1900
Flugblatt der Freireligiösen Gemeinde Wiesbaden
Georg Welker
„Freireligiöse Predigten“
1. Band, S. 208 ff
Wiesbaden, 1900
Vor
einem Jahr veröffentlichte ich folgendes Flugblatt:
Warum bleiben Sie in Ihrer Kirchengemeinschaft?
Eine
Mahnung zur Aufrichtigkeit an alle, die es angeht.
1.
Glauben Sie das, was Ihre Kirche lehrt?
Glauben
Sie wirklich die Dogmen Ihrer Kirche? Glauben Sie an einen dreieinigen Gott?
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tode? Glauben Sie an den Himmel, der den
Gläubigen ewige Freude bringt? An die Hölle, die den Ungläubigen ihre Pforten
öffnet zu nie verlöschender Pein?
Wenn
Sie das und ähnliches glauben, gut – dann gehören Sie zu denen, von denen die
Bergpredigt sagt: „Selig sind die geistig Armen, denn das Himmelreich ist
ihrer“ – und ich will Sie nicht beunruhigen und verurteilen – ich will Sie dann
nur um eines bitten: Gehen Sie zu Ihrem Pfarrer und fragen Sie ihn auf Ehre und
Gewissen: „Glauben Sie das, über welches ich nach meinem Glauben gefragt
werde?“ – Fordern Sie eine Antwort ohne Winkelzüge – ohne Verschleierung, ohne
Vertuschung, und eine recht große Zahl von Seelsorgern wird nicht mit der
richtigen Antwort zurückhalten: „Nein, ich glaube das nicht!“
Nun aber
wende ich mich an alle Denkenden, die nicht glauben. Wenn Sie nicht glauben,
warum geben Sie sich den Anschein des Glaubens dadurch, dass Sie in Ihrer
Kirchengemeinschaft bleiben?
Sind Sie
ganz sicher, dass Ihre Freunde und Bekannten Sie fälschlich für aufrichtig
halten? Oder müssen Sie nicht fürchten, dass der eine oder andere, vielleicht
der Beste, die Achtung vor Ihnen verliert, weil Sie mit Ihren Anschauungen
Versteck treiben? Ja, ich frage Sie, können Sie vor anderen Menschen es
verantworten, die Maske der Heuchelei zu tragen? Sind Ihre Gründe für den
Widerspruch zwischen Ihrem Sein und
Schein so schwerwiegend, dass Offenheit , Ehrlichkeit, Mannesmut, Menschenwürde
so ganz und gar beiseite gesetzt werden dürfen?
2.
Haben Sie einen Beruf, der Ihnen das Bleiben in Ihrer
Kirchengemeinschaft zur Pflicht macht?
Der
Angestellte solcher Behörden, die den Schutz der Kirche als ihre Aufgabe
betrachten, dürfte mit einigem Recht annehmen, dass eine freie Betätigung
seiner von den Kirchenlehren abweichenden Überzeugungen ihm gefährlich und im
Fortkommen hinderlich werden könnte – wenngleich auch hier wirkliche männliche
Festigkeit durchweg die Schwierigkeiten überwindet und eine von ehrenhaften und
einsichtigen Männern vertretene Behörde die Qualifikation für ein nicht
kirchliches Amt niemals vom Glauben abhängig machen wird.
Die
meisten aber von Ihnen, die ich hier frage, haben kein solches Amt. Sie haben
einen Beruf, in dem Ihnen dann und wann vielleicht törichter Glaubensfanatismus
einiger Weniger ein weniges schaden könnte. – Sie sind übrigens unabhängig, und
Ihr Wissen, Ihr Können, Ihre Arbeit, Ihre Ware wird nach deren eigenem Wert,
nicht nach Ihrem Glauben beurteilt. Wollen Sie so feige, so kleinlich sein, in
Rücksicht auf eine eingebildete kleinste Schädigung Ihres Geschäfts, Ihres
Erwerbs unter den Mantel der Kirche sich zu ducken?
3.
Fürchten Sie für Ihre gesellschaftliche Stellung, wenn
Sie nicht mehr einer konfessionellen Kirchengemeinschaft angehören?
Tatsächlich
fragt die Gesellschaft längst nicht mehr nach dem religiösen Glauben: Götter-
und Götzendiener sind salonfähig, am salonfähigsten aber diejenigen, welche
sich mit Geist und Gemüt, Mannesstolz und Mannesfreiheit vereinen. Bigotte
Pharisäer und spießbürgerliche Philister mögen vor Nichtmitgliedern der Kirchen
ihre Türen schließen, Verständige suchen im Umgang mit ihnen eine Ehre und ein
Vergnügen.
Meinen
Sie weiter den kirchlichen Pomp und kirchliche Zeremonien bei den Vorkommnissen
des Lebens nicht entbehren zu können? Meinen Sie, dass es Sie schändet, wenn
kein Priestersegen dereinst in Ihre Gruft hinab gerufen wird? Ihr eigenes
heiliges Wollen gibt Ihrem Leben Wert und Weihe – und über Ihrem Grab wird die
Segenswolke schweben, die die Sonne Ihrer irdischen Liebestaten aus
Menschenherzen hat entsteigen lassen!
4.
Fürchten Sie, mit Ihrem Austritt aus der Kirche Ihre
Angehörigen zu verletzen?
Nun,
inwiefern würden denn Ihre Angehörigen durch Ihren Austritt verletzt werden
können? Wenn Ihre Angehörigen selbst ungläubig sind und nicht bloß die eigne Heuchelei,
sondern noch die Unaufrichtigkeit der Ihnen
nahestehenden Personen zu Ihrem gesellschaftlichen Leben und Ihrem wirtschaftlichen Auskommen nötig zu
haben meinen und beanspruchen, dann wollen Sie doch nicht solchen
heuchlerischen Angehörigen zu liebe selbst heucheln? – Wenn aber Ihre
Angehörigen wahrhaft gläubig sind, dann würde Ihr Austritt aus der Kirche Sie
ja vielleicht betrüben, sehr oft aber ist auch den Gläubigen ein ehrlicher
Glaubensfeind lieber als ein charakterloser Heuchler. – Ihr ferneres Leben
würde Ihnen ja Gelegenheit genug bieten, zu zeigen, dass man auch ohne
Glaubensfahne ein guter Mensch sein kann.
5.
Haben Sie Kinder, deren Zukunft Sie durch Ihren
Austritt aus der Kirche zu gefährden meinen?
Ihre
Kinder werden in den Lehren einer konfessionellen Kirchengemeinschaft
unterrichtet: Sie werden später entweder gläubig sein oder innerlich zu einem
ähnlichen Unglauben kommen, wie Sie ihn jetzt in sich tragen.
Wollen
Sie denn, dass Ihre Kinder in Glaubenstorheit ihr Leben verbringen? Oder wollen
Sie, dass Ihre Kinder ebenso unaufrichtige Menschen werden, wie Sie jetzt sind?
– Ihre Kinder werden es Ihnen nie verzeihen, dass Sie sie unterweisen ließen in
Anschauungen, die Sie selbst nicht für richtig hielten – und werden es Ihnen
nie verzeihen, dass Ihr Herz in traumhaften Gefühlen verkümmern musste, statt
zu natürlichen, wahrhaft menschlichen Regungen sich zu erheben – werden es
Ihnen nie verzeihen, dass Sie ihren Geist mit Irrtümern füllten, statt ihn von
Wahrheit zu Wahrheit zu führen!
Ihre
Kinder werden Sie verantwortlich machen für ihre inneren Kämpfe und Zweifel auf
religiösem Gebiet – verantwortlich für all die Fehler, die sie machen mussten,
weil Kopf und Herz irre geleitet waren durch der Eltern Schuld – verantwortlich
vielleicht für ihr ganzes verfehltes Leben, die Frucht einer Erziehung in
Aberglauben und Torheit für Wahn und Heuchelei!
Warum bleiben Sie in Ihrer
Kirchengemeinschaft? Ihr Herz, Ihren Verstand, Ihre Vernunft frage ich – ich
frage das, was in Ihnen lebt an Ehrgefühl,
an Aufrichtigkeit, an
Mannesmut, an Menschenwürde! - Amen!
Mit
denselben Worten wende ich mich hier an Sie, die Leser dieses Buches. Wer sind Sie? Sie gehören den
verschiedensten Gesellschaftsklassen an. Ihre geistige Aufnahmefähigkeit ist
verschieden, auch die Stärke Ihres sittlichen Willens: Ob Sie aber „oben“ oder
„unten“ stehen, ob Sie zu den „Gebildeten“ oder „Ungebildeten“ zählen, seien
Sie denkende und aufrichtige Menschen! – Nur an einige von Ihnen richte ich
hier einige Worte im Besonderen.
Vielleicht
gehören Sie zum schwer arbeitenden „Proletariat“,
das unter der erdrückenden Last der täglichen Sorgen und Mühen ringt:
Kämpfen
Sie mit ganzem Herzen für Ihre und Ihrer Kinder wirtschaftliche Zukunft!
Aber
bedenken Sie, dass die geistige, die religiöse Knechtschaft die festeste Stütze
unserer jetzigen wirtschaftlichen Ordnung ist, dass Sie nur auf halben und auf
langsamen Erfolg rechnen können, wenn Sie die kirchlichen Fesseln ruhig weiter
tragen! Ihr wirtschaftlicher Aufschwung ist wohl ein sicheres Kampfziel, aber
dieses Ziel liegt doch in der Zukunft:
Ihre
geistige, religiöse Freiheit jedoch können Sie haben, sobald Sie es wollen –
warum tragen Sie selbst die kirchliche Knechtschaft weiter? Warum beschweren
und beengen Sie mit den Ketten derselben Ihre Kinder?
Geben
Sie Ihren Kindern doch das, was Sie Ihnen geben können – geistige Freiheit!
