Freireligiöses Quellenbuch 1.

 

Im Frühjahr 1851 widmete der in Mainz neu eingesetzte Bischof Wilhelm Emmanuel Ketteler seinen ersten Hirtenbrief dem Deutschkatholizismus. Ketteler war gegen den Widerstand des Mainzer Kirchensprengels von Rom als Bischof eingesetzt worden.

 

 

Hirtenbrief

des Hochwürdigsten Herrn

Wilhelm Emmanuel

Bischofs von Mainz

 

An die Geistlichkeit und die Gläubigen seines Kirchensprengels bei dem Anfange der Fastenzeit

1851

 

Wilhelm Emmanuel, durch Gottes Erbarmung und des Heiligen apostolischen Stuhles Gnade Bischof von Mainz

 

Unserem ehrwürdigen Klerus und unseren geliebten Diözesanen Gruß und Segen im Herrn

 

Im ersten Hirtenbrief, den ich von dieser erhabenen Stelle an Euch, Geliebte in Christo unserem Herrn, richte, erkläre ich es als meine höchste Pflicht:

Die Hinterlage der ewigen Glaubenswahrheiten treu zu bewahren, die der Sohn Gottes, Jesus Christus, seiner Kirche anvertraut hat.

 

Schon jetzt glaube ich diese Pflicht erfüllen zu müssen.

Ich habe nunmehr ein halbes Jahr in Eurer Mitte zugebracht. Blicke ich auf diese Zeit zurück, so muss ich mit gerührtem Dank mein Herz und meine Hände zu Gott erheben. Er, der mächtig und dessen Name heilig ist, hat mir seinen gnadenvollen Beistand nicht versagt. Seine Barmherzigkeit hat mich bisher von Stelle zu Stelle begleitet, und so ist es geschehen, dass ich auch unter Euch so viel Liebe und Vertrauen angetroffen habe; eine solche Geneigtheit Eurer Herzen, dass ich dadurch mein eigenes Unvermögen weniger empfunden habe. In der Stadt und auf dem Lande, wo immer ich zu Euch gekommen bin, habt Ihr mich in einer Weise aufgenommen, die mir tief zu Herzen ging, die mir Eure Liebe zu Christus verkündete, der mich gesandt hat; die mich ohne Unterlass an meine Pflicht erinnerte, mich Eurem Seelenheil ganz aufzuopfern. Und wenn ich gar an die Missionen denke, die bisher abgehalten sind, an die heilige Begeisterung, mit der Ihr dort weiter zusammen


 

eiltet, um das Wort Gottes zu hören und die heiligen Sakramente zu empfangen; an die erbauliche Ordnung, mit der Ihr dort viele Tausende als Brüder versammelt, im Gebet, wie von einem Geiste und Eurer Seele durchdrungen, ausharrtet, wie vermag ich da Gott gebührend zu preisen, und Euch meinen Dank und meine Liebe hinreichend ausdrücken. Viele Hindernisse, die ich dagegen erwartete, sind gänzlich verschwunden, und ich kann noch keinen Namen in dem ganzen Land nennen, von dem ich eine persönliche Kränkung erfahren hätte.

 

Je mehr ich aber hiernach verpflichtet bin, Euch zu lieben und mit allen Kräften für Euer Seelenheil zu arbeiten, desto mehr musste es mich betrüben, dass der Geist des Unglaubens sich auch in Euerer Mitte eine Stätte aufgeschlagen hat, und sich das Ansehen gibt, als gehöre es dem Volk an, das mir Gott zu leiten gegeben hat. So ist es aber nicht. Der Same des Unglaubens ist hier nicht gewachsen, er ist ein fremder Same, den man hierher getragen hat. Die Säleute des Unglaubens sind nicht von hier, sie haben nichts gemein mit Eurer Geschichte, mit Eurem Volk, sie sind Euch nicht durch Bande des Blutes und der Abstammung verwandt. Der Same und die Säleute sind Fremdlinge in der Geschichte der Diözese Mainz. Das könnte mich trösten, wenn ich nicht sehen müsste, dass auch dieses fremde Unkraut angefangen hat, hier und dort aufzugehen, und dass viele der mir anvertrauten Seelen es gar nicht zu ahnen scheinen, von welcher Art dieses Unkraut ist, welche Gefahr dem ganzen Volk, der ganzen Nachkommenschaft droht, wenn es sich weiter verbreiten sollte.

 

Um nun den Wächtern nicht zu gleichen, die da schliefen, während der Feind das Unkraut säte, habe ich ohne Unterlass Gott angefleht, er möge mir offenbaren, was ich zu tun habe, um diese Gefahr von Euch und Euren Kindern fern zu halten, und ich glaube nunmehr, dass es meine Pflicht ist, Euch zu warnen und den offenen Feinden des christlichen Glaubens offen entgegen zu treten, Feinde, die es wagen, einem katholischen Volk ins Angesicht zu sagen, dass die römisch-katholische Kirche barer Aberglaube sei, die so Eure ganze Vergangenheit schmähen, Eure Eltern bis in das fernste Glied, die dieser Kirche mit Liebe anhingen und also Diener des Aberglaubens gewesen wären, wenn die Kirche Aberglauben lehrte.

 

Nichts aber darf mich abhalten, eine so ernste Pflicht zu erfüllen.

Ich weiß zwar, wie man mein Verfahren nennen wird. Man wird über Intoleranz und Gewissenszwang klagen. Man wird schöne Namen: Liebe, Friede, Freiheit, gebrauchen, um gegen mich zu kämpfen. Man wird von Inquisition, Bann und Ketzergerichten sprechen.

Ihr aber, Vielgeliebte, werdet Euch in der Beurteilung meines Verfahrens

 


 

durch den schönen Klang leerer Worte nicht irre machen lassen.

Ist es Intoleranz, wenn ich als von Gott bestellter Bischof Eurer Seelen die Wahrheit, den Glauben, die Offenbarung Gottes gegen den plattesten Unglauben verteidige, der je aufgetreten ist; oder bin ich nicht vielmehr ein schlafender Wächter, wenn ich schweige? Man sagt Euch, auf Glaubenssätze, auf die Dogmen der Kirche kommt es nicht an. Was sind denn die Glaubenssätze, die Dogmen der Kirche? Eine Anzahl Wahrheiten, von denen wir behaupten, dass Gott selbst sie den Menschen geoffenbart hat; Wahrheiten über die letzten Gründe aller Dinge, über die Bestimmung des Menschen, über die Mittel des Heils, über Tod und Ewigkeit. Und auf solche Wahrheiten soll es nicht mehr ankommen?

Ehre, Geld, Haus und Hof darf man beschützen und verteidigen, das ist nicht intolerant; ewige Wahrheiten aber verteidigen soll intolerant sein?

Was ist denn mehr wert, das Geld oder die Wahrheit?

Es soll intolerant sein, wenn die von Gott bestellten Wächter des Glaubens, die Oberen der Kirche die Wahrheiten über das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen schirmen und hüten – und was tun dieselben Menschen, die sich selbst zu Hütern des Unglaubens gemacht haben? Sind sie auch so tolerant in Bezug auf andere Grundsätze?

Ohne Zweifel sind politische Ansichten* nicht von so hoher Bedeutung, wie die religiösen Wahrheiten. Diese lehren das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen und der Ewigkeit; jene, die politischen, das Rechtsverhältnis der Menschen zum Staat; diese greifen in das innerste Leben der Seele und der Familie, jene nur in die äußeren Beziehungen zum Nebenmenschen ein. Man sollte also glauben, dass Menschen, die keine Glaubenssätze mehr verteidigt haben wollen, auch keine politische Streitfragen mehr erheben würden. Sie sagen, es ist intolerant, Glaubenswahrheiten zu verteidigen, intolerant die Ansicht Andersgläubiger zu verwerfen, Glaubenssätze stiften Unfrieden, und es käme nur darauf an, dass wir uns alle lieben; man sollte also glauben, dass sie folgerecht sagen würden, es ist intolerant, politische Systeme zu verteidigen, intolerant, die Anhänger anderer politischer Systeme zu bekämpfen; politische Systeme stiften Unfrieden, und es kommt nur darauf an, dass wir uns einander lieben.

Sie sagen, es ist intolerant, darüber zu streiten, ob Christus der Sohn Gottes ist, ob es eine Ewigkeit, eine Strafe des Bösen, eine Hölle, einen Himmel gibt, davon soll man nicht sprechen, deshalb niemanden beunruhigen, das könnte Streit veranlassen, und das sind doch Wahrheiten von unendlichem Belang; - man sollte also glauben, sie würden folgerichtig  sagen,  es  ist  intolerant,  darüber zu  streiten,  ob eine oder zwei

 

* Dies war eine Anspielung auf die politischen Aktivitäten des

   Gemeindevorstehers Christian Scholz.


 

Kammern bestehen, ob man mit 20 oder 21 Jahren wahlfähig werde usw.. So sollte man glauben, würden sie denken.

Aber da kommt die unermessliche Inkonsequenz oder Heuchelei zu Tage. Während man sich nicht schämt, die Kirche zu schmähen, weil sie ihr Dogma mit heiliger Sorge bewacht, den Unglauben aber verabscheut, während man im Namen der Liebe uns auffordert, geduldig zuzusehen, wenn man uns die höchsten Güter, den Glauben, von dem wir bekennen, dass es ohne ihn unmöglich ist, Gott zu gefallen, zu entreißen strebt, und zugleich einen Spott, Hass und Hohn auf die Kirche, Priester und Glauben ergießt, wie die Seelen des heidnischen Spötters Lucian und des Apostaten Julian dessen nicht fähig waren, hielt man es nicht wider die Liebe, politische Dogmen zu schmieden, sie als unfehlbare Glaubenssätze aufzustellen, ihretwegen alle Andersdenkenden mit Erbitterung zu verfolgen.

 

Gegen die Wahrheiten, die von Gott kommen, sollen wir gleichgültig sein, ihre Meinung aber sollen wir vergöttern. Ich verwerfe jeden Indifferentismus. Der Geist des Menschen ist für die Wahrheit bestimmt, und er darf diese Bestimmung nicht durch indifferentes Verhalten gegen irgendwelche Wahrheit verleugnen.

Ich verkenne deshalb auch nicht den Wert politischer Kämpfe und halte es für gut, wenn sie anders mit sittlich erlaubten Mitteln geführt werden. Es ist aber eine unselige Geistesverwirrung oder eine schmachvolle Heuchelei, wenn jene im Namen der Liebe in göttlichen Dingen den
Indifferentismus predigen, die sich nicht scheuen, um politischer Meinungen willen die Welt in Flammen zu setzen.

 

Oder ist es Glaubenszwang, wenn ich als von Gott bestellter Bischof Eurer Seelen erkläre, dass jene nicht mehr der Kirche angehören, die dem Glauben der Kirche entsagt haben? So will man es gerne darstellen,  aber wie unwahr ist auch diese Auffassung! Ist es denn ein ungebührlicher Zwang, wenn der Hausvater fordert, dass jeder, der in seinem Hause wohnen will, sich auch der Ordnung des Hauses unterwerfe? Ist es ein ungebührlicher Zwang, wenn der Israelit verlangt, dass ein Mitglied der Synagoge eben ein Jude und kein Christ sei? Ist es gegen die Freiheit, gegen die Liebe, ist es ein ungebührlicher Gewissens- und Überzeugungszwang, wenn ein politischer Verein nur Gleichgesinnte, d. h. nur solche, die sich zu denselben politischen Grundsätzen bekennen, als Mitglieder zulässt? Gewiss nicht! Und weshalb nicht? Weil es jedem Kind klar ist, dass ein Verein, der sich gewisser Grundsätze wegen versammelt, nur bestehen kann, wenn die Mitglieder in den Grundsätzen einig sind. Nun wohlan, so gebe man ehrlich der katholischen Kirche, was man jedem Hausvater, jeder Synagoge, jedem politischen Verein zugesteht,  und  nenne  nicht  das  in der  katholischen Kirche Glaubens- und Gewissenszwang, was man überall als ein Naturgesetz jedes Vereines anerkennt. Wir wollen niemanden zwingen, in die katholische Kirche einzutreten oder in ihr zu verbleiben, wir fordern aber von jedem, der als Mitglied der katholischen Kirche angesehen sein will, dass er die ewigen Wahrheiten der Kirche glaube, und dass er vor allem das Prinzip, auf dem die Kirche ruht, die Lehre von der göttlichen Autorität und Unfehlbarkeit der Kirche vollständig anerkenne; wir fordern das Recht, jedem Katholiken, der die Grundsätze und Glaubenslehren, also das Dogma der Kirche verwirft, sagen zu dürfen, dass er alles sein kann, nur kein Mitglied der katholischen Kirche. Wie weit ist es durch das lügenhafte Geschrei der Feinde der Kirche über Gewissenszwang bei uns gekommen? Gibt es noch einen Verein auf Erden, der es, wie die Kirche, dulden muss, dass Menschen, die vor der ganzen Gemeinde als Ungläubige oder gar als Feinde der Kirche dastehen, von denen es bekannt ist, dass sie von der katholischen Kirche nichts an sich haben, als den Platz für den Namen in einem katholischen Taufregister, sich nicht nur katholisch nennen, sondern gar an der Leitung der wichtigsten Angelegenheiten der Kirche Anteil nehmen? Gibt es noch einen Verein auf Erden, wo es geschehen kann, das eine ganze gläubige katholische Gemeinde es oft dulden muss, dass Männer als Vorstände an der Verwaltung der äußeren Angelegenheiten der Kirche oder als Lehrer an dem Heiligsten, an der Erziehung der Kinder Anteil nehmen, die alle Gebote der Kirche verachten und ihren Glauben verspotten? Wahrlich das darf nicht so fortdauern, ich bin es dem katholischen Volk schuldig, das nicht zu dulden. Wer nicht katholisch glaubt und lebt, dem bin ich berechtigt zu sagen, er mag Priester, Vorstand, Lehrer oder Laie sein; er kann dann werden was er will, er kann nur kein katholischer Priester, Vorstand, Lehrer oder Laie sein. Das ist ein Naturrecht für jeden Verein, ein Recht,  ohne welches kein Verein bestehen kann, und die Kirche, die ganz abgesehen von ihrer göttlichen Einsetzung, an Alter und rechtmäßigem Bestand, alle anderen Vereine so weit überragt, kann diesen in dem natürlichsten aller Rechte der Selbstverteidigung und Selbsterhaltung nicht nachstehen.

