlich Schaden zu.
Was
die alten Religionen von übernatürlichen Dingen erzählen, macht auf uns heutige
Menschen keinen Eindruck mehr. Wo wir aber bei ihren Verkündern auf Worte
stoßen, die von tiefer Lebenserfahrung Zeugnis ablegen, die uns wahre Kenntnis
der menschlichen Seele und ihrer Bedürfnisse verraten, da nehmen wir sie gerne
als Leitsterne für unser Leben an, gleichgültig ob sie aus der christlichen
Religion stammen oder heidnischen Ursprungs sind.
So sagt z.
B. Buddha,
der indische Religionsstifter, der 500 Jahre vor Christus gelebt hat:
„Die
ganze Religion fasst sich in drei Sätzen zusammen:
Reinige
den Geist, enthalte dich des Lasters,
übe die Tugend.“
Oder
wir erinnern uns an das Wort des Konfuzius, des chinesischen
Reformators (550 n Chr.):
„Vergilt Gutes mit Gutem,
doch räche dich nicht wegen Beleidigung.“
Der
griechische Philosoph Plato
sagt: „Der Glückseligste ist, wer keine Schlechtigkeit in der
Seele hat.“
Und
der Römer Seneca meint:
„Nicht das Leben selbst ist
ein Gut, sondern das rechte Leben.“
Dieses
Recht der Vernunft, darüber zu entscheiden, was für uns heutige Menschen gut
und schön ist, spricht Cassel
mit den Worten aus:
Selbst
zu prüfen, frei zu wählen,
ist
das ew’ge Recht der Seelen,
das
der Menschheit angeboren,
das zur Freiheit sie
erkoren.
Ihr
dies heil’ge Recht zu rauben,
durch
den Zwang zum blinden Glauben,
heißt
die Gottheit selbst verhöhnen,
und der Götzen-Herrschaft
frönen.
Von
der Saat die Spreu zu sichten
und
des Irrtums Nacht zu lichten,
auf
des freien Geistes Schwingen
immer
tiefer einzudringen
in
den Schatz der ew’gen Wahrheit
und
zugleich mit Ernst und Klarheit
nach
des Herzens Reinheit streben,
ist das wahre Seelenleben.
3.
Wir achten deshalb die Wissenschaft und sind stets
bestrebt, uns mit ihrer Hilfe in unserer religiösen und sittlichen Erkenntnis
weiterzubilden.
Die
alte Religion gründet sich auf eine angebliche göttliche Offenbarung. Das Alte
Testament berichtet, dass Jahve, der Gott der Juden, frommen Männern wie
Abraham, Moses, Samuel, den Propheten persönlich erschienen sei oder mit ihnen
gesprochen und ihnen so seinen Willen kundgetan habe. Auch im Neuen Testament
soll Gott bei der Taufe Jesu durch Johannes im Jordan vom Himmel herab gesprochen
haben:
„Dies
ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden“ (Matth. 3,17).
Besonders
die Wunder des Alten und Neuen Testaments gelten den Christen zum Teil heute
noch als göttliche Zeichen. In den Erzählungen von solchen göttlichen Offenbarungen,
wie sie bei allen alten Religionen sich finden, können wir nur Sagen erblicken.
Vernunft und Erfahrung sind die einzigen Quellen unserer Erkenntnis; Urteile,
welche die Grenzen der Erfahrung überschreiten, beruhen allein auf Glauben,
sind also niemals gewiss. Darum achten wir die Ergebnisse der Wissenschaft und
bauen unsere Religion und Sittlichkeit mit ihrer Hilfe auf.
Die
Wissenschaft hat uns z. B. gezeigt, dass unsere Erde nur ein kleiner Stern im
unermesslichen Weltraum unter Millionen von Sternen ist. Nach dem Philosophen
Kant ist unsere Sonne wahrscheinlich durch Verdichtung aus einem ungeheuren
Gasnebel entstanden. Infolge Drehung der Sonne haben sich Ringe von ihr
losgelöst, die zerrissen und sich zu Kugeln zusammenballten, welche um die Sonne
kreisen. Neptun, Uranus, Saturn, Jupiter, Mars, Erde, Venus, Merkur sind die
aus der Sonne hervorgegangenen Planeten. Die Erde war zuerst eine feurige
Kugel, die von dichten Dämpfen umgeben war. Durch ihre Umdrehung hat sich ein
Ring von ihr abgelöst, der zerriss und sich zu einer Kugel zusammenballte,
unser Mond, der also ebenso ein Kind der Erde ist, wie diese eines von der
Sonne.
Die
Oberfläche der Erde erstarrte allmählich infolge Abkühlung in dem
wahrscheinlich sehr kalten Weltenraum, die sie umgebenden Dämpfe wurden zu
Wasser, das die Erde bedeckte. Durch Zusammenziehung des Erdkerns faltete sich
die Erdrinde und bildete Erhöhungen und Vertiefungen, in denen sich die Meere
sammelten. Im Laufe von Jahrmillionen entstanden dann auch Pflanzen, Tiere und
Menschen, die sich aus niedersten Wesen heraus bis zu ihrem jetzigen Stande
entwickelt haben. Wie die ersten lebenden Wesen auf unserer Erde sich gebildet
haben, ist noch nicht völlig geklärt. Die Gelehrten geben zu, dass es noch
viele ungelöste Rätsel gibt, aber sie ziehen emsiges Weiterforschen einem
blinden Glauben an übernatürliche Eingriffe einer höheren Macht vor.
Wenn
wir daran denken, dass die Erde nur ein Stern unter Millionen von Sternen ist,
dann kommt es uns unwahrscheinlich vor, dass ein Gott seinen Sohn als Erlöser
auf diese kleine Erde gesandt haben soll, wie das Christentum lehrt.
Unbedeutend kommt uns die Völkergeschichte mit ihren 8000 Jahren vor, gegenüber
der Erdgeschichte, die sich auf Jahrmillionen beläuft. Und die Einbildung der Menschen,
dass die Erde hauptsächlich wegen ihnen da sei, erscheint uns töricht, wenn wir
bedenken, dass die
Menschen höchstens 2 bis
3 Millionen Jahre
auf der Erde leben, während zuvor Jahrmillionen
vergangen sind, in denen nur Pflanzen und Tiere die Erde bevölkerten.
Als
eine falsche Anmaßung erkennen wir vollends den Anspruch des Menschen auf eine
ewige Fortdauer nach dem Tode, wenn wir bedenken, welche unbedeutende Stelle
der einzelne Mensch in der Entwicklungsgeschichte einnimmt und wie gering die
Leistungen des Einzelnen für den Fortschritt der Menschheit sind.
Durch die
Forschungsresultate der modernen Wissenschaft über die Erde und ihre Stellung
im Weltenraum lernen wir die wahre Demut und Bescheidenheit. Wir meinen nicht
mehr, die Welt müsse sich um uns drehen. Unsere Aufgabe kann nur sein, uns auf
der Erde, zu der wir gehören, wohnlich einzurichten, soweit das in unserer
Kraft steht, die Naturgesetze mit Ernst zu erforschen und zu beobachten, damit
sie uns nützen und nicht schaden.
Solange
wir leben, freuen wir uns an allem Schönen, das die Erde uns bietet, wir suchen
das Leid, das nicht fehlt, zu bekämpfen, soweit wir können. Je mehr Menschen
fest zusammenhalten, und gemeinsam arbeiten, desto glücklicher können sie auf
Erden leben. Wo jeder nur rücksichtslos sich selbst durchsetzen will, wo ein
Volk das andere bekriegt, entstehen Jammer und Leid, die vermieden werden
könnten, wird Kraft unnütz vergeudet, die sich auf die Bekämpfung der Übel
allein richten sollte, die aus der Natur für uns entspringen.
Kommt
schweres Leid, bittere Krankheit an uns heran, so trösten wir uns damit, dass
unser Leben vergänglich ist und dass der Tod nicht bloß den Freuden, sondern
auch den Leiden des Lebens ein Ende macht.
Wir
halten uns an das Gute und Schöne, das wir haben erleben dürfen, und suchen
auch anderen Freude und nicht Leid in ihr kurzes Leben hineinzutragen. Die
Betrachtung der Natur, das Nachdenken über das unermessliche Weltall bewahrt
uns davor, die eigene Person zu wichtig zu nehmen und erfüllt uns mit hohen und
klaren Gedanken, die uns davor behüten, niedrig gesinnte, rohe und gemeine
Menschen zu werden.
Der Mensch
ist für die heutige Wissenschaft nicht mehr ein gefallener Sünder wie der
sagenhafte Adam nach der jüdisch-christlichen Überlieferung, sondern ein Wesen,
das sich aus niederen, wahrscheinlich tierischen Anfängen zu seiner jetzigen
immer noch bescheidenen Höhe entwickelt hat. Menschen hat es wahrscheinlich
schon seit 2 bis 3 Millionen Jahren gegeben, man hat in den Erdschichten die zur
Tertiärzeit (eine Periode der Erdgeschichte, die nach Schätzung mancher
Gelehrter einen Zeitraum von 3 Millionen Jahren umspannt) roh bearbeitete
Feuersteine, so genannte Eolite (Steine der Morgenröte der menschlichen Kultur)
gefunden, die beweisen, dass damals schon mit Verstand begabte Menschen gelebt
haben müssen. Denn ein Affe kann zwar
einen Stein als
Waffe oder zum Aufschlagen von Nüssen benutzen, er wird ihn aber nie
künstlich bearbeiten. In dem auf die Tertiärzeit folgenden Diluvium, der Eiszeit,
haben Menschen gelebt, die noch ein ziemlich tierisches Gepräge trugen. Ihre
Stirn war niedrig und schräg zurückliegend, das Kinn nicht vorspringend, wie
beim heutigen Menschen, sondern nur schwach ausgebildet, über den Augen
befanden sich starke Knochenwülste, der Gehirnraum betrug 1230 Kubikzentimeter
(beim Menschenaffen 600, beim heutigen Europäer 1400). Solche Skelettreste hat
man zuerst 1856 im Neandertal bei Düsseldorf, später auch in Belgien,
Frankreich und Kroatien gefunden, woraus man mit Recht schließen darf, dass
solche Menschen, die man nach den ersten Knochenfunden als Neandertalrasse
bezeichnet, damals über ganz Europa verbreitet waren. Wenn man diese Menschen
sich vorstellt, kann man begreifen, dass viele ernste Forscher vermuten, dass die
Vorfahren des Menschen im Tierreich zu suchen seinen, dass namentlich Mensch
und Affe vor mehreren Millionen Jahren einmal einen gemeinsamen Vorfahren
gehabt haben.
Besonders
bedeutungsvoll ist es, dass Mensch und Affe blutsverwandt sind, wie durch den
Forscher Friedenthal nachgewiesen wurde. Der holländische Militärarzt Dubois
hat 1891/92 auf der Insel Java einen Oberschenkelknochen, ein paar Zähne, ein
Stück Unterkiefer und ein Schädeldach von einem Wesen gefunden, von dem er
behauptete, dass es ein Mittelglied zwischen Mensch und Affe dargestellt habe,
besonders, da der Gehirnraum desselben 850 Kubikzentimeter betrug (also weniger
als beim Neandertaler, mehr als beim Menschenaffen).
Da
es aber auf der Erde eine Zeit gab, wo auch noch keine Affen da waren, so sind
die Vorfahren von Mensch und Affe wahrscheinlich in noch niedereren Lebewesen
zu suchen, über die man heute freilich nur Vermutungen hat.
Ernst
Haeckel hat darauf hingewiesen, dass die Entwicklung, die der Mensch im Laufe
von Jahrmillionen gemacht hat, sich noch einmal in kürzester Zeit bei dem
Embryo, dem Keim im Mutterleib, wiederhole. Nun ist nach Bölsche auch der
Embryo des Menschen auf gewisser Stufe mit Kiemenspalten am Hals und
Flossenplättchen an Stelle der späteren Arme und Beine versehen, also steckte
auch der Mensch einmal im Fisch.
Die
Abstammung des Menschen erklärt uns auf der einen Seite die sittliche
Unvollkommenheit des Menschen, welche die christliche Lehre fälschlicherweise
als eine selbstverschuldete Sündhaftigkeit auffasst. Die Rohheit, Wildheit,
Zügellosigkeit, Grausamkeit, die heute noch beim Menschen in stärkerem oder
schwächerem Maße sich finden, sind ein Erbteil seiner tierischen Vergangenheit.