Entziehen Sie Ihre Kinder gänzlich dem kirchlichen Einfluss – wo das nach Ihrer
Meinung nicht möglich sein sollte, da arbeiten Sie diesem Einfluss entgegen!
Vielleicht
aber gehören Sie, die Leser, zu den berufenen Verteidigern
und Vertretern dessen, was ich in den Predigten und in den oben
zitierten Flugblatt bekämpfte.
Sie haben
vielleicht als Lehrer die Kinder des „Volkes“ oder der „Oberen Hunderttausend“
im kirchlichen Bekenntnis zu unterrichten: Ich weiß aus zahlreichen Zuschriften
aus Ihren Kreisen, dass Sie vielfach unter schwerer Gewissenslast seufzen, wie
Sie den Kindern Vorstellungen beizubringen haben, die von Ihnen als ebenso
unvernünftig wie unsittlich erkannt werden – Ich habe gesehen, wie die Scham
Ihre Wangen rötete, wenn Sie entblößten Hauptes in kirchlicher Prozession durch
die Straßen ziehen mussten.
Ich
bin gewiss, dass nur wenige unter Ihnen nicht der modernen
naturwissenschaftlichen Weltanschauung huldigen: Gibt es für Sie, in deren
Händen jederzeit des Volkes Zukunft liegt, gibt es für Sie kein Mittel, in
gerechtem, sittlichen Zorn die ihr Gewissen einengenden Schranken zu
durchbrechen, statt Geisteskrüppel denkende Wesen zu erziehen?
Vielleicht
sind Sie Geistlicher, und dann
möchte ich Ihnen folgendes zu bedenken geben. Falls Sie wahrhaft gläubig sind,
werden Sie mit mir eins darin sein, dass es für Ihre Kirche besser ist, wenn
alle diejenigen aus derselben ausscheiden, die ihr rein äußerlich angehören;
Geistliche und Laien, die nur den Namen Ihrer Religionsgemeinschaft tragen, von
ihrem Glauben aber nichts wissen wollen, sind so wenig Stützen des moralischen
Ansehens Ihrer Kirche, dass sie vielmehr dies Ansehen in den Augen aller Unbefangenen
herabsetzen und damit auch Sie, den gläubigen
Geistlichen,
misskreditieren. Was ich an Ihnen
schätze, das ist die Aufrichtigkeit
Ihrer Überzeugung. Dieselbe Würdigung beanspruche aber auch ich von Ihrer
Seite, wenngleich sich unsere Ansichten feindlich gegenüber stehen wie Feuer
und Wasser.
Allein,
wieviel Geistliche sind denn gläubig? Glauben Sie, Diener der Kirche, der Sie
dieses lesen, an „Gottes eingeborenen Sohn“, an seine Niederfahrt zur Hölle, an
seine leibliche Auferstehung, an seine körperliche Himmelfahrt, an sein Sitzen
zur rechten Hand Gottes? Ja glauben Sie überhaupt an den kirchlichen Gott?
Nein?
Und dann
stellen Sie sich Sonntag für Sonntag vor Ihre Gemeinde hin und erwecken den
Anschein, als ob Sie all das Genannte glauben? Dann unterrichten Sie Ihre
Konfirmanden in einem Glauben, den Sie selbst nicht teilen, impfen Ihnen ein
Glaubensbekenntnis ein und verpflichten sie auf ein Glaubensbekenntnis, das Sie
selbst nur mit heuchlerischen Lippen sprechen können?
Wollen
Sie sich dagegen sträuben, dass ich Sie Heuchler nenne? Sie können nicht
anders, Sie müssen zugeben, dass Sie Ihre Stellung nur durch Heuchelei zu
behaupten vermögen?
Sprechen
Sie es doch aus, wie Sie denken: „Ich glaube nicht an die göttliche Inspiration
der Bibel! Ich glaube nicht an die übernatürlichen Eigenschaften des Predigers
von Nazareth, nicht an seinen übernatürlichen Erlöserberuf, nicht an seine
Auferstehung und Himmelfahrt!
Ich glaube
nicht an der Sakramente Sünden vergebende Kraft! Ich weiß nicht, wie Gott ist,
aber ich weiß, dass er so nicht ist, wie die Bibel und wie die Kirche ihn
lehrt“.
Ja,
sprechen Sie diese Ihre innere Überzeugung doch aus auf der Kanzel, in der
Volksversammlung, in der Presse:
Sie
wissen genau so gut wie ich, dass man Sie dann in Ihrem Prediger-amt nicht
belassen wird! Bedarf es noch weiterer Beweisführung dafür, dass allein Ihre Heuchelei Sie in Ihrer Stellung
erhält?
Zum
Schluss wende ich mich noch mit einem ernsten Wort an eine andere Lesergruppe,
die, wie ich weiß, nicht klein sein wird, an die Studenten der Theologie. Warum haben Sie, junge Theologen,
sich Ihrem Studium gewidmet? War es Ihr eigener Wille oder haben Sie sich den
Wünschen Ihrer Eltern in Ihrer Berufswahl geopfert? Ist letzteres der Fall,
dann wünsche ich Ihnen eine Mutter, die
- wie die meinige einst zu mir – so Ihnen sagt: „Geh´ nicht auf die
Kanzel, wenn du dort anders sprechen musst als Du denkst!“.
Sind Sie
aber in freier Wahl Theologe geworden, was hat Sie dazu bewogen? Es sind
sicherlich nur wenige unter Ihnen, die die Theologie von vorne herein als
„Brotstudium“ betrachten, aber sehr viele werden unter Ihnen sein, denen sie
allmählich zum Brotstudium werden wird. Als ich einst die Universität bezog, um
evangelische Theologie zu studieren, da hatte ich meinen
Kinderglauben längst verloren,
aber ich hoffte aufrichtigen Herzens, diesen Glauben wieder zu gewinnen
– die Hoffnung war trügerisch, musste trügerisch sein.
Glauben
Sie jetzt noch, was Sie einst als Geistliche Ihrer Landeskirche zu predigen
gezwungen sein werden?
Sie
werden diesen Glauben nur bewahren können, wenn Sie mit Fleiß Ihren Geist vom
Denken fern halten. Glauben Sie aber schon jetzt nicht mehr, was zu predigen
einst Ihre Pflicht sein wird, dann warne ich sie mit aller Eindringlichkeit
davor, leichten Herzens vor der Zukunft Ihre Augen zu schließen!
Sie
werden ohne Unaufrichtigkeit nicht in ein geistliches Amt hineinkommen; Sie
werden ohne Unaufrichtigkeit keinen Tag in einem solchen Amte wirken können.
Sie werden arme Heuchler werden, wie ich dieselben oben geschildert, ohne
Selbstachtung und bar aller Wertschätzung von Seiten edler Menschen, geachtet selbst nicht von denen, die ihre Existenz gleichfalls der Heuchelei
verdanken!
Bewahren Sie
sich vor einem solchen verfehlten, tief unglücklichen Leben, junge Theologen!
Lassen Sie Ihre Ideale der Wahrheit und Freiheit, für die, wie für alles Große,
Ihr jugendliches Herz jetzt noch in hoher Begeisterung schlägt, lassen Sie Ihre
Ideale nicht unterdrücken durch den Gedanken an eine gesicherte Lebensstellung!
Wahrheit und Freiheit! Werden Sie Menschen, Einzelpersonen im Denken und
Fühlen! Dann bin ich sicher, dass Sie, statt nach einem Dienst in der Kirche zu
streben, sich der Losung „Kampf gegen die Kirche!“ bekennen werden – und Sie
können dann sicher sein, statt eines traurigen zerrissenen Innenlebens sich
selbst gefunden zu haben, ein Leben voll höchster Befriedigung, weil es ein
Leben innerer Wahrhaftigkeit ist!
1901
Standpunkte Freireligiöser Gemeinden
P. Drews (nicht Arthur Drews)
„Die freien religiösen Gemeinden der Gegenwart“
Zeitschrift für Theologie und Kirche,
11. Jg., 6. Heft, Tübingen und Leipzig, 1901
Religionsbegriff
„Wir
verstehen unter Religion nicht irgend eine Beziehung zu einem außerweltlichen,
übernatürlichen Wesen (Gott oder Teufel) und Leben (Himmel oder Hölle), sondern
das mehr oder weniger bewusste ewig menschliche Streben nach einem harmonischen
Verhältnis zu der uns umgebenden Welt auf Grund unserer eigenen inneren
Harmonie, d. h. unserer Wahrhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit.
Die Quellen der Religion
sind uns die Natur und Vernunft, welche wie alles unter dem Gesetz der Bewegung
und Entwicklung stehen, weshalb uns die Religion nach ihrer theoretischen Seite
nicht irgendein feststehender Glauben, sondern vielmehr das Streben nach
allseitiger tieferer Erkenntnis ist.“...
„Nach ihrer praktischen
Seite ist uns Religion wesentlich Sittlichkeit.“
Freireligiöse Gemeinde Berlin
„Unter
„Religion“ verstehen wir das im Gottesbegriff begründete, immer klarer werdende
Bewusstsein der Welteinheit, aus welchem das wahrhaft menschliche Gemeingefühl
und die wahrhaft menschliche, vernunftgemäße Gestaltung unseres ganzen Lebens
folgt.“
Schlesischer Verband
„Auf dieses Bewusstsein
gründen wir die Lehren über Menschenpflichten, Sittlichkeit und Nächstenliebe,
deren gewissenhafte Erfüllung uns als die Betätigung wahren religiösen Lebens
gilt.“
Freireligiöse Gemeinde Frankfurt
Die Religion
ist die „freudige Gewissenhaftigkeit, welche das Gesetz des menschlichen Lebens
zu erfüllen beflissen ist und darin das Glück findet. Darum lassen wir uns
angelegen sein, unsere Stelle in der großen Weltordnung zu erkennen und
auszufüllen.
