Freireligiöses Quellenbuch 1.

 

1850

Lisbeth und Katherine

oder belehrende Weibergespräche

über religiöse Freiheit

In der Mundart des Volkes im Binger Kreis, im unteren Rheingau, in der ganzen Pfalz und der Nahegegend

Verlag August Stritt,

Frankfurt am Main

 

Diese sehr frühe deutschkatholische Publikation ist der gelungene Versuch, weite kleinbürgerliche und bürgerliche Bevölkerungskreise mit den Anschauungen und dem Wesen des Deutschkatholizismus vertraut zu machen.

Es ist anzunehmen, dass es sich bei der Schrift um eine Reaktion auf die seitens der Amtskirche getätigten Kommentare gegen den Deutschkatholizismus handelt. Der Verfasser bleibt anonym, wahrscheinlich, weil er bei offenem Eintreten für den Deutschkatholizismus mit Repressalien rechnen musste.

Der Erfolg dieser frühen deutschkatholischen Werbeschrift beruhte auf zwei Faktoren. Das ist einmal ihr betont regionaler Charakter. Die beiden Frauen sprechen konkret von den Gottesdiensten in der deutschkatholischen Gemeinde Rüdesheim. Zweitens ist die Sprache, in der das geschieht, nicht Hochdeutsch, sondern Dialekt. Da im Dialekt bestimmte intellektuelle Sachverhalte nur schwer oder gar nicht dargestellt werden können, konnten die Leser seinerzeit sicher sein, wirklich „handfeste“ Dinge über den Deutschkatholizismus erfahren zu können.

Allerdings erweist sich das, was damals den Erfolg der Publikation ausmachte, heute als hinderlich. Der Dialekt zwischen Rheingau, Bingen, Nahe bis in die Pfalz hinein hat sich verändert. Die damalige Mundart ist nur noch schwer verständlich. Obwohl ich selbst zu dem Kreis gehöre, der in der Familie und mit hiesigen Freunden und Bekannten Dialekt spricht, habe ich gemerkt, wie schwer mir die Entzifferung des Textes gefallen ist. Ich gehe davon aus, dass es anderen genauso schwer fallen wird. Deshalb habe ich mich entschlossen, den Text ins  Hochdeutsche zu übertragen, auch wenn das meinem innersten Empfinden zutiefst widerspricht. Andererseits halte ich den Inhalt dieser Publikation für zu wichtig als ihn nur aus diesem Grunde weiter der Vergessenheit preiszugeben.

                                                                         Lothar Geis


 

Vorwort

Immer trüber und immer trauriger gestalten sich unsere deutschen Zustände. Das Pfaffen- und das Fürstentum erhebt wieder gewaltig das Haupt, und sie stützen sich auf ihre vermeintliche Macht und auf die Unwissenheit und den Aberglauben des armen geknechteten Volkes. Diese Macht zu brechen, ist unsere Aufgabe; es ist unsere heilige Pflicht, es ist die Aufgabe der Demokratie.

Ja, deutsche Brüder, das Schwert müssen wir ziehen, das Schwert des Geistes! Es schlägt nieder die Willkür, es schlägt nieder die Gewalt. Verstummen werden die Kanonen, und sich strecken werden die Bajonette, wenn wir das Schwert mit Geschick und Ausdauer zu führen wissen. Hinaus müssen wir auf das Feld des religiösen Gebietes. – Nur dort allein werden und müssen wir den Sieg erringen.

Ablegen müssen wir aber vor allem den heillosen Indifferentismus, die so genannte Gleichgültigkeit, welche namenloses Unglück über unser armes deutsches Vaterland gebracht hat. Mit Achselzuckereien ist noch nie etwas getan, noch ausgeführt worden. Zur Tat müssen wir schreiten, wenn wir über Willkür und Gewalt den Sieg davontragen wollen.

Auch Du, Atheist, schließe Dich der guten Sache an, wenn Du Anteil für Dich und Deine Kinder an dem Sieg der Freiheit haben willst!

Auch Du, Strenggläubiger, der Du noch an den alten verrosteten Formen hängst, wisse, dass Christus alle toten Formen über den Haufen warf und an deren Stelle die Wahrheit und die Menschenliebe setzte! Erfasse den ewigen Geist, reiche uns Deine Bruderhand zur Versöhnung und ziehe mit uns zur Vereinigung der ganzen Menschheit in das Feld des freien religiösen Gebietes und hilf mit kämpfen für Freiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit!