 

Die möglichen Anklagen der Gegner dürfen mich also nicht abhalten, meine Pflichten als Wächter des Glaubens zu erfüllen. Dagegen hätte eine andere Erwägung mich vielleicht bestimmen sollen, noch zu schweigen. Unter denen, die in den letzten Jahren sich von dem Glauben der Kirche getrennt haben, gibt es so viele, die nur der Verführung und schwerer Versuchung unterlegen [sind], die nur durch Unwissenheit und Irrtum zu diesem Schritt verleitet sind. Hätte ich es da nicht der Zeit und der Gnade Gottes überlassen sollen, bis auch sie zurück kehrten, wie schon so manche, die mit dem Glauben den Frieden ihres Herzens wieder gefunden haben?  Musste ich nicht fürchten, durch meine  Worte,

 


 

die ihnen vielleicht hart scheinen, sie zu verletzen, zu reizen, abzuschrecken, und dadurch ihre Bekehrung zu erschweren? O möge Gott mich und meine Worte davor bewahren. Ich rede nicht, weil ich ihnen Böses sagen will, sondern weil ich vor Gott weiß, dass ich sie liebe, weil ich die Pflicht habe, ihnen die Wahrheit zu sagen und ihnen den Abgrund aufzudecken, in den sie geraten sind. Ich möchte das Beispiel des heiligen Apostel Petrus nachahmen. Als dieser dem Volke, das den Tod Christi gefordert und ihn dem Barabbas nachgestellt hatte, denselben Jesum Christum als den Welterlöser und Gottessohn predigte, da sprach er offen zu ihnen und verbarg es ihnen nicht, was sie getan hatten. „Der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, der Gott unserer Väter hat seinen Sohn Jesum verherrlicht. Diesen habt ihr zwar überliefert und verleugnet vor dem Angesicht Pilatus, der das urteilte, ihn loszulassen; und ihr habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und verlangt, dass man euch den Mörder schenkte. Den Urheber des Lebens habt ihr getötet, welchen Gott euch erweckt hat von den Toten, dess sind wir Zeuge“[1] .

So sprach der Heil. Petrus, aber voll Liebe und Erbarmen setzte er hinzu: „und nun, ihr Brüder, ich weiß, dass ihr es aus Unwissenheit getan habt ... So tut nun Buße und bekehrt euch, damit eure Sünden getilgt werden."[2] . O, meine Brüder, die ihr ehemals mit uns Kinder derselben Mutter, der Kirche wart, ich darf Euch nicht verbergen, auch Ihr habt Jesum Christum verleugnet, und den Urheber des Lebens durch Euren Unglauben in Eurem Herzen getötet, - aber ich weiß, Ihr wusstet nicht, was Ihr tatet, sonst hättet Ihr es nicht getan; nun aber fürchtet Euch nicht, kehrt zurück, damit Eure Sünde von Euch genommen werde.

Ja ich muss reden, gerade um der Verirrten willen, und noch mehr um derer willen, die zwar noch nicht den letzten Schritt, der sie von Christus und seiner Kirche trennt, getan haben, die aber vielleicht, von Verführungen umstrickt, bereits am Rande des Abgrundes stehen.

Ihr wisst längst, Vielgeliebte in Christo unserem Erlöser, wovon ich rede. Alle feindlichen Bestrebungen gegen die katholische Kirche in dieser Diözese vereinigen sich gegenwärtig in jener Partei, welche sich die „Deutsch-Katholische“ nennt. Als diese Sekte vor sechs Jahren entstand, da gaben die Verbreiter der neuen Lehre vor, sie wollten katholisch bleiben und nur einige Missbräuche beseitigen. Deshalb nahmen sie den Namen „Deutsch-Katholisch“ an. Dadurch wurden viele irre geleitet, die mit Schauder von dieser Partei zurück getreten wären, wenn man ihnen gleich  anfangs  gesagt hätte: wir  wollen  nichts  anderes, als


 

alles zu leugnen, was alle Gerechten im alten Bund seit Anbeginn gehofft, was die ganze Christenheit seit achtzehnhundert Jahren als das Höchste und Heiligste geglaubt und geliebt hat. Zwar ist inzwischen die Wahrheit mehr und mehr ans Licht gekommen, allein noch immer sind nicht wenige von einer unbegreiflichen Verblendung befangen. Deshalb muss ich nunmehr deutlich und bestimmt aussprechen, was der so genannte Deutsch-Katholizismus ist und in welchem Verhältnis er zur katholischen Kirche und zum Christentum steht.

Vor allem verwahre ich mich gegen das Recht dieser Partei, den Namen „Deutschkatholiken“ zu tragen. Wo immer Menschen auf Erden beisammen wohnen, ist es Ordnung und Gebrauch, dass ein Name, in dessen Besitz eine Gesellschaft, ein religiöser, ja sogar ein Handelsverein sich befindet, nicht von einem neu entstehenden Verein angenommen werden darf. Was einer Handelsfirma gewährt wird, hätte natürlich der katholischen Kirche nicht vorenthalten werden sollen, einer Kirche, die ihren Namen und ihr Recht so tief in die Geschichte Deutschlands verwebt hat. Nur die eine Heilige Katholische Apostolische Kirche, die unter der Oberleitung des Nachfolgers des Heiligen Petrus unter den Völkern der deutschen Zunge besteht, hat das Recht, den Namen der deutschen katholischen Kirche zu tragen.

Dann aber erhebe ich, als Wächter des katholischen Glaubens von Gott bestellt, vor Euch allen meine Stimme und erkläre, dass die religiöse Gemeinschaft der so genannten Deutsch-Katholiken gar nichts gemein hat mit der katholischen Kirche; dass sie in allem das gerade Gegenteil der Katholischen Kirche ist; dass der so genannte Deutsch-Katholizismus nicht bloß in dem einen oder anderen Punkt von ihr abweicht, sondern der vollendete Abfall von dem gesamten Lehrgebäude der katholischen Kirche, der vollendete Abfall von dem wirklichen und wahren Christentum, ja das entschiedene Antichristentum ist. Keine Irrlehre hat seit dem Anfang des Christentums der Kirche und der Religion Jesu Christi so fern gestanden. Der so genannte Deutsch-Katholizismus ist der Inbegriff aller Irrlehren, welche die Kirche jemals, im Heiligen Geist versammelt, verworfen hat. Selbst der gläubige Jude steht dem Christentum weit näher, als der so genannte Deutschkatholik. Um Euch die volle Wahrheit dieser Behauptung zu zeigen, will ich die Grundlehren der Kirche und die Grundsätze des so genannten Deutsch-Katholizismus nebeneinander stellen.

Das ganze Christentum beruht auf der einen großen Wahrheit, dass Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist; dass er der Abglanz der Herrlichkeit des Vaters, das Ebenbild seiner Wesenheit ist.[3], dass in ihm die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt[4]; dass er das Haupt aller Oberherrschaften und Gewalten ist[5]; dass er die ganze Schöpfung durch das Wort seiner Allmacht aus dem Nichts ins Dasein gerufen hat [6].

Oh, was ist alles in dem Glauben an den Gott enthalten, der aus Liebe zu uns und zu einem jeden aus uns, obwohl er in der Gestalt Gottes, Gott in allem gleich war, es nicht verschmäht hat, Knechtsgestalt anzunehmen und sich erniedrigte bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz[7]; an das ewige Wort, das da von Ewigkeit bei Gott und Gott selbst war und dennoch Fleisch geworden ist, um unter uns zu wohnen voll Gnade und Wahrheit.[8] Wer diese eine große Wahrheit, welche, wie gesagt, das Wesen des ganzen Christentums ausmacht, nicht glaubt und bekennt, der ist kein Christ, sondern ein Widerchrist[9] und macht Jesum Christum und Gott den Vater selbst zum Lügner. Wer an den Sohn Gottes glaubt, der hat Gottes Zeugnis in sich; wer aber dem Sohn nicht glaubt, der macht ihn zum Lügner, weil er das Zeugnis nicht glaubt, das Gott von seinem Sohn bezeugt hat.[10]

Die deutsch-katholische Sekte aber leugnet offen und entschieden die Gottheit Jesu Christi und erklärt den Weltheiland für einen bloßen Menschen, für einen jüdischen Volkslehrer, für „den Weisen von Nazareth“. Deshalb ist sie keine christliche, sondern eine antichristliche Partei. – Nichts hilft es ihr, Christentum in einem figürlichen Sinne Sohn Gottes zu nennen und eine Verehrung gegen ihn zur Schau zu tragen. Denn Jesus Christus hat sich selbst für den wahren und wesentlichen Sohn Gottes erklärt, seiner Gottheit nach dem Vater in allem gleich, wie es seiner Menschheit nach uns gleich geworden, er hat sich alle göttlichen Eigenschaften beigelegt, er hat für sich dieselbe Ehre in Anspruch genommen, die Gott dem Vater gebührt, und hat die ewige Seligkeit von dem Glauben an ihn abhängig gemacht. [11] Auf dieses Bekenntnis ist er gestorben. Und seine Apostel und ihre Nachfolger und die ganze Kirche von Anfang, allezeit und überall bis auf diese Stunde, haben an Jesum Christum als den Sohn Gottes geglaubt und ihn angebetet. – So steht also die Sache: “Ist Christus wahrer Gott, wie wir glauben und bekennen, dann sind diejenigen, welche seine Gottheit leugnen, Widerchristen. Ist Christus aber nicht Gott, nun so ist er kein „Weiser aus Nazareth“, sondern, was bloß zu denken eine christliche Seele mit Entsetzen erfüllt, der Erzbetrüger der ganzen Welt, und die ganze Christenheit ist ein  Verein  von  Götzendienern, die einen gekreuzigten Juden anbeten.


 

Ein Mittelding gibt es nicht. – Jesus Christus ist wahrer Gott; das steht klar in der Heiligen Schrift; und ebenso klar steht darin, dass und wie Jesus Christus seine Gottheit bewiesen und bezeugt hat durch herrliche Wunder, insbesondere durch das große Wunder seiner Auferstehung. Ihm gaben die Propheten des alten Bundes Zeugnis, und was sie, vom Geiste Gottes erleuchtet, von ihm vorhergesagt haben, das ist alles in ihm in Erfüllung gegangen.

Wer also Jesum Christum als den Sohn Gottes und den von allen Propheten verkündeten Welterlöser leugnet, der muss die Heilige Schrift für ein Lügen- und Fabelbuch erklären. Und wirklich erklärt die deutsch-katholische Sekte die Heilige Schrift für ein Lügen- und Fabelbuch. Obwohl sie auch hier wieder Ehrfurcht gegen die Bibel zur Schau trägt und davon spricht, wie viel schöne und große Wahrheiten in derselben enthalten seien, so bezeichnet sie doch klar und offen den ganzen wesentliche Inhalt der Heiligen Schrift, der nichts anderes ist, als die Offenbarung Gottes und die Geschichte der Erlösung der Menschheit, für Dichtung, Irrtum und Fabel, und die Heilige Schrift selbst für eine von Falschheiten und Aberglauben wimmelndes, überdies vielfach unechtes und verfälschtes menschliches Machwerk.

Mit der ersten Wahrheit, dass Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, steht die andere in wesentlicher und untrennbarer Verbindung, dass er nämlich der Erlöser der Menschheit von der Sünde und der Verdammnis ist. Jesus Christus ist nicht bloß ein Lehrer der Wahrheit und das Vorbild aller Tugend, er ist unendlich mehr, er hat durch seine Menschwerdung und seinen Opfertod am Kreuz die sündige Welt mit Gott versöhnt und uns die Vergebung der Sünden und die heilig machende Gnade erworben, ohne welche es nicht möglich ist, Gott zu gefallen und die Seligkeit zu erlangen. Dieses ist das wahre Evangelium, die große Freudenbotschaft, welche die Apostel zu allen Völkern getragen, an die alle Völker geglaubt, in welcher die Menschheit Frieden und Leben und Seligkeit gefunden. Christus, und zwar der Gekreuzigte, der uns mit Gott versöhnt und unsere Schuld getilgt hat, indem er, der Schuldlose, für uns Schuldige zum Sühneopfer geworden ist; der uns geliebt und sich selbst für uns dahin gegeben hat[12]; durch dessen Wunden wir geheilt sind[13].