Zu solcher
Erkenntnis soll uns der freie Gebrauch der Vernunft verhelfen, welche aus der
Betrachtung der Natur, der Geschichte und des
eigenen
Wesens zu schöpfen hat.“
Freireligiöse Gemeinden Hannover und Magdeburg
„Religion
ist das Leben der Seele in Gott oder Geistesgemeinschaft des Menschen mit Gott.
Im religiösen Verhältnis wird die Empfindung des Menschen zu klarer Überzeugung
und zu einer inneren Gewissheit, dass eine ewige Vernunft, welche unser
Verstand nur als Geist zu denken vermag, das Weltganze geordnet hat und nach
unverbrüchlichen Gesetzen regiert.“
Freiprotestanten Rheinhessen
„Ich kann
mir einen Menschen denken, der ganz außerordentlich nach Erkenntnis strebt und
der doch herzlich wenig Religion hat.“
Prediger C. Sänger
„Wenn man
sagt, Religion ist uns Wissenschaft, Sittlichkeit, so sage ich: Warum nehmen
Sie denn überhaupt das Wort Religion und nicht das Wort Sittlichkeit? Es gibt
ja schon ethische Gemeinschaften...
Für
mich gibt es da noch eine speziell religiöse Seite, die auf das Gefühlsleben
des Menschen spekuliert. Der Gott, den man nicht fühlt, ist auch nicht unser
Eigentum; eine solche Religion, die nicht Gefühlssache ist, ist keine
eigentliche Religion.“
Ein Prediger auf der 17. Bundesversammlung
Gottesvorstellung
„Das
denkbar höchste und vollkommenste Wesen überhaupt – von den meisten Religionen
als Schöpfer der Welt gedacht und Gott genannt – ist für uns die schrankenlose
(absolute) Welt selbst, mit ihren mannigfaltigen Kräften und unveränderlichen
Gesetzen in uns und unter uns. Dieses All-Wesen ist in seiner Unbedingtheit
nicht völlig zu begreifen. Die Welt oder die Allnatur, der Urgrund alles Seins
und Lebens, ist für uns auch die einzige Quelle, aus der wir unsere Erkenntnis
schöpfen. So tritt für uns an die Stelle der so genannten Gotteskunde
(Theologie) die Weltkunde (Kosmologie) und an Stelle der Gebote Gottes die
Gesetze der Natur, von deren Erkenntnis und Befolgung unser Glück und Geschick
abhängt.“
Humanistische Gemeinde Berlin
„Nach
unserer heutigen Erkenntnis wissen wir, dass keine überweltliche persönliche
Gottheit die Weltordnung und Welteinheit vermittelt, sondern dass das Weltall
durch die Weltgesetze unmittelbar in sich selber eins und ewig ist. Die Welt
ist unsere einige Gottheit.“
Schlesische Gemeinden
„Gott
ist uns das Ideal alles Guten, Rechten, Wahren und Vollkommenen in der Welt.
Jede weitere Vorstellung bleibt jedem einzelnen überlassen.“
Frankfurter Gemeinde
„Wir haben
die alte Weltordnung – die heidnische wie jüdisch-christliche und
mohammedanische – als eine irrige, verkehrte, auf Augenschein und Einbildung
beruhende, der Vernunft und den Naturgesetzen widersprechende erkannt; wir
stehen auf dem Boden der einheitlichen oder neuen Weltanschauung.
Unser
„Messias“ ist der wissenschaftliche Geist, der die Herzen und Augen der
Menschen öffnet, die selbst geschaffene Götter als solche erkennen lehrt und
das Allerheiligste aus dem „welten-armen Äther“ zurück ins Menschenherz nehmen
lässt.“
Gemeinde Hannover
„An
der Gottesidee dagegen halten wir fest, als einer Forderung der Vernunft und
des Herzens. Wir verzichten auf eine Definition derselben, sondern überlassen
es jedem unserer Gemeindeangehörigen, sich seine eigene Ansicht über diese
schwierige Materie zu bilden. Aber, wie auch der Einzelne darüber denken mag,
darin stimmen wir alle überein, dass das Wahre, Schöne und Gute göttlichen
Wesens, daher als nachahmenswert zu beherzigen ist.“
Mannheimer Gemeinde
„Wir
erkennen die Einheit Gottes und der Welt, indem wir das Weltall als die ewige Offenbarung
des Weltwesens wissen, und gründen auf diese Einheit unsere Religion. Wir
verwerfen daher alle Religion, welche Gott und Welt als zwei getrennte,
wesentlich entgegengesetzte Naturen betrachtet, als irrig und verderblich. Wir
erkennen im Weltall eine ewige Weltordnung, welche aus der Natur aller Dinge
mit Notwendigkeit hervorgeht. Wir verwerfen daher alle Meinungen, welche eine
Macht als Regiererin des Weltalls annimmt, als irrig und verderblich.“
Freireligiöse Gemeinde Nordhausen
„Wir
verwerfen die Gottesvorstellungen der alten Kirche, nach welcher Gott als ein
von der Welt getrenntes, persönliches, menschenähnliches Wesen dargestellt
wird. Wir denken ihn als das der Welt innewohnende schöpferische Leben, das
Allwesen des Lebens, welches jedes Einzelleben aus sich erzeugt und auch wieder
in sich zurücknimmt; das im Bewusstsein des Menschen sich offenbart als das
Ideal der Vollkommenheit.“
Frei-religiöse Gemeinde Offenbach
„Wir
erkennen Gott als den einzigen und allgegenwärtigen Geist im Weltall. Zugleich
ist uns Gott das Ideal, Urbild und Quelle alles Guten, Wahren und Vollkommenen.
Gott ist die Liebe. Jede andere Vorstellung von Gott wünschen wir dem
persönlichen Bedürfnis, dem Empfinden und Denken des Einzelnen anheimgestellt.“
Freiprotestanten Rheinhessen
Glaube der Freireligiösen
„Mancher
Freireligiöse weiß, wenn er nach seinem Glauben gefragt wird, nicht anders zu
antworten als: „Ich glaube, was vernünftig ist.“ Allein dieser Satz enthält für
den natürlich denkenden Menschen etwas Selbstverständliches. Ich glaube an die
Vernunft, heißt eigentlich nur, ich halte für wahr, was ich für wahr halte.
Daraus kann ich keine Kraft, keinen Mut, keine Begeisterung, keinen Trost
schöpfen. Ich halte für wahr, dass die Welt nicht geschaffen, sondern ewig ist,
aber das lässt mich höchst kalt.
Ich halte
für wahr, dass alles in der Welt natürlich zugeht, ich glaube nicht an Wunder.
Ganz gut. Aber ist aus der Wunderleugnung je eine Heldentat entsprungen? Hat
diese sehr vernünftige Anschauung je einem Menschen Freudigkeit,
Standhaftigkeit, Opfermut eingeflößt, was alles ein inniger, echter Glaube
geben muss, ein bloßes Fürwahrhalten nie geben kann?
Glaube,
religiöser Glaube ist die innige Hingabe an ein Höchstes, dem man sein Leben
weiht. Dieses Höchste, welches der Freireligiöse anerkennt, dem er sein Leben
weiht, woran er glaubt, kann nur das Ideal sein, bestehend aus den höchsten
sittlichen Ideen: Wahrheit, Freiheit, Recht und Liebe. Ein Leben ohne das Ideal
ist das Tierleben, mit dem Ideal ist es ein Menschenleben. Der Glaube an das
Ideal gibt Frieden und macht selig. Er braucht durch keine Wissenschaft
bestätigt zu werden und kann niemals durch eine Wissenschaft widerlegt werden.
Der Christengott ist das Ideal, als Person gedacht, der Heiland Jesus das zum Menschen
verkörperte Ideal für den gläubigen Christen. Nicht mehr Glauben an den
Höchsten, sondern Glaube an das Höchste, das ist der Fortschritt, den die freie
Religion bringt, ist diese Religion selbst.
„Unser Glaube“ in: Breslauer Sonntagsblatt 1899, Nr. 33
„Wir haben
Beweise weder für das Dasein noch für das Nichtdasein Gottes. Die Unmöglichkeit
aber eines persönlichen und zugleich allmächtigen, allwissenden und
allgegenwärtigen Gottes liegt auf der Hand....Wir haben auch in dem ewig wahren
Buch der Natur gelesen und manches Kapitel desselben mit staunender Bewunderung
betrachtet: „O wie sind deine Werke so groß und viel; du hast sie alle weislich
geordnet und die Erde ist voll deiner Güte!
Aber
was wir nicht gefunden haben, ist – der persönliche Gott; statt dessen aber
eine Kraft, die das Leben schafft und erhält, eine Kraft, die uns alle durch
ihre Gaben erfreut; und wir haben sie gefunden, nicht gesondert und getrennt
von der Welten Unendlichkeit, sondern
eins mit ihr, ewig eins, wie Körper und Geist in der kleinen Welt, Mensch
genannt.“
„Was erstreben die freireligiösen Gemeinden“
von Georg Schneider, 2. Aufl. 1901, S. 9
„Wenn
die Summe aller Vollkommenheit ihren Ausdruck findet in den oft gebrauchten
Wörtern „gut, wahr und schön“, so ist Gott für uns die höchste Vorstellung von
dem Guten, der erhabenste Gedanke der Wahrheit, das beseligende Gefühl des
Schönen.“
Georg Welker
„Ich
bekenne, weit davon entfernt zu sein, irgend einen Glauben von „Gott“ zu haben;
ich bin nicht nur Atheist in Hinsicht auf den Gottesglauben der Kirche, ich
verwahre mich dagegen, Pantheist genannt zu werden; ich leugne in dieser
Hinsicht irgend etwas zu glauben: aber ich weiß, dass es Unendlichkeiten des
Daseins gibt, für die uns der Schlüssel fehlt ... Der Gedanke nun, der die
Unendlichkeit des Daseins ermisst, der Gedanke, der in allem zu Ende denkt und
nirgends eine Schranke findet, der Gedanke, der sich widersprechendes Fühlen
zusammenfließen lässt zu einem großen klaren Strom, der Gedanke ist mir Gott.“
Georg Welker
„Die ganze
Welt ist sein Stoff, und jede Form durchdringt seine Kraft, seinen Geist. Er
ist die Grundursache aller Wirkungen; aus ihm quillt alles Leben, weil er
ewiges Leben hat.