Vor Jahren schon hat ein dem Greisenalter nahe stehender Bürger aus dem Gewerbestand dieses Feld betreten, um zu kämpfen für Volks- und Schulbildung, und für die ewig unveräußerlichen Menschenrechte. Und wenn ihm auch manchmal eine Wunde geschlagen wurde, so hat er dennoch nicht das Feld geräumt und nimmt immer wieder den Kampf von neuem auf. Deshalb wagt er auch jetzt ein Heftchen dem Druck zu übergeben in der gewöhnlichen Mundart und Ausdrucksweise des Volkes, unter dem er lebt. Es hat den Zweck, unsere Mitbrüder und Schwestern, denen gelehrte Schriften über das hier Besprochene nicht zugänglich sind, religiös aufzuklären und sie für die Freiheit und den Bruderbund aller Menschen empfänglich zu machen.

 

Am Rhein, im September 1850

 

Der Verfasser


 

Erstes Gespräch

Katherine : Na, Lisbeth, du warst ja einmal mit deinem Mann am Sonntag in Rüdesheim; erzähle mir doch etwas davon.

Lisbeth : Ach, Katherine, wärst du nur dabei gewesen. Ich habe tausendmal an dich gedacht. Du würdest gewiss nie mehr über die Deutschkatholiken schimpfen.

Kath. : Ei, du hast doch auch als geschimpft und dich mit deinem Mann oft gezankt.

Lisb.: Freilich hab´ ich das; wenn man aber nichts weiß und von anderen aufgestachelt wird, dann schimpft man „so der Spur nach“. Es tut mir aber jetzt herzlich Leid, das ich das getan und deswegen oft Verdruss gehabt habe mit meinem Mann. Mein Glück war, dass mein Mann so eine gute Natur hat und nicht gleich so bös sein kann wie andere Männer. Schau, Lisbethchen, hat mein Mann zu mir gesagt, wenn ich recht geschimpft und ihm Vorwürfe gemacht habe, dass er von seinem Glauben abgefallen wäre, „tue ich etwas Unrechtes?“ Was wirfst du mir denn vor? Ich bin ja gar nicht von meinem Glauben abgefallen, ich glaube ja alles, was Christus gelehrt hat und was göttlich und vernünftig ist. Nur glaube ich keine Lügen, die uns von den Pfaffen „aufgebunden“ worden sind. Du weißt, Lisbetchen, dass ich Lügen nicht ausstehen kann, denn wer sich das Lügen angewöhnt, ist gewiss kein guter Mensch. Wenn man aber gezwungen werden soll, Lügen zu glauben, das ist noch schändlicher, weil es eine Gotteslästerung ist, denn die Wahrheit muss doch Gott wohlgefälliger sein als die Lüge.

Schau mal. Wie oft hätte ich dir wegen deiner vielen Kirchenbesuche böse sein können. Morgens um 5 Uhr stehst du auf und gehst in die Frühmesse, und bleibst dann so lange weg, dass man zehn Messen hätte hören können. Und was tut ihr? Ihr steht miteinander auf der Straße und klatscht über die Leute. Das ist eure ganze Andacht; und ich armer Teufel sitze Zuhause wie auf „heißen Kohlen“ bei den Kindern, die währenddessen wach geworden sind. Dem einen muss ich dann den Schnuller in den Mund stecken, das andere muss ich im Arm wiegen, damit sie nur ein wenig still bleiben, und währenddessen hätte ich recht gut meiner Arbeit nachgehen und Geld verdienen können.

Sag einmal, Lisbethchen, hat er zu mir gesagt, sag einmal ganz aufrichtig, ob das nicht wahr ist? Von den Kirchenbesuchen allein kann man nicht leben; wir müssen Gott danken für unsere Gesundheit, damit wir das verdienen können, was wir brauchen, und danken kann man dem lieben Gott ja überall.

Wie ich das gehört habe, bin ich in mich gegangen und bin jetzt mäuschenstill und lass ihn gewähren. Das muss ich dir aber auch sagen, Katherine, dass mein Mann ganz anders geworden ist, seit er nach Rüdesheim geht. Er geht nicht mehr so oft ins Wirtshaus wie sonst und statt drei Schoppen trinkt er höchstens nur noch einen. Und wenn er sonntags in Rüdesheim war, trinkt er gar keinen oder nur einen halben, weil er damit das Fahrgeld einspart. Denk einmal, was er an meinem Namenstag getan hat!

Kat. : So, was denn?

Lisb. : Komm mal her, Lisbethchen, hat er mich gerufen und an sein Pult geführt. Schau mal, was man nur allein durch weniger Schoppentrinken sparen kann, und zieht die Schublade auf und zahlt mir 8 fl. und 36 kr. aus. Das habe ich für dich gespart, weil ich gesehen habe, dass du für den Winter ganz notwendig ein warmes Kleid brauchst. Das schenke ich dir jetzt zu deinem Namenstag! Was meinst du, Katherine, wie ich da geschaut und was für eine Freude ich gehabt habe? Vor lauter Freude habe ich ihm einen dicken Kuss gegeben und davor hat er mich schon herzhaft geküsst.