Auch diese Wahrheit leugnet die deutsch-katholische Sekte in der Art, dass die zwar das Wort „Erlöser“ und „Erlösung“ gebraucht, aber die Sache verwirft. – Und was setzt der Deutschkatholizismus an die Stelle dieser gnadenreichen Wahrheit von unserer Erlösung durch den Sohn Gottes? Die Behauptung, dass der Mensch der Erlösung, der Gnade und Erbarmung, welcher Gott uns in seinem Sohne geschenkt hat, gar nicht bedürfe, dass der Mensch sein eigener Erlöser sei. Diese Selbstverblendung, unsere Sündenhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit nicht zu erkennen, diese unbegrenzte Selbstgerechtigkeit, nicht als ein Gnadenflehender, sondern als ein Gerechter und Berechtigter Gott gegenüber zu treten; diese Vermessenheit, die Sündevergebung und das ewige Leben nicht als eine unverdiente Gnade von Gott zu hoffen, sondern als ein Recht von ihm zu fordern; diese stolze Verachtung der unergründlichen Erbarmung, welche der Vater seinem eingeborenen Sohn uns anbietet und dieses selbstgenügsame Vertrauen auf seine eigene Gerechtigkeit ist dem Geiste des Christentums entgegengesetzt, der tiefste Widerspruch gegen dessen innerstes Wesen, ist die völlige Umkehr des Verhältnisses, in welchem das Geschöpf zu seinem Schöpfer, der Sünder zu dem heiligen Gotte steht. Diese Lehre aber, dass der Mensch sein eigener Erlöser sei, ist die Grundlage der neuen Sekte und dadurch steht sie in inniger Verbindung mit jener ersten teuflischen Lüge, aus der alle Sünde entsprungen ist. Damals sprach der Lügner von Anbeginn zu dem Menschen: Du wirst dein eigener Gott sein; und jetzt heißt es: Du wirst dein eigener Christus, dein eigener Erlöser sein. – Jesum Christum, den Welterlöser, brauchst du nicht.

Oh, unglückseliger Zustand eines Menschen, der diese Lüge glaubt, der den berauschenden Becher des geistigen Hochmutes in sich hinab trinkt und in stolzer Selbstgenügsamkeit den göttlichen Erlöser seiner Seele von sich stößt und sich selbst sein Heiland zu sein träumt, indes auf ihn das Wort des Herrn Anwendung leidet: „Du sprichst, ich bin reich, habe Überfluss und bedarf nichts, und weißt nicht, dass du elend und erbärmlich bist, und arm und blind und nackt?“[14]

Mit den zwei Grundwahrheiten: Christus wahrer Gott – Christus unser Heiland und Erlöser muss natürlich die deutsch-katholische Sekte alle anderen Wahrheiten der christlichen Religion leugnen und verwerfen.

Ist Christus der Sohn Gottes - dann ist seine Lehre göttliche, ewige, unveränderliche Wahrheit - dann kann wohl ein Fortschritt und eine Verbesserung in allen menschlichen Wissenschaften stattfinden, nimmermehr aber in dem Inhalt der christlichen Religion, aus dem einfachen Grund, weil sie die göttliche, die vollkommene, die ewige Wahrheit ist, unveränderlich und unwandelbar, wie Gott selbst; dann steht fest des Herren Wort: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen[15] , und das Christentum verbessern wollen, ist ein gotteslästerlicher Wahnwitz.

In den Augen des Deutschkatholiken aber ist Christus ein bloßer Mensch und darum seine Lehre Menschenlehre, die jeder nach seinem Sinne deuten und ändern kann. Ist Christus der Sohn Gottes und will er, dass alle Menschen die von ihm verkündete Wahrheit erkennen und durch den Glauben an sie selig werden sollen – dann hat er auch dafür sorgen müssen, dass seine Lehre ganz, rein und unverfälscht allen Menschen bis ans Ende der Welt verkündet werde. Und er hat dafür gesorgt, er hat in Petrus und den Aposteln die Kirche gestiftet, ihr hat er aufgetragen, alles zu lehren, was er gelehrt hat[16], ihr hat er die Gabe der Unfehlbarkeit durch den Heiligen Geist verliehen[17], bei ihr hat er versprochen, bis ans Ende der Welt zu bleiben[18] und hat vorausgesagt, dass die Pforte der Hölle sie nicht überwältigen werde[19]. Diese Kirche, die von Christus gestiftet, auf dem Grund der Propheten und Aposteln erbaute, auf Petrus dem Felsen ruhende, einige, heilige, allgemeine und apostolische Kirche ist es, welche allen Völkern und allen Zeiten das Evangelium von Christus dem Sohn Gottes und dem Weltheiland bezeugt und verkündet und allen Menschen die Gnade der Erlösung anbietet, in deren Name und Auftrag auch ich zu Euch rede und Zeugnis gebe für Jesum Christum meinen Gott und Euren Gott, meinen Heiland und euren Heiland.

Da aber nun die deutsch-katholische Sekte den Sohn Gottes und Welterlöser leugnet, kann es uns da wundern, dass sie seine Kirche, die treue Zeugin Christi, hasst und alles erdenklich Böse ihr nachredet; dass sie die Kirche, welche der heilige Paulus die Säule und Grundfeste der Wahrheit nennt[20], als eine Mutter des Irrtums und Aberglaubens lästert, dass sie dieses ganze große, die Welt umfassende Reich Gottes auf Erden mit seinem göttlichen Glauben, seinen heilwirkenden Sakramenten, seinem erhabenen Gottesdienste, seinen frommen Gebräuchen, seiner apostolischen Verfassung, seinem von Christus eingesetzten Priestertum, als einen lügenhaften Pfaffenbetrug hinstellen, dass sie die Kirche, welcher alle Völker die Gnaden und Segnungen des Christentums, und hiermit auch alles, was das Leben des Menschen hier auf Erden veredeln, verschönern und beglücken kann, verdanken, als die Ursache alles Bösen, als eine Feindin der Menschheit dem öffentlichen Abscheu Preis geben möchte?

Jesus Christus, der Sohn Gottes und Weltheiland, teilt uns aber durch seine Kirche nicht bloß seine Lehre mit, sondern auch die Sündenvergebung und die heilig machende Gnade, die uns zu unserem Heil unumgänglich notwendig ist; und er, der aus Liebe zu uns Mensch geworden und sichtbar unter den Menschen wohnte, hat deshalb seine unsichtbare Gnade an sichtbare Zeichen geknüpft – die heiligen Sakramente. Die heiligen Sakramente sind unser höchstes und heiligstes Gut, sie  sind nicht leere Zeichen, sondern  ie sind Gnadenmittel voll göttlicher Kraft und Wirkung; durch sie wird uns, wenn wir sie würdig empfangen, Reinigung von Sünden und Gnade und Heiligung zuteil.

Ich brauche wohl kaum zu bemerken, dass die deutsch-katholische Sekte, die von Gnade, die überhaupt von allem Übernatürlichen nichts wissen will, die heiligen Sakramente verwirft, und selbst jene Sakramente, die Taufe und das Abendmahl, deren Namen sie zum Schein beibehalten hat, lediglich als bloße Zeremonien und als an sich überflüssig und gleichgültig ansieht.

Hiermit aber, dass sie selbst die Kraft der heiligen Taufe verwirft, hat sie den letzten Zusammenhang mit Christus zerrissen. Bedenkt, was das heißen will, christliche Eltern. Christus sagt: Wer da glaubt, und sich taufen lässt, wird selig werden, wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden[21]. Christus sagt: Geht hin ... und tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes[22]. Wie sollte es nun für christliche Eltern möglich sein, sich bei so ernsten Worten Christi, mit der Taufe einer Sekte zu beruhigen, welche den Glauben an den dreieinigen Gott, in dessen Namen getauft wird, den Glauben an Christus und die Erlösung, deren Gnade durch die heilige Taufe mitgeteilt wird, den Glauben an die Erbsünde, welche durch die heilige Taufe getilgt wird, endlich den Glauben an die Gnade Gottes und die innere Kraft des Sakramentes leugnet und verwirft?

Ganz insbesondere aber leugnet jene Sekte das höchste Heiligtum der Christenheit, das allerheiligste Sakrament des Altars, das heilige Mess-opfer, das mit dem Glauben an die Gottheit Jesu und seinem welterlösenden Tod so innig und wesentlich zusammenhängt – diese letzte und größte Offenbarung der Liebe unseres Heilands, der durch ein Wunder seiner Allmacht alle Tage bis ans Ende der Welt wirklich, wahrhaft und wesentlich als unser Gott und Heiland unter uns wohnt, sich für uns opfert, unsere Seele speist und nährt zum ewigen Leben. In diesem allerheiligsten Sakrament beten wir Jesu Gottheit und Menschheit wahrhaft und gegenwärtig an. Es ist das Brot des Lebens, das Brot, das unsere Eltern in lebendigem Glauben und heiliger Zuversicht genossen haben, als sie die Reise in die Ewigkeit antraten, das Himmelsbrot, welches ihren sterbenden Gesichtszügen die Zuversicht einprägte, dass sie den Tod überwinden und in das ewige Leben einkehren würden; das Brot, das auch wir in der Todesstunde empfangen wollen, um das Leben in uns aufzunehmen. – Jene aber, die Christi Gottheit leugnen, sehen darin nur gemeines Brot und schelten unseren Glauben an dieses göttliche Sakrament und die anbetende Andacht aller katholischen Völker, aller Heiligen, die aus diesem Geheimnis der Liebe all ihre Heiligkeit geschöpft haben, einen götzendienerischen Aberglauben.

 

 

Endlich leugnet die deutsch-katholische Sekte alles, was Gott uns von der Ewigkeit geoffenbart hat. Klar, unzweideutig, unzweifelhaft ist der Ausspruch der ewigen Wahrheit. Die Liebe und Erbarmung Gottes ist unendlich, aber es ist auch unendlich seine heilige Gerechtigkeit. Gott will zwar, dass alle Menschen selig werden[23], aber nur unter der Bedingung, dass sie mit seiner Gnade ihm, seinem heiligen Willen gemäß, hier auf Erden dienen. Gott gibt jedem Menschen die notwendige Gnade; Gott hat alles getan, was seine Allmacht vermochte, den Menschen zu retten; aber die endliche Entscheidung liegt in der Hand jedes Menschen. Gott ist langmütig, aber er lässt seiner nicht spotten[24].

Dieses Leben ist eine Zeit der göttlichen Erbarmung – aber es ist jedem Menschen gesetzt zu sterben und dann folgt das Gericht[25] - und die Entscheidung für die ganze Ewigkeit, die Guten werden Gott ewig schauen, ewig in ihm selig sein, die Bösen aber werden ewig von Gott getrennt Strafe leiden. Der Herr wird sie sondern, und zu den einen wird er sprechen: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmt das Reich in Besitz, das Euch bereitet ist von Anbeginn[26]; zu den anderen aber: Weicht von mir, ihr Verruchten, ins ewige Feuer[27]. – Wer diese klaren gewissen Wahrheiten leugnet, macht Christum zum Lügner, dem Menschen aber sucht er die heilige Furcht Gottes zu rauben, welche der Anfang aller Weisheit ist[28], wovon der Heiland sagt: Fürchtet die nicht, welche den Leib töten, sondern fürchtet denjenigen, der Leib und Seele in die Hölle stürzen kann. Was nutzt es darum dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne, aber Schaden litte an seiner Seele[29], denn was will er zum Ersatz für seine Seele geben?

All dies leugnet jene Partei, und es ist also keine Wahrheit des Christentums, welcher sie nicht kalten und entschiedenen Unglauben entgegensetzt.

So ist denn gar nichts, was sie mit dem Christenglauben gemein haben? Glauben sie denn nicht wenigstens an denselben Gott wie wir? Leider muss auch das vielen, die sich an die Spitze dieses unchristlichen Treibens gestellt haben und nun auch ihre Anhänger allmählich und unbemerkt in die Tiefe ihrer Verirrungen hinabzuziehen suchen, abgesprochen werden. Der Gott, von dem sie reden, ist nicht der wahre lebendige Gott, den alle Diener Gottes im Alten und Neuen Bund angebetet haben. Ihr Gott ist nur ein bloßes Gedankending, jener Allvater, wovon die moderne Flachheit sich nebelhafte Vorstellungen macht, der uns zu ferne ist, um ihn zu lieben und ihn zu fürchten, der sich niemals seinen Geschöpfen offenbart, der weder ihr Erlöser noch ihr Heilig- und Seligmacher ist, jener Weltengeist, von dem man kaum weiß, ob er ein von der Welt verschiedenes persönliches Wesen oder ob er nur die in der Welt wirkende Naturkraft ist.

Und in der Tat, wenn die deutsch-katholische Sekte in ihrer Art von religiöser Aufklärung fortschreitet, was bleibt ihr noch übrig als der bare Atheismus? Und dieser wird ihr Ende sein.