Formen und
Gestalten ändern sich im Weltraum und mit ihnen ihr Geist, aber Stoff wie Kraft
bleibt ewig, weil Gott ewig ist. Nicht jedes Ding ist Gott, sondern alle Dinge
– auch der Mensch – sind Teile von ihm.
Der
Mensch, im Laufe der Erdentwicklung nach dem Vorbild des Ewigen entstanden,
sieht, wenn er zum Selbstbewusstsein gekommen ist, die Dinge um ihn herum
werden, bestehen und vergehen, auch ohne sein Zutun. Aber nicht nur durch
Naturbetrachtung sieht er sich gezwungen, eine höhere Macht anzuerkennen, auch
durch Erkenntnis seines innersten Wesens, seines Geistes. Vermittelst seiner
geistigen Fähigkeiten kommt er zur Einsicht der Allmacht, welche ihm diese
verlieh, er fühlt sich abhängig, erkennt aber auch zugleich die Macht des
Geistes über den Körper. Diese Allmacht nenne ich Gott. Ich weiß Gott, ich
glaube an Gott.“
ein Mitglied der Königsberger Gemeinde auf die Frage: „Was ist Gott?“
„Gibt es
nicht auch jetzt solche, ja viele, welche mit dem Wort Religion ein
frevelhaftes Spiel treiben, die Gott leugnen, des Atheismus sich rühmen und dennoch
von religiösen Bedürfnissen ihrerseits reden; die dem Pantheismus huldigen und
folgerichtig sich selbst für einen Teil der Gottheit halten müssen oder für
eine Offenbarung des All-Gottes und dennoch von religiösem Bedürfnis reden, die
dem Materialismus huldigen, der Negation eines jeden von dem Zeugnis der Sinne
unabhängigen, geistigen Erkennens und Wollens, eines jeden geistigen Lebens und
dennoch religiös sein wollen?
Wer
eine solche Weltanschauung hat, ihr huldigt, dem kann doch folgerichtig Religion
und das, was die anderen Menschen mit dem Wort Religion verbinden, nur leerer
Schein und leere Phrase sein.“
Dr. C. Schieler, Prediger der Gemeinden Königsberg und
Tilsit
„Wir
nennen unsere Gemeinde eine humanistische, im Gegensatz zu den religionistischen
Gemeinden. Wir verstehen unter dem Religionismus die alte gefühlsmäßige
Weltvorstellung mit ihren Fantasiegebilden und der darauf beruhenden
Sittlichkeit oder Religiosität.
Der
Humanismus ist uns dagegen die fortschreitende vernunft- und wissenschaftsgemäße
Welterkenntnis und die darauf sich erbauende Sittlichkeit und Humanität.“
Humanistische Gemeinde Berlin
Zur Weltanschauung
„Sie
dürfen nicht glauben, dass wir einem einseitigen Materialismus huldigen. Wir
sind uns bewusst, dass Büchners
„Kraft und Stoff“ und die reine Lehre der Kinetik heute nicht mehr genügen. Wir
stehen auf dem Standpunkt eines Wundt,
dass wir nur durch Erfahrung uns allmählich eine wissenschaftliche Erkenntnis
bilden können. Wir wollen fortschreiten mit der Wissenschaft. Wir geben zu, wie
das Fechner und Wille tun, dass eventuell auch ein
transzendenter Realismus gewisse Berechtigung hat; wir wissen auch, dass es
Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, von denen unsere Schulweisheit sich nichts
träumen lässt.“
ein Vertreter der Nürnberger Gemeinde
auf der 18. Bundesversammlung 1899
„Nun
wird behauptet, über Entstehung und Bestand des Weltalls kann ein Glaube
überhaupt nicht obwalten, sondern darüber haben wir jetzt ein positiv
begründetes Wissen. Man sage mir aber doch, was für positives Wissen über die
Entstehung und den Bestand des Weltalls gibt es denn eigentlich? Wir kennen
einzelne Erscheinungen im Weltenleben; wir sind in der Lage, die Früchte der
gegenwärtigen Menschheitsentwicklung bis zu
einem gewissen Grade zurückzuverfolgen
auf ihre Ursachen und ferner imstande dadurch, dass wir diese Ursachen selbst
ausführen, bestimmte Wirkungen hervorzubringen; aber über den Urgrund des Seins
und den Ursprung des menschlichen Geisteslebens darüber wissen wir verzweifelt
wenig oder überhaupt nichts.
Nach
meiner Überzeugung werden wir auch niemals etwas darüber wissen, weil der
Menschengeist ein beschränktes Wesen ist ... Und wenn man heutigen Tages sagt:
Die Welt ist ewig, so ist das auch ein Glaube und kein Wissen, denn der Begriff
der Ewigkeit ist dem Menschengeist einfach unfassbar. Darum soll man nicht
immer davon sprechen, dass durch die heutige Wissenschaft über Entstehung und
Bestand des Weltalls etwas bewiesen sei, und wir nur die Verpflichtung hätten,
das anzunehmen, was eine bestimmte Richtung der Wissenschaft glaubt als wahr
erkannt zu haben. Diese Fragen werden überhaupt nicht durch die Wissenschaft,
sondern durch den Glauben der Menschen beantwortet, und der Glaube richtet sich
je nach der persönlichen Veranlagung des Einzelnen.“
Redner auf der 18. Bundesversammlung 1899
„Ja,
die klare Einsicht in die Weltentwicklung, wie sie uns der derzeitige Stand der
naturwissenschaftlichen Forschung zu geben vermag, befriedigt vollständig das
Kausalitätsbedürfnis unserer Vernunft, - unser wissenschaftlicher, unser
natürlicher Glaube gibt uns solche Antworten auf Fragen des Verstandes, dass
der Denkende sich mit ihnen begnügen kann und muss.“
Georg Welker
Standpunkte und Stellungnahmen zu Christentum, Jesus und Kirche
„Anstatt
die Bewegung einem positivem Ziel zuzuführen und die neuen Gemeinden im Sinne
des Christentums Christi auszubauen, schlug man allenthalben unter dem Banner
eines vermeintlichen Fortschrittes eine negative Richtung ein, die im Laufe der
Zeit notwendig[erweise] zu einer Art religiösen Nihilismus führen musste.
Wer
das Leben und Treiben freireligiöser und deutschkatholischer Gemeinden zurück
verfolgt, findet überall die leidige Tatsache bestätigt, dass sie wohl mit
Erfolg einzureißen und abzuschaffen, nirgends ein Brauchbares durch Besseres zu
ersetzen und aufzubauen verstanden.
J.G. Findel in „Der Deutschkatholizismus in Sachsen, Leipzig
1895
„Die
christliche Religion hat nichts Selbstständiges, sie besteht aus Rückständen
und Niederschlägen aus anderen Religionen, in ihren äußeren Zeremonien und in
ihrem Gedankeninhalt.... Wir wollen auf den
gedanklichen
Inhalt der christlichen Religion, so wie sie uns gegenübersteht, nicht weiter
eingehen – es ist ja eine Tagesweisheit, dass sie darin mit anderen nicht konkurrieren
kann.“
Georg Welker in „Freireligiöse Predigten, Wiesbaden 1901, S.
159
„Seien
wir einmal ganz aufrichtig! Für unsere Entwicklung ist es vollständig
gleichgültig, ob wir von Jesu von Nazareth etwas Neues hören oder nicht, denn
wir haben in uns selbst Erkenntniskraft genug und brauchen davon nicht aus
früheren Jahrtausenden her zu borgen. Wenn wir aber aus so genannten Heiligen
Schriften ein neues Bild von Jesu konstruieren, so sind wir uns bewusst, ihm
unsere Gedanken anzudichten, eine Person zu schaffen, die unserem Ideal
möglichst nahe kommt: Das ist Spielerei oder eine Politik, die zum Ziel zu
kommen glaubt, wenn sie eine Spukgestalt durch eine andere vertreibt. Ob durch
den Zweck das Mittel geheiligt wird, das
wollen wir hier nicht entscheiden, wir
wollen aber mit allem Nachdruck betonen, dass der scheinbare, vielfach auch
noch wirklich geführte Respekt vor dem Wesen Jesu und seiner Lehre für uns
nicht gut tut: Wir kleben an geschichtlich gewordenen Personen und versäumen
unseren Vorwärtsmarsch.“
Georg Welker in „Freireligiöse Predigten“, Wiesbaden 1901,
S. 159
„Er war
Mensch wie wir. Freilich war er ein großer Mensch, ein religiöses Genie. Wir
wollen ihn ja nicht verkleinern, sondern im Gegenteil recht verehren, indem wir
ihn recht erkennen, recht verstehen.
„Mir nach! Spricht Christus, unser Held.“ So können die freigeistigen
Reformer singen, die auch heute wieder eine neue Zeit bauen wollen unter
Schmähungen und Verfolgungen seitens der Frommen und Altgläubigen ...