Wir alle haben in uns mehr oder weniger solche schlimmen Eigenschaften zu bekämpfen.
Auf der anderen Seite sehen wir aber, dass der Mensch, der seinem Verstand
nach über das Tier erhaben ist, auch in sittlicher Beziehung weiterhin die
Kraft hat, sich zu beherrschen und ein guter Mensch zu werden. Denn es finden
sich in ihm ja nicht bloß jene tierischen Züge, sondern auch Güte, Liebe,
Freundlichkeit, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit. Diese Eigenschaften, von denen
sich zum Teil schon im Tierreich Ansätze finden, zeichnen den Menschen
besonders aus, nur wer sie pflegt, dient dem wahren Fortschritt der Menschheit.
Denn was hilft uns alle äußere Zivilisation, was nützen alle Entdeckungen und
Erfindungen, wenn die sittliche Rohheit dabei fortbesteht! Wenn der Mensch aus
tierischen Anfängen zu seiner jetzigen Höhe sich empor entwickelt hat, so ist
es gut möglich, dass aus dem Menschen noch einmal im Laufe von weiteren
Jahrmillionen ein Wesen hervorgeht, das auch den heutigen Menschen weit
überragt. Wir wissen freilich nichts Bestimmtes darüber, auch die seitherige
Entwicklung des Menschen können wir ja nur erkennen, nicht restlos erklären und
begreifen. Jedenfalls macht uns die neuzeitliche Auffassung des Menschen als
eines in der Entwicklung begriffenes Wesen mehr Mut zu sittlichem Streben als
die christliche.
Falsch
wäre es deshalb zu meinen, dass die Wissenschaft der Sittlichkeit das Fundament
entzieht. Sie baut sie vielmehr auf besserer Grundlage auf. Die moderne
Theologie lässt allerdings keinen Zweifel darüber, dass die alten zehn Gebote
nicht von einem Gott auf dem Berge Sinai dem Moses gegeben wurden, sondern von
Moses selbst oder noch wahrscheinlicher aus einer späteren Zeit herstammen.
Kein
vernünftiger Mensch wird aber darum den Inhalt jener Gebote für töricht halten,
sondern wird zugeben, dass die meisten derselben nur Forderungen enthalten, die
für den Bestand der menschlichen Gesellschaft notwendig sind. Wer das einsieht,
wird auch ohne den Glauben, dass ein Jahve diese Gebote gegeben hat, den
Gedanken zustimmen, die in den sieben letzten ausgesprochen sind. Die ersten
drei mit ihren religiösen Voraussetzungen kommen für uns nicht in Betracht.
Befolgt aber jemand die Gesetze nicht, die für den Bestand des Staates
notwendig und in primitiver Form in jenen alten Geboten ausgesprochen sind, so
muss er zu ihrer Beachtung gezwungen oder unschädlich gemacht werden, wie das
ja im modernen Staat längst geschieht.
Das
fünfte Gebot heißt: Du sollst nicht töten. Nur dann können wir ein ruhiges
Leben führen, wenn wir vor anderen Menschen sicher sind, wenn wir wissen, dass
der Staat es verhindert, dass ein Mensch aus Mutwillen, Bosheit und Grausamkeit
uns an Leben und Gesundheit schädigen kann. Und wir unterstützen den Staat, an
den wir solche Ansprüche stellen, bei seiner schweren Aufgabe am besten
dadurch, dass wir selbst alles vermeiden, was das Leben anderer bedroht.
Namentlich junge Leute müssen sich in acht nehmen, das sie nicht durch
leichtsinniges Hantieren mit
Schießwaffen, durch Ausgelassenheit
bei Sport und Spiel, in Jähzorn oder Trunkenheit anderen einen Schaden
an Leib und Leben zufügen. Es ist ein für das ganze Leben niederschmetternder
und furchtbarer Gedanke, wenn man z. B. durch seinen Leichtsinn daran schuld
geworden ist, dass ein anderer sein Augenlicht eingebüßt hat.
Das
sechste Gebot lautet: Du sollst nicht ehebrechen. Die heutige Einehe ist nicht
von einem Gott eingesetzt, sondern das Produkt einer langen Entwicklung. Nach
Ansicht von Kulturhistorikern der Gegenwart bildet sie sich auf Grund des
Privateigentums, das rechtmäßige Erben verlangte. Es ist gewiss ein Mangel, dass
die meisten Männer infolge wirtschaftlicher Verhältnisse erst spät heiraten
können und dass viele Mädchen infolge des Frauenüberschusses, der durch den
Krieg verschärft wurde, keinen Mann finden. Daher kommen die Prostitution und
die freien Verhältnisse außerhalb der Ehe, die diese doch niemals ersetzen
können und in gesundheitlicher und wirtschaftlicher Beziehung viel Schaden
stiften. Deshalb muss es das Ziel jedes jungen Mannes und jedes jungen Mädchens
sein, die Einehe zu schließen, die nur aus schwerwiegenden Gründen wieder
aufgelöst werden kann. Im Interesse der eigenen Gesundheit und des inneren
Seelenfriedens muss man jedem raten, sich von der Prostitution und dem freien
Verhältnis fernzuhalten.
Ist aber
jemand doch vom Ziel abgeirrt, so liegt es uns fern, ihn lieblos zu
verurteilen, sondern wir wollen ihm helfen und ihm wieder einen besseren Weg
zeigen. Ist jemand durch Verkehr außerhalb der Ehe krank geworden, so soll er
sofort einen Arzt aufsuchen, dann allein hat er Aussicht auf völlige Heilung.
Wenn dem
Verhältnis zweier junger Leute außerhalb der Ehe ein Kind entsprossen ist, so
muss der junge Mann für dieses Kind nach Kräften sorgen, andernfalls ist er mit
Recht als ehrlos zu betrachten. Ein Mädchen, das ein Kind geboren hat, wird von
allen vernünftigen und guten Menschen anerkannt werden, wenn es für sich und
sein Kind den Kampf mit dem Leben aufnimmt.
Eine
Ehe kann nur glücklich sein, wenn Mann und Frau sich verstehen und sich Treue
halten. Kommt eine Eheirrung vor, so wird es in vielen Fällen das beste sein,
wenn Mann und Frau im Frieden auseinander gehen, denn durch Vorwürfe, Streit
oder gar Totschlag kann das, was geschehen ist, nicht mehr geändert und
gebessert werden.
Aber
ein edler Mensch kann auch dem schuldigen Teil verzeihen und die Gemeinschaft
wieder aufnehmen, wenn er sieht, dass diesem seine Verfehlung leid ist. Der
Staat wird stets darüber wachen, dass das Verhältnis von Mann und Frau nicht
der Willkür des Einzelnen preisgegeben ist, sondern dass im Interesse der
kommenden Generation beide Teile die Pflichten auf sich nehmen, die ihr Bund
ihnen auferlegt. Darum muss, um der
Prostitution und den freien
Verhältnissen zu steuern, das Eingehen der Ehe erleichtert werden. Die
Scheidung kann aber nicht dem persönlichen Ermessen überlassen werden, sondern
darf nur auf Grund dauernder Abneigung oder einer Schuld erfolgen.
Das
siebente Gebot sagt: Du sollst nicht stehlen. Es schadet einem begüterten Manne
bestimmt wenig, wenn ich ihm eine Kleinigkeit entwende, ich selbst aber kann
meine persönliche Freiheit, die Achtung meiner Mitmenschen, mein gutes Gewissen
dabei verlieren. Es ist zweifellos ein Unrecht, dass auf der einen Seite oft
unverdienter Überfluss, auf der anderen bitterer Mangel herrscht, aber nur die
Gesellschaft kann z. B. durch scharfe Steuergesetze, durch Sozialisierung
vieler Betriebe hier einen Ausgleich schaffen. Wenn der Einzelne aber auf
eigene Faust das Besitztum des anderen anzutasten wagt, so entsteht ein Chaos
und allgemeine Unsicherheit. Darum kann keine Gesellschaft den Diebstahl
dulden. Hoffentlich erleben wir einmal eine Gesellschaftsordnung, welche die
Gründe zum Diebstahl aufhebt.
Diese
Beispiele zeigen, dass auch wir modernen Menschen alte Gebote, aus denen
langjährige Erfahrung spricht, nicht achtlos beiseite werfen, weil wir ihre
religiöse Sanktion nicht mehr anerkennen, sondern sie nur neu zu begründen
suchen.
Im Übrigen
sei daran erinnert, dass auch bei anderen Völkern Könige oder Religionsstifter
ähnliche Gesetze erlassen haben, wie sie dem Gott Jahve im Alten Testament
zugeschrieben werden. Der babylonische König Hammurabi, der 2250 Jahre vor
Christus lebte, erließ Gesetze, durch die Ehe und Familienleben geschützt, die
Stellung der Kinder und der Bediensteten bestimmt, Raub, Mord, Diebstahl,
Ehebruch mit Strafen bedroht wurden.
Der
Chinese Konfuzius (550 v. Chr.) lehrte: „Was du nicht wünschest an dir getan,
das tu auch nicht den Anderen!“ (vergleiche das oben erwähnte Jesuswort Matth.
7,12).
Buddha
verbot Mord, Diebstahl, Ehebruch, Trunksucht, Lüge und empfahl Mitleid mit
allen lebendigen Wesen. Nach seiner Ansicht wird der Mensch vor Lieblosigkeit
bewahrt bleiben, der von jedem anderen Wesen denkt: „tat twam asi“, das heißt
„das bist du!“.
Man
sieht also deutlich, dass die Wissenschaft die Grundlagen wahrer Religion und
Sittlichkeit besser stützt als eine sagenumwobene religiöse Überlieferung:
Nun
sieht man mit der Zeiten Strome
des
Zwanges finstre Mächte fliehn,
und
an der Stelle ihrer Dome
die Saaten der Erkenntnis
blühn.
Der
ew’ge Geist will nicht vernichten,
will nur die Macht des
Irrtums lichten;
wo
er das Alte lässt vergehn,
da
soll das Neue sich gestalten,
zum
Besseren herrlich sich entfalten,
da soll ein neuer Bau
erstehn.
In
dieses Geistes Lichte wandeln,
ist
jedes freien Denkers Pflicht,
und
wohl ihm, wenn zugleich sein Handeln
für
seines Herzens Reinheit spricht.
So
lasst uns denn mit frohem Mute
fürs
Wahre, Rechte, Schöne, Gute
nach
besten Kräften tätig sein,
mit
allen, die es redlich meinen,
als
wack´re Streiter uns vereinen,
zum Kampfe gegen Trug und
Schein.
4.
Die Religion ist für uns die innerste Angelegenheit des
menschlichen Herzens, deshalb verwerfen wir jeden Glaubens- und Gewissenszwang.
In der
katholischen Kirche herrschte strenger Glaubenszwang. Nur die Juden wurden vom
mittelalterlichen Staate geduldet, alle anderen so genannten Irrgläubigen und
Ketzer dagegen als strafbare Verbrecher behandelt. Die „heilige Inquisition“
war ein zur Verfolgung und Bestrafung der Ketzer eingesetztes Gericht der
katholischen Kirche. Die Verdächtigen wurden verhaftet, ins Gefängnis geworfen,
gefoltert und wenn schuldig befunden, der weltlichen Macht zur Abstrafung,
gewöhnlich zur Todesstrafe, übergeben.
Im Augsburger
Religionsfrieden von 1555 wurde bestimmt, dass das Augsburgische Bekenntnis
neben dem katholischen im Reich als gleichwertig anerkannt werden sollte, aber
nur nach dem Grundsatz cuius
regio, eius religio (wessen
Gebiet, dessen Religion). In den kurfürstlichen Territorien hatte also der
Landesherr, in den Reichsstädten der Rat das Recht, über das Bekenntnis zu
entscheiden. Wollte ein Untertan
oder Bürger sein Bekenntnis wechseln, so
war es ihm erlaubt, in ein Land oder in
eine Stadt auszuwandern, die seinen Glauben hatten. Für andere Bekenntnisse als
das protestantische oder katholische kannte auch die Reformation keine Duldung.
Im
Westfälischen Frieden von 1648 wurde der Augsburger Religionsfriede auch auf
die Reformierten ausgedehnt. Erst unter dem Einfluss der Aufklärung wurde der
Staat gegen die verschiedenen Bekenntnisse wirklich duldsam und begriff, dass
es nicht seine Aufgabe sei, sich von der
Kirche zu ihren Zwecken missbrauchen zu lassen, dass er nur um das weltliche, nicht aber um
das geistliche Wohl seiner Untertanen sich zu kümmern habe. Friedrich der Große
sagte 1740, dass in seinen Staaten ein jeder nach seiner Fasson selig werden
könne.