Mit der gesamten Glaubenslehre ist aber in der Sekte der so genannten Deutschkatholiken auch die Sittenlehre des Christentums über Bord geworfen. Das Wesen der christlichen Moral besteht darin, dass wir, die wir an Jesum Christum glaubend, ihn lieben und ihm nachfolgen. Da wir aber das alles nur können mit seiner Gnade, die uns durch die heiligen Sakramente zuteil wird, wie kann man da wähnen, dass das christliche Leben mit einer Lehre bestehen könne, welche allen Glauben an Jesus Christus vernichtet, die Gnade leugnet und anstatt auf den Glauben die Demut und die heilige Liebe Gottes, ihr Moralsystem auf jene stolze Selbstgerechtigkeit gründet, die ihr eigener Erlöser sein will, die kein Gesetz über sich anerkennt als das trügerische Urteil der eigenen Vernunft, welche dem Menschen sein Ziel und Ende nicht in Gott, sondern in sich selbst finden lässt, in jener stolzen Selbstachtung und irdischen Selbstbeglückung, welche die moderne Gottesvergessenheit an die Stelle der Verherrlichung Gottes und der Sorge für unser ewiges Seelenheil gesetzt hat, welche das Christentum uns als den letzten und höchsten Zweck unseres Lebens bezeichnet.

Dieses ist also das Verhältnis des so genannten Deutsch-Katholizismus zur katholischen Kirche. Die Kirche Christi ist katholisch, d. h. allgemein, weil sie alles das, was Christus ihr übergeben und was die Christenheit an allen Orten und zu allen Zeiten mit einem Herzen geglaubt und mit einem Mund bekannt, lehrt, glaubt und bekennt, und hiermit alles Leben, alle Wahrheit, alle Bejahung im Prinzip in sich schließt; auch dem Deutsch-Katholizismus kann man eine gewisse Allgemeinheit zusprechen, zwar nicht der Zeit und Ausdehnung nach, denn er ist erst seit gestern und geht bereits seinem Verfall entgegen, und nur hie und da zählt er einige Anhänger; aber doch insofern, als er alle Irrlehren, alle Leugnung und damit alle Keime des Todes, der Verneinung, des Abfalls, der Zerstörung in allen Konfessionen, bei Christen und Juden in sich aufnehmen kann; ein vollkommener Abfall, ein vollkommener Gegensatz, ein unbedingter Widerspruch gegen das Christentum, gegen alle ge-offenbarte Religion bis zur äußersten Spitze.

Ihr mögt deshalb den Schmerz ermessen, Vielgeliebte, der sich meiner bemächtigte, als ich sah, wie dieser bare Unglaube in der Stadt des heiligen Bonifazius, von  wo aus  einstens  das Licht des Christentums über ganz Deutschland ausstrahlte und hie und da in der Diözese Mainz nicht bloß Anhänger gewonnen, sondern auch mit welcher Offenheit und durch welche Mittel er verbreitet wird. Ich kannte den so genannten Deutsch-Katholizismus kaum anders als vom Hörensagen. Geht den Rhein hinab, wo die Städte liegen, die mit Euch den Glauben und die Kämpfe der Kirche seit Jahrhunderten geteilt haben, durchwandert den ganzen Norden Deutschlands, geht durch Schlesien bis zu der Stätte, wo der Stifter dieser Sekte geboren ist, und Ihr werdet hören, dass man dort überall den so genannten Deutsch-Katholizismus für so leer, so nichtig, so geistarm und geistesschwach, so unwissenschaftlich hält, dass man von seiner Existenz kaum noch etwas weiß.

Aber wie fand ich es hier? Hier fand ich, dass einige Fremdlinge diesen in sich so nichtigen, trost- und hoffnungslosen Unglauben mitten unter einem Volke, das, wie ich ja gesehen, großen Teils mit Treue und Liebe der Kirche anhängt, verbreiten und so einen offene Vernichtungskrieg gegen das Christentum führen – und mit welchen Waffen? – Mit den Waffen der plattesten Unwahrheit und Unwissenheit. Mit wahren Kindermärchen, die man als Ergebnisse der Aufklärung und tiefer Wissenschaft zum Besten gibt, greift man die erhabensten Wahrheiten an.

Alles, was die Heiden und Juden zur Zeit der alten Christenverfolgungen gegen das Christentum, alles, was Irrlehrer je gegen die Kirche ersonnen  haben, was tausendmal widerlegt, was in den Augen jedes wissenschaftlichen Mannes eine Abgeschmacktheit ist, wird als neue Ent-deckung vorgebracht und benutzt, um damit in so genannten religiösen oder kirchengeschichtlichen Vorträgen  oder in Privatzirkeln oder an öffentlichen Orten ununterrichteten Leuten, ungelehrten Arbeitern, um Frauen und Mädchen, ja Unmündigen und Kindern ihren Glauben abzuschwatzen, sie gänzlich in die Irre zu führen, und unter Benutzung aller Leidenschaften zum Abfall und zum Hass gegen die Kirche fortzureißen. Es ist unerhört, mit welch rein lügenhafter Behauptung man die Heilige Schrift, das Leben Christi, die geschichtliche Wahrheit, die Ehre der katholischen Kirche  und damit die Ehre des größten Teils der gesitteten Menschheit, welcher dieser Kirche seit vielen Jahrhunderten angehört, angreift.

Da wird behauptet, keines der Evangelien sei von einem Apostel, sie seien erst später aus fabelhaften Sagen zusammen geschrieben und vielfach verfälscht; dort werden ganze erdichtete Leben Christi zum Besten gegeben, angebliche Aufschlüsse über seine Wunder und seine Auferstehung; da wird erzählt, dass der Glaube an die Gottheit Christi erst von Kaiser Konstantin  durch Gewalt der Christenheit sei aufgenötigt worden; dann wieder, dass die Lehre von der Gegenwart Christi im heiligen Altarssakrament, von der Beichte usw. viele Jahrhunderte nach den Aposteln aufgenommen sei, während das Gegenteil von allem diesen tatsächlich feststeht; da werden der Kirche und ihren Dienern die

abscheulichsten Gräuel und Skandale der hässlichsten Art nacherzählt, und die ganze große und herrliche Geschichte der Kirche zu einem ekelhaften Gewerbe von Schändlichkeiten entstellt. Und durch solche Mittel wird das Volk, werden die Seelen, für die Christus gestorben sind, jammervoll zu Grunde gerichtet.

Was mich aber besonders schmerzlich berührte, und was mein Schweigen in dieser Sache zu einem Verrat an den Seelen des mir von Gott anvertrauten Volkes machen würde, ist die Wahrnehmung, dass selbst politische Blätter der Verbreitung dieses Unglaubens ihre Spalten widmen. Mögen sie auf politischem Boden sich halten, dann habe ich nicht das Recht, über sie zu urteilen. Es ist aber verwerflich, wenn politische Blätter, die überdies für ein fast ausschließlich katholisches Volk geschrieben sind, die Politik dazu benutzen, um den katholischen Glauben zu verhöhnen und zu zerstören; es ist unerhört, wenn ein katholisches Volk sich das gefallen lässt. Und dennoch steht ein großer Teil der unter Euch verbreiteten politischen Blätter unter dem ausschließlichen Einfluss der so genannten deutsch-katholischen Sekte, und wirkt dahin, die Anschauungen dieser Sekte zu verbreiten. Ich habe sie oft gelesen und fast immer einen ungerechten, mehr oder minder auf Unwahrheit beruhenden Angriff gegen die Kirche, gegen das Christentum, gegen die christliche Sitte gefunden. Jede Institution der Kirche, ihre Orden, ihre Priester, ihre Gebräuche, ihre Andachten werden dort verunglimpft und verspottet, jeder Abfall vom Geiste, von den Lehren und Gesetzen der Kirche wird angepriesen und erhoben, die Gottlosigkeiten ausländischer Schandliteratur werden dem Volke zur Unterhaltung dargeboten, der platteste geistloseste Unglaube wird gepredigt, und wo in der ganzen Welt ein wirkliches oder erdichtetes Verbrechen eines Priesters zu Tage kommt, da wird es mit hämischer Schadenfreude mitgeteilt – all das unzählige Große, Gute, Edle, Heilbringende aber, das von der Kirche ausgeht, verkleinert oder gar entstellt und verlästert.

In dieser offen vorliegende Tatsache kann ich nur das Bestreben erkennen, die politische Bewegung für religiöse Tendenzen auszubeuten. Unter dem Vorgeben, Politik zu treiben, will man das Volk deutsch-katholisch machen. Dagegen muss ich mich erheben und dagegen sollten sich mit mir alle Katholiken erheben, von welcher politischen Partei sie immer sein mögen.

Als die Arianer vor anderthalb tausend Jahren unter dem Schutze der römischen Kaiser bis nach Mainz vorgedrungen, um nicht etwa, wie es jetzt geschieht, Christus zu einem bloßen Menschen zu machen, sondern um ihm seine ewige Geburt vom Vater abzusprechen, da trat der Bischof von Mainz, der Heilige Maximus, der Nachfolger des heiligen Märtyrers Lucius, wider sie auf, durchwanderte barfuß mit seinen Pries-tern das Land, um seine Herde vor dieser Irrlehre zu schützen. Ohne andere Macht als die der Wahrheit kämpfte er gegen die übermächtigen Arianer. Er wurde sieben Mal von ihnen ergriffen, öffentlich geschlagen und vertreiben, aber wie Christus durch den Tod den Tod überwand, so überwand er durch Leiden das Leiden und die Verfolgung, und befes-tigte von neuem seine Herde in dem Glauben an den Sohn Gottes.

Seitdem bis auf die neueste Zeit hat es niemand mehr gewagt, in der Mitte des Volkes, von der Ihr abstammt, die Gottheit offen anzugreifen; mir und meinem Vorgänger war der Schmerz aufbehalten, diese Untat erleben zu müssen.

Wenn ich auch an Verdienst nicht Wert bin, dem Heiligen Maximus die Schuhriemen aufzulösen, so teile ich dennoch sein Amt und seine Pflichten. Für denselben Glauben, den er verteidigte, habe ich an derselben Stelle meine Stimme erhoben, und wenn es nötig sein sollte, so bin ich bereit, auch seine Leiden für diesen Glauben zu tragen.

Vielgeliebte in unserem Herrn Jesus Christus! Wie die Zeiten vor uns waren, so werden sie auch nach uns sein. Nur wir Menschen vergehen schnell, wie die Blume verblüht, wie das Blatt vom Baume fällt. In dem alten Mainz wandeln wir auf Gräbern. Unwandelbar besteht nur die Kirche bis an das Weltende. Wird aber auch die Stadt und die Diözese Mainz Christus und seiner Kirche unwandelbar treu bleiben?

Werdet Ihr und Eure Nachkommen, wenn die Posaunen des Weltgerichts Euch und Eure Voreltern aus den Gräbern hervorrufen werden, das Zeichen desselben Glaubens an der Stirne tragen, das sie so treu unter allen Glaubenskämpfen bewahrten? Oder werden sie mit dem Zeichen des Menschensohnes und Ihr mit dem Zeichen seines Widersachers dastehen? Ich hoffe zu Gott, Vielgeliebte, wir werden den guten Kampf für Christus siegreich bestehen. Dennoch dürfen wir nicht verkennen, dass wir an einem Zeitpunkt der ernstesten Entscheidung stehen, der Entscheidung für Christus oder wider Christus, für Gott oder wider Gott. Die Heilige Schrift ist voll von Aussprüchen, dass am Ende der Zeiten trübe Tage kommen, dass der Antichrist aufstehen und ein ungeheurer Abfall geschehen werde. Wie ernst sind die Worte des Heilands: „Es wird alsdann eine große Trübsal sein, dergleichen vom Anbeginn der Welt bis jetzt nicht gewesen ist, noch fernerhin sein wird.“ Und wenn die Tage nicht abgekürzt würden, so würde kein Mensch gerettet werden: aber um der Auserwählten willen werden jene Tage abgekürzt werden. Wenn alsdann jemand zu Euch sagt: Siehe, hier ist Christus oder dort, so glaubt es nicht. Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen: und sie werden große Zeichen und Wunder tun; so dass auch die Auserwählten, wenn es möglich wäre, in Irrtum geführt würden. „Siehe“,  ruft der Heiland, „ich habe es euch vorhergesagt[30]. Es werden viele unter meinem Namen kommen und sagen: Ich  bin es,  und werden viele verführen[31]. Der Apostel Paulus aber sagt im Geiste seines Meisters: „Lasset euch von niemand irre führen auf keinerlei Weise (nämlich, als sei die zweite Ankunft des Herrn damals schon nahe bevorstehend); denn zuvor muss der Abfall kommen und offenbar[t] werden der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, der sich widersetzt, und sich erhebt über alles, was Gott heißt oder göttlich verehrt wird, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich für Gott ausgibt“[32]. Dem Thimotheus aber schreibt derselbe Apostel: „Das  aber wissen wir, dass in den letzten Tagen gefährliche Zeiten kommen werden; denn es werden die Menschen sein voll Eigenliebe, habsüchtig, prahlerisch, hoffärtig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, lasterhaft, lieblos, unzufrieden, verleumderisch, unenthaltsam, grausam, schonungslos, Verräter, mutwillig, aufgeblasen, die Lüste mehr liebend als Gott, die zwar einen Schein der Religion haben, aber die Kraft derselben verleugnen. Diese aber vermeide[33]“.