Kath.: Da hast du auch ganz Recht gehabt, dass du deinen Mann gewähren lässt. Ich würde Gott danken, wenn meiner so wäre. Bei uns ist es gerade umgekehrt. Mein Mann geht Tag für Tag in die Frühmesse und bleibt so lange weg, dass er währenddessen ein Dutzend Messen hätte hören können, und wenn er heimkommt, dann riecht er, als hätte er in einem Tresterfass gesteckt, und ist dann obendrein streitsüchtig und grob. Wenn ich ihm seinen Kaffee aufgehoben habe und er ihm nicht mehr so gut schmeckt wie ein frisch gekochter, dann schüttet er ihn mir vor die Füße und schreit: Da, sauf du deine Plörre! Und dann darf ich kein Wörtchen dazu sagen, und ich muss mäuschenstill sein.

Lisb.: Denk mal, ich habe immer geglaubt, er wäre so ordentlich und brav gewesen, als er dich geheiratet hat?

Kath.: Ja, am Anfang war er ganz ordentlich und brav, da war ich das Katherinchen vorne und hinten. Es hat aber gar nicht lange gedauert, da hat er mich nur noch Katherine gerufen, und jetzt ruft er mich nicht anders als „Hörst du!“ – und auch gelegentlich: „Du Himmels-Sakrament-As!“ Den solltest du einmal schimpfen hören auf die Deutschkatholiken. Die Erde fängt an zu zittern, wenn der anfängt. Die Spitzbuben, die schlechten Kerle, die keine Religion haben und von ihrem Glauben abfallen, vergiften, hängen, verbrennen und aufs Rad schlagen soll man sie! Ganz rasend wird er, wenn er von denen anfängt. Aber fromm ist er, recht fromm, das muss man schon sagen. Wenn die Glocken läuten, ist er in der Kirche, und wenn es sonntags zur Kirche läutet, dann fragt er mich gleich: Rufen die Glocken? Dann sage ich immer: ja, damit ich ihn ein bisschen früher „vom Hals kriege“. Dann läuft er so schnell er kann, damit er die Sache nicht versäumt. Dann kommt er aber nicht vor 12 Uhr nach Hause, und dann bringt er aber ordentlich was [Rausch] mit.


 

Das Beste ist, dass er sich gleich nach dem Essen zum Schlafen legt, dann habe ich doch ein bisschen Ruhe. Punkt 3 Uhr wird er aber wieder wach und geht in seine Predigt, um dabei ganz auszuschlafen. Danach bleibt er aber munter, ohne zum Nachtessen heim zu kommen, bis 11, 12 Uhr, manchmal sogar wird es 1 Uhr, bis er heim kommt. Wenn ich ihn dann holpernd und polternd kommen höre, dann muss ich gleich in meinem Bett Platz machen, und muss fast in die Wand hinein kriechen, denn er lässt sich mitsamt seiner Kleidung ins Bett plumpsen. Sein Nachtgebet vergisst er aber nicht, und wenn er noch so volltrunken ist. Wenn er damit anfängt, schlägt er übermäßig weit ausholend das Kreuz; das ist aber lang nicht so groß wie das, was ich mit ihm zu tragen habe.

Am nächsten Tag habe ich aber noch darunter zu leiden. Dann kommen die Leute zu mir und sagen: Herr Jesus, was hat dein Mann wieder alles angestellt, er kommt vors Polizeigericht! Dann erschrecke ich zu Tode, und habe dann nichts weiter zu tun, als herumzulaufen und die Leute zu bitten, dass sie ihn nicht anklagen, was sie mir zuliebe auch tun, denn er bringt das nicht fertig. Wenn er nüchtern ist, kann er keine Katze hinterm Ofenloch herauslocken. Schimpfen, schimpfen, das ist alles, was er kann.

Aber Lisbeth, wir sind so ganz von unserem Gespräch abgekommen. Ich habe dich fragen wollen, wie dir´s in Rüdesheim gefallen hat?

Lisb.: Ja, Katherine, das wollen wir auf ein anderes Mal aufsparen, da kann ich dir vielleicht noch mehr erzählen, denn am Sonntag ist wieder Kirche in Rüdesheim bei den Deutschkatholiken; wenn es mir wieder möglich ist, dann gehe ich mit meinem Mann hinüber. Heute haben wir ein bisschen zu lange geplauscht, und ich will doch meinen Mann, der so brav ist, nicht entzürnen.

Kath.: Na dann bis nächste Woche!

Lisb.: Es bleibt dabei!

 

 

Zweites Gespräch

Kath.: Na, Lisbeth, warst du am Sonntag mit Deinem Mann in Rüdesheim?

Lisb.: Nein, ich konnte nicht, meine Kinder waren krank, da habe ich bleiben müssen, so gerne ich mitgegangen wäre; mein Mann aber war drüben und hat mir wunderbares von der Predigt erzählt.