Im
modernen Staat sind alle Religionen und Bekenntnisse grundsätzlich zugelassen,
soweit sie nicht gegen die staatlichen Gesetze und die herrschenden sittlichen
Gebote sich wenden.
In
Preußen wurde 1850 wenigstens prinzipiell die völlige Glaubens- und
Gewissensfreiheit verkündet:
„Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung
zu Religionsgesellschaften und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen
Religionsausübung wird gewährleistet. Der Genuss der bürgerlichen und
staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Den
bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der
Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen.“
(Art. 12 der Verfassung von
1850)
Und
in dem später als Reichsgesetz eingeführten Gesetz des Norddeutschen Bundes vom
3. Juli 1869 wurde festgesetzt:
„Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen
Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und
staatsbürgerlichen Rechte werden hiermit aufgehoben. Insbesondere soll die
Befähigung zur Teilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur
Bekleidung öffentlicher Ämter vom religiösen Bekenntnis unabhängig sein.“
Die
Gewissens- und Religionsfreiheit bestand also schon vor der staatlichen
Umwälzung in Deutschland, wenn man diese Gesetze ansieht; in Wirklichkeit aber
war sie beschränkt. Offiziere, höhere Beamte und namentlich Volksschullehrer,
die genötigt waren, christlichen Religionsunterricht zu erteilen, konnten es
nicht wagen, aus der Kirche auszutreten. Nicht überall wurde der freireligiöse
Unterricht als Ersatz für den schulplanmäßigen Religionsunterricht anerkannt.
Ungefähr 3800 Kinder empfingen nach Tschirn einen Unterricht, der sie vom
Konfessionsunterricht der Schule dispensierte, rund 1800 freireligiöse Kinder
mussten diesen besuchen. Die Entscheidung über den freireligiösen Unterricht
war dem Ermessen der einzelnen Regierungspräsidenten überlassen. Auch
Freireligiöse, Freidenker und Monisten waren gezwungen, beim Zeugeneid vor
Gericht, beim Fahneneid als Soldat das Bekenntnis zu einem Gott abzulegen,
trotzdem sie offen erklärten, dass sie den Glauben an ein solches göttliches
Wesen ablehnen.
Die
Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 besagt, dass alle Bewohner
des Reiches volle Glaubens- und Gewissensfreiheit genießen (Art. 135).
Der
Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu
öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemand darf
zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an
religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden
(Art. 136).
Der
Austritt aus der Kirche ist in der Weise erleichtert, dass eine persönliche
Austrittserklärung bei dem Gerichtsschreiber des zuständigen Amtsgerichts
genügt. Kosten für das Verfahren werden nicht erhoben. Eine
Austrittsbescheinigung wird auf Verlangen ausgestellt. Kirchensteuern dürfen
nur noch bis zum Schluss des laufenden Kalenderjahres erhoben werden.
Lehrer
und Kinder werden auf eigenen bzw. elterlichen Wunsch von der Erteilung bzw.
dem Besuch des Religionsunterrichts befreit, auch dort, wo kein freireligiöser
Religionsunterricht gegeben werden kann. Unsere Gemeinde kann eine
öffentlich-rechtliche Kooperation werden und ist damit den alten Kirchen
gleichgestellt. Noch ist die Entfernung des Religionsunterrichts aus der Schule
zu erstreben, der den religiösen Gemeinschaften überlassen werden soll. Solange
er als ordentliches Lehrfach in den Schulen bleibt, genießt die christliche
Weltanschauung einen unberechtigten Vorzug.
Mit
allem Nachdruck muss auch darauf hin gewirkt werden, dass jeder junge Mann und
jedes junge Mädchen in einem bestimmten Lebensalter selbst darüber entscheiden,
welcher Religionsgemeinschaft sie sich anschließen wollen. Natürlich haben die
Eltern stets das Recht, ihre Kinder in ihrer Religion zu erziehen, aber kein junger
Mensch darf z. B. mehr als Mitglied der protestantischen Kirche gelten, bloß
weil er zufällig von protestantischen Eltern geboren ist. In unserer
freireligiösen Gemeinde gelten nur die Gemeindekinder als Mitglieder, die
einige Jahre nach der Schulentlassung sich als solche anmelden.
Die
freireligiösen Gemeinden haben von jeher den Grundsatz der freien
Selbstbestimmung in allen religiösen Angelegenheiten gemäß der eigenen
fortschreitenden Erkenntnis vertreten. Wie sie selbst gegen jeden Glaubens- und
Gewissenszwang sich gesträubt haben, so haben sie auch nie versucht, anderen
ihre Meinung aufzudrängen.
Wir lehnen
die christliche Religion und Weltanschauung ab, doch bekämpfen wir sie ruhig und
sachlich, ohne Hass und Spott. Wir haben es bloß für ein Unrecht gehalten, dass
diese Weltanschauung seither im Staat immer noch bevorzugt wurde, während ihre
überzeugten Anhänger doch stark zusammen geschmolzen sind und viele nur deshalb
bei der Kirche bleiben, weil sie zufällig in sie hinein geboren wurden. Jede
Überzeugung, die einem anderen heilig ist, achten wir, wir verlangen diese
Achtung aber auch für unsere Bestrebungen. Nur auf diesem Wege werden
wir in Deutschland
bei allem Kampf
der Weltanschauungen einen edlen
Wettstreit in religiöser Beziehung erleben gegenüber den furchtbaren
Religionskriegen und dem oft gehässigen Kampf vergangener Zeiten.
Sei
gegrüßet, sel´ge Zeit,
wo
die Träume Wahrheit werden,
und
von Wahn und Hass befreit,
Friede
herrsche rings auf Erden!
Lange
harrten wir schon dein,
großer Morgen brich herein!
Brich
herein mit Himmelsglanz!
Ach,
es waren bange Stunden,
wo
verwirrt, verloren ganz
wir
uns schlugen blut´ge Wunden!
Komm,
o komm, wir harren dein,
Tag der Liebe, brich
herein!
Heil
uns, Heil! Ein neu Geschlecht
wandelt
dann in allen Zonen,
Wahrheit,
Freiheit, Menschenrecht,
eint
der Völker Millionen!
Darum
komm, wir harren dein,
Tag der Wahrheit, brich
herein! Karl
Scholl
5.
Die Bibel achten wir als die Urkunde der jüdischen und
christlichen Religion, wir sehen in ihr aber ein menschliches, kein göttliches
Buch, daher besitzt sie für uns keine Autorität in religiösen oder sittlichen
Dingen.
Die Bibel
(= das Buch) zerfällt in zwei Teile, in das Alte und Neue Testament (= Bund).
Die Christen nennen die Bibel Heilige Schrift oder Wort Gottes.
Das Alte
Testament handelt von der Geschichte und vom Glauben der Juden.
Die
Geschichtsbücher des Alten Testaments (die fünf Bücher des Moses, das Buch
Josua, das Buch der Richter, die zwei Bücher Samuelis, die zwei Bücher der
Könige, die zwei Bücher der Chronika, die Bücher Esra und Nehemia, Ruth und
Esther) erzählen zuerst die jüdischen Sagen der Urzeit, dann die Geschichte der
Juden von ihren Stammvätern (den Patriarchen) ab bis zur Rückkehr des Volkes
aus der babylonischen Gefangenschaft.
Die
Lehrbücher (das Buch Hiob, der Psalter, die Sprüche Salomonis, der Prediger
Salomo, das Hohelied Salomonis) schildern die Frömmigkeit des Volkes, also sein
Verhältnis zu Jahve.
Die prophetischen Bücher (Jesaias, Daniel,
Hesekiel und 12 kleine Propheten) enthalten die Aufzeichnungen der Propheten,
begeisterter Verkünder der Gnade oder des Zornes Jahves, die angeblich in
seinem Namen das Volk lehrten, warnten, trösteten, ihm Jehovas Gerichte
androhten und weissagten, dass vom Himmel dereinst ein Messias, ein von Jahve
gesalbter König, kommen werde, um das geknechtete Judenvolk von seinen Feinden
zu befreien und es zum ersten Volk der Erde zu machen. Dieser Messias ist
niemals gekommen, und auf Jesus, auf den die Christen die alttestamentlichen
messianischen Weissagungen beziehen wollten, passen diese nicht.
Das
Alte Testament ist ursprünglich in hebräischer Sprache geschrieben. Unter dem
ägyptischen König Ptolemäus Philadelphus wurde 280 v. Chr. eine griechische
Übersetzung des Alten Testaments begonnen, die den Namen Septuaginta (= 70)
führt. Einer alten Fabel zufolge sollen 70 Männer, ein jeder für sich, die fünf
Bücher Moses übersetzt haben, bei der Vergleichung habe sich gezeigt, dass die
Übersetzungen wörtlich übereinstimmten. Diese Sage, die eine göttliche
Inspiration (Eingebung) beweisen sollte, wurde später auch auf die anderen
Bücher desselben ausgedehnt.
Das Neue
Testament umfasst 27 Schriften. Es ist ursprünglich in griechischer Sprache
geschrieben. Eine lateinische Übersetzung der ganzen Bibel ist von dem
Kirchenvater Hieronymus in Bethlehem (383 – 407 n. Chr.) abgefasst worden. Sie
heißt Vulgata (die allgemein verbreitete). Luther hat 1522 das Neue Testament
ins Deutsche übersetzt, 1534 erschien seine erste vollständige deutsche
Bibelübersetzung, der er immer wieder neue verbesserte folgen ließ. Sie ist mit
großem Fleiß, gewaltiger Gelehrsamkeit und in schöner Sprache verfertigt, weist
aber nach dem Urteil der Gelehrten noch mancherlei Mängel und Irrtümer auf.
Zu
den Geschichtsbüchern rechnet man die vier Evangelien Matthäus, Markus, Lukas,
Johannes. Sie heißen so, weil sie nach dem Glauben der Christen die „frohe
Botschaft“ von der göttlichen Gnade dem sündigen Menschen verkünden. Sie
erzählen das Leben und die Reden Jesu. Die Apostelgeschichte schildert die
Entstehung und Entwicklung der christlichen Gemeinden und besonders die
Wirksamkeit der beiden großen Apostel Petrus und Paulus. Die Lehrbücher
bestehen aus den 13 Briefen des Paulus und den so genannten katholischen
Briefen, die so heißen, weil sie nicht an eine bestimmte Einzelgemeinde,
sondern an die Allgemeinheit gerichtet sind. Als prophetisches Buch gilt die
Offenbarung Johannis, die angebliche göttliche Offenbarungen über die Endzeit
der Welt enthält.
Nach
Zittel besitzen wir von keinem biblischen Buch noch das von dem Verfasser
geschriebene Original oder auch nur eine Abschrift, die demselben vollständig
gleicht.
Jede
neue Abschrift, wie sie vor der Erfindung der Buchdruckerkunst zur
Vervielfältigung notwendig war, brachte auch neue Fehler mit sich durch
Überspringung von Wörtern und Sätzen, durch absichtliche Einschiebungen. Der
Wortlaut der hebräischen Bibel wurde 500 n. Chr. von den jüdischen
Schriftgelehrten festgesetzt, während die von verschiedenen Verfassern
verschiedener Zeiten herrührenden Schriften sich über einen Zeitraum von über
1300 Jahren verteilen.
Die
ältesten Handschriften des Neuen Testaments sind der in Rom befindliche Codex
Vaticanus, der Sinaiticus in Petersburg und der Alexandrinus in London, die
nach Ansicht der Gelehrten aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. stammen. Die
neutestamentlichen Schriften sind zwischen 50 und 150 n. Chr. entstanden. Von
Jesus sind keine schriftlichen Aufzeichnungen vorhanden, die Berichte über
seine Worte und Taten widersprechen sich begreiflicherweise vielfach, weil sie
erst lange nach seinem Tode abgefasst wurden.
Außer
den im Neuen Testament heute vorhandenen Schriften waren in den ersten
Jahrhunderten n. Chr. noch manche Darstellungen der urchristlichen Zeit
vorhanden. Auf den Kirchenversammlungen zu Nicäa 325 und zu Laodicäa 368 n.
Chr. wurden die jetzt in der Bibel enthaltenen neutestamentlichen Schriften als
die besten ausgewählt und seit 400 wurde in der ganzen Christenheit dieses Neue
Testament als Richtschnur (Kanon) des Glaubens angesehen.