Wann diese letzte Zeit kommen wird, wissen wir nicht; nur das wissen wir, dass wir ihr mit jedem Jahrhundert näher rücken, und dass uns diese Worte gesagt sind, um uns zu warnen: „Siehe ich habe es Euch vorhergesagt.“ Das wissen wir, dass dem letzten großen Abfall, wo selbst die Auserwählten, wenn es möglich wäre, verführt werden würden, Zeiten des Unglaubens, des Irrglaubens und großer Lasterhaftigkeit vorher gehen werden, und dass selbst dieser Irr- und Unglaube, selbst dieses Geschlecht der Hoffärtigen, der Ungehorsamen gegen die Eltern, der Verräter, der Diener der Lüge den Schein der Religion annehmen wird. Das wissen wir, dass schon seit dem Erscheinen Christi auf Erden der Antichrist und sein Anhang wider den Sohn Gottes streiten. „Wie ihr gehört habt“, sagt der Heilige Johannes, „wird der Widerchrist kommen, ja schon jetzt sind viele Widerchristen geworden ... Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns; denn wenn sie von uns gewesen wären, so würden sie bei uns geblieben sein. Wer ist der Lügner, als der, welcher leugnet, dass Jesus der Christus sei. Das ist ein Antichrist, welcher den Vater und den Sohn leugnet. Jeder, der den Sohn verleugnet, hat auch den Vater nicht“[34].

Was ist nun in diesen Tagen vor unseren Augen geschehen? „Es sind falsche Lehrer unter uns aufgestanden, welche Irrlehren des Verderbens einführen, den Herrn, der sie erkauft hat, verleugnen, und schnelles Verderben über sich herbeiführen, Viele folgen ihrer Schwelgerei, und sie lästern den Weg der Wahrheit.“[35].


 

Darum habe ich nicht im eigenen Namen, sondern im Namen Gottes und seines Sohnes Jesus Christus zu Euch geredet, um Euch zum Wachen und Gebet aufzufordern, damit Ihr nicht in Versuchung geratet.

An Euch wende ich mich noch insbesondere, die Ihr als Stellvertreter Gottes mit uns Priestern berufen seid, das Heil der Euch anvertrauten Seelen zu wirken. Wacht mit uns, Eltern, Lehrer, Herrschaften, Meister, wacht über die Gesellschaften, die Eure Pflegebefohlenen besuchen, wacht über die Bücher und Blätter, die sie lesen, wacht darüber, wie sie ihre Pflichten gegen Gott und seine Kirche erfüllen. Die Verführung naht sich vor allem dem jugendlichen Herzen. „Sie, sagt der Apostel Petrus, nämlich die falschen Lehrer, die die Lust des Tages für Glückseligkeit halten, sie locken an sich leichtfertige Seelen.“[36]

Die Jugend ist so leichtfertigen Herzens, deshalb hat ihr Gott Eltern, Vorsteher und Führer gegeben, die sie vor Sünde und Verführung bewahren sollen. Gott hat im alten Bunde dem Heli geschworen, „dass die Missetat seines Hauses nicht gesühnt werde durch Opfer und Gaben bis in Ewigkeit.“ Und worin bestand diese Missetat? O hört es, geliebte Eltern, in der Sünde, „dass er wusste, dass seine Söhne Böses taten, und sie nicht bestrafte“. Und worin bestand das Böse, das die Söhne taten? „Darin, dass sie die Leute vom Opfer des Herrn abhielten.“[37]

Wie viel größer ist aber die Sünde christlicher Kinder, die sich durch den Besuch schlechter Gesellschaften in die Gefahr begeben, Glaube und Tugend zu verlieren, wie viel größer die Missetat christlicher Eltern, die dazu schweigen. Wie tief muss es mich daher schmerzen, zu erfahren, dass es hier Frauen und Männer geben soll, die zwar mit den Ihrigen Katholiken bleiben wollen, und dennoch nicht nur selbst Versammlungen und Vorträgen der so genannten „Deutsch-Katholiken“ beiwohnen, sondern auch gestatten, dass ihre Kinder, Jünglinge und Jungfrauen hingehen. Ich aber sage Euch, geliebte Eltern, mit dem Apostel Paulus und mit der katholischen Kirche: Ihr müsst diese Versammlungen vermeiden[38]. Unmöglich ist es, Christus als seinen Heiland und die Kirche als eine Anstalt Gottes, als eine Säule und Grundfeste der Wahrheit zu bekennen, und Versammlungen anzuwohnen, wo Christus als ein weiser Jude, die Kirche aber als eine Anstalt voll Schmach und Schande behandelt wird. „Wie lange werdet Ihr, rufe ich mit Elias aus, auf beiden Seiten hinken? Ist der Herr Gott, so folgt ihm, ist Baal Gott, so folgt ihm.“

O, möchte meine Stimme auch Euch erreichen, irrende Brüder, die Ihr die Quellen des lebendigen Wassers in der Kirche Gottes verlassen habt, und  an den  Zisternen des Unglaubens Euren Durst nach Glückseligkeit  zu stillen bemüht seid. Möchte insbesondere Euch mein Wort nicht hart und lieblos erscheinen. Ich habe so gesprochen, weil ich glaubte, es zu müssen, weil ich glaubte, dass kein anderer Name dem Menschen gegeben ist, um selig zu werden, als der Name des Gottmenschen Jesus Christus; weil ich also glaube, dass das höchste, allein wahre Gut uns mit dem wahren Glauben entrissen wird.

Man hat Euch mit Hass gegen die Kirche und ihre Priester erfüllt, aber ich sage Euch, was ein würdiger Priester seinen Landsleuten zurief: Ihr hasst nicht die Kirche und ihre Priester, sondern das Lug- und Trugbild, das der Geist der Lüge Euch von der Kirche entwirft. Kennt Ihr die Kirche, diese von Gott uns gegebene Mutter, wie Eure Eltern sie kannten, so würdet Ihr sie lieben, wie sie sie liebten. Prüft die Geister, die sich Euch nahen, die Euch belehren wollen, ob sie dem Geist Gottes oder dem Geist der Lüge entstammen. Wodurch haben sie es Euch bewiesen, dass sie es redlich mit Euch meinen, dass sie Euch wahrhaft lieben? Ist der schon unser Freund, der unseren Leidenschaften, unserem Stolz, unserer Sinnlichkeit schmeichelt?

Sind Adam und Eva dadurch Götter geworden, dass ihnen der Teufel sagte: Ihr werdet wie Götter werden? Und welche anderen Beweise der Liebe hat man Euch gegeben? Man erfüllt Euch mit Hass gegen uns. Man stellt Euch das Leben einiger schlechter Priester vor, und wirft dann den Schein der Habgier und der Bosheit auf uns alle und auf die Kirche. Kann aber die Kirche ihren Priestern die Freiheit nehmen? Kann sie es ihnen wehren, wenn sie sich verdammen wollen? Ist Christus schuld, dass unter den Jüngern ein Judas war, oder sind alle Apostel gottlos, weil Judas ein Verräter war? Wie könnt ihr einem so groben Trug folgen?

Ja, es gibt auch einzelne nichtswürdige Priester, die das unendlich heilige Amt schänden, das sie bekleiden, die der Kirche die tiefsten Wunden schlagen, die die Kirche, ihre Ehre, ihre Göttlichkeit, das Heil der ihnen anvertrauten Seelen verraten, wie Judas das Christentum verraten hat; ja, es gibt auch schlechte Priester, und wie die Engel um so tiefer fielen, je höher sie standen, so auch die Priester; und wie die gefallenen Engel die Verführer der Welt wurden und das größte Elend anrichteten, so auch schlechte Priester; ja, es gibt auch schlechte Priester – o, gäbe es keine!

Wären wir alle, wie die Kirche uns will, wie wir es der Kirche geschworen haben, wie würde es dann anders in der Welt werden, was könnte dann noch der Wahrheit und der Schönheit der Kirche widerstehen?

Aber warum seht Ihr auf diese unseligen Nachfolger des Judas, über die die Kirche wehklagt und jammert, und nicht auf die große Schar heiliger Männer, die zu jeder Zeit Gut und Blut dem Heil ihrer Mitbrüder geopfert haben. Abermals frage ich, welch andere Zeichen der Liebe, als den Hohn  über die Kirche, haben sie Euch gegeben? Welche Opfer, welche Entsagungen und Selbstverleugnung haben sie Euch gebracht? O wahrhaft prüft die Geister. Wir aber, Geliebte, wollen Euch zeigen, dass wir Euch lieben, dass wir nichts suchen als Eure Seele.

Ich bin wenigstens nicht zu Euch gekommen, weil ich keinen anderen Aufenthalt auf Erden hatte oder weil ich zeitlichem Gut bedürfte. Ich habe in meiner Heimat viele tausend Seelen, von denen ich mich mit Schmerz losgerissen, die mich mit Jubel und Liebe wieder aufnehmen würden; ich habe dort Gelegenheit genug, auch in zeitlichem Wohlergehen zu leben, wenn ich das suchte.

Ich aber bin auf Befehl des Heiligen Vaters zu Euch gekommen, und ich bin bereit, Euch meine Zeit, meine Kräfte, meine Habe und mein Leben zu opfern, und nichts für mich zu suchen bis an das Ende meines Lebens; und viele meiner Mitbrüder unter den Priestern sind dazu bereit, das wollen wir Euch zeigen. Prüft dann, wer der Mietling ist, der nicht Gott und seine Herde, sondern sich und das Seinige sucht. Prüft aber auch Eure Seele, euer Gewissen in der Gegenwart des allwissenden Gottes, prüft Euch, nachdem Ihr gebetet habt, prüft Euch, ob das der Weg ist, der Euch wahrhaft glücklich gemacht hat, auf dem ihr der
Ewigkeit entgegen gehen wollt. O, möchtet Ihr zu dem guten Hirten
Eurer Seele zurückkehren. Heute, wenn Ihr meine Stimme hört, verhärtet nicht Eure Herzen. „Glaubt an das Licht, so lange Ihr das Licht noch habt, damit Ihr Kinder des Lichts seid.“[39]

So bitte ich Euch mit den Worten Jesu Christi. Lasst die Zeit nicht vorübergehen, wo Euch das Gnadenlicht noch leuchtet. Habt Ihr die Gnadenzeit erschöpft, entzieht Euch Gott die Gnade, ohne welche wir nicht glauben können, o dann würden sich an Euch die fürchterlichen Worte erfüllen, die von den Juden geschrieben stehen: Darum können sie nicht mehr glauben; denn Jesajas hat abermals gesagt: „Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, dass sie mit den Augen nicht sehen und mit dem Herzen nicht verstehen, noch sich bekehren, noch ich sie selig mache.“[40]

Ihr alle aber, geliebte Diözesanen, die Ihr an Jesus Christus glaubt und durch ihn selig werden wollt, ich bitte und ermahne Euch, benutzt die Gnadenzeit, die uns jetzt bevorsteht, die heilige Fastenzeit im Geiste der Kirche. Wenn Gott der Sünde gedenken will, wer wird dann vor ihm bestehen? Vereinigt Euch mit uns Priestern im Gebet, damit Gott seine heilige Liebe in unsere Herzen ausgieße, betet für die Kirche, den Heiligen Vater, die Bischöfe und Priester, dass Gott sie mit Weisheit, Gnade und Kraft erfülle, betet inständig für unsere lieben verirrte Mitbrüder, dass sie zur Herde Jesu zurückkehren mögen.

 


 


Was nun die Fastenverordnung in unserem Bistum anlangt, so bestimmen wir andurch:

 

I.                Wir erlauben den zweimaligen Genuss von Fleischspeisen während des ganzen Jahres, nehmen aber hiervon ausdrücklich aus:

a.                                                                                                                          den Aschermittwoch,

b.                                                                                                                          die drei letzten Tage der Karwoche,

c.                                                                                                                          alle Freitage des Jahres.........

 

 

Gegeben zu Mainz am Tage des Heiligen Willigis, 23. Februar 1851

Wilhelm Emmanuel,

Bischof

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

1851                

An Herrn

Wilhelm Emmanuel

Freiherrn von Ketteler,

Bischof zu Mainz

Von

Christian Scholz,

Kaufmann zu Mainz

 

Flugschrift vom 9. März 1851

Druck von Reuter und Wallau[41] in Mainz

 

 

Herr Bischof !

Ein halbes Jahr haben, wie Sie sagen, Sie selbst erst in dieser Stadt und Diözese zugebracht und finden es passend, von anderen Bewohnern derselben als von „Fremden“ zu sprechen, von „Fremdlingen“ in der Diözese Mainz, die „nichts gemein haben mit dem Volk“ dieser Diözese, demselben nicht verwandt sind „durch Bande des Bluts und der Abstammung“, die den „Samen des Unglaubens, der hier nicht gewachsen, hierher getragen haben.“

Wenn Sie, Herr Bischof, sich näher erkundigen, werden Sie natürlich finden, dass ich mich unter jene zähle, die Sie meinen; denn ich bin nicht hier, sondern zwei Stunden von hier, in Wiesbaden, geboren; ich bin der Erste, der sich hier öffentlich zum Deutschkatholizismus bekannte, und für Gründung der hiesigen deutschkatholischen Gemeinde wirkte. Sie werden nicht minder gerechtfertigt finden, wenn ich mir erlaube zu beleuchten und zu beantworten, was Ihr jüngster Hirtenbrief über die Verbreiter des Deutschkatholizismus, sowie über diesen selbst sagt.