Kath.: Sag mir doch erst einmal, wie es dir gefallen hat, als du drüben warst.

Lisb.:  Das  will  ich  dir  sagen.  Ich  bin  mit meinem Mann zuerst nach Kempten gegangen und von da erst sind wir über den Rhein gefahren, damit die Leute nichts merken und nicht darüber reden. Unterwegs hat mein Mann zu mir gesagt: Lisbetche! Sieh, du musst dir nicht einbilden, dass du in eine ordentliche Kirche hinein kommst, wo viele Lichter brennen und Heiligenbilder stehen; auch siehst du den Geistlichen nicht mit aufgeputzten, mit goldenen und silbernen Bordüren und mit daran hängenden goldenen Quasten verzierten Kleidern.

Du kommst in eine ganz einfache große Stube mit einem Altar, auf dem ein Kruzifix steht und ein paar Leuchter mit Kerzen und dann die Kanzel.

Wenn du hinein kommst, brauchst du kein Kreuz zuschlagen, denn das haben wir genug. Auch werden wir nicht mit Weihwasser bespritzt, weil wir ohnehin „nass bis an den Hals sind“. Auch wird kein Weihrauch gemacht, denn wir sind „angeraucht genug“. Du hörst auch kein Geklingel oder Geschelle, um auf die Brust zu klopfen; ohne Geschelle wird dir doch das Herz von selbst klopfen, wenn der Geistliche die kraftvollen Gebete betet und auf der Kanzel so liebevolle Worte zu der ganzen Menschheit spricht, und wie der liebe Gott so viele Millionen Menschen auf der Welt geschaffen hat, nicht dass der eine katholisch, der andere lutherisch, die übrigen Juden, Heiden und Türken sein sollen; nein, sie sollen Menschen sein und sich brüderlich einander lieben und sich helfen mit Rat und Tat; und wer seinen Mitmenschen liebt, der kann auch nicht böse sein, er kann nicht lügen und betrügen, er kann ihn nicht hassen und verfolgen und ihn um sein Vermögen bringen.

Du wirst nichts hören, Lisbethchen, hat mein Mann zu mir gesagt, von Hölle und Fegefeuer; das wäre die Schatzkammer der Pfaffen gewesen – Hölle und Fegefeuer hätten wir auf der Welt genug! Auch die Erbsünde wäre erfunden, das wirst du hören, der liebe Gott sei allgütig und barmherzig, der würde keine Sünde fortbestehen lassen. Du hörst auch nichts von Heiligen, weil kein Mensch heilig sein kann, denn nur einer wäre heilig, das wäre der liebe Gott.

Wie wir so im Gespräch vertieft nach Rüdesheim gekommen sind, habe ich es genauso vorgefunden wie mein Mann es mir geschildert hatte. Die Stube war ganz voll, auch die Nebenzimmer, mit lauter schönen und vornehmen Leuten. Wie ich das gesehen habe, da habe ich mir gedacht: Es muss doch gut und schön sein, denn die vornehmen Leute wissen doch mehr als unsereiner. Auf einmal hat die Kirche begonnen und ein hübscher junger Mann hat mir ein Gesangbuch in die Hand gegeben.

Der Geistliche war ein schwarzhaariger schöner Mann, er trug einen langen schwarzen Rock und hat sich an den Altar gestellt. Die Gebete, die der Mann aber gebetet hat, die, Katherine, hättest du einmal hören sollen! Solche hast du gewiss noch keine gehört, die gehen einem durch  Mark und Bein, ohne Tränen in den Augen kann man die nicht hören,

und der liebe Gott hört sie ganz gewiss! Aber die Predigt erst, nein, solch eine Predigt habe ich mein Lebtag noch nicht gehört. Einen ganzen Tag könnte ich da zuhören, ohne müde zu werden. Alles, was er gepredigt hat, war nichts als lauter Menschenliebe, und er hat uns als Muster der Liebe Jesus Christus dargestellt und durch viele Beispiele bewiesen, wie der alle Menschen geliebt hat, und keine Unterschiede in der Religion kannte. Zum Beispiel vom barmherzigen Samariter, Jesus am Jakobsbrunnen, Jesus im Tempel zu Jerusalem, wie es ihn so tief schmerzte, dass die Heiden im Vorhof noch nicht einmal ein Platz gefunden hatten, Gott in Ruhe anbeten zu können, wegen der vielen Käufer und Verkäufer, bis er sie aus dem Tempel heraus jagte und noch viele andere schöne Beispiele.

Christus hat nicht gesagt, die oder jene Religion ist die beste, das ist die allein Seligmachende; nein, an den Früchten wird man euch erkennen, dass ihr meine Jünger seid! Was auch der Apostel Paulus gesagt hat: Sage mir einmal einen Glauben ohne Werke, dann sage ich dir den Glauben durch die Werke.  Und Christus hat weiter gesagt: Was du nicht willst , dass dir geschehe, das tu auch keinem anderen, und was du gerne getan hättest, das tue auch anderen, in diesen Worten bestünde die ganze Religion, und das glaube ich auch.