Wir
sehen also, dass die Bibel auf ganz natürliche Weise entstanden ist. Sie ist
ein gewaltiges Kulturdokument, das einen Zeitraum von 1350 vor bis 150 n. Chr.
umfasst. Die meisten Christen haben heute den Glauben aufgegeben, dass die
Bibel wörtlich von einem Gott den Schriftstellern inspiriert sei, denn sie
enthält viel Irrtümer und Widersprüche.
·
Im 1. Buch Mose wird z. B. erzählt, dass Adam und Eva zwei Söhne gehabt
haben, Kain und Abel. Kain habe den Abel erschlagen und sei in ein anderes Land
geflohen, wo er ein Weib genommen habe. Woher soll denn dieses Weib kommen, da
nach der Sage doch Adam, Eva, Kain und Abel die einzigen Menschen auf der Erde
waren?
·
Bei Johannes 1, 18 heißt es: „Gott hat keiner je gesehen“, aber im Alten
Testament wird berichtet, dass dieser Gott Adam, Abraham, Moses erschienen sei.
·
Nach den ersten drei Evangelien ist Jesus an einem Freitagnachmittag
gestorben, nach dem Johannisevangelium an einem Donnerstag.
·
Nach Matthäus 28, 16 ff. ist Jesus in Galiläa auf einem Berg nach seiner
Auferstehung seinen Jüngern zum letzten Mal erschienen, nach Lukas 24, 50 ff.
ist er von Bethanien bei Jerusalem in den Himmel gefahren (vergl.
Apostelgeschichte 1, 9).
Viele
Christen, welche den Glauben an eine wörtliche göttliche Inspiration der Bibel
haben fallen lassen, meinen, nur die wichtigsten Lehren der Propheten, des
Jesus und der Apostel seien von oben eingegeben.
Aber
das ist eine bloße Vermutung, die nicht bewiesen werden kann. Die Propheten,
Jesus und die Apostel haben nur ihre eigenen Gedanken über Gott, Mensch, Welt,
Jenseits verkündet. Die Wunder, die zum Beweis ihrer göttlichen Sendung erzählt
werden, können von uns heutigen Menschen nicht mehr geglaubt werden und werden
auch von vielen Christen zurück gewiesen. Wir müssen also prüfen, ob wir das
noch glauben können, was jene Menschen über Gott, Mensch, Welt und Jenseits
gedacht haben, oder ob wir noch die religiösen Erfahrungen machen können, die
sie gehabt zu haben wähnten.
Wir
Freireligiösen verneinen beides. Die Welt können wir zwar nicht enträtseln,
aber sie macht uns nicht den Eindruck, dass sie von einem allgütigen und
allweisen Gott regiert wird. Den Menschen halten wir nicht mehr für einen
verlorenen Sünder, sondern für ein der Entwicklung begriffenes unvollkommenes
Wesen. Für das Dasein einer anderen Welt vollends gibt es keinen Beweis.
Wenn
wir somit der Bibel völlig frei gegenüber stehen und deutlich betonen, dass sie
für uns keine Autorität in religiösen oder sittlichen Dingen besitzt, d. h.
dass wir uns von ihr sowenig als von einem katholischen Papst vorschreiben
lassen, was wir glauben und tun sollen, so verkennen wir doch nicht, dass
sowohl im Alten als im Neuen Testament sich viele Worte finden, die eine tiefe
Lebensweisheit enthalten (vgl. besonders die Sprüche Salomons und den Prediger
im Alten Testament, mache Reden und Gleichnisse Jesu im Neuen Testament). Den
Glauben der biblischen Männer und Schriftsteller teilen wir nicht, aber wir
sehen aus ihren Glaubensvorstellungen, was sie selbst für Menschen gewesen sind
und danach fällen wir unser Urteil über sie und die einzelnen Schriften in der
Bibel.
Die
neutestamentliche Gottesvorstellung steht im Allgemeinen höher als die
alttestamentliche. Die höchste Stufe erreicht hier Jesus. Weil er selbst ein
gütiger und freundlicher Mensch war, stellt er sich seinen Gott als einen
barmherzigen Vater vor (vgl. besonders Luk. 15, 11 ff. das Gleichnis vom
verlorenen Sohn). Freilich scheinen auch bei Jesus andere Gottesvorstellungen
von Einfluss gewesen zu sein, da er in der ihm zugeschriebenen Rede vom
jüngsten Gericht, Matth. 25, 41 und 46, von einer ewigen Verdammnis für die
Bösen spricht. Nun können wir uns gut vorstellen, dass ein frommer Mensch an
einen Gott glaubt, der die bösen Menschen bestraft, aber er müsste doch selbst
erkennen, dass ein Gott, der auch die schlimmsten Bösewichter ewig peinigt,
grausam und herzlos wäre und von keinem guten Menschen geliebt und geachtet
werden könnte, auch wenn man gegen seine Allmacht nichts zu unternehmen
vermöchte.
Eine
niedrigere Gottesvorstellung zeigt der Apostel Paulus im Römerbrief 9, 18, wo
er sagt, dass Gott sich nach Willkür der einen Menschen erbarme, während er
[sich gegen] die anderen verhärte.
Eine
edle Gottesvorstellung findet sich z. B. in Psalm 103, 8 ff.: „Barmherzig und
gnädig ist Jahve, langsam zum Zorn und reich an Huld.“
Sonst
werden freilich gerade im Alten Testament dem Gott Jahve Worte und Taten
zugeschrieben, die eines Gottes sehr unwürdig wären. Nach 2. Moses 4, 24 ff.
überfällt er den Moses in einer Herberge, um ihn zu töten, weil der Sohn des
Moses nicht beschnitten ist, eine groteske und lächerliche Gottesvorstellung!
Als
ein wilder Kriegsgott wird Jahve bei der Eroberung Kanaans durch die Juden
geschildert, bei der furchtbare Grausamkeiten vorkamen, die voll Stolz erzählt
werden. So heißt es z. B. bei Josua 10, 40: „So eroberte Josua das ganze Land,
das Bergland, das Südland, die Niederung und die Bergabhänge und alle Könige
derselben, so dass niemand entkam, und an allem, was lebendig war, vollstreckte
er den Bann, wie Jahve, der Gott Israels befohlen hatte.“
Die
Juden und die Christen müssten, wenn sie nicht vielfach noch in einer blinden
Ehrfurcht vor der Bibel befangen wären, selbst zugeben, dass Grausamkeiten und
Scheußlichkeiten dadurch nicht schöner und besser werden, dass sie einem Gott
zugesprochen werden und in der Bibel stehen. Sie müssten sich doch selbst
sagen, dass ein Gott besser sein müsste als die besten Menschen auf Erden, nicht
schlimmer und unbarmherziger als sogar böse Menschen sind. Das wäre gescheiter
und ehrlicher, als alle Worte und Taten dieses Gottes verteidigen zu wollen,
bloß weil sie in der Bibel stehen.
Die
moderne Theologie erkennt allerdings deutlich eine Entwicklung der
Gottesvorstellung in der Bibel an und bewertet die einzelnen Stufen derselben
verschieden. Wir Freireligiösen sind überzeugt, dass ein wirklich vorhandener
Gott niemals die Vorstellungen an sich geduldet hätte, aus denen
Scheußlichkeiten geflossen sind. Da das aber nicht geschehen ist, sind wir
sicher, dass sämtliche Gottesvorstellungen der Bibel nur Fantasieprodukte der Menschen sind. Wir können aber von diesem
Standpunkt aus die religiösen Vorstellungen der biblischen Männer und der
heutigen Juden und Christen achten, die edler Gesinnung entstammen, während wir
diejenigen, die dem geläuterten sittlichen Empfinden der Gegenwart entschieden
widersprechen, als verwerflich brandmarken.
Für unsere eigene Person lehnen wir aber auch die ersteren vollständig ab.
Das
helle Wort der Wahrheit
Gedeih
in unsrer Brust,
Dass
seiner stets in Klarheit
Wir
seien uns bewusst!
Was
uns Vernunft gegeben,
Der
Wahrheit Brunnenquell,
Nur
das soll in uns leben
Und
bleiben rein und hell!
6.
Von einer Gottheit wissen wir nichts und lehnen darum
jeden bestimmten Gottesglauben ab, besonders verwerfen wir den Wunderglauben,
der mit der Gesetzmäßigkeit der Natur im Widerspruch steht.
Die
Wissenschaft, die Völkergeschichte, unser eigenes Leben zeigen uns nirgends das
Eingreifen eines Gottes. Alles, was geschieht, hat natürliche Ursachen. Will
jemand in ihnen die Wirkung eines Gottes erblicken, so ist das sein
persönlicher Glaube, der für andere weder beweisbar noch widerlegbar ist,
sondern höchstens als wahrscheinlich oder unwahrscheinlich hingestellt werden
kann.
Wenn
eine Mutter z. B. sagt, Gott hat geholfen, dass der Arzt mein krankes Kind wieder gesund
machen konnte, so ist das ihre persönliche Überzeugung. Andere Menschen
werden dabei stehen bleiben, dass die Heilung des Kindes rein natürlich durch
die Hilfe des Arztes zu erklären sei und daran erinnern, wie viele Kinder
sterben müssen, wenn auch die ärztliche Kunst erschöpft ist. Kein Gott hat sie
wieder gesund gemacht, trotzdem ihre Mütter vielleicht heiße Gebete zum Himmel
gesandt haben. Nur Wunder können das Dasein eines allmächtigen und allgütigen
Gottes beweisen, nicht der natürliche Weltlauf, darin haben die altgläubigen
Christen Recht; aber solche geschehen nicht.
In
der Natur gibt es für uns Menschen viel Unerklärliches und Staunenswertes, das
aber trotzdem natürliche Ursachen haben kann. Ein Wunder aber würde ein
Geschehen sein, bei dem natürliche Ursachen zweifellos ausgeschlossen wären.
Wenn z. B. ein Mann, der in einem brennenden Haus sich befindet, voll Verzweiflung
seinen Gott bitten würde, er möge ihm doch helfen, und das furchtbare Feuer
plötzlich ohne die Hilfe der Feuerwehr erlöschen, so wäre das zweifellos ein
Wunder. Oder wenn ein verlassenes Kind den Gott bitten würde, er möge ihm doch
seine verstorbene Mutter wiedergeben und die Tote käme aus dem Grabe zurück, so
wäre das eine wirkliche Gebetserhörung. Aber jeder ehrliche Mensch muss
zugeben, dass solche Wunder nicht geschehen.
Die
neugläubigen Christen leugnen das auch nicht, aber sie meinen, dass die
Gottheit sich im Naturverlauf offenbare, dass die Naturgesetze die
Willensäußerungen Gottes darstellen. Aber so kommt man höchstens zum Glauben an
einen allmächtigen Gott ohne Gnade und Barmherzigkeit, denn die Natur fragt
nicht nach gut und böse, menschlichem Glück und Unglück.
Die
Naturgesetze wirken sich in Erdbeben, Überschwemmungen, Bränden, Hagel, Sturm
ebenso aus wie in Sonnenschein und Regen, Fruchtbarkeit der Erde und Schönheit
der Naturformen. Einen solchen Gott könnte der Mensch zwar anstaunen, aber
nicht lieben und vertrauen.
Aus
diesem Grund lehnen wir auch den Pantheismus ab, welcher die Welt als einen
Organismus ansieht, in dem Gott als das belebende und beseelende Prinzip
gedacht ist, als die Weltseele, der Weltgeist und Weltwille, dessen sichtbare
Erscheinung die Welt ist. Große Dichter wie Goethe, bedeutende Denker wie
Spinoza und Eduard von Hartmann haben sich, jeder in der ihm eigentümlichen
Art, zum Pantheismus bekannt, und wir haben schon oben gesagt, dass auch die
Freireligiösen, Freidenker und Monisten dieser Anschauung huldigen. Wir geben
gerne zu, dass die Natur für uns Menschen eine unerklärliche, ewig tätige Macht
darstellt, aber die Bezeichnung Gottnatur lehnen wir ab, da die menschlichen
Begriffe der Gerechtigkeit, Liebe und Barmherzigkeit auf sie nicht passen.