Zum zweiten Mal höre ich in jüngster Zeit den Ausdruck „fremd“ von Gliedern des hiesigen Klerus aussprechen. Noch ist es nicht allzulange, dass das hiesige Domkapitel einen in der Diözese wohnenden, allseitig als hochachtbar geschilderten Mann zum Bischof zu Mainz wählte, wogegen eine andere hiesige Partei mit großer Ungebärdigkeit  anführte, wie töricht es sei, „einen Fremden“ zu wählen, da man den Gegenstand doch so vorzüglich in Mainz finden könne!

Und jetzt wieder, Herr Bischof, nennen eben Sie, dessen Name vor dem März 1848 gewiss nur wenigen in Mainz bekannt war, der Sie selbst erst „ein halbes Jahr“ hier weilen, jetzt nennen eben Sie mich und meine Freunde, die wir schon seit Jahrzehnten in der Stadt und Diözese wohnen und bekannt sind, „Fremdlinge“?! Welchen Standpunkt, Herr Bischof, nehmen Sie dabei ein?


 

Den Standpunkt des Katholizismus überhaupt? Den Standpunkt der Jesuiten, welche gar keine Nationalitäten anerkennen, sondern alle Lande nach ihrem Ermessen nur in Provinzen ihres Weltreiches teilen? Oder den Standpunkt persönlicher Anschauung?

Gestehen Sie, Herr Bischof, dass Sie für jeden dieser Standpunkte sich unglücklich ausgedrückt haben!

„Offen“ wollen Sie jetzt gegen uns auftreten. Das freut mich. Dann aber, Herr Bischof, müssen Sie nicht gleich dabei sagen: wir lehrten, dass „die römische Kirche barer Aberglaube sei“; dass wir dieses lehren, ist eine Unwahrheit. Wohl aber leugnen wir nicht, dass wir viele Lehren dieser Kirche für Menschenwerk halten.

Sie sagen: wir schmähten durch unsere Lehren „die ganze Vergangenheit“ dieser Stadt und ihrer Bevölkerung, „der Eltern“ der hiesigen römischen Katholiken „bis ins fernste Glied.“ Auch das ist keine Offenheit von Ihnen; Sie wissen es besser, es ist die Unwahrheit.

Auch ich, Herr Bischof, und der größte Teil der Deutschkatholiken, stammen von römisch-katholischen Eltern; die Bevölkerung von Mainz hält uns, auch wenn noch mehrere derartige Hirtenbriefe erscheinen, nicht für so schlecht, dass wir unsere Eltern im Grab schmähen wollten!

Ihre Voreltern, Herr Bischof, wenn auch nicht die nächsten – haben gewiss an Hexen und Gespenster geglaubt; die römisch-katholische und auch noch die protestantische Kirche haben sich viel mit Hexen und Hexenprozessen zu schaffen gemacht. Der Papst, das Kardinalskollegium samt den Konzilen, die einzeln oder in Gesamtheit Unfehlbarkeit ansprachen und noch ansprechen, haben jene Geschichten geglaubt, und gewiss glauben Sie, Herr Bischof, derartiges – heute nicht mehr?! Schmähen Sie, Herr Bischof, wenn Sie diesen Glauben verwerfen, Ihre Voreltern oder jene Päpste usw.?

In diesem Satz sind Sie uns hart entgegen getreten, aber nicht offen!

Über Intoleranz (Unduldsamkeit) Ihrerseits, Herr Bischof, klagen wir nicht. Über „Bann, Inquisition und Ketzergericht“, soweit letzteres durch Sie zu handhaben, lächeln wir und mit uns mancher andere.

Inkonsequenz und „Heuchelei“ dürfen Sie, Herr Bischof, uns nicht vorwerfen. Wir haben unsere Überzeugung nicht mehr im Einklang gefunden mit vielen Lehren der römischen Kirche; darum traten wir aus. War dies wohl Inkonsequenz? – Wir folgen nur unseren eigenen Ansichten und lehren dieselben. Ist das wohl Heuchelei?

Ganz in Übereinstimmung mit mir und meinen Glaubensgenossen verwerfen Sie jeden „Indifferentismus“. Mit Ihnen sind auch wir gegen jede Gleichgültigkeit in Glaubenssachen. Hoffentlich, Herr Bischof, wird es unserem gemeinsamen Streben gelingen, diesen Unsegen unserer Zeit zu verringern, damit Sie und wir klarer sehen, wer im Geiste zu Ihnen, wer zu unserer Kirche gehört.

„Glaubenszwang“ – Herr Bischof – ist es gewiss nicht. Wenn Sie erklären, dass „wir, die wir dem Glauben der alten Kirche freiwillig entsagt“, nicht mehr zu derselben gehören; - aber sonderbar nimmt sich die Wichtigkeit aus, mit der Sie diese Erklärung abgeben, nachdem wir selbst längst ausgetreten sind und Ihrer Kirche nicht mehr angehören wollen.

Recht, über allen Zweifel recht haben sie, wenn Sie weiter sagen: „Wer nicht katholisch glaubt und lebt, dem bin ich berechtigt es zu sagen, er mag Priester, Vorstand, Lehrer oder Laie sein; er kann dann werden, was er will, er kann nur kein katholischer Priester, Vorstand, Lehrer oder Laie sein.“ Wahrlich, nie werden Sie Klagen von uns hören, wenn Sie als Wächter Ihres kirchlichen Glaubens Ihre Pflichten erfüllen.

Wenn Sie aber nun, Herr Bischof, vorher sagen: „wer nicht römisch-katholisch glaube und lebe, möge werden was er wolle“, so kann ich den weiteren Verlauf Ihres Briefes nicht begreifen; ich kann nicht begreifen, weshalb Sie sich doch wieder so viel mit uns Deutschkatholiken zu schaffen machen?

Unseren Namen wollen sie, Herr Bischof, uns streitig machen? Dazu kommen Sie zu spät. Viele haben schon vor Ihnen versucht, uns mit den Namen „Schneidemühler“ oder „Rongeaner“ zu bezeichnen; - das deutsche Volk hat unseren Namen anerkannt, wir heißen Deutschkatholiken!

Mit Unrecht wollen Sie der römisch-katholischen Kirche den Namen deutsche katholische Kirche beilegen. Eine solche besteht nicht. Bestände sie, dann wären Sie, Herr Wilhelm Emmanuel von Ketteler, nicht Bischof zu Mainz. Gerade die Vorgänge vor und bei jüngster Besetzung des hiesigen Bischofstuhls haben zur lauten Klage vieler der bestgläubigen römischen Katholiken hiesigen Sprengels dargetan; dass keine deutsche katholische Kirche besteht, sondern, dass die Kirche, zu der Sie zählen, die römische Kirche in Deutschland ist. – Sie, Herr Bischof Emmanuel von Ketteler, sind zwar durch „Gottes Erbarmen“, aber auch auf „Befehl des Heiligen Vaters,“ und mit arger Verletzung der Gesetze der römisch-katholischen Kirche, Bischof von Mainz geworden.

Dass unsere deutsch-katholische Kirche gar nichts gemein habe mit der römisch-katholischen, ist eine Unwahrheit. Gemein haben wir mit allen christlichen Konfessionen und mit vielen anderen Religionsgemeinschaften den Glauben an Gott. Wir maßen uns nicht an, die Wesenheit Gottes näher bezeichnen zu wollen. Wir schließen aus den Werken der Schöpfung in ihren weitesten Räumen und Weltkörpern wie im kleinsten Einzelwesen, auf dessen  Dasein, und halten nicht für nötig, ja sind nicht imstande, unsere Bewunderung der Allmacht noch durch die hiergegen wahrlich kleinen Wundererzählungen der Religionsbücher aller Völker zu steigern.

Offen wollten Sie, Herr Bischof, uns gegenüber treten; dennoch scheint es mir, dass Offenheit in Ihren Aussprüchen und Behauptungen in Betreff unseres Heilands Jesu Christi fehlt. –

Sie sagen: entweder war Christus „wahrer Gott“ – oder er war „der Erzbetrüger der ganzen Welt“. Sollte Ihrem Scharfsinn, Herr Bischof, die Möglichkeit einer dritten Auslegung entgangen sein, welche aufstellt, dass Christus ein vollendeter Mensch war, dessen Leben und Wirken die Mit- und Nachwelt mit Bildern und Sagen ausschmückte? - 

Stattet nicht jede der vielen Religionen, die auf Erden verbreitet sind, ihre Stifter mit Erzählungen und Wundern aus?! –

Glauben Sie, Herr Bischof, alles, was in der Bibel steht?! Glauben Sie z. B. dass Bileams Esel wirklich geredet hat? Und wenn Sie nun nicht alles buchstäblich glauben, was in diesem Buch steht – wer bestimmt die Grenzen des mehr oder weniger Glaubhaften darin? Etwa die unfehlbaren Leute und Körperschaften in Rom, welche einen Galilei verurteilten, welche Hexengerichte abhielten, welche noch heute eine Menge von Werken unserer größten Männer als „Werke des Teufels“ förmlich verdammen und zu lesen verbieten?!

Die Zeiten ausschließlicher Priesterweisheit sind für das neunzehnte Jahrhundert vorbei. Wir Deutschkatholiken fordern von jedem, dass sich unserer Kirche anschließt, selbst nachzudenken über sein Verhältnis zum Ewigen.

Wer in Wirklichkeit festhält an den Lehrsätzen seiner Kirche, den ehren wir ebenfalls, als wir bereit sind, demjenigen entgegen zu kommen, der in Zweifeln über seinen Glauben sich selbstdenkend der Wahrheit näher zu bringen sucht.

Wer offen zu unserer Gemeinschaft tritt, dessen erstes Versprechen – tritt er aus der römischen Kirche – muss sein: „ich sage mich los von Rom und seiner Hierarchie (Priesterherrschaft).“

Wer wird es Ihnen verdenken, Herr Bischof, wenn Sie solche Erklärungen nicht lieben! Welcher Hirt verliert gern Teile seiner Herde!

Wenn nun aber der Deutschkatholizismus dem Erlöschen so nahe sein sollte, wie Sie, Herr Bischof, sagen, warum machen Sie denn ein so breites Wesen darüber? Sollten Sie, Herr Bischof, nicht wissen, dass dadurch ihm wieder mehr Wichtigkeit verschafft wird.

Sollten wirklich die vielen und großen deutschkatholischen Gemeinden im übrigen Deutschland, wie Sie gerne glauben machen möchten, verschwunden oder mit der unsrigen im Verschwinden sein, - wozu dann Ihr Ausruf: „Aber wie fand ich es hier?“


 

Und wiederum redet Ihre Selbstantwort von „Fremdlingen“! – Sollten Sie damit doch vielleicht anderes verstehen, als worauf ich in den vorhergehenden Zeilen geantwortet?

Sollten Sie damit meinen, dass ich und meine Freunde Fremdlinge auf religiösem oder kirchlichem Gebiet seien? Was mich anbetrifft, so können Sie in einigem recht haben. Obschon ich in früher Jugend als Messdiener viel mit der Kirche zu schaffen hatte, muss ich doch bekennen, dass mir die Dogmen derselben nicht recht in den Kopf wollten. Zum täglichen Kirchenbesuch war ich angehalten, doch sagte mir niemand, dass die verschiedenen Religionsmeinungen meiner Jugendgenossen oder anderer Leute weniger gut als diejenigen seien, die man mich zu lehren bemüht war.  Damals, Herr Bischof, war allenthalben echt christliche Duldung. Vorhergegangene langjährige Kriegstrübsale und Hungerjahre hatten allen Menschen ihre Gleichheit vor Gott recht augenscheinlich gemacht. Man sah von all dem keine Konfession vorzüglich betroffen oder verschont. Die Menschheit erkannte sich gegenseitig, und zur Zeit, als der päpstliche Stuhl umgefallen und die Bischöfe rarer als jetzt die Kardinäle in Deutschland waren, blühten Wissenschaften und Schulen aller Art empor.

Damals würde es vergebliche Mühe gewesen sein, deutschkatholische Gemeinden zu gründen; denn die Allversöhnung, welche diese predigt, machte sich praktisch geltend. So lebte auch ich, wenig aufmerksam auf die Bewegungen auf kirchlichem Gebiet, bis der Streit der Krone Preußen mit dem Erzbischof Clemens August von Köln über die gemischten Ehen an den Tag trat. Da erkannte ich, dass man die Herden, die seither friedlich durcheinander weideten, wieder trennen wollte, weil die Hirten über die Teilung der Wolle nicht einig werden und wahrscheinlich ein oberster Hirte seinen Wollanteil wieder den Ernten früherer Jahrhunderte näher bringen wollte.