Wie die Kirche aus war, ist gerade der Pfarrer an mir vorbei gegangen, und wenn mich nicht geschämt hätte, so hätte ich ihm um den Hals fallen und ihn küssen mögen. Jetzt, Katherine, bin ich so gut deutschkatholisch wie mein Mann. Auf dem Rückweg hat mein Mann immer gesagt: Denk einmal, Lisbethchen, der Apostel Paulus war ein Jude, der die Christen aus Fanatismus ganz gewaltig verfolgt hat. Er war aber auch ein gescheiter Mann. Als er sah, dass die Christen gute Menschen waren, hat er darüber nachgedacht und gefunden, dass er auf dem Irrweg war und hat sich herum gewendet und wurde der beste Christ der Welt, und er ist der eifrigste Beförderer des Christentums geworden. Wenn aber jetzt [sich] so ein Paulus oder ein geistlicher Herr herum wendet zum reinen Christentum ohne Menschensatzungen, dann schreien die Pfaffen Mordio und machen den Menschen weis: Das war ein schlechter Pfaff, wir sind froh, dass wir ihn entdeckt haben; so muss sich die heilige Mutterkirche reinigen! Wenn sie sich aber so weiter reinigt, dann stehen sie bald da wie die Sonne bei einer totalen Verfinsterung.

Wenn man aber sagt: Warum hat aber der Mann 2000 oder 3000 fl. Einkommen vertauscht gegen 700, dann sagen sie wieder: Der hat ein unzüchtiges Leben geführt, dem steckte das Heiraten in der Nase! Darüber möchte man sich mausetot lachen. Ja, ja, ja! Fasst euch doch an eure eigene Nase und denkt an den Apostel Paulus, wie er in seinem Brief an die Korinther schreibt: Ein Bischof soll sein eines Weibes Mann und soll gehorsame Kinder haben, damit der als guter Haus-vater anderen mit gutem Beispiel vorangehen soll! Meinen guten Apostel Paulus aber haben die Pfaffen ganz fallen gelassen, weil er “ihre Liedchen nicht singt“ und sogar von den Festtagen nichts wissen will, weil er gesagt hat: „Nicht, was in den Mund hineingeht, verunreinigt den Menschen, sondern, das, was aus ihm herausgeht!“ Auch hat der Apostel Paulus genau so wie Christus gesagt: „Niemand ist heilig, als der Vater im Himmel!“             Jetzt sag mir mal, Katherine, haben wir nicht schon oft eine ganze Litanei von Heiligen anrufen müssen, die für uns bitten sollten? Wenn die zuhören und sehen würden, dann hätten wir Millionen von Göttern, und wir sollen doch nur an einen Gott glauben, der nur allein alles hört und sieht. – So, Katherine, hat mein Mann mich belehrt, und weißt du auch mit was?

Kath.: Mit was denn? Das möchte ich doch hören.

Lisb.: Im Neuen Testament hat er alles nachgeschlagen, da steht es so haargenau drin, wie er es gesagt hat. Du musst auch noch eins haben, denn wir Mädchen haben ja das Neue Testament in der Schule haben müssen. Der Herr Kaplan Riffel, jetzt Doktor und Professor, hat das eingeführt. Ob aber die Kinder es jetzt noch im Unterricht benötigen, das weiß ich nicht. Ich habe gehört, nein! Das Buch würde sich nicht mehr für die Kinder eignen, weil sie so viel nachgrübeln würden, und sie sollen doch nicht aufgeklärt werden, weil die Aufklärung den Pfaffen nicht gefällt.

Kath.: Warum aber sollen die Kinder nicht aufgeklärt werden?

Lisb.: Weil die Pfaffen besser über die Dummheit herrschen können als über die Aufklärung.

Kath.: Ach so, jetzt versteh ich es bald, zum Beispiel über solche Leute wie meinen Mann, der nichts wie schimpfen kann über die Deutschkatholiken und den Pfaffen „die Stange hält“.

Lisb.: Dein Mann wird auch noch anders. Gebe ihm nur ein paar gute Worte und sage ihm, dass der liebe Gott doch gewiss keine Freude am Schimpfen und Fluchen haben könnte, und gebe ihm das Neue Testament zu lesen. Ich habe schon mehrere solcher Männer kennen gelernt, die so grausam über die Deutschkatholiken geschimpft haben. Später haben sie sich darüber selbst geärgert und haben es von da an mit den Deutschkatholiken gehalten.

Kath.: Na, das will ich mal probieren, und wenn das Gottes Wille wäre, dass mein Mann besser wird, dann will ich so froh darüber sein wie ein Engel. Aber jetzt, Lisbeth, möchte ich dich noch allerlei fragen.