Gewiss ist uns heutigen Menschen klar geworden, dass wir uns nicht mehr als den
Mittelpunkt der Welt betrachten dürfen, aber diese Erkenntnis kann uns nicht
daran hindern, vom menschlichen Standpunkt aus ein Werturteil über die Natur zu
fällen und eine anbetende Ehrfurcht vor dem Universum, eine Verehrung des
Unerforschlichen von uns zu weisen. Die pantheistische Auffassung des Menschen
als einer endlichen Erscheinung Gottes weisen wir ebenso zurück wie die
Armsündertheorie des Christentums. Der Mensch ist für uns kein gefallener
Sünder, aber auch keine individuell beschränkte Verkörperung Gottes, sondern
ein in natürlicher und sittlicher Beziehung ohne seine Schuld unvollkommenes
Wesen.
Einen
Gott suchen wir in einem Himmel jenseits der Sterne ebenso vergebens wie in der
Welt. Für uns freireligiöse Atheisten ist Gott nur das jeweilige höchste
sittliche Ideal der Menschheit, das alleine in der Brust des Menschen lebt und
in der Welt nur so weit verwirklicht wird, als sich Menschen dafür einsetzen.
Auf die Bezeichnung „Gott“ für dieses Ideal legen wir im Übrigen nicht den
geringsten Wert. Wer für die höchsten
Ideale seiner Zeit eintritt, ist für uns ein religiöser Mensch, gleichgültig ob
er betreffs seiner Weltanschauung sich zum Theismus, Pantheismus oder Atheismus
bekennt. Unser eigener Standpunkt in Bezug auf das Gottesproblem aber kommt
deutlich in den Worten Baltzers zum Ausdruck:
Noch
immer herrscht der alte Zweifel,
Noch
immer lebt der alte Wahn,
Als
seien Gott und auch dem Teufel
Die
Menschenseelen untertan;
Als
sei ein goldnes Zelt da drüben
Für
unsere Zukunft ausgespannt,
Und
was hier unerreichbar geblieben,
Das falle
dort uns in die Hand.
Aus
deinem Innern gehen die Fäden,
Aus
denen sich das Schicksal webt;
Der
geht durchs Leben schwer beladen,
Der
sich nicht selbst zu retten strebt.
Mit
frohem Herzen musst du ringen
Und
auch dem Schicksal stehn als Mann, -
Was
kann der für die Welt vollbringen,
Der sich
nicht selbst erlösen kann!
7.
Wir lassen uns nicht auf ein Jenseits verweisen, wir
Menschen können allein auf dieser Erde nach dem Guten streben und hier unser
Glück suchen.
Die
meisten Völker des Altertums glaubten an ein Leben nach dem Tode, denn sie
gründeten ihre Weltanschauung nicht in dem Maße auf das Wissen wie wir heutigen
Menschen, sondern mehr auf das Gefühl und Fantasie.
Schon
bei den vorgeschichtlichen Menschen finden sich Spuren des Glaubens an ein
Fortleben nach dem Tode. So wurden 1908 bei Moustier in Südfrankreich die
Skelettüberreste eines von seinen Genossen bestatteten Jünglings der schon oben
erwähnten Neandertalrasse gefunden, dem ein kunstvoll bearbeiteter Faustkeil,
ein Steinschaber und mehrere angebrannte Knochen des inzwischen schon lange
ausgestorbenen Urstiers beigelegt waren. Dieser Jüngling ist nach der Schätzung
mancher Gelehrten vor über 100 000 Jahren bestattet worden. Offenbar glaubten
seine Genossen, er brauche Waffen, Werkzeug und Nahrung auch noch in einer
anderen Welt.
Man meinte
früher, die Seele verlasse im Traum den Leib und erlebe all das wirklich, was
wir träumen. Wenn nun ein Mensch gestorben war, dachte man, seine Seele habe
für immer den Leib verlassen und sei zu einem anderen Leben eingegangen.
Die
alten Ägypter glaubten, dass die
Toten vor dem Gott Osiris, dem Herrscher der Unterwelt zum Gericht erscheinen
müssen. Die guten Menschen durften bei Osiris bleiben und ein seliges Leben mit
ihm führen, die bösen mussten auf die Erde zurückkehren, wo sie zur Strafe
in Tiere verwandelt wurden, um später einmal von neuem vor Osiris zu
erscheinen.
Nach dem
Glauben der alten Perser mussten
die Toten nach ihrem Ableben über die schmale Cinvatbrücke schreiten. Die Guten
gelangen glücklich ins Paradies, während die Bösen in die Hölle hinabstürzen.
Auch die Babylonier glaubten an eine Vergeltung nach
dem Tode.
Die
alten Deutschen erzählten, dass
die auf dem Schlachtfeld gefallenen tapferen Krieger von den Walküren nach
Walhalla, dem himmlischen Wohnsitz Odins gebracht werden, wo sie täglich große
Kampfspiele veranstalten. Die Wunden, die sie bei diesen Kämpfen sich schlagen,
heilen rasch von selbst wieder. Abends finden große Trinkgelage statt, welche
unsere Vorfahren schon auf Erden sehr liebten. Die auf dem Krankenbett
Gestorbenen kamen in das düstere, traurige Totenreich.
Die
alten Inder waren überzeugt, dass
wir Menschen alle schon oft auf dieser Erde gelebt haben und in neuer Gestalt
nach dem Tode immer wiederkehren müssen. Handeln wir in unserem jetzigen Leben
gut, so wird unser Los bei der nächsten Wiederverkörperung ein freundliches
sein, während wir böse Taten in unserer kommenden Daseinsform büßen müssen. Der
indische Religionsstifter Buddha (500 v. Chr.) erstrebte die Befreiung von
jeglicher Wiedergeburt durch innerliche Ertötung des Lebenswillens. Wer frei
geworden ist von jeder Selbst- und Weltliebe, darf beim Tode hoffen ins
Nirwana, zum ewigen traumlosen Schlaf, einzugehen.
Auffallenderweise
glaubten die alten Israeliten zwar
an einen Gott, aber nicht an eine Auferstehung der Toten. So sagt z. B. der
alttestamentliche Prediger Kap. 3, 19 ff.: „Das Geschick der Menschenkinder und
dasjenige des Viehs – dasselbe Geschick haben sie: wie dieses stirbt, so stirbt
jener, und einen Odem haben sie alle, und einen Vorzug des Menschen vor dem
Vieh gibt es nicht, denn alles ist eitel. Alles geht dahin an einen Ort: alles
ist aus dem Staub geworden und alles wird wieder zu Staub. Wer weiß, ob der
Geist der Menschenkinder aufwärts steigt, der Geist des Viehes aber zur Erde
hinabführt?“ Ebenso Kap. 2, 16: „Von dem Weisen bleibt so wenig ein dauerndes
Andenken, wie von dem Toren, da sie in den kommenden Tagen alle längst
vergessen sind, und wie stirbt doch der Weise mit den Toren dahin!“ Auch der
Prophet Jesaja redet seinen Gott an: „Nicht dankt dir die Unterwelt, nicht
preist dich der Tod; nicht harren die in die Gruft Hinabgestiegenen auf deine
Treue. Der Lebende, der Lebende – er dankt dir, wie ich heute; der Vater macht
den Söhnen deine Treue kund.“
Erst
unter dem Einfluss anderer Völker, besonders der Babylonier und Perser, haben
die Juden später den Glauben an eine Auferstehung der Toten angenommen, wie er
sich z. B. in Daniel 12, 2 zeigt:
„Viele
von denen, die im Erdenstaube schlafen, werden erwachen, die einen zu ewigem
Leben, die anderen zur Schmach und zu ewigem Abscheu.“
Die
Christen glauben teils an eine
Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag, also am Ende der Welt, wo Christus sie
richten und je nach Verdienst für den Himmel oder die Hölle bestimmen werde,
teils an eine sofortige Entscheidung über das Schicksal der einzelnen Seele
nach dem Tode, die zur Verdammnis oder zur Seligkeit eingehen soll. Der
christliche Glaube an ein Leben nach dem Tode gründet sich auf die
vermeintliche Auferstehung Jesu.
Viele
Anhänger hat heute auch in Deutschland der Spiritismus,
der Glaube an das Fortleben der abgeschiedenen Geister (spirits) und ihren
Verkehr mit den Lebendigen, der angeblich durch besonders dafür veranlagte
Personen, so genannte Medien (Mittelspersonen) stattfindet. Er bedeutet ein
Wiederaufleben des alten Glaubens der Neger und Chinesen an eine Fortexistenz
der Geister der Toten und ihre dauernden Beziehungen zur Welt der Lebenden. Bei
den Chinesen wird heute noch den Vorfahren religiöse Verehrung erwiesen
(Ahnenkult).
In den
spiritistischen Sitzungen spielen die Geisterklopfsprache, die
Geisterschriften, die Geistererscheinungen, die Belehrungen wissenschaftlicher,
religiöser und sittlicher Art durch die Geister, allerlei Zauberkunststücke wie
fliegende Tische und Stühle eine große Rolle. Die spiritistischen Medien sind
schon oft als grobe Betrüger oder Betrügerinnen entlarvt worden. Wo die Absicht
der Täuschung fernliegt, beruhen die so genannten Geistererscheinungen
wahrscheinlich auf Halluzinationen (Sinnestäuschungen), auf Selbstsuggestion
und Fremdsuggestion (Suggestion = geistige Beeinflussung, Gedanken- und
Willensübertragung).
Der
Glaube an das Fortleben der Geister der Toten und ihre Erscheinungen ist nach
wie vor eine unbewiesene Meinung. In den in allen großen Städten Europas
vorhandenen theosophischen Gesellschaften (Theosophie = göttliche Weisheit)
knüpft man an den altindischen Seelenwanderungsglauben an. Diese Leute
behaupten ein geheimes (okkultes) Wissen über frühere und künftige Existenz der
menschlichen Seele zu besitzen, das aber mit wirklicher Wissenschaft nichts zu
tun hat. Der Seelenwanderungsglaube ist ebenso eine leere Vermutung wie der
christliche Glaube an Himmel und Hölle.
Wir
Freireligiösen sind überzeugt, das alle Beweise für ein Fortleben nach dem Tode
wertlos sind. Man sagte früher z. B., die Seele sei ein einfaches
unkörperliches Wesen, das nicht zerstört werden könne. Aber nach Ansicht der
heutigen Wissenschaft ist die Seele nicht als „die Gesamtheit der Empfindungen
und Vorstellungen, Gefühle und Strebungen“.
Über
ein diesen Bewusstseinsvorgängen etwa zugrunde liegendes Seelenwesen können
keinerlei Aussagen gemacht werden. Die geistigen Erscheinungen sind ebenfalls
ans Gehirn gebunden; wenn uns auch diese Tatsache der Erfahrung nicht weiter
erklärlich ist, so besteht doch kein Grund zu der Annahme, dass es auch nach
Zerfall des Gehirns noch ein Denken, Wollen und Fühlen geben könne.
Weist man
darauf hin, dass so manche Anlagen und Kräfte des menschlichen Geistes in
diesem Leben nicht zur vollen Reife gelangen können und dass es deshalb eine
Fortentwicklung im Jenseits geben müsse, so ist das nur ein Wunsch, dem
keinerlei Beweiskraft innewohnt. Viele fordern ein Jenseits, weil Tugend und
Glück sich oft auf Erden nicht entsprechen. Manchen guten Menschen geht es im
Leben schlecht, während Betrüger und sonstige gewissenlose Menschen oft zu
Reichtum und äußerem Glück gelangen. Aber es muss immer wieder betont werden,
dass für ein solch menschlich begreifliches Verlangen nach einer Vergeltung
keinerlei Garantien vorhanden sind.
Die
Meinung, dass der Glaube an Gott und Unsterblichkeit eine allen Menschen
gemeinsame, angeborene Wahrheit sei, ist längst als Irrtum erkannt. Die
Auferstehung Jesu kann für die meisten heutigen Menschen keinen Beweis mehr für
die Wiederbelebung der Toten bilden, da wir Wunder nicht mehr für wahr halten
können. Von untergeordneter Bedeutung ist, dass sich die Auferstehungsberichte
des Neuen Testaments deutlich widersprechen.
Der
Apostel Paulus sagt 1. Kor. 15, 33: „Stehen die Toten nicht auf, so lasset uns
essen und trinken, denn morgen sind wir tot.“ Es wird aber wohl wenige Menschen
geben, denen ein nur der Sinnenlust gewidmetes Leben genügt. Gewiss hat jeder
Mensch auch ein Anrecht auf Lebensfreude, und wir, die wir überzeugt sind, nur
einmal zu leben, werden stets scharf betonen, dass der Mensch nicht bloß zur
Arbeit auf der Welt ist oder vollends um von anderen als Arbeitstier ausgenutzt
zu werden, sondern dass in einem gerechten Staatswesen auch jeder das Recht und
die Möglichkeit haben muss, am Genuss des Lebens teilzunehmen. Aber dieser
Lebensgenuss befriedigt uns nur, wenn wir ihn durch Arbeit und Pflichterfüllung
verdient haben, sonst führt er bald zum Lebensekel. Richtige Abwechslung
zwischen Arbeit und Erholung erhält lebensfrisch.