Ihnen
allen ist Jesus ein leuchtendes, lebendiges Vorbild, nach denen, die sich nach
seinem Namen nennen und Herr! Herr! zu ihm sagen, aber dabei richten, verdammen
und fluchen seinem Gebot zuwider ... Singt also nicht gedankenlos und der
Wahrheit zuwider von der „Nachfolge Christi“, sondern folgt wirklich, so wie er
geschichtlich gelebt, gehandelt, gekämpft und gelitten hat; ihm nach, dem
großen Menschen Jesus.“
Gustav Tschirn in „Der Mensch Jesus, Heft XVIII, Bamberg
„Jesus
von Nazareth gilt uns als der größte Reformator auf dem religiös-sittlichen
Gebiet. Die Sittenlehren, die uns als von ihm gegeben in den Evangelien des
Neuen Testaments überliefert worden [sind], werden auch heute noch von uns als
Grundlage des menschlichen Gesellschaftslebens angesehen.“
Frankfurter Grundsätze
„Unsere
Zeit hat erkannt, dass sie ohne Kirche das Gute, Wahre, Schöne sich zu eigen
machen kann, dass sie die Hilfe der Kirche nicht braucht – dass vielmehr die
Kirche diese hohen Ziele verdunkelt, verschleiert, verkleinert und die Wege zu
ihnen für die Denkenden ungangbar macht: Darum ist es richtig, dass in unserer
Zeit, in der der Geist des Unglaubens durch die Lande schreitet, die Kirche in
sich keinen Schutz und Halt mehr hat.
Ebenso
richtig aber ist, dass ihr das, was ihr an innerem Halt abgeht, an äußerem
Schutz dargeboten wird durch die kaiserliche Huld und des deutschen Reiches
Wappenschild, das will sagen durch die Staatsgewalt und ihre Repräsentation.
... Der Staat hat sich das beste Mittel zur Erhaltung der Religion nicht
entgehen lassen, nämlich die Erhaltung der Dummheit, den Abschluss unserer
Jugend von dem Geist unserer Zeit, die Erziehung unserer Jugend in den
Anschauungen früherer Jahrtausende. ... Ohne Heuchelei wäre es gar nicht möglich,
das Volk in Dummheit zu erhalten, und darum muss geheuchelt werden, darum muss
der aufgeklärte Fürst in Demut ersterben vor einem himmlischen Herrscher, darum
muss für Raub- und Mordkriege der Segen des höchsten erfleht werden, darum muss
der Minister und Geheimrat in die Kirche gehen, darum muss alles sanktioniert
werden durch Weihwedel und Priestersegen: Gutes und Böses, Geburt, Leben und
Tod. Die Dummheit ist die feste Grundlage der alten Religion, die Heuchelei
ihre sorgsame Hüterin.“
Dr. C. Schieler, Prediger der Gemeinden Königsberg und Tilsit
1903
Antrag des Delegierten Wiedmann (Apolda)
zur Neuformulierung der Grundsätze
des Bundes Freireligiöser Gemeinden Deutschlands (BFGD)
20. Bundesversammlung,
24. – 25. August 1903
in Magdeburg
Was wir
wollen und was wir glauben
Wir wollen
mit gegenseitiger Unterstützung nach Wahrheit suchen und an unserer eigenen
Vervollkommnung arbeiten auf sittlichem Gebiet und auf dem der Erkenntnis. Wir
wollen die Liebe zu unseren Mitmenschen durch die Tat erweisen. Wir wollen uns
bestreben, nützliche Glieder der menschlichen Gesellschaft zu sein. Wir wollen
jeder nach seinen Kräften daran mitarbeiten, dass das Menschendasein auf
unserer lieben heimatlichen Erde sich für alle glücklicher und schöner
gestalte. Hierin erkennen wir das Wesentliche allen religiösen Strebens, nicht
aber in dem unverbrüchlichen Festhalten an hergebrachten Glaubenssätzen.
Unsere
Weltanschauung ist die einheitliche. Wir trennen nicht das All in Gott als den
Schöpfer und die Welt als das in der Zeit Geschaffene. Wir betrachten vielmehr
das unendliche, allumfassende Weltganze, das erhabene All als das allein von
Ewigkeit zu Ewigkeit Seiende, in dem auch wir leben, weben und sind, und das
die unwandelbaren Bedingungen allen Seins und allen Werdens in sich selbst
trägt. Körper und Geist im Menschen betrachten wir als eins und untrennbar;
beide gehen mit dem Tod zugrunde. Wir bekennen uns zu dem Grundsatz der freien
Selbstbestimmung jedes Einzelnen in allen religiösen Angelegenheiten.
Anmerkung:
Der Antrag wurde zur Diskussion in die
Mitgliedsgemeinschaften zurück verwiesen.
Später war der Vorschlag nicht mehr relevant.
1903
Antrag der Freireligiösen Gemeinde Magdeburg zur Neuformulierung der
Grundsätze des BFGD
20. Bundesversammlung,
24. – 25. August 1903,
Magdeburg
1.
Die zu einem Bunde vereinigten freireligiösen Gemeinden erstreben die
Ausbreitung und den Ausbau einer einheitlichen Welt- und Lebensanschauung
(Einheitsreligion, Monismus) nach folgenden Grundsätzen:
a.
Die Einheitsreligion beruht auf der Überzeugung, dass die ewige Welt
alles in allem ist und von Ewigkeit her ihr Leben und ihre Gesetze in sich
trägt.
b.
Die Einheitsreligion schließt demzufolge den Glauben an eine besondere
Gottheit außer, neben oder in der Welt sowie den Glauben an Wunder aus.
c.
Die Einheitsreligion betrachtet den Menschen als ein einheitliches
Wesen, welches seine Gesetze, wie alles in der Welt, in sich trägt. Die
Einheitsreligion schließt demzufolge den Glauben an einen besonderen Geist
(Seele) außer, neben oder in dem Körper aus.
d.
Die Einheitsreligion erkennt das Gesetz des menschlichen Lebens darin,
dass jeder einzelne Mensch sowie die ganze Menschheit zu immer größerer
Vollkommenheit sich ent-
wickele.
e.
Als Ziele dieser Entwicklung stellt die Einheitsreligion die sittlichen
Ideale der Freiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe hin, die sich
gegenseitig bedingen und die Einheit des sittlichen Strebens darstellen.
2.
Die zu einem Bunde vereinigten freireligiösen Gemeinden verwerfen
einstimmig jeden mittelbaren und unmittelbaren Zwang in Sachen Religion und
treten für unbedingte Glaubens- und Gewissensfreiheit ein.
Anmerkung: Antrag wurde wie der vorige zur Diskussion in die
Mitgliedsgemeinden zurück verwiesen und war später nicht mehr relevant.
1904
Zusammenfassung
aus dem
Lehrbuch für den religiös-sittlichen Unterricht in
freireligiösen Gemeinden
Aus:
Georg Schneider
Prediger der freireligiösen Gemeinde zu Mannheim
„Lehrbuch für den religiös-sittlichen Unterricht
in freireligiösen Gemeinden“
Teil 1
Neuer Frankfurter Verlag
1.
Alle Religion stammt aus Asien.
2.
Ursprünglich gab es nur eine Religion.
3.
Alle übrigen Religionen sind nur Nachahmungen (Umgestaltungen) der
ersten, ursprünglichen Religion.
4.
Die Religion hat den Zweck, den Menschen gut und dadurch allgemein
beliebt zu machen.
5.
Die echte Religion ging vermutlich verloren.
6.
Die echte Religion wird nicht an ihrem Namen erkannt, sondern an ihrer
Wirkung.
7.
Die echte Religion lehrt also die Duldsamkeit gegen Andersdenkende und
Andersgläubige.
8.
Die echte Religion vereinigt alle Guten ohne Unterschied des Glaubens.
9.
Die echte Religion erweist sich in guten Werken.
10.
Die Beweise von dem Vorhandensein der echten Religion sind allumfassende
Liebe, strengste Gewissenhaftigkeit und ein tugendhaftes Verhalten.
1911
Was ist und was will
Die Wiesbadener Deutschkatholische
(freireligiöse) Gemeinde?
Sonderdruck: Wiesbaden 1911
Schellenberg´sche Hofbuchdruckerei
Wesen der Gemeinde
Unsere
Gemeinde ist keine konfessionelle Religionsgemeinschaft; sie lebt und wirkt nach
dem Grundsatz: „Freie Selbstbestimmung in allen religiösen Angelegenheiten
gemäß der eigenen fortschreitenden Erkenntnis“.
Sie will
keine besondere Religion pflegen, sie will über allen besonderen Religionen
stehen.
Sie sieht
in allen religiösen und wissenschaftlichen Anschauungen über metaphysische
Dinge nur tastende Versuche, die Unendlichkeit zu ergründen; sie achtet jede
dieser Anschauungen, sofern sie auf Überzeugung und vernünftigem Denken beruht,
misst aber keiner einen absoluten Wahrheitswert bei.
Sie
stellt darum kein Bekenntnis auf, sondern überlässt es jedem einzelnen ihrer
Mitglieder, im Streben nach Wahrheit sein Inneres in Einklang zu bringen mit
den Rätseln des Lebens und der Welt. Wie sie sich so zur Trägerin einer
Weltanschauung macht, die sich zusammensetzt aus dem positiven Wissen der
jeweiligen Zeit und aus der Erkenntnis ihres Nichtwissens über metaphysische
Dinge, so will sie auch die Gesetze des sittlichen Handelns aus der erkannten
Wirklichkeit hergeleitet, [jedoch] nicht bestimmt wissen durch positive oder
negative metaphysische Fiktionen.
Durch
diese ihre grundlegende Auffassung vom Wesen der Religion tritt unsere
freireligiöse Gemeinde in einen unüberbrückbaren Gegensatz zu allen
dogmatischen Religionen, aber sie glaubt und weiß aus langer, vielseitiger
Erfahrung, dass nur die freie Religion zum höchsten inneren Glück führen kann.
Die alten
Religionen sind Glaubenssysteme, die andere Menschen aufgebaut, an deren Aufbau
die Gläubigen selbst nicht mitwirken, denen sie ihr Denken und Fühlen anpassen
müssen. So bleibt, wie es gar nicht anders sein kann, für alle Gläubigen ihr
Glaube etwas Fremdes, eine Last, die man von außen auf ihr Innenleben gelegt,
der sie sich in den meisten Fällen nur mit Furcht und Zittern beugen und die sie
gerne abwerfen möchten, wenn nur ihr eigenes Sinnen einen Ausweg wüsste.