Lisb.: Na, was denn Katherine?

Kath.: Glauben denn auch die Deutschkatholiken an die Erbsünde?

Lisb.: Nein, daran glauben sie nicht!


 

Kath.: Warum denn nicht?

Lisb.: Weil die Erbsünde mit der Allwissenheit, der Allgütigkeit und Barmherzigkeit Gottes im Widerspruch steht.

Kath.: Wieso?

Lisb.: Weil der liebe Gott allwissend ist und im Voraus hätte wissen müssen, dass die ersten Menschen von der verbotenen Frucht doch essen würden, hätte er es ihnen nicht verbieten dürfen.

Kath.: Warum hätte der liebe Gott es ihnen nicht verbieten dürfen?

Lisb.: Weil er es durch seine Allwissenheit im Voraus gewusst hat, dass die ersten Menschen die Frucht doch essen. Ich will dir´s jetzt ganz klar machen. Zum Beispiel: du hast über eine bezahlte Schuld eine Quittung in der Hand, und das Geld wird noch einmal gefordert, und der Gläubiger will vor Gericht schwören, dass du ihm das Geld nicht bezahlt hast, so darfst du ihn nicht schwören lassen, weil du ganz sicher weißt, dass er durch einen falschen Eid sündigt und sich strafbar macht, und kann es dir bewiesen werden, dass du eine Quittung in der Hand hattest und ihn dennoch hast schwören lassen, so bist auch du schuldig, denn du hast eine Sünde begangen, weil du deinen Mitmenschen wissentlich ins Unglück hast laufen lassen.

Gott hätte also dereinst gesündigt und nicht die ersten Menschen, aber Gott kann nicht sündigen, deshalb ist die Lehre von der Erbsünde falsch.

Und wie könnte auch der liebe Gott so böse aufgebracht sein, nur wegen eines solch lumpigen Apfelbisses die Menschen aus dem Paradies hinauszujagen und sie und ihre Nachkommen zu verfluchen? Wie stimmt das denn mit der Lehre von der Allgütigkeit und Barmherzigkeit Gottes überein? „Was meinst du denn dazu“, Katherine?

Kath.: Alles, was du mir jetzt über die Erbsünde gesagt hast, habe ich freilich nicht in der Christenlehre gehört, aber ich glaube dir alles, weil es vernünftig ist und ich es begreifen kann. Ich glaube also auch nicht an die Erbsünde und halte das für ein Märchen. Ich habe dich noch viel zu fragen, Lisbeth, denn ich muss alles wissen; aber für heute ist es zu spät. Morgen komme ich wieder zu dir.

Lisb.: Das ist mir recht, komme nur rechtzeitig.

 

 

Drittes Gespräch

Kath.: Du hast ganz recht gehabt, Lisbeth, mit der Erbsünde, das ist nichts. Ich habe mein Neues Testament durch und durch gestöbert und kein Sterbenswörtchen darin von der Erbsünde gefunden, also ist daran auch nicht zu glauben. Jetzt muss ich dich aber wieder etwas fragen.


 

Lisb.: Na, was denn?

Kath.: Beichten die Deutschkatholiken auch?

Lisb.: O ja, sie beichten auch

Kath.: Wem denn?

Lisb.: Dem lieben Gott selbst, der nur alleine Sünden vergeben kann, wie es geschrieben steht. Bei dem müssen sie nicht lügen, denn der weiß alles, was wir gesündigt haben, der braucht keinen Advokat.

Kath.: Sie beichten also ihre Sünden nicht dem Geistlichen?

Lisb.: Nein, die Ohrenbeichte haben die Deutschkatholiken abgeschafft, weil es ein Zwang ist, und sich so etwas mit einem freien Christentum nicht verträgt.

Kath.: Aber, Lisbeth, ich habe doch im Neuen Testament gelesen, dass Christus zu seinen Jüngern gesagt haben soll: Gehet hin und lehrt alle Völker, und denen ihr ihre Sünden vergebt, denen sollen sie vergeben sein, und denen ihr sie aufbehaltet, sollen sie auch vergeben sein!

Lisb.: Das ist wohl wahr, dass das im Neuen Testament steht. Damit hat aber Christus nicht gemeint, dass man einem anderen seine Sünden ins Ohr sagen soll. Erstens haben die ersten Christen viele Jahrhunderte keine Ohrenbeichte gekannt, die ist später erst durch die Pfaffen erfunden worden. Wie sie uns richtig in ihre Knechtschaft hinein gebracht haben, da haben sie auch die Ohrenbeichte eingeführt, weil sie gerne wissen wollten, was wir tun, damit sie uns recht „über den Kamm scheren„ können. Die Ohrenbeichte hat diesen Leuten schrecklich viel Geld eingebracht. Wenn sie zum Beispiel einen Mann gesucht haben, der krank und recht reich war, den haben sie gleich im Visier gehabt, und je größer der Sünder war, desto lieber war es ihnen und um so teurerer haben sie ihm durch die Sündenvergebung das Himmelsreich verkauft. Und das, was sie für das viele Geld selbst aufgewendet haben, hat sie keinen Kreuzer gekostet. Jetzt aber geht das nicht mehr so recht, sie wollen es aber doch wieder so weit bringen, aber da wird nichts mehr daraus.