Wenn
wir an die vielen Jahrmillionen der Erdgeschichte denken und die Millionen
Menschen uns vorstellen, die im Laufe der Zeiten über die Erde dahin gegangen
sind, so kommt uns unser eigenes kurzes Leben klein und unbedeutend vor, und
der Gedanke, dass all diese unzähligen Menschen, die jemals gelebt haben,
wieder aus ihren vergessenen Gräbern auferstehen sollten, erscheint uns
ungeheuerlich. Wir sind auch fest überzeugt,
dass selbst der beste Mensch kein
ewiges Leben verdienen würde, denn was der Einzelne zum Fortschritt der
Menschheit beiträgt, ist ja so wenig und so nichtssagend. Darum ist es für den
einzelnen Menschen genug, wenn er dieses Leben mit seinen Freuden und Leiden
ausgekostet hat. Wir alle können zur Macht des Guten in der Welt beitragen,
wenn wir uns bemühen, ein gutes Leben zu führen, denn dann machen wir anderen
über unseren Tod hinaus Mut und Freudigkeit, den Weg zu gehen, den wir ihnen
voraus gegangen sind. Haben wir uns bestrebt, zu arbeiten und zu wirken,
solange es für uns Tag war, und für das Gute, Wahre und Schöne gekämpft, so
können wir einmal ruhig sterben, weil wir wissen, dass wir nicht umsonst gelebt
haben.
Besonders
tröstlich kann uns der Gedanke sein, dass wir auch gegen andere Menschen recht
gehandelt und ihnen Liebe und Barmherzigkeit gezeigt haben, weil wir dann keine
Bitternis, sondern ein freundliches Andenken in den Herzen anderer
hinterlassen.
Wenn
wir unser Leben so stets im Lichte des Todes betrachten, werden wir zur wahren
Lebensweisheit gelangen. Die alte Predigt von Himmel und Hölle macht heute auf
die meisten Menschen keinen Eindruck mehr, darum ist es wichtig, dass schon die
Jugend im Sinne unserer Lebensanschauung unterrichtet wird, damit sie vor dem
von manchen törichten Christen genährten Wahn bewahrt bleiben, dass ohne
Jenseitsglaube alles edle Streben Torheit sei.
Sind
wir davon überzeugt, dass auch unsere Angehörigen nur einmal auf dieser Erde
leben, so kann uns das ein ganz besonderer Ansporn sein, ihnen unsere Liebe zu
beweisen, solange sie bei uns sind, damit wir ohne innere Vorwürfe an sie denken
können, wenn sie vielleicht einmal sterben. Bei ihrem Tod trösten wir uns nicht
mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen in einer anderen Welt, sondern mit dem
Gedanken, dass unsere Abgeschiedenen in unseren Herzen weiter leben. Mit all
den lieben Worten, die wir im Leben von ihnen hören durften, mit den Taten, die
sie vor unseren Augen gewirkt haben, hat sich ihr unvergessliches Bild uns so
fest eingeprägt, dass kein Tod es in unserem Innern zerstören kann. Von dem
stillen Bild derer, die das Leben überwunden haben, strömt auch Trost und
Friede auf uns über, die wir noch im Leben drin stehen. Und der Abschied vom
Leben fällt uns einmal umso leichter, wenn schon Menschen uns voraus gegangen
sind, die uns lieb und teuer waren und ein Stück unseres eigenen Wesens mit
sich ins Grab genommen haben.
Im
Gedanken an den eigenen Tod aber sprechen wir mit der Dichterin:
Wenn
ich Abschied nehme, will ich leise gehen,
Denen,
die mich liebten, still ins Auge sehn.
Hab
so heiß geliebet manchen Erdentag,
Habe
froh gestritten mit des Lebens Plag´.
Hab
in wenig Seelen eingeglüht mein Bild,
Das
es nicht verwische Zeit und Sturm so wild.
Will
in ihrem Leben unverloren stehn,
Bis
sie kampfesmüde auch zur Ruhe gehen.
Mag
der Tag sich neigen, kommt der Dämmrung Schein,
Lass
die Nacht nur dunkeln, ruhig schlaf ich ein.
E. Gös.
8.
Die Geschichte zeigt uns, dass alles Gute, das die
Menschheit heute besitzt, durch menschliche Kraft zustande gekommen ist,
deshalb können auch wir das Gute, das wir wollen, nur durch unser eigenes
sittliches Streben erreichen.
Beim Lesen
der seither in den Schulen gebrauchten Geschichtsbücher erkennt man, dass in
ihnen die Schilderung von Kriegen einen großen Raum einnimmt. Es mag sein, dass
manch äußerer Fortschritt in der Welt durch einen Krieg für ein Volk erzielt
worden ist, aber wir würden lieber auf einen politischen oder materiellen
Gewinn verzichten, als dass wir ihn durch schlechte Mittel herbei führen
möchten. Alle Kriege ohne Ausnahme, die jemals geführt worden sind, sind
Schandflecke für die Menschheitsgeschichte, Zeichen tierischer Rohheit und
Barbarei, wenn natürlich auch zugegeben werden muss, dass manche Völker wider
ihren Willen von anderen in Kriege verwickelt wurden.
Selbst
ein Verteidigungs- oder Befreiungskrieg ist ein schreckliches Übel, mag auch die Schuld auf den Angreifer
fallen. Wenn man solche Kriege später verherrlicht, leistet man der
Kriegsbegeisterung Vorschub. Die Erinnerungsfeiern an siegreiche Schlachten der
Vergangenheit sind eine Schmach für ein zivilisiertes Volk.
Die
Meinung wäre aber falsch, dass die Völkergeschichte nichts Besseres aufzuweisen
habe, als Krieg und Blutvergießen. Es gibt auch eine Geschichte der
menschlichen Kultur, die uns von Fleiß und Vorwärtsstreben, von Entdeckungen
und Erfindungen erzählt. Wenn wir heute in festen Häusern bequem wohnen, wenn
wir die Eisenbahn benutzen oder auf Brücken gehen, die über breite Flüsse
gespannt sind, wenn wir auf gepflasterten Straßen, die Stadt und Land durchziehen,
uns bewegen, wenn Telefon und Telegraf uns zu Gebote stehen oder die Post uns
einen Brief bringt, der erst vor kurzem von einem Land jenseits des Ozeans
abgeschickt wurde, dann geht uns eine Ahnung davon auf, was die Menschen auf
der Erde schon alles geleistet haben. Und wir brauchen nicht bloß an die großen
Entdecker und Erfinder uns dankbar zu erinnern, wenn wir von menschlicher
Kultur sprechen.
Wenn
wir in unserem eigenen Haushalt uns umsehen, so erblicken wir da viele
Gegenstände, wie Messer, Gabeln, Löffel, Geschirr aller Art, die alle einmal
einen unbekannten Erfinder gehabt haben und im Laufe der Zeiten durch menschliches
Nachdenken immer mehr
vervollkommnet wurden. Die ganze Erde ist voll von menschlichen
Gedanken, die durch Formung des Stoffes in die Tat umgesetzt wurden. Wenn wir
z. B. einen von einem großen Meister erbauten Dom betrachten, so bekommen wir
unwillkürlich Ehrfurcht vor dem gewaltigen Menschengeist, der aus dem rohen
Material, das die Natur liefert, ein solches Gebäude erstehen ließ. Bei allem
Ringen und Kämpfen des Menschen auf dieser Erde ist ihm keine übernatürliche
Hilfe zuteil geworden, die ganze geistige und technische Kultur ist ein Wert
mühsamer menschlicher Arbeit.
Vielleicht
ist der Eine oder Andere von uns auch imstande, in seinem Beruf irgendwelche
kleine Erfindung oder Verbesserung einer schon vorhandenen zu machen. Auch der
kleinste Fortschritt auf irgendeinem Kulturgebiet ist dankbar zu begrüßen. Aber
auch all die Vielen, denen es nicht vergönnt ist, einen äußeren Erfolg ihrer
Arbeit aufzuweisen, können durch treue Pflichterfüllung auf ihrem Posten durch
Beherrschung ihrer Leidenschaften, durch Kampf gegen menschliche Bosheit,
Niedertracht, Gemeinheit und Heuchelei, durch Freundlichkeit und Güte im
Verkehr mit den Nebenmenschen der inneren Kultur große Dienste leisten; denn
diese besteht nicht in zunehmendem Luxus und angenehmer Bequemlichkeit, in
steigender Erleichterung des Verkehrs und Ausnutzung der Naturkräfte, sondern
im sittlichen Fortschritt der Menschheit, der sich in Liebe, Barmherzigkeit,
Gerechtigkeit, Selbstzucht offenbart. All die Menschen, die nicht das Gute
wollen, sondern nur den eigenen Vorteil, Genuss, Geld, Macht und Ansehen oft
mit bedenklichen Mitteln erstreben, sind ein Hemmschuh wahrer Kultur. Ihnen
gegenüber müssen sich alle Menschen, die das Gute wollen, zusammenschließen,
damit nicht die Gewaltmenschen, die Profitjäger, die Genussmenschen tonangebend
werden.
Ohne
innere Kultur ist ja auch die äußere auf die Dauer nicht möglich, denn die
letztere kann nur von Menschen gemacht und aufrecht erhalten werden, die
Selbstbeherrschung, Pflichterfüllung und Ordnungsliebe besitzen und betätigen.
In einem Eisenbahnzug fahren wir ruhig, weil wir voraussetzen, dass der
Lokomotivführer ein nüchterner Mann ist, der Verantwortlichkeitsgefühl besitzt.
In einem Hotel essen wir gern, wenn wir überzeugt sind, dass der Besitzer
darüber wacht, dass uns keine gefälschten Nahrungsmittel als angeblich
vorzügliche Speisen vorgesetzt werden. Wir alle wissen, dass wir im Leben auch
manchmal belogen und betrogen werden, darum überschätzen wir unsere heutige
Kultur nicht. Wir haben nicht die Macht, alle Menschen zu guten Menschen zu
machen, aber wir für unsere Person als Freireligiöse wollen in unserem Beruf,
in der Familie und im öffentlichen Leben uns als gute Menschen zeigen, um mit
unserer Kraft dem Kulturfortschritt zu dienen.
„In diesem
gemeinsamen Werke der Menschheit“, sagt der Philosoph Jodl, „ist auch der
Kleinste und Geringste groß, denn aus tausend und und tausend Einzelleistungen
setzt sich das ungeheure Ganze zusammen, und jeder, der an seiner Stelle das
Richtige tut, dasjenige, wozu ihn seine Kräfte befähigen und was die
organisierte Gesellschaft braucht, ist wertvoll, ja unentbehrlich. Dies ist das
Geheimnis der neuen Religion, der Kultur- oder Menschheitsreligion.“
Hast
du ins Herz geschlossen,
Die
Heiligkeit der Pflicht,
Dann
üb sie unverdrossen,
Dann weich
und wanke nicht!
Ob
dir gelingt dein Streben,
Darauf
kommt wenig an;
Genug,
wenn du im Leben
Stets
deine Pflicht getan.
Und
glaube nicht, es werde
Das
Gute nicht gedeihn;
Du
musst nur auf der Erde
Recht
guten Samen streun.
Zum
Segen ist erkoren,
Was
der Vernunft entsprang;
Kein
Wörtlein geht verloren
Das
aus dem Herzen drang.
Eschenbach
9.
Gut handeln wir, wenn wir wünschen können, dass alle
Menschen ebenso handeln möchten wie wir, gut ist, was dem Wohle des Einzelnen
und dem der Gesamtheit dient.
Es
ist begreiflich, wenn ein Mensch, der etwas verschuldet hat, aus Furcht vor
Strafe sein Vergehen abzuleugnen sucht, aber er wird doch selbst nicht
wünschen, dass Lüge und Wahrheit allgemein als gleichberechtigt gelten sollen,
denn sonst könnte ja keiner mehr dem anderen trauen, und eine große Verwirrung
müsste entstehen. Hat jemand im Jähzorn oder aus Eifersucht einen anderen
erschlagen, so wird er vielleicht seine eigene Tat zu entschuldigen sich
bemühen, aber er wird nicht sagen wollen, der Totschlag müsse erlaubt sein,
denn wie furchtbar wäre ein Zustand, wo keiner vor dem anderen seines Lebens
sicher wäre. Mancher Kaufmann betrügt seinen Kunden zuweilen mit schlechter
Ware, aber wenn er bei seinen eigenen Einkäufen getäuscht wird, sieht er
deutlich, wohin wir im Handel und Verkehr kämen, wenn Betrug oder Ehrlichkeit
der Willkür des Einzelnen überlassen wären.