In unserer
eigenen Religion dagegen ist nichts Fremdes, kein einziger Gedanke, den wir
nicht selbst gedacht, kein einziges Gefühl, das unser Verstand nicht auf seine
Natürlichkeit geprüft hätte: Unsere Religion ist uns als etwas selbst
Erworbenes zu etwas Selbstverständlichem geworden, sie ist die verstandesgemäße
Aufnahme der Wirklichkeit in unser Bewusstsein.
Das
Glück, das uns diese Methode unserer religiösen Konzeption bringt, steht so
hoch über der Methode des alten Glaubens, wie der schaffende Künstler über dem
bezahlten Kopisten, wie der Dichter über dem Kind, das seine Verse zwangsweise
auswendig lernen muss.
Nicht
minder beglückend für den Freireligiösen wie die Art ist der Inhalt seines
religiösen Bewusstseins.
Die
alte Religion jeder Art leidet unter dem Gedanken eines gewaltigen Zwiespalts
in der Welt, des Gegensatzes zwischen Gott und Welt und im besonderen zwischen
Gott und Menschen. Der Mensch ist ein Spielball in den Händen überirdischer
Gewalten, ein Sklave dieser Gewalten, deren Willkür sein ganzes Leben, [auch]
Glück und Unglück unterstellt ist und deren geoffenbartem Willen sein Handeln
sich beugen muss in knechtischem Gehorsam, dessen Forderung nur gemildert, nicht
aufgehoben wird durch die Vorstellung eines Kindschaftsverhältnisses zwischen
Mensch und Gott.
Dieser
Gegensatz zwischen Gott und Welt existiert für unser Denken nicht, weil er aus
nichts mit zureichenden Gründen hergeleitet werden kann. Darum blicken wir
innerlich frei in die Welt hinein und zum Himmel hinauf, wir schauen in keine
göttlichen Zornesaugen und sehen keine göttliche Zuchtrute drohend gegen uns
erhoben.
Wir
sehen zwar die Unerbittlichkeit der Naturgesetze, aber sie treten uns nicht als
persönliche Knechte gegenüber, sie sind etwas Gegebenes, über dessen Ewigkeit
oder Schöpfung wir nichts wissen und dem innerlich zu widerstreben uns als
vernünftigen Menschen gar nicht in den Sinn kommen kann.
Darum
gibt es für uns, wie kein Fürchten vor eines Gottes Zorn so auch kein Flehen um
Gnade [und] so auch kein Grollen gegen ihn, wenn unsere Wünsche und Hoffnungen
sich in ihr Gegenteil verkehren. Es gibt zwar auch nicht das
Dankbarkeitsgefühl, das den Gläubigen singen lässt: „Lobe der Herren, meine Seele
und, was in mir ist, seinen heiligen Namen!“ – aber nichts hindert uns, zu
bewundern der Welt herrliche Weisheit, Ordnung und Schönheit und in dieser
Bewunderung anzubeten des Unendlichen, des Unerforschlichen Größe mit einer
Seele voll hehrer Andacht und jubelnder Klänge!
So fällt von uns jede bedrückende Last ab, die der vermeintliche
Gegensatz zwischen Gott und Welt auf die Seele des Gläubigen legt, während uns
alles Erhebende, was der Gläubige
in dieser Vorstellung
empfindet, in anderem Gewand in viel höherem Maße zuteil werden kann.
Wie
in unserem Denken der Fortfall des Gegensatzes zwischen Gott und Welt unser
religiöses Glücksgefühl reinigt von giftigen Ingredienzien [Zutaten], von bedrückenden
Bestandteilen, so erfährt dieses Glücksgefühl eine weitere Stärkung durch den
Fortfall eines anderen Gegensatzes, [nämlich] des Gegensatzes zwischen
Diesseits und Jenseits, dessen Annahme das Herz des Gläubigen eigentlich erst
an dem Gegensatz zwischen Gott und Welt festhalten lässt.
An sich
braucht der Jenseitsglaube ja nichts Bedrückendes zu haben, er kann im
Gegenteil das Erdenleben verschönern und erheben; allein sobald der
Jenseitsglaube bestimmte Formen annimmt, muss seine Wirkung eine schädliche
sein, weil er die Wirklichkeit des Erdenlebens durch unwirkliche Vorstellungen
regulieren will.
Wir kennen
keinen anderen Zweck des Lebens als das Erdenleben selbst, ohne damit sagen zu
wollen, dass es einen anderen Zweck nicht geben könne: Wenn das Erdenleben von
uns und für uns richtig gelebt werden soll, dann muss es seine Richtschnur aus
sich selbst empfangen.
Dies
Leben ist für unser Wissen das einzige, was wir zu leben haben; für jeden
Menschen, der das Leben liebt – und es gibt keinen gesunden Menschen, der es
nicht liebt -, für jeden das Leben liebenden Menschen erhält darum durch diesen
Gedanken das Leben einen viel höheren Wert, als es für den haben kann, der das
Erdenleben nur als eine Schule, als eine Vorbereitungszeit für ein anderes
Leben betrachtet, und es gilt für ihn, diesen Wert ganz in sich aufzunehmen:
Wir lieben das Leben und wissen es würdig zu genießen.
Aus
dieser harmonischen geistigen Auffassung von Welt und Leben resultiert nun
unser Leben selbst, ein Leben des höchsten Glücks für den, dem sein reales Sein
und Handeln identisch mit seiner Erkenntnis wird.
Frei
von dem Druck göttlicher Willkür, abhängig allein von den unfühlenden Gesetzen
der Natur, kennen wir auch keinen sittlichen Gesetzgeber und Richter
außer[halb] der Natur, der in uns zu uns redet in der Sprache des Verstandes
und des Herzens, keinen Gesetzgeber über den Wolken und auf Erden. Wir beugen
uns keinem Gott, keinem König, keinem Papst, keiner Autorität, keinem Menschen:
Die ganze Erde gehört uns, die ganze Welt gehört uns und ist gerade groß genug,
um die Jubelgesänge unseres Freiheitsbewusstseins in sich widerhallen zu
lassen.
O, wer
unter den Gläubigen das Glück ahnte [gemeint: ahnen könnte], keines Gottes,
keines Menschen, keines Glaubens Knecht zu sein, der würde nur ein Sehnen
kennen, das Sehnen nach dem Glück der Freireligiösen, das nicht beeinflusst wird von
Lust und Leid, dessen Harmonien so prachtvoll sind, dass wir hinein
stürmende Missklänge nicht hören oder sie bewusst einreihen den lieblichen
Melodien als dämpfende Molltöne voll
Wehmut und Ergebung.
„Wir
können es ja nicht lassen, zu reden und zu zeugen von dem, was wir gehört und
gesehen haben!“ riefen einst die Apostel, und so brennt auch in uns
Freireligiösen das Verlangen, andere zum Glück unserer Religion zu führen.
Nicht herrschen wollen wir über andere, nicht anderen ihren Glauben rauben aus
Lust am Zerstören, nein, weil wir wissen, es als selbst erlebte Wahrheit
wissen, dass es kein größeres Glück gibt als freireligiös zu sein, darum wenden
wir uns auch an die Gläubigen der alten Religionen und predigen auch ihnen das
neue Evangelium, das wirklich selig machen kann.
Prüfung der Konfirmanden
Frage: Wie würdet Ihr einem Onkel aus Amerika am schnellsten mitteilen können,
das Ihr heute konfirmiert werdet? – Antwort:
Durch den Telegrafen.
Fr.:
Konnte man schon vor 100 Jahren telegrafieren? A.: Nein. Der erste Telegraf wurde 1836 eingerichtet.
Fr.:
Wie würdet ihr zu diesem Onkel am schnellsten hinreisen können? A.: Auf dem Dampfschiff.
Fr.:
Konnte man das vor 100 Jahren schon? A.:
Nein. Das erste Dampfschiff fuhr 1818 über den Atlantischen Ozean.
Fr.:
Wie kommt Ihr am schnellsten nach Frankfurt? A.:
Mit der Eisenbahn.
Fr.:
Konnte man schon vor 100 Jahren bei uns mit der Eisenbahn fahren? A.: Nein. Die erste Eisenbahn in
Deutschland wurde 1835 gebaut.
Fr.: Was
mussten vor 50 Jahren ein Wiesbadener und ein Hamburger tun, wenn sie
miteinander sprechen wollten? A.:
Sie mussten irgendwo zusammenkommen.
Fr.: Wie
werden sie es jetzt machen? A.:
Sie werden telefonieren.
Fr.:
Wann wurde das erste Telefon eingerichtet? A.:
1860.
Fr.:
Kennt Ihr den Mann, der in der vorvorigen Woche durch die Luft vom Bodensee
nach München und zurück fuhr? A.:
Graf Zeppelin.
Fr.:
Konnte man schon, als Ihr noch klein wart, durch die Luft fahren? A.: Ja.
Fr.:
Aber was konnte man nicht? A.:
Steuern, lenken, einen bestimmten Weg einhalten.
Fr.:
So kann man heute mehr als vor 10 Jahren, noch mehr als vor 50 Jahren und
wiederum noch mehr als vor 100 Jahren. Wie nennt man diese Erscheinung? A.: Fortschritt.
Fr.:
Haben die Menschen vor 1000 Jahren schon soviel gewusst und gekonnt wie vor 100
Jahren? A.: Nein.
Fr.:
Was wird, je weiter wir zurück schauen, immer geringer? A.: Das Wissen und Können.
Fr.:
Wissen wir, was die Menschen jeder Zeit gewusst und gekonnt haben? A.: Nein.
Fr.:
Wie weit wissen wir das? A.:
Soweit als die Geschichte zurück reicht.
Fr.:
Wie weit reicht denn die zurück? A.:
Etwa 5000 Jahre.
Fr.:
Haben schon vor dieser Zeit Menschen auf der Erde gelebt? A.: Ja.