Würde ich noch im Zweifel gewesen sein über den Weg der römisch-katholischen Hierarchie, so würde mich die Rockwallfahrt nach Trier, dieses merkwürdige Gegenstück Tetzel´scher Ablasskrämerei, davon befreit haben.

Bei dieser Gelegenheit, Herr Bischof, kann ich nicht unerwähnt lassen, wie der größte Teil der römisch-katholischen Bevölkerung und des Klerus unserer Stadt und der ganzen Diözese sich entrüstet jenem neuen Ablasshandel zu Trier abwandte und nur wenige sich dieser Schmach des Jahrhunderts beteiligten und mit geringer Ehre hinkamen. Wie verschieden war die Rolle von Mainz in den Zeiten Tetzels und zur Zeit des Schauspiels in Trier! Jener war ausgesandt vom Erzbischof von Mainz und wurde ein bedeutender Hebel der Reformation. Die Rockfahrt, diese Zündkraft, welche den Deutschkatholizismus zur Flamme brachte, wurde verurteilt von der überwiegenden Menge der Katholiken Ihrer Diözese, Herr Bischof!


 

Von da an brach ich, in innerer Gemeinschaft mit vielen Tausenden und Hunderttausenden, offen mit der römischkatholischen Kirche. Ich erkannte zwei Wege, den einen, welchen das Volk durch viele Jahrzehnte zur endlichen Einigung aller Konfessionen gegangen war, den Weg der Humanität – und einen zweiten, den die römische Hierarchie beschritt, den Weg der Trennung, auf welche diese Hierarchie, mit allen Mitteln das Volk zu drängen bemüht war.

Ich betrat den Weg zur allgemeinen großen Kirche der Menschheit, und dies, Herr Bischof, ist die deutschkatholische.

Recht haben sie, Herr Bischof, wenn Sie sagen, dass viele, welche dieser Kirche beitraten, dieselbe im Anfang nicht ganz begriffen [haben]. Dass es ihnen aber nach und nach und immer wohler wird in diesem rein menschlichen Kirchentum, zeigt Ihnen am besten der Umstand, wie wenige, die diesen Schritt getan [haben] wieder umkehrten. Wie sehr klein die Zahl derselben ist, Herr Bischof, werden Sie am besten wissen.  Tausende treten zu, einzelne treten ab.

Ist nun wohl, um wieder darauf zurück zu kommen, die Deutung Ihres letzterwähnten Ausdrucks „Fremdlinge“ die richtige? Wollen Sie damit sagen, ich sei ein Fremdling auf theologischem Gebiet, und habe mich sehr spät um kirchliche Dinge bekümmert? Dann teile ich, wie ich vernommen, auch in dieser Anschauung gleiches Schicksal mit Ihnen. Auch Sie, Herr Bischof, sagt man, sollen erst nach Übung allerlei verschiedener Lebenswege und mancherlei menschlicher Erfahrungen den Weg zur Kirche eingeschlagen haben – und ist dieses begründet, so werden Sie mir zugeben müssen, dass das Leben in seinen verschiedenen Wegen oft bessere Einsicht in die Religion gewährt, als manches Lehrbuch der Gottesgelehrtheit, dieser Wissenschaft, die als Wissenschaft so manches mit der Sterndeuterei, deren sich unsere Voreltern so sehr beflissen, gemein hat.

Sie erwähnen die Wirksamkeit des Heiligen Maximus, Herr Bischof!

Ich gestehe, dass ich wenig von demselben weiß. Ist es aber so, wie Sie sagen, dann muss ich Ihnen bekennen, Sie sind bis jetzt nicht so glücklich in Ihrem Wirken gewesen, wie der Gute. Er hat die Ketzerei vertilgt. Die „Ketzerei“ des neunzehnten Jahrhunderts ist in hiesiger Diözese nie besser gediehen als unter Ihren Gebeten gegen dieselbe.

Und nun, Herr Bischof, gehe ich mit Ihnen zum „Jüngsten Gericht!" – Sie rufen bei dieser Gelegenheit zum Beweis gegen uns Aussprüche der Bibel an, unter anderem: „denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen: und sie werden große Zeichen und Wunder tun; so dass die Auserwählten, wenn es möglich wäre, in Irrtum geführt würden.“ – Diese Prophezeiung, Herr Bischof, kann doch unmöglich auf mich und meine Glaubensgenossen angewendet werden.


 

Sie werden nicht sagen wollen, dass wir uns anmaßten, Wunder tun zu können? Die Wunder, Herr Bischof, sind auf anderer Seite. Die neueste Zeit zeigt deren ja allenthalben wieder!

Es hat zwar schon mancher römische Priester gepredigt, man solle sich vor dem ersten Besuch der deutschkatholischen Versammlungen hüten, denn wahrhaft wunderbar seien oft schon die Bestgläubigen mit verwandelter Gesinnung herausgekommen. Dies sind aber gewiss nur üble Nachreden gegen uns?!

Bei einem anderen Verhältnis, dessen Sie weitergehend  in Ihren Brief erwähnen, kann und muss ich Ihrem Klagen und Ausrufen beistimmen. Wie lange rufe ich Ihnen und „mit Elias“ jenen zu, die auf der Schwelle zwischen der römischen und deutschkatholischen Kirche stehen, „wie lange werdet Ihr, rufen wir mit Elias  aus, auf beiden Seiten hinken?“

Sie, Herr Bischof, und die ganze römische Hierarchie Deutschlands, haben alle Worte der Schmach und des Schimpfs auf uns geladen. Wir zürnen deswegen nicht.

Unsere Sache geht sicher voran.

Jede neue Erfindung, jedes neue Ergebnis menschlichen Denkens, Herr Bischof, ist für unsere Sache. Wir freuen uns jeder weiteren Ausbreitung des Lichts menschlicher Vernunft und lächeln über Ihre Warnungen, welche die reiche, große, weit verbreitete römische Kirche ihren Angehörigen unserem kleinen Häufchen, das übrigens schon 800 000 Seelen in Deutschland zählt, gegenüber auszusprechen für so dringend nötig hält.

Ja, Herr Bischof, die Unruhe, die Sie haben ob unseres Wirkens, ist Siegesgewissheit der menschlichen Vernunft. Wir sind nicht geneigt, diesen Gottesfunken der Menschheit so tief zu stellen, wie ihn die römische Kirche zu stellen sucht; nein, hoch halten wir diesen Gottesfunken, und sicher ist uns der Erfolg, der Triumph der Humanität, der Religion der Menschheit! –

 

Mainz, den 9. März 1851

Christian Scholz

 

 


Der Ertrag dieser Schrift ist zum Besten des Kirchenbaufonds der hiesigen deutschkatholischen Gemeinde bestimmt.

 

 

 


 

1851

 

Ziele der deutschkatholischen Gemeinde

 

Flugblatt der

Frankfurter Gemeinde

1851

 

 

... Wir wollen nichts anderes, als was alle aufgeklärten und denkenden Menschen unserer Tage wollen und wollen müssen, wir bekennen keinen anderen Glauben, als den, welchen alle unsere gebildeten Zeitgenossen schon längst in sich tragen. Verleugnend alle Erfahrungen und Wissenschaft unseres Jahrhunderts hält die Kirche fest an den Glaubenssatzungen dunkler entschwundener Jahrhunderte; der Glaube, den die Kirche lehrt, kann von den aufgeklärten und denkenden Zeitgenossen nicht mehr geglaubt werden, weil Erfahrung und Wissenschaft sie anders belehrt. Ein tiefer Riss zwischen Glauben und Wissen, zwischen Kirche und Leben ist das größte Übel unserer Zeit.

Der alte Glaube ist dem Volke wankend geworden, der neue ihm nicht klar, weil er nicht in Schule und Kirche gelehrt wird, weil er vielmehr gehindert verleumdet und verdächtigt wird. Schwankend zwischen dem alten abgestorbenen Glauben des Buchstabens und der neuen notwendigen Überzeugung der Wissenschaft ist unsere Zeit glaubenslos und die Kirche ohne Einfluss auf das Leben.

Soll Religion und Glaube wieder werden und die Religion wieder sittliche Macht üben auf das Leben der Völker, so muss der Glaube sich versöhnen mit der Vernunft, die zurückgebliebene Lehre der Kirche in Einklang treten mit der fortschrittlichen Lehre der Wissenschaft.

Einen Glauben zu schaffen, der mit der Wissenschaft und Lebenserfahrungen unserer Zeit im Einklang steht, der fortschreitet mit dem Leben, einen Glauben, der von denkenden Menschen wirklich geglaubt werden kann, das ist die Aufgabe und der Zweck unserer deutschkatholischen Gemeinschaft.

Mit Ernst und Würde, ohne Befehdung Andersgläubiger, ohne Bekehrungssucht haben wir diesen Zweck bisher verfolgt, unbeirrt durch Hindernisse, durch Verleumdung und Verdächtigung haben wir gesucht, aus den Trümmern der Vergangenheit die Religion der Zukunft aufzubauen. Eine sorgenvolle, undankbare, aber notwendige und heilsame Arbeit.

Wir wenden uns abermals an unsere Mitbürger. Sie haben uns geholfen, das Werk unserer Gemeinschaft zu gründen, sie werden uns helfen, dass es bestehe, dass es bestehe in einer Zeit, wo die Feinde des Lichtes und der Aufklärung so übermächtig sich erheben, wo die Sendboten des Jesuitismus unser deutsches Vaterland an allen Enden durchziehen, um Protestantismus und Glaubensfreiheit zu vernichten, um die freie Erkenntnis des Geistes zurück zu bringen unter den Gehorsam blinden Glaubens. Doch wie den Protestantismus einst die Waffenmacht deutscher Fürsten gerettet hat, so wird ihn jetzt retten die Macht der Wahrheit.

1851

 

 

 

 

 

 

 


Zitat aus Wilhelm Buschs Lebenserinnerungen

„Von mir über mich“

 

„Als ich neun Jahre alt [1841] geworden, beschloss man, mich dem Bruder meiner Mutter in Ebergötzen zu übergeben.

Ich freute mich darauf. ...

Gleich am Tag nach der Ankunft schloss ich Freundschaft mit dem Sohn des Müllers [Freund Bachmann]. Wir gingen vors Dorf hinaus, um zu
baden. ...

Auch der Wirt des Ortes, weil er ein Piano besaß, wurde bald mein guter Bekannter.

Er war rauh wie Esau. Ununterbrochen kroch das schwarze Haar in die Krawatte und aus den Ärmeln wieder heraus bis dicht an die Fingernägel. Beim Rasieren musste er weinen, denn das Jahr [18]48, welches selbst den widerspenstigsten Bärten die Freiheit gab, war noch nicht erschienen. Er trug lederne Klapppantoffeln und eine gelbgrüne Joppe, die das hintere Mienenspiel der blassblauen Hose nur selten zu bemänteln suchte.

Seine Philosophie war der Optimismus mit rückwirkender Kraft; er sei zu gut für diese Welt, pflegte er gern und oft zu behaupten. Als er einst einem Jagdhunde mutwillig auf die Zehen trat und ich meinte, das stimmte nicht recht mit seiner Behauptung, kriegte ich sofort eine Ohrfeige. Unsere Freundschaft auch. Doch die Erschütterung währte nicht lange. Er ist mir immer ein lieber und drolliger Mensch geblieben. Er war ein geschmackvoller Blumenzüchter, ein starker Schnupfer und hat sich dreimal vermählt.

Bei ihm fand ich einen dicken Notenband, der durchgeklimpert, und freireligiöse Schriften jener Zeit, die begierig verschlungen wurden.“

 


 


1851

 

Zitate von Georg Weigelt

 

bei den nachfolgenden Zitaten des Predigers Georg Weigelt der Hamburger freien Religionsgemeinde (siehe Malwida v. Meysenbug) handelt es sich um solche, die vom geistlichen Ministerium Hamburgs zusammengestellt und dem damaligen Senat der Stadt zum Zwecke der Denunziation und Diskreditierung übergeben wurden. Sie sind im Hamburger Staatsarchiv erhalten, weil der Senat der Hansestadt Hamburg diese wiederum der Hamburger Gemeinde zur Stellungnahme am 9. September 1851 zustellte. Diese Niederschriften führten dann 1853 zum Verbot der Gemeinde.

 

1851

Abdruck aus

 „Der Freireligiöse“ 1961,

Heft 6

 

Die hiesige Deutsch-Katholische Gemeinde nach den Vorträgen ihres Predigers Weigelt.

 

Sie hat sich vom Leipziger Bekenntnis los gesagt

„Kaum entstanden, scheint es (das Bekenntnis, ich glaube an Jesum Christus unsern Heiland) bald wieder vergessen. Dies Bekenntnis, „ich glaube an Jesum Christum, unsern Heiland“ wird nimmermehr der zukünftigen Kirche zum Grunde dienen können.“

 „Wenn wir an die Stelle des apostolischen Glaubensbekenntnisses: „ich glaube an Jesum Christum, Gottes einigen Sohn“, ein anderes setzen müssten, es könnte nur lauten: „ich glaube an die Menschheit, Gottes einige Offenbarung“.“

Sie hat sich vom Christentum überhaupt losgesagt.