Darum schimpfen sie auch so über die Deutschkatholiken, sie seien abgefallen. Und darin haben sie ganz recht, hat mein Mann zu mir gesagt, abgefallen von allem Lug und Trug, aber frei gemacht von der Pfaffenherrschaft. Und zu Gefallen der Wahrheit und dem reinen Christentum.

Zweitens hat Christus gesagt: Mein Joch ist süß, meine Bürde ist leicht, liebet euch einander, und so habt ihr mein Gebot erfüllt! Das steht auch im Neuen Testament.

Jetzt sag einmal, Katherine, ob das Beichten nicht ein Joch und eine Bürde war, oder hast du schon einmal gerne gebeichtet?

Kath.: Nein, Lisbeth, gerne gebeichtet habe ich nicht. Wann immer die Zeit zum Beichten gekommen war, da habe ich gemeint, ein Berg würde auf mir liegen!

Lisb.: So ging mir es auch. Jetzt sage mir einmal aufrichtig, Katherine, wenn du gebeichtet hast, hast du dann auch alles gebeichtet, was du getan hast? Ei, Katherine, du wirst so durch und durch rot! Ach, das brauchst du nicht zu werden, es ist mir gerade so gegangen. Mein Mann hat mir schon oft gesagt, die Pfaffen werden in der Beichte angelogen, dass sie ganz schwarz werden, noch schwärzer als sie es schon sind!

Damit du aber recht begreifst, Katherine, warum die Ohrenbeichte abzulehnen ist, will ich dir ein Beispiel geben, das mein Mann verwendet hat. Zum Beispiel, hat er gesagt, ich hätte einen Sohn, für den ich alles getan hätte, um ihn zu einem ordentlichen Menschen zu erziehen. Er aber ist in böse Gesellschaft geraten, wurde liederlich und ungezogen; und wo er mich hätte betrüben können, hätte er es getan. Am Ende hätte ich ihn aus meinem Haus fortgejagt, so schmerzlich mir dies auch gefallen wäre. Jetzt sind Jahre vergangen, und ich habe seither nie mehr etwas von ihm oder über ihn gehört, obgleich ich tausendmal an ihn gedacht und mich immer wieder daran erinnert habe, wie er als kleiner Junge mir so viel Spaß bereitet hatte und wie ich ihn geherzt und geküsst habe und wie ich immer in Sorge um ihn war.

Und auf einmal kommt jemand zu mir und richtet mir einen Gruß von meinem Sohn aus, und der hat ihm [dem Überbringer des Grußes] den Auftrag gegeben, er solle mit mir reden, damit ich ihm all das Ungemach, das er mir angetan hätte, verzeihen solle. Er wäre jetzt älter und zu Vernunft gekommen. Was werde ich jetzt dem Zwischenträger sagen? Geh hin und grüße ihn auch von mir und sage ihm, er solle zu mir selbst kommen, und wenn ich dann aufrichtige Reue bei ihm bemerken würde, dann werde ich ihn auch wieder in meine Vaterarme aufnehmen. Und so ist es auch, wenn wir Gott beleidigt haben durch schlechte Handlungen, die wir  aber nicht wieder begehen wollen. Dann geht man zu Gott selbst, der keine Beamte benötigt, die in seinem Namen etwas tun wollen.

Schau einmal da, Lisbethchen, hat mein Mann zu mir gesagt und schlägt das Neue Testament auf, Matthäus, 23. Kapitel, wie da Christus mit den Schriftgelehrten und Pharisäern redet und sie Heuchler nennt. Sieh einmal, und lese den ersten Vers: „Ja, sie binden schwere und unerträgliche Lasten zusammen und legen sie auf die Schultern von Menschen, sie berühren sie aber nicht mit einem Finger [dabei.]“

Sieh, das spricht auch gegen die Ohrenbeichte! Und dann ist sie auch ganz unvernünftig. Wie kann ein sündiger Mensch da sitzen und im Namen Gottes anderen Menschen Sünden vergeben? Die Vernunft sträubt sich dagegen, und die Vernunft ist göttlich, weil sie uns Gott vor allen anderen Tieren gegeben hat, damit wir durch die Vernunft die Wahrheit erkennen und in derselben vollkommener und Gott ähnlicher werden sollen, und deswegen haben die Deutschkatholiken die Ohrenbeichte verworfen.