Fr.:
Wie hoch schätzt man das Alter der Menschheit? A.: 150 000 bis 1 Millionen Jahre und noch höher.
Fr.:
Waren die Menschen immer auf der Erde? A.:
Nein.
Fr.:
Was war die Erde früher? A.: Ein
Teil der Sonne.
Fr.:
In welchem Zustand musste sie sich befinden, als sie sich von der Sonne
trennte? A.: In einem
feuerflüssigen Zustand.
Fr.:
Was konnte damals auf der Erde nicht sein? A.:
Leben.
Fr.:
Weiß man denn, wie das Leben auf Erden geworden ist? A.: Nein.
Fr.: Was haben die Menschen da getan, wo sie
Bestimmtes nicht wussten? A.: Da
haben sie etwas Erdachtes geglaubt.
Fr.: Was haben
sie nun über die Entstehung des Lebens geglaubt?
A.:
Dass ein Gott es durch den Hauch seines Mundes erschaffen habe.
Fr.:
Können wir diese Erklärung für richtig halten? A.: Nein
Fr.:
Welche vernünftigen Vermutungen hat man über den Ursprung des Lebens auf der
Erde? A.: Es könnte schon immer in
einer Form, die wir nicht als Leben erkennen, vorhanden gewesen sein; es könnte
unter bestimmten Umständen durch die Verbindung bestimmter Stoffe von selbst
entstanden sein; es könnte in Lebenskeimen von außerhalb (durch Meteore etwa)
auf die Erde gekommen sein.
Fr.:
Ist anzunehmen, dass alle Lebensformen, dass Pflanzen, Tiere und Menschen zu
gleicher Zeit auf Erden entstanden sind? A.:
Nein, die höheren Formen haben sich aus den niederen entwickelt.
Fr.:
Wir wissen nicht, woher das Leben ist; wissen wir, wozu das Leben da ist, das
Leben des einzelnen Menschen und der ganzen Menschheit? A.: Nein.
Fr.:
Was glaubt darüber die christliche Kirche? A.:
Alles Leben sei zu Gottes Ruhm und Ehre da; das einzelne Menschenleben sei eine
Vorbereitungszeit für ein anderes Leben.
Fr.: Wissen
wir etwas von diesem oder einem ähnlichen Zweck?
A.:
Nein.
Fr.:
Was müssen wir vielmehr vom Zweck des Lebens sagen? A.: Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst.
Fr.:
Was heißt das? A.: Wir sind da, um
zu leben.
Fr.:
Weisen wir damit die Möglichkeit eines anderen Zweckes des Lebens ab? A.: Nein.
Fr.:
Was nur sagen wir damit? A.: Wir
wissen nicht, wozu wir sonst noch da sind.
Fr.:
Ihr habt vorhin gesagt, dass die Menschen da, wo sie nichts wissen konnten,
geglaubt haben; wie nennt man den Inhalt dieses Glaubens? A.: Religion.
Fr.:
Nun, nicht alles nennt man Religion, sondern nur welche Anschauungen? A.: Die Welt- und Lebensanschauung.
Fr.:
Was versteht man unter Weltanschauung? A.:
Die Anschauung von den Kräften, die in der Welt wirken.
Fr.:
Was heißt Lebensanschauung? A.:
Die Anschauung, wie wir leben sollen.
Fr.:
Als was haben sich die Menschen die in der Welt wirkenden Kräfte gedacht? A.: Als übermenschliche Wesen.
Fr.
Haben sie von diesen Wesen immer dieselben Vorstellungen gehabt? A.: Nein.
Fr.:
Welche Entwicklungsstufen haben wir darin kennen gelernt? A.: Die Menschen haben zuerst an Geister,
dann an viele Götter, dann an einen Gott geglaubt.
Fr.:
Welche der Euch bekannten Religionen haben den Glauben an einen Gott? A.: Die jüdische, christliche und
mohammedanische Religion.
Fr.:
Bestehen diese Religionen schon lange? A.:
Ja.
Fr.:
Haben diese Religionen heute noch denselben Glauben wie zu Anfang? A.: Ja.
Fr.:
Wie kommt das? A.: Der Glaube ist
in heiligen Büchern festgelegt.
Fr.:
Welches dieser Bücher ist Euch am bekanntesten? A.: Die Bibel.
Fr.:
Woraus besteht die Bibel? A.: Aus
dem Alten und dem Neuen Testament.
Fr.:
Worüber berichtet uns das alte Testament? A.:
Über die Geschichte und den Glauben des israelischen Volkes.
Fr.:
Was steht im Neuen Testament? A.:
Die vier Evangelien, die Apos-telgeschichte, die Briefe und die Offenbarung des
Johannes.
Fr.:
Wofür halten die Gläubige alles, was in der Bibel steht? A.: Für wahr.
Fr.:
Warum? A.: Sie betrachten es als
Gottes Wort.
Fr.:
Ist denn alles wahr, was in der Bibel steht? A.:
Nein.
Fr.:
Was kann davon unter keinen Umständen wahr sein? A.: Was der Vernunft widerspricht.
Fr.:
Ist denn alles andere wahr? A.:
Nein.
Fr.:
Müssen wir annehmen, dass die Menschen, die die Bibel geschrieben haben, andere
Menschen täuschen und betrügen wollten, als sie Unwahres als wahr ausgaben? A.: Nein.
Fr.:
Wie können sie auch dazu gekommen sein? A.:
Aus Irrtum, aus Selbsttäuschung.
Fr.:
Mit welchen Worten beginnt das Alte Testament? A.: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Fr.:
Was ist hier unter Himmel und Erde verstanden? A.: Die ganze Welt.
Fr.:
Wie verhalten sich nach diesem Glauben Gott und Welt zueinander? A.: Sie sind zwei verschiedene Dinge, sie
stehen sich gegenüber als zwei verschiedene Dinge.
Fr.:
Wie nennt man diese Lehre? A.: Dualismus.
Fr.: Was heißt
das auf deutsch? A.: Die Lehre von
der Zweiheit.
Fr.:
Was sagt der Dualismus sonst noch? A.:
Auch Leib und Seele sind verschiedene Dinge.
Fr.:
Ist bloß der Eingottglaube dualistisch? A.:
Nein. Alle alten Religionen, die an Geister, viele Götter oder einen Gott
glauben.
Fr.:
Welche Lehre steht dem Dualismus gegenüber? A.:
Der Monismus.
Fr.:
Was heißt das? A.: Die Lehre von
der Einheit.
Fr.:
Was sagt diese Lehre? A.: Gott und
Welt sind eins und Leib und Seele sind eins.
Fr.:
Welche Lehre ist die wahrere? A.:
Das wissen wir nicht.
Fr.:
Welche scheint die wahrere zu sein? A.:
Der Monismus.
Fr.:
Wenn wir bestimmt wüssten, dass der Dualismus wahr wäre, wüssten wir dann, wer
oder was Gott ist? A.: Nein.
Fr.:
Wenn wir wüssten, dass der Monismus wahr wäre, wüssten wir dann, wer oder was
Gott ist? A.: Nein.
Fr.:
Warum wüssten wir das in beiden Fällen nicht? A.:
Weil sowohl im Dualismus als im Monismus unzählige verschiedene Vorstellungen
von Gott vorhanden sind.
Fr.:
Wissen wir überhaupt etwas von Gott? A.:
Nein.
Fr.:
Was ist Gott immer gewesen? A.:
Das Unerforschliche.
Fr.:
Sagen wir, dass ein persönlicher Gott da ist? A.:
Nein.
Fr.:
Sagen wir, dass ein persönlicher Gott nicht da ist? A.: Nein.
Fr.:
Was sagen wir nun? A.: Wir wissen
nichts von Gott.
Fr.:
Obgleich wir von Gott nichts wissen, wirkt er doch in uns; als was wirkt er in
uns? A.: Als Ideal der
Vollkommenheit.
Fr.:
Was heißt das? A.: Wir möchten so
klug, so weise, so gut werden, wie wir es uns nur denken können.
Fr.: Haben
Juden, Christen und Mohammedaner, die, wie Ihr vorhin gesagt habt, an einen
Gott glauben, dieselben Vorstellungen von Gott?
A.:
Nein.
Fr.:
Wie nennt die christliche Kirche ihren Gott? A.:
Dreieinig.
Fr.:
Was ist die Grundlehre der christlichen Kirche? A.: Die Lehre von der Sünde und Erlösung.
Fr.:
Was sagt diese Lehre? A.: Jesus
hat die Menschen von der Strafe der Sünde erlöst.
Fr.: Wer aber
hat nur Teil an dieser Erlösung? A.:
Wer glaubt, dass Jesus für ihn gestorben ist.
Fr.:
Wer soll Jesus Christus nach der kirchlichen Lehre gewesen sein? A.: Der Sohn Gottes.
Fr.:
Wissen wir, ob Jesus überhaupt gelebt hat? A.:
Nein.
Fr.:
Was wird immer wahrscheinlicher? A.:
Dass er nicht gelebt hat.
Fr.:
Wenn das, was in den Evangelien über ihn geschrieben steht, wahr wäre, soweit
es in vernünftiger Weise wahr sein könnte, was wäre er dann seinem Beruf nach
gewesen? A.: Ein Volksprediger und
Volkslehrer.
Fr.:
Was war er für ein Mensch? A.: Ein
guter.
Fr.:
Und wie wäre seine Lehre gewesen? A.:
Gut.
Fr.:
Wer soll Jesu Lehre verbreitet haben? A.:
Seine Jünger, seine Apostel.
Fr.:
Wer vor allem? A.: Paulus.
Fr.: Wie
nannte sich später die ganze Gemeinschaft der Christen?
A.:
Die christliche Kirche.
Fr.:
Wer stand an der Spitze dieser Kirche? A.:
Der Papst.
Fr.:
Wann spaltete sich diese Kirche in zwei verschiedene Kirchen? A.: 1054.
Fr.:
Wie heißen diese Kirchen? A.: Die
römisch-katholische und die griechisch-katholische Kirche.