Sind wir dagegen
gütig und freundlich, so können wir ruhig wünschen, alle Menschen
möchten ebenso sein wie wir. Ein Kaufmann, der seine Kunden reell bedient, kann
mit Recht sagen, dass viel Verdruss, Ärger, Enttäuschung und Streit aus der
Welt geschafft wären, wenn alle seine Berufsgenossen dieselben Grundsätze
hätten wie er. Gelingt es den maßgebenden Staatsmännern zweier Völker, einen
Streit im Frieden zu schlichten, so wissen sie, dass unendlich viel Jammer und
Herzleid der Menschheit erspart bleiben könnte, wenn bei den maßgebenden
Persönlichkeiten immer der ehrliche Wille zum Frieden vorhanden wäre.
Das Wohl
des Einzelnen hängt mit dem der Gesamtheit eng zusammen. Wer versucht, durch
ein vernünftiges und mäßiges Leben seine Gesundheit zu erhalten, kann seinen
Beruf gut ausüben und damit der Allgemeinheit dienen. Verbraucht einer dagegen
durch eigene Schuld seine Kräfte vor der Zeit und erspart sich nichts, so fällt
er schließlich der Gemeinde oder dem Staat zu Last. Ein Vater und eine Mutter,
die ihre Kinder ordentlich erziehen, erweisen diesen den besten Dienst fürs
Leben, erleben selbst an ihnen Freude und genießen ein ruhiges Alter im Blick
auf die Kinder, die ihnen Ehre machen.
Nicht
immer tragen die Eltern die Schuld, wenn ein Kind missrät; aber wenn diese bei
der Erziehung schwere Versäumnisse begehen, erleben sie nicht bloß selbst viel
Ärger und Verdruss, sondern schädigen die Gesellschaft, die schon genug
nichtsnutzige Individuen besitzt.
Ein
Gelehrter, der durch seine Forschungen zu neuen Entdeckungen gelangt, erwirbt
sich selbst Ruhm und Ansehen und nützt auch der Menschheit, die durch ihn in
der Welterkenntnis oder Naturbeherrschung fortschreitet.
In
einem Staat, der seinen Bürgern das Recht der politischen Überzeugung und Betätigung,
Gewissensfreiheit und Pressefreiheit ohne Hinterhalt gewährt, wird nicht bloß
der einzelne Bürger sich wohler fühlen, sondern auch die Regierung wird ihre
schwere Aufgabe leichter erfüllen können als in einem Staat, der seine Bürger
als Untertanen behandelt, die nur zu gehorchen haben.
Gewiss
ist das Glück, das der Einzelne erstrebt, ganz verschieden. Der eine liebt ein
gefahrvolles Leben als Hochtourist, Flieger, Sportsmann, der andere ein
stilles, zurückgezogenes, beschauliches Dasein. Der Eine liebt Tanz, Musik,
fröhliche Gesellschaft, ein anderer schätzt die Einsamkeit höher und zieht die
Lektüre von Büchern dem Umgang mit Menschen vor. Mancher fühlt sich an
leitender Stelle glücklich, er hat die Gabe, andere zu lenken und zu regieren,
ein anderer ordnet sich gerne unter und ist zufrieden, wenn er einen
bescheidenen Posten richtig ausfüllen kann.
Die
meisten Menschen werden in Liebe und Ehe erstrebenswerte Lebensziele erblicken,
es gibt aber auch Menschen, die lieber allein durchs Leben gehen. Jeder muss
die Freiheit haben, sein Leben so zu gestalten, dass er von seinem Dasein
befriedigt ist, aber er darf dabei nicht fremde Interessen verletzen,
rücksichtslos sich selbst durchsetzen oder andere nur als Mittel für seine
Zwecke benutzen. Sonst wird sich die Gesellschaft mit Recht gegen ihn kehren
und versuchen, ihn unschädlich zu machen. Für das Wohl jedes Einzelnen und der
Gesamtheit müssen die höchsten sittlichen Grundsätze von Recht und Billigkeit,
von Güte und Wahrhaftigkeit maßgebend sein, welche die Menschheit jeweils
erreicht hat.
Welch
Ziel du magst erstreben,
Sei’s
nah, sei’s hoch und fern,
Weiht
nicht die Pflicht dein Leben,
So
fehlt dein guter Stern.
Der
Stern, der wunderhelle,
Mit
reinem Himmelslicht
Von
seiner ew’gen Quelle
Dir zum
Gewissen spricht.
Das
Glück mag bilden, ründen,
Erhöhn
und Schmuck verleihn,
Doch
muss, um fest zu gründen,
Die
Pflicht geschäftig sein.
Du
freust dich an Gestalten
Und
nennst mit Stolz, was dein:
Doch
wahren und erhalten,
Das kann
die Pflicht allein.
10.
Unsere Religion ist somit Glaube an das Gute und Wille
zum Guten .
Die Natur
kennt weder gut noch böse, sie duldet den Mörder ebenso wie den guten,
hilfsbereiten Menschen. Schon Jesus hat diese Wahrheit erkannt, wenn er von
seinem gottesgläubigen Standpunkt aus sagt, dass Gott seine Sonne aufgehen
lasse über Böse und Gute, und regnen über Gerechte und Ungerechte (Matth. 5,
45).
Wie
wir Menschen aber heilsame und giftige Pflanzen unterscheiden, weil die einen
uns gesund, die anderen krank machen können, so heißen wir auch die Handlungen
gut, die das Leben fördern, und diejenigen böse, die es hemmen und zerstören.
Was heute im einzelnen Fall gut und böse heißt, hat nicht zu allen Zeiten und
bei allen Völkern diese Geltung gehabt. Keine Zeit und keinem Volk bleibt es
erspart, die überkommenen Begriffe von Gut und Böse auf ihre Lebensfähigkeit
von Neuem zu prüfen. Aber dies geschieht nicht durch hochmütige Verwerfung der
Überlieferung der Vergangenheit
auf sittlichem Gebiet, sondern durch ernste Auseinandersetzung
mit ihr, da sie weithin einen Niederschlag vieltausendjähriger Erfahrung
darstellt. Es kommt nicht darauf an, dass man alles annimmt, was andere Leute
gut und böse heißen, sondern dass man stets den Willen hat, das zu tun, was man
im einzelnen Fall als gut erkannt hat, und nicht etwa das, was einem gerade als
das bequemste, leichteste und vorteilhafteste erscheint.
Wer diesen
Willen zum Guten hat, ist für uns nicht bloß ein sittlicher, sondern auch ein
religiöser Mensch. Denn Religion ist nicht Glaube an so genannte Heilstatsachen
der Vergangenheit, sondern vor allem der Wille zum Guten, Wahren und Schönen.
Der
Philosoph Kant sagt: „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch
außerhalb derselben zu denken, was ohne Einschränkung für gut gehalten werden
könnte, als allein ein guter Wille.“
Die
altgläubigen Christen glauben an einen Sieg des Bösen auf dieser Erde, der ein
Zeichen des herannahenden Weltgerichts und Weltendes sein soll. Sie stützen
sich dabei auf die Verkündigung Jesu, dass dem Weltuntergang furchtbare
Drangsale vorausgehen werden. Volk wider Volk, Reich wider Reich werde sich
erheben, Hungersnöte und Erdbeben hin und wieder werde es geben. Und weil der
Frevel überhandnehme, werde bei den meisten die Liebe erkalten. Nur wer bis ans
Ende ausharre, werde gerettet werden. (Matth. 24, V. 7, 12 und 13.) Erst durch
die Wiederkunft Christi werde das Böse vernichtet werden.
Dieser
Glaube ist schon dadurch hinfällig, dass Jesus das Weltende und seine
Wiederkunft seinen Jüngern als nahe bevorstehende Ereignisse angekündigt hat,
denn er sagt (Matth. 24, 34): „Wahrlich, ich sage euch, es sind einige unter
denen, die hier stehen, welche den Tod nicht kosten werden, bis sie den Sohn
des Menschen kommen sehen in seinem Reich.“
Vergebens
haben die Christen zu allen Zeiten auf die Erfüllung der Weissagungen Jesu
gewartet.
Die
neugläubigen Christen hoffen auf einen Sieg des Guten auf dieser Erde durch
göttliche Hilfe. Wenn aber wirklich ein Gott den guten Menschen bei ihrem Kampf
gegen Armut, Krankheit, Ungerechtigkeit, Krieg geholfen hätte, so müsste das
erstrebte Ziel längst erreicht sein.
Unser
Glaube an das Gute bedeutet nicht die Meinung, dass das Gute auf der Erde sich
selbst durchsetze, dass die Wahrheit zuletzt überall siegen müsse. Wir behaupten
nur, dass das Gute, da zum Sieg gelangen kann, wo gute Menschen mit vereinten
Kräften sich dafür einsetzen.
Wer
bloß nach Essen, Trinken und Sinnenlust strebt, wird von der neuen, freien
Religion so wenig etwas wissen wollen als von der alten. Wer aber damit nicht
zufrieden ist, sondern ein edler Mensch werden möchte und ein Reich der
Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe auf Erden wünscht, wird sich uns
gerne anschließen, um der Religion des Guten, Wahren und Schönen sein Leben
weihen.
Ich
suche Licht für meinen Geist
Und
Nahrung, die das Herz mir speist,
Und
Kraft, die mich zum Rechten stärkt,
Und
Warnung, die den Irrweg merkt.
Nicht
leben mag ich bloß fürs Brot,
Nicht
sorgen bloß um äußre Not,
Zu
hoch bin ich als Mensch gestellt,
Zu dienen bloß
der Sinnenwelt.
Drum,
Freunde, bin ich euch vereint,
Die
ihr mit mir dasselbe meint,
Die
ihr, gleich mir das Haupt erhebt
Und nach
dem rechten Leben strebt.
Komm,
Wahrheit, gib uns hellen Schein,
Komm,
Kraft, und nimm die Herzen ein,
Komm,
Liebe, all uns zu umfahn,
Dass
wir dem schönen Ziele nahn.
Uhlich
1925
Grundzüge der
freireligiösen Gemeinde zu Leipzig
Aus:
Dr. J. Kippenberger und Dr. P. Beck
„80 Jahre Freireligiöse Gemeinde Leipzig“
Verlag Freireligiöse Gemeinde Leipzig
1925
1.
Uns leitet der Grundsatz: Freie Selbstbestimmung auf allen Gebieten des
Lebens, gemäß der fortschreitenden Vernunft und Wissenschaft.
2.
Wir bekennen uns zur einheitlichen, natürlichen Weltanschauung, nach
welcher – wie alles auf der Welt – auch das Menschenleben sich naturgesetzmäßig entwickelt.
3.
Daraus folgt, dass es übernatürliche Dinge und Geschehnisse nicht geben
kann.
4.
Es folgt weiter daraus, dass der Mensch mit allem in der Welt
einheitlich verbunden und verwandt ist.
5.
Wir erblicken in dem diese Erkenntnis
begleitenden Gefühl, in
Verbindung mit dem auf beides sich gründenden Verhalten des Menschen, das Wesen
unserer freien Religion.
6.
Wir stehen auf dem Boden der natürlichen, sittlichen Selbstgesetzgebung,
welche die Pflichten und Rechte der Einzelpersonen wie der Gesamtheit bestimmt
und sie als Selbstliebe im Individualismus und als Nächstenliebe im Sozialismus
zur bewussten Betätigung bringt.
Unsere Ziele
1.
Wir wollen Menschen erziehen, die frei von jedem Zwange selbständig zu
denken vermögen, die ihr Einzel- und Gemeinschaftsleben auf Grund der
Erkenntnisse aufbauen, welche sich ihnen aus der einheitlichen,
wissenschaftlichen Welt- und Lebensanschauung ergeben.
2.
Wir machen es jedem Einzelnen zur Pflicht, sein Leben sowohl mit dem
Natur- und menschlichen Gesellschaftsleben als auch mit seinem eigenen Denken,
Fühlen und Wollen in größtmögliche Übereinstimmung zu bringen.