„Unnötig zu erklären, wie sehr wir durch die letzten beiden Predigten dem eigentlichen Wesen des Christentums das Wesen der zukünftigen Religion und Kirche als ein anderes, getrenntes, gegenüberstellen.“

 „Wir sind gezwungen, mit dem alten Christentum, das die Erlösung aus der Sünde und allem geistigen Elend in einem anderen als in des Menschen Wesen sucht, zu brechen.“

 „Es ist kein willkürliches Belieben, dass wir eben hier auf klare Entscheidung dringen zwischen biblischem Christentum und der freien Religion der Menschlichkeit.“

Bei Erwähnung des Umstandes, dass die Gemeinde sich nicht mehr eine freie christliche nennen darf:

„Hiermit ist uns im Grunde nur ein Dienst geschehen, denn seit wir klar erkannten, dass wohl ein verschieden gestaltetes, aber der Natur der Sache nach kein freies Christentum ist, kann es uns nur erwünscht sein, dass wir im Namen und auch von einer Unwahrheit frei geworden sind, wie wir das mehr und mehr in unserer Überzeugung wurden. Eine Gemeinde der deutschen allgemeinen Kirche uns zu nennen, ist jedenfalls ehrenvoller für uns, als mit einem Christentum zu prunken, das, weil es frei und wenn es wahrhaft frei, eben darum auch kein Christentum mehr ist.“

 

 

 

Sie verwirft auch die Wahrheiten, die bisher die Grundlagen nicht nur der christlichen, sondern aller Religionen gebildet haben.

 

1. Es gibt keinen persönlichen, außerweltlichen Gott.

„Es ist von solchen, die das biblische Christentum nicht über alles setzen, sondern in seiner offenbarten Weltanschauung die Irrtümer eingestehen, die Betrachtung des Weltalls vielfach angewandt, um zum Wenigsten zum Glauben an einen Gott zu kommen, wie ihn die Schrift lehrt. Dass er mit sorgendem, alles überschauendem Bewusstsein das Größte wie das Kleinste in sich hegt, ist jenes offenbarten Gottes Wesen...

Allem, was wir geistiges Bewusstsein, Sorgen und Durchschauen nennen, ist eine Grenze wesentlich und notwendig. Nur das Abgeschlossene und Begrenzte ist Gegenstand des bewussten Erkennens, und denken wir uns unser so wenig umfassendes menschliches Bewusstsein zum göttlichen erweitert, soll es in Wahrheit Bewusstsein sein und heißen, dem menschlichen ähnlich, zum wenigsten (in seiner Art), so muss auch sein Gegenstand, das ist die Welt, ein Ende, eine Schranke haben nach außen, wie nach innen ... Muss aber jeder Versuch, die Welt zu messen darum scheitern, weil eine Grenze nirgends ist, so ist für diese Welt der Gott zu klein und endlich, von welchem sich der Glaube nach Art des menschlichen Geistes ein Bild gemacht.

Sehet nun, wiederum nicht in unserer willkürlichen Vernunft, sondern in der unendlichen Welt liegen die letzten Gründe, weshalb ich so oft darauf gedrungen, auch das letzte, was uns vom biblischen Christentum übrig war, auch den Gottesglauben neu zu gestalten. Anstatt darüber zu staunen, was doch das göttliche Bewusstsein zu umfassen vermöge, müssen wir bekennen: in unsere Welt gehört ein anderer Gott, als der in so menschlicher Weise sieht und sorgt, erkennt und das Erkannte umfasst.  So  lieb uns  jenes Bild  geworden sei, das wir aus unserer Väter


 

Zeit von ihm überkommen haben, für dieses Bild war nicht ihre, aber unsere Welt ist für dieses Bild zu groß. Man sagt von uns deshalb, dass wir Gott selber leugnen. Die Wahrheit ist, wir suchen für die unendliche Welt einen in Wahrheit unendlichen Gott, und können, wenn wir seinen Namen nennen, die jedem Bewusstsein notwendige Schranke nicht ertragen.

Je mehr die Erkenntnis der Welt das Gemeingut der Menschen werden wird, um desto mehr wird sie auch die letzten Gründe des Geschehens in der Welt selber suchen und finden lernen. Was aber bleibt dann einem sie beherrschenden Gott, wie ihn der Glaube fordert, zu walten übrig, wenn sie die Bedingungen alles ihres Lebens in ihren Stoffen hegt? Einst bedurfte der Mensch für jeden himmlischen Körper, um ihn auf und nieder zu führen, besondere Götter. Sie alle sind aus ihrer Höhe gestürzt. Sie haben dem Einen und Einzigen weichen müssen, dem, dem das gläubige Gemüt ihre Taten alle miteinander in die allmächtige Hand gegeben hat.

Da wüsste man noch, weshalb man an ihn glaubte. Aber droht ihm nun nicht das gleiche Schicksal, das die alten Götter traf? Wird sein Glaube mächtig genug sein gegen die erkannte, im Weltall wirkende und von diesem selber nicht getrennte Macht?

Schon fordert die fortschreitende Natur eines seiner Werke nach dem anderen zurück von ihm, um es der Welt und ihren Stoffen zu übergeben. Und wenn endlich nichts mehr ist, das wir nicht aus natürlichen Ursachen herzuleiten vermöchten, sinkt dann nicht er selbst, der Einzige, auch in die Nacht, wie die Gottheiten, die er von ihren Thronen und Altären stürzte?“

 

„Der Gott, dem die freie Kirche dient, den sie durch Dienst und Pflege zum Dasein rufen will, hat in den Menschen selber seine Stätte, es ist der Mensch fortan Tempel und Altar.“

 

 

2. Es gibt keine göttliche Vorsehung, die Menschheit hat das Amt

    derselben zu verwalten.

„Das alte Bild des offenbarten Gottes, sein persönliches Wesen, ja seine vorsehende Weltregierung mag der Vernunft zum Opfer fallen.“

 

„Die Menschheit ist bestimmt, das heilige Amt der Vorsehung frei und in sittlicher Tat zu verwalten, damit der alte Glaube zum bewussten Leben werde. An der Vorsehung auch in der Menschheit zweifeln wir nicht, nur an der alten Art derselben zweifeln wir, so lange zweifeln wir nicht an ihr, solange wir an den allmächtigen Zug des Menschen zum Menschen glauben, und an die wirkliche Einheit der Geister.“


 

„Wie die Natur unfrei und bewusstlos, so ist die Menschheit ihrem Wesen nach frei und sittlich die Wahrheit und Wirklichkeit der Vorsehung Gottes auf Erden, soweit diese waltende Liebe ist.“

 

„Uns zwingt sowohl das Verständnis der Natur wie des menschlichen Geistes die außerweltliche Vorsehung aufzugeben.“

 

„Da nun die Macht der richtenden Vorsehung, wie sie fest geglaubt wird, für uns ihr jenseitiges Dasein verloren hat, so sollen wir sie, damit uns das Leben nicht trost- und sinnlos werde, wo sollen wir sie im Diesseits finden?“

 

„Es wird uns nicht schwerer werden, die ganze und vollkommene Kundtuung ihrer im Diesseits auch zu finden. Die Welt, in der sie als Gerechtigkeit, als Lohn und Strafe, als ein untrügliches Gericht sich erweist, liegt nicht über jenem Blau, wo die Wolken ziehen und die Sterne auf- und niedergehen, sie liegt in unserem eigenen Innern, diese Welt, nennen wir sie Herz, Gemüt oder Seele, eine richtende Vorsehung trägt und umschließt jedes Menschenherz.“

 

 

3. Es gibt keine Erlösung, wie das Christentum sie lehrt. Die Menschheit muss sich selbst erlösen.

„In seinem eigenen freien Geistesleben, seinem Erglühen für Menschenrecht und Wahrheit, in seinem Glauben an den eigenen göttlichen Gehalt soll das Volk selbst den Erlöser ins Leben rufen.“

 

„In seiner vollen Wahrheit erkennen wir das Bedürfnis der Erlösung für jeden Menschen an, wie das alte Christentum dasselbe fühlte; und so ist nur die Wahl geblieben, entweder in dem Leiden und Sterben des Gottessohnes oder in des Menschen Wesen, sofern wir dasselbe zur wirkenden Macht in uns werden lassen, die Erlösung von der Sünde und mit ihr die Vergebung zu finden.

Wir können nur zurück zum Glauben an die durch und durch verderbte und verdammte Natur des Menschen, als zur Grundbedingung aller Religion, um in solcher Wegwerfung und Vernichtung unseres Selbst vom Kreuz auf Golgatha tatenlos leidend alles zu empfangen oder vorwärts zum Glauben an die erlösende und Sünden tilgende Kraft des menschlichen Wesens, das in seinem Ursprung wie in seiner Macht vom Wesen Gottes nicht verschieden ist, vorwärts zur Erlösung und Versöhnung als unserer eigenen, unserer wahrhaft menschlichen, wie einzig wirklichen Tat.“

 


 

4. Es gibt keine persönliche Fortdauer und kein Gericht nach dem Tode

„Ist die Seele eine Offenbarung des einen ewigen Lebens in irdischer, bestimmter Art und Gestalt, müsste sie sich, um so zu sagen, herausbilden aus dem Allgemeinen, so ist ihr Sterben ein Zurückkehren und Hineinbilden in das, woher sie kam, es ist ein Wiederhingeben alles dessen, mit dem sie ihr leibliches wie geistiges Selbst erbaute.“

 

„Wahr und sinnig hat man den Tod eine Rückkehr zu Gott genannt.

Siehe, wie Du nun Deinen Gott Dir denkst, so musst Du auch Dein Sterben denken, ist er Dir neben zahllosen Geistern einer, den Du zu der Summe aller hinzuzählen kannst, so magst Du es für Seligkeit halten, das was Du Dein Leben, Dein Bewusstsein nennst, in aller Ewigkeit  neben dem seinen auch zu bewahren. Ist er aber nicht neben allem, so ist er vielmehr in Allem, das wahre Wesen allen Lebens, lebt im letzten Grunde nur er, so ist es Seligkeit, sich ganz ihm hinzugeben.“

 

„Das Verzichten auf eine Zukunft der Seele, in welcher der ganze Inhalt dieses irdischen Lebens, in welcher das durch diese Welt bedingte Leben, Wollen und Erkennen unverlierbar bewahrt und aufgehoben bleibt, eben dieses Verzichten auf ein Unwesentliches müssen wir doch wohl zugleich als das Ziel der Religion betrachten, deren Herrschaft wir hoffen und vorbereiten.“

 

„Nicht der Himmel, zu einem jenseitigen Reiche ausgemalt, auch nicht das Evangelium darf der Mittelpunkt und einziger Inhalt im Gottesdienst dieser Kirche bilden - denn ist jenes unwahr und unwirklich, so ist dieses zu arm, - sondern die Welt im weitesten Umfang des Wortes.“

 

„Dass um seiner selbst willen das Gute getan sein will, ist der Fundamentalsatz jeder Sittenlehre; und da wir Ernst mit diesem machen, da wir vom Menschen fordern, auf den Himmel zu verzichten, und keine Hölle zu fürchten, als die er in sich trägt, so sind wir es, die endlich erst der Sittlichkeit den sicheren Grund bereiten.“

 

„Die Welt des Guten und des Bösen, Christi und des Teufels umschließt allein die Menschenseele, und so gewiss die Kirche der Zukunft einen anderen Himmel und eine andere Hölle nicht lehren wird, so gewiss (hat auch die Taufe als sühnendes Sakrament ihre Zeit des Lebens hinter sich).“

 

Handschrift des Herrn Archi. Diac. Plath zu St. Michaelis, gest. 1852

 

1851

 



[1] Ap. Gesch. 3, 13-15. 

[2] Ap. Gesch. 3 , 17-19

[3] Hebr. 1,3. 

[4] Kol. 2,9.

[5] Kol. 2,10.

[6] Hebr. 1,2., Joh. 1,3.

[7] Phil. 2, 6-8

[8] Joh. 1,1. 14

[9]  I. Joh. 2, 22-23

[10] I. Joh. 5,10.

[11] Joh. 3,18

[12] Gal. 2, 20

[13] I. Petr. 2, 24

[14] Offenb. Joh. 3, 17

[15] Matth. 24, 35

[16] Matth. 28, 20

[17] Joh. 14, 16. 17. 26. Id. 16, 13

[18] Matth. 28, 20

[19] Matth. 16, 18

[20] I. Timoth. 3, 15

[21] Marc. 16, 16

[22] Matth. 28, 19

[23] Timoth. 2, 4.

[24] Gal. 6, 7

[25] Hebr. 9, 27

[26] Matth. 25, 34

[27] Matth. 25, 41

[28] Eccles. 1, 16

[29] Luk. 9, 25

[30] Matth. 24, 21 - 45

[31] Mark. 13, 6

[32] II Thess. 2,3.4

[33] II. Tim. 3,1 - 5

[34] II. Petr. 2,1. 2.

[35] II. Petr. 2, 1.2.

[36] II. Petr. 2, 1.13.14

[37] I. Kön. 2, 17 etc. 3, 13.14.

[38] II. Tim. 3,5.

[39] Joh.12, 36

[40] Joh. 12, 39.40.

[41]  Carl Wallau, Gründer einer Druckerei, Mitglied der Deutschkatholischen Gemeinde Mainz, später Oberbürgermeister der Stadt Mainz