Fr.:
Wie nennt man die Zeit, in der sich von der römisch-katholischen Kirche die
evangelische absonderte? A.: Die
Reformationszeit.
Fr.:
In welches Jahr setzt man den Beginn dieser Zeit? A.: Ins Jahr 1517.
Fr.:
Aus welcher Kirche sind vor reichlich 60 Jahren die deutsch-katholischen Gemeinden
hervorgegangen? A.: Aus der
römisch-katholischen Kirche.
Fr.:
Vorher und um dieselbe Zeit sonderten sich auch Gemeinden aus der evangelischen
Kirche ab, welche? A.: Die freien
protestantischen Gemeinden.
Fr.: Alle
diese Gemeinden hatten unter staatlicher Bedrückung zu leiden, viele wurden
vernichtet durch die schlechtesten Mittel. Da schlossen sich 1859
deutschkatholische und freie protestantische Gemeinden zu einem Bund zusammen;
wie heißt dieser Bund?
A.:
Bund freier religiöser Gemeinden Deutschlands.
Fr.: Dieser
Bund besteht noch heute. Welche gemeinsame Bezeichnung führen die im Bund
vereinigten Gemeinden? A.:
Freireligiös.
Fr.:
Haben wir als Freireligiöse ein Glaubensbekenntnis? A.: Nein.
Fr.:
Was sind wir also nicht für eine Religionsgemeinschaft? A.: Nicht eine konfessionelle.
Fr.:
Was setzen wir an die Stelle des Glaubensbekenntnisses? A.: Die freie Selbstbestimmung.
Fr.:
In welchem Grundsatz des Bundes ist das ausgedrückt? A.: Freie Selbstbestimmung in allen religiösen Angelegenheiten
gemäß der eigenen fortschreitenden Erkenntnis.
Fr.:
Schreiben wir irgend einem unserer Mitglieder vor, was er glauben soll? A.: Nein.
Fr.:
Wer soll uns unserer religiösen Anschauungen schaffen? A.: Wir selbst.
Fr.:
Wovon aber soll jeder sich dabei leiten lassen? A.: Von seiner Erkenntnis.
Fr.:
Wir haben also kein Glaubensbekenntnis. Wenn das christliche Glaubensbekenntnis
nötig wäre, um Christ zu heißen, dürften wir uns dann Christen nennen? A.: Nein.
Fr..
Legen wir Wert auf den Christennamen? A.:
Nein.
Fr.:
Warum dürfen sich freireligiöse Gemeinden trotzdem christlich nennen? A.: Sie sind aus der christlichen Kirche
hervorgegangen.
Fr.:
Nun, das ist ein äußerer Grund; aber aus welchem Grund dürfen wir uns noch mehr
mit Recht Christen nennen? A.:
Weil wir den Geist Christi haben.
Fr.:
Und worin besteht dieser Geist? A.: In
dem Eintreten für die eigene Überzeugung, für unsere persönliche Religion.
Fr.:
Wie können wir unsere Religion im Gegensatz zum gemeinsamen Bekenntnis anderer
Religionen nennen? A.: Persönliche
Religion.
Fr.:
Was heißt also freireligiös eigentlich nur? A.:
Persönliche Religion haben.
Fr.:
Zu was für Menschen muss uns unsere persönliche Religion machen ? A.: Zu guten Menschen.
Fr.:
Was sind wir dann auch für Menschen? A::
Glückliche Menschen.
Fr.:
Was ist nämlich dasselbe? A.: Gut
sein und glücklich sein.
1911
Bekenntnis der Freireligiösen Gemeinde Gotha
Aus:
„Freidenker“
Nr. 3/1998
Freidenkerverband, Offenbach/M.
1.
Die freireligiöse Gemeinde Gotha hat den Zweck, diejenigen zu sammeln
und weiter zu bilden, welche in den dualistischen Religionsgemeinschaften keine
innere Befriedigung finden. Diesem Zweck dient auch der für die Kinder
eingeführte Religionsunterricht.
2.
Die freireligiöse Gemeinde Gotha ist monistisch, d. h. ihre Mitglieder glauben,
dass das unerschaffene und unvernichtbare Weltall (Kosmos, Universum) sich nach
ihm innewohnenden ewigen und unabänderlichen Gesetzen ordnet.
3.
Die Mitglieder der freireligiösen Gemeinde glauben endlich, dass die
Wissenschaft diese Gesetze immer mehr erkennen und für das Gesellschaftsleben
der Menschen immer wirksamer machen wird.
4.
Die Mitglieder der freireligiösen Gemeinde Gotha glauben ferner, dass
diese Gesetze im Leben der Völker wie im Leben des einzelnen Menschen wirksam
sind.
5.
Daher besteht das Ziel der freireligiösen Gemeinde Gotha darin, eine
Gesellschaft zu schaffen, deren Mitglieder sich den jeweils erkannten
Naturgesetzen, die im Völkerleben durch die Staats- und Sittengesetze ihren
Ausdruck finden, bewusst unterwerfen und beständig an ihrer Verbesserung
mitarbeiten. Die Gemeinde nennt sich „frei“, weil ihre Mitglieder sich nicht an
ein von Menschen aufgestelltes, für alle Zeiten gültiges Dogma gebunden
erachten, sie nennt sich „religiös“, weil sie sich in bewusster Abhängigkeit
vom Naturgesetz befinden und demgemäß ihr Leben gestalten.
Gotha, den 13. Juli 1911
Vor 1914
Freireligiöses Bekenntnis
von Gustav
Tschirn
Sonderdruck
ohne weitere Angaben.
Frei
sind wir, also nicht gebunden,
Durch
Glaubenszwang in unsrer Religion.
Wir
glauben, was wir selbst als wahr empfunden;
Nicht, was
uns vorschreibt eine Konfession.
Bekenntnis,
Überzeugung sind uns nicht verkäuflich
Auch
nicht um ew’ge Seligkeit und Himmelslohn.
Denn
was uns unnatürlich scheint und unbegreiflich,
Das nennen
wir nicht „wahr“ aus Furcht vor Höllendrohn.
Die
Wahrheit bau´n wir auf die Wirklichkeit,
Auf
der Vernunft und der Natur Gesetze,
Die
ehern stehn voll Unverbrüchlichkeit,
Dass auch
kein Gott durch Wunder sie verletze.
Allmächtig,
ewig und unendlich,
Allgegenwärtig
in der kleinsten Spur,
Unfassbar
hoch und doch so nah verständlich,
Das
höchste Wesen – ist uns die Natur.
Die
unerschaffne Schöpferin der Welten,
Aus
deren Schoß hervor die Sonnen gehen,
Und
die aus Sternentrümmern, aus zerschellten,
Durch Welten-Nebel
webt ein Welten-Auferstehn.
Sie
lässt im Kreise auch unsre Erde rollen
Und
auf der Erde alles Leben blüh´n,
Daraus
zuletzt, zuhöchst erwachsen sollen
Wir
selbst, das Menschenherz, des Geistes Glühn.
Entwicklung
hat uns empor getragen
Tief
aus dem Zellen-, Pflanzen-, Tieresstand
Zum
Aufrechtgehn, zum Sprechen, Denken, Wagen,
Zur
Kunst- und Arbeitsfähigkeit der Hand.
Natur gab uns die sittlich
hohen Triebe
Des Einzelnen zu der
Gemeinsamkeit,
Zu Menschenrecht und
–pflicht, zur Nächstenliebe,
Dass jeder sich dem Großen Ganzen weiht.
So leben wir mit Hoffen,
Lachen, Weinen
Und schauen über unsern Tod
hinaus
Der besser´n Zukunft
stetiges Erscheinen
Und atmen dafür unser Leben aus.
Im Kampfe singen wir mit
Jubeltönen,
Was aus des Weltalls Tiefe zu
uns spricht:
In uns der Geist des Guten,
Wahren, Schönen
Führt segnend höherwärts – durch Nacht zum Licht.
Gustav Tschirn
Halte
Dich zu der Religion, in der alle Edlen übereinstimmen:
Ein wahrhafter, guter und hilfsbereiter
Mensch zu sein, dann verwirklichst Du das
Göttliche in Dir und baust am Himmel auf Erden. Karl Weiß (um 1912) Freireligiöser Prediger |
Vor 1914
Mein Bekenntnis
von Gustav
Tschirn
aus:
„Morgenröte“
Nr. 1, 1986
Ich
beuge mich in Ehrfurcht vor der ewigen Macht, die erhaben über den Ruhm aller
menschenähnlichen Persönlichkeit sich durch alle Welten einheitlich betätigt
und auch mich durchwaltet.
Ich
glaube aus ganzer Denk- und Gemütskraft an das anfanglose, lebendige höchste
Wesen des Kosmos, des Universums, der Gottnatur, das mit keinem Bild und Namen
erschöpfend gekennzeichnet wird.
Aus
ihm bin ich, wie alles Seiende, geboren; bin aus dem Schoß der Sternenwelt, der
Organismuswelt, der Menschenwelt-Entwicklung zu meinem Ich gekommen, um mich
als bewusstes Spiegelbild des göttlichen Allwesens nach seinen großen, inneren
Gesetzen zu steter Vervollkommnung auszuleben und mich sterbend wieder in ihm
aufzulösen. Unvergänglich wird es meine Spur bewahren, wie es einst, seit ewig,
meine Keime wob.
Alle
Kunst und Wissenschaft und Moral – Tod, Leid und Seligkeit - Hoffnung, Arbeit,
Beruf, Persönlichkeits- und Gemeinschaftsleben in Familie, Staat, Menschheit, die
ganze Natur und Kultur klingt mir harmonisch weihevoll zusammen in meiner
Religion.
Gustav Tschirn war um die Jahrhundertwende sowohl Vorsitzender des
Bundes Freireligiöser Gemeinden Deutschlands als auch des Deutschen
Freidenkerbundes.