3.
Wir erstreben Glück und Vollkommenheit nicht in einem eingebildeten
Jenseits, sondern im Erdenleben, und dessen Bessergestaltung und
unsere eigene Vervollkommnung,
mit Hilfe vor allem der vereinten Menschenkraft. In dieser Selbsterlösung erhält die menschliche
Arbeit, die in freudigem Selbstbetätigungsdrang als aufopfernder Dienst für die
Allgemeinheit stetig die Kultur erhöht, auch Wert über den Tod hinaus.
Unsere Aufgaben
1.
Um unsere Ziele zu erreichen, ist es nötig, dass wir die Kirche
bekämpfen, indem wir hinweisen auf ihre Herrschaftsansprüche über die Menschen
und ihre Forderung blinden Gehorsams; indem wir auffordern zum Verlassen der
Kirche und zum Anschluss an die freireligiösen Gemeinden, um so alle freiheits-
und fortschrittsliebenden Männer und Frauen in einer machtvollen Opposition
zusammenzufassen.
2.
Wir betrachten als unsere Aufgabe die geistige und sittliche Aufklärung
der Menschen, um sie zur Erkenntnis der Mängel und Fehler im persönlichen wie
gesellschaftlichen Leben und auf Grund dieser Erkenntnis zur Arbeit an der
eigenen wie gesellschaftlichen Vervollkommnung fähig zu machen.
3.
Da wir aber wissen, dass zur Herbeiführung eines besseren irdischen
Lebens das geistig-sittliche Aufgeklärtsein allein nicht genügt, dass es
vielmehr auch der politischen und sozialen Betätigung bedarf, weisen wir die
Mitglieder hin auf die Notwendigkeit, zur Verbesserung auch der
politisch-sozialen Zustände, zur Erreichung der politischen, wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Gleichstellung und damit zur Ermöglichung des Aufstiegs
des Volkes mitzuhelfen.
4.
Wir haben die Aufgabe, unsere Kinder in unsere Gedankenwelt einzuführen,
sie allmählich mit unserer Weltanschauung vertraut zu machen, und sie auf diese
Weise zu überzeugten Kämpfern für unsere Ziele zu erziehen.
5.
Wir haben alle Bestrebungen zu unterstützen, welche körperliche
Ertüchtigung der Erwachsenen wie der Kinder bezwecken.
6.
Es ist darauf zu achten, dass unsere Schulentlassenen in eigenen
„Jugendvereinigungen“ sich zusammenschließen, um im Sinne unserer freien
Gemeinden sich fortzubilden, im steten Zusammenhang mit ihnen zu bleiben und
für sie im Innern und nach Außen zu wirken.
7.
Wo es möglich ist, bilde man „Frauenvereine“; sie können, wenn sie ihre
Aufgaben richtig erfassen, viel zur Hebung und Kräftigung des Gemeindelebens
beitragen.
8.
Unsere Anschauungen wollen wir im
Einzel- und Familienleben, im Volks- und Menschenleben, in Kunst und
Wissenschaft zur Geltung bringen.
Unsere Forderungen
1.
Wir fordern die Trennung von Kirche und Staat, dergestalt, dass wegfällt
jede Art Unterstützung und Förderung der Kirche auf Kosten der Allgemeinheit,
auch gegen den Willen all der vielen, welche Gegner der Kirche sind; dass der
kirchliche Einfluss auf die von Staat und Kommunen verwalteten Anstalten und
Einrichtungen (z. B. in dem vielverzweigten Fürsorgewesen, in Krankenhäusern,
Gefängnissen, im Bestattungs- und Friedhofswesen) beseitigt wird: dass alle
gesetzlichen Bestimmungen, die lediglich im Interesse und zum Schutz der Kirche
getroffen sind und gehandhabt werden, wie z. B. Gotteslästerungsparagrafen,
konfessioneller Eid, aufgehoben werden.
2.
Wir fordern die Trennung der Schule
von der Kirche, dergestalt, dass der kirchliche Einfluss auf die
Schule und in der Schule vollkommen ausgeschaltet wird. Wir wollen die
weltliche Schule, in der uns das gelehrt wird, was wissenschaftlich haltbar und
fürs Leben gebraucht wird.
Unsere Arbeitsweise
Unsere
Arbeit im Sinne unserer Grundsätze, Ziele und Aufgaben geschieht durch Vorträge aufklärender, belehrender und
unterhaltender Art; Verbreitung guter freigeistiger Literatur und aufklärender
Flugschriften; Veranstaltung von Sonntagsfeiern, von Feiern an den allgemein
üblichen weltlichen Festen, bei besonderen Ereignissen, welche die freigeistige
Gesamtheit betreffen, oder traurige oder freudige Ereignisse in der Familie zur
Veranlassung haben. – Wir legen Wert darauf, dass bei allen unseren
Veranstaltungen und Feiern Verstand, Gefühl und Wille in gleicher Weise
Berücksichtigung finden. Wissenschaft und Kunst sind die Quelle, aus der wir zu
unserer allseitigen Fortbildung schöpfen.
1926
Die religiöse Gesinnung der freireligiösen Bewegung
Aus:
„Freie Religion“
Nr. 1, 5. Jahrgang
Januar 1926
Die
religiöse Gesinnung der freireligiösen Bewegung lässt sich nicht in Dogmen
bannen, sie kann durch keinerlei Formeln in ihrem Wesen erschöpft werden, denn
Religion ist Leben, aus seelischen Tiefen fließende Kraft.
Einige
Aussprüche führender Persönlichkeiten geben von verschiedenen Gesichtspunkten
aus ein klares Bild unserer religiösen Stellung.
Religion
(von lat. religare = binden) ist
der Inbegriff aller Bestrebungen des Menschen, durch Bindung an ein höchstes
Unbedingtes von der eigenen Bedingtheit frei zu werden und zur vollkommenen
Übereinstimmung mit sich selbst, mit seinem wahren Wesen, zu gelangen.
Hochschulprofessor Dr. Arthur Drews, Karlsruhe
Religion
im weitesten Sinne ist ihrer objektiven Seite nach Bindung des Menschen an das
Unendliche, Ewige, an die Urwesenheit, ihrem tiefsten seelischen Prozess nach
ein Leben und Weben im All, ein Sichhinein-denken, Hinein-fühlen und
Hinein-wollen in den kosmischen Zusammenhang.
Universitätsprofessor Dr. J.M. Verweyen, Bonn
Religion
ist das fantasievoll personifizierte Erschauen und persönliche Erleben des
Weltzusammenhangs, von welchem wir auch unser Menschenleben gesetzmäßig
empfangen und durchdrungen wissen; ist das naturwüchsige Ineinander der jeweils
lebendigen ästhetischen, ethischen und intellektuellen Kultur; der dreieinige
Trieb zum Wahren, Guten, Schönen.
Gustav Tschirn, Wiesbaden
Der
religiöse Mensch glaubt Wahrheit, Seelenglück, Schönheit, Tugend in einer übersinnlichen
All-Wirklichkeit, in einem unerforschlichen sinngestaltenden All-Bauwillen – in
Gott – wurzelnd.
Die freie
Religion verzichtet auf alle dogmatischen Festlegungen über das Wesen des
Unerforschlichen und unterlässt jede äußere Bindung an starre, religiöse
Gebrauchsformeln.
Pfarrer Clemens Taesler, Frankfurt a.M.
Religion
ist nicht die Summe äußerer Gebräuche, auch nicht ein Fürwahrhalten von Lehren,
sondern Leben im Gefühl der Abhängigkeit (nach Schleiermacher) von
unsichtbarer, in und hinter den Dingen waltender höherer Macht.
Uns
Freireligiösen ist Religion insbesondere Leben im ehrfurchts- und
vertrauensvollen Bewusstsein des Aufgestiegenseins aus unendlichem Weltengrund
und des dauernden Getragenwerdens von diesem ewigen mit allem anderen Leben
verbindenden geistigen Heimatboden.
Rudolf Wahlbaum, Alzey
Religion
haben heißt, das vergängliche Leben mit seinem ganzen Wertgehalt verankern in
einem Unvergänglichen, das als höchster umfassender Sinn alles Daseins uns
umfängt. Wir fordern den neuen Menschen, der in lebendiger Gemeinschaft mit
Gleichgesinnten durch Wahrhaftigkeit, Selbstverantwortung, Weltbejahung und
soziale Tat den Weg zum Ewigen findet.
Dr. Georg Pick, Mainz
Religion
ist der Aufblick des Menschen aus der Begrenztheit seines Wesens zu höheren
Mächten, von denen er Erlösung erhofft.
Der
Freireligiöse sucht und findet sie in der Natur selbst. Sie sind dann weiter
nichts als die höhere Entwicklungsstufe der Natur selber an das Ideal, die
unendlichen Möglichkeiten der Höherentwicklung im unendlichen Weltall, die sich
auch dann noch öffnen, wenn der Mensch an aller Rettung und an allem
Fortschritt verzweifeln möchte.
Erich Schramm, Ludwigshafen
Religion
kann bestimmt werden als die Hingabe und Bindung des menschlichen Gemütes an
einen höchsten Wert.
Kunst,
Moral, Wissenschaft umfassen nur Teilgebiete der menschlichen Wertbeziehungen.
In der Religion dagegen wird das Ganze, das Allgemeine, der Weltgrund selbst
als Weltzusammenhang erlebt, in ihm alles menschliche Sein und Wirken verankert.
Dr. Wilhelm Hager, München
Wesentlich
ist klare Begriffsbestimmung. Geschichtliche Religion d. h. überlieferte Lehren
von übernatürlichen (metaphysischen Ereignissen) lehnen wir ab. Innerliche
Religion haben alle nachdenklichen Menschen, auch wenn sie lieber einfach
Ethik, Gewissen, Pflichtgefühl dazu sagen. Es ist das Verantwortungsbewusstsein
gegenüber dem Ganzen der Welt. Wir nennen es Religion, in der Überzeugung, dass
es nicht auf vernünftiger Einsicht in Zweckzusammenhänge, sondern auf einer uns
unerklärlichen Liebe zum Guten beruht.
Ludwig Keibel, Pirmasens
Religion
ist Bindung an das Unendliche, Unfassbare (Gott), ist Glauben an Zweck und Sinn
der Welt, und die damit deutlich fühlbar verbundene Befreiungsverpflichtung vom
Ich. Aus dem kosmischen Zusammenhang entspringt die Gemeinschaft stiftende,
soziale Macht der Religion.
Otto Maria Saenger, Karlsruhe
Alte Irische Besinnung
Ich habe
gearbeitet auf der fruchtbaren Erde
und einen Garten
gepflanzt. -
So weiß ich, was
Glauben ist.
Ich habe dem
Jubilieren der Vögel gelauscht
am frühen Morgen
und zur Dämmerung. -
So weiß ich, was
Musik ist.
Ich habe den
Morgen gesehen
Wolkenlos nach
dem Regen. -
So weiß ich, was
Schönheit ist.
Ich habe das
Wunder des Frühlings geschaut
die Fülle des
Sommers und die Pracht des Herbstes
gefolgt von der
Ruhe des Winters. -
So weiß ich, was
Leben ist
Und weil ich all
das erfahren habe,
weiß ich was
Gott ist.
Größer werden
die Menschen nicht;
doch unter den
Menschen
größer und
größer wächst
die Welt des
Gedankens.
Strengeres
fordert jeglicher Tag
von den
Lebenden.
Und so sehen es
alle,
die zu sehen
verstehen.
Aus dem seligen
Glauben des Kreuzes
bricht ein
anderer hervor,
selbstloser und
größer.
Dessen Gebot
wird sein:
Edel lebe und
schön,
ohne Hoffnung
künftigen Seins
und ohne
Vergeltung,
nur um der Schönheit des Lebens
willen.
Theodor Storm
[1] Der Bund Freireligiöser
Gemeinden Deutschlands und der (bürgerliche) Deutsche Freidenker Bund schlossen sich
1921, vorläufig noch unter Wahrung der eigenen Organisation, zum Deutschen
Volksbund für Geistesfreiheit zusammen. Im April 1924 beschloss man auf der „Zweiten freigeistigen Woche“ in
Leipzig einstimmig die Verschmelzung beider Organisationen. BFGD und DFB lösten
sich damit auf. Der Verband süd- und
westdeutscher Freireligiöser Gemeinden machte diese Vereinigung
nicht mit und konstituierte sich im November 1924 als nunmehr alleiniger
Vertreter der freireligiösen Idee.