 

Und weiter hat mein Mann zu mir gesagt: Sieh einmal, wie viele Millionen und Milliarden Menschen hat Gott auf der Welt geschaffen; von denen beichten die allerwenigsten. Glaubst du denn, Lisbetchen, hat er gesagt, dass der liebe Gott, den wir Gott der Gerechtigkeit nennen, seine übrigen Kinder, weil sie sich nicht die allein Seligmachenden nennen und nicht an die Erbsünde glauben, dass er die verdammt? Nein, gewiss nicht!, habe ich ihm gesagt, sonst wäre er ein ungerechter Gott, und das ist er nicht und kann es nicht sein, weil er gütig und barmherzig ist!

Er ist kein Pfaffe wie jene, hat mein Mann gesagt, die alle Menschen verdammen, welche ihrem selbstgerechten Glauben nicht folgen wollen. Was meinst du, Lisbethchen, hat er gesagt, wenn der Bonifazius, der das Christentum bei uns eingeführt hat, mit der Ohrenbeichte gekommen wäre, was unsere Ureltern, die doch Heiden waren, mit ihm gemacht hätte? Aus dem Land hätten sie ihn gejagt. Mit dem Beichten, Katherine, ist also nichts.

Kath.: Ach, Lisbeth, was bin ich jetzt so froh, du hast mir es jetzt ganz leicht gemacht und einen Stein von meinem Herzen genommen. Du hast mir´s jetzt so klar gemacht, dass mich auch kein Teufel mehr zum Beichten bringt. Hätte ich nur nicht so über die Deutschkatholiken geschimpft!

Lisb.: Das hat nichts zu sagen; ich habe es ja auch getan. An dem Schimpfen ist, wie es auch jetzt noch geschieht, gerade das Beichten schuld.

Kath.: Na, dann wollen wir nicht mehr beichten und doch bessere Menschen werden. Beim nächsten Mal, Lisbeth, habe ich wieder etwas anderes zu fragen.

Lisb.: Ja, das tu´ nur, Katherine, und komme recht oft zu mir.

 

 

Viertes Gespräch

Kat.: Ach, Lisbeth, ach Lisbeth, was bin ich so froh, was bin ich so froh, was habe ich eine Freude, was habe ich eine Freude! Denk einmal, mein Mann ist schon ganz anders. Die ganze Woche ist er noch nicht betrunken heim gekommen; er schimpft nicht mehr und ruft nicht mehr: Hörst du! Er ruft mich nicht anders mehr als Katherine!

Lisb.: Na, was hast du denn mit ihm gemacht?

Kath.: Gerade wie du es mir gesagt hast, was ich es machen soll. Als er einmal ganz guter Laune war, habe ich zu ihm gesagt: Geh, schimpfe doch nicht so auf die Deutschkatholiken! Sieh einmal, Lisbeths Mann ist ja ein Deutschkatholik, was hast du denn gegen den, ist er denn kein braver Mann? Du wirst den gewiss nicht schimpfen hören, und wenn du

einen Gefallen von ihm getan haben willst, dann tut er dir ihn herzlich gern. Sieh da, lese doch einmal ein bisschen im Neuen Testament, das ich in der Schule bekommen habe, das hast du gewiss noch nicht gelesen. Na, dann gebe es einmal her, hat er gesagt, wenn ich Zeit habe, dann will ich gelegentlich einmal darin ein bisschen lesen. Am anderen Tag habe ich gesehen, dass er das Buch in der Hand gehabt und darin gelesen hat. Auf einmal hat er gesagt: Ei Donnerwetter, das habe ich ja mein Lebtag noch nicht gelesen! An welcher Stelle bist du denn gerade? habe ich ihn gefragt. Matthäus, 23. Kapitel; Donnerwetter, wie kriegen da die Schriftgelehrten und Pharisäer von Christus da den Marsch geblasen. Er schimpft sie nicht anders als Heuchler!

Weißt du denn auch, habe ich ihm gesagt, wer denn die Schriftgelehrten und Pharisäer sind? Für so dumm wirst du mich doch nicht halten, dass ich das nicht wissen sollte! Die Pfaffen! hat er gesagt. Als ich das gehört hatte, da habe ich bei mir gedacht: Aha, Alterchen, jetzt haben wir dich! Glaubst du denn, dass es jetzt keine Schriftgelehrten, Pharisäer und Heuchler mehr gibt? habe ich ihn gefragt. Ei gewiss gibt es die noch, und recht viele davon; mit den Händen könntest du sie greifen, so wie sie da in dem Buch stehen.

Ich will dir einmal etwas vorlesen. Da setz dich einmal ein bisschen zu mir her! Das habe ich dann auch gleich getan. Die Schriftgelehrten und Pharisäer sitzen auf dem Lehrstuhl von Moses (Moses war ein ordentlicher Mann, das war kein Pfaffe, hat Lisbeths Mann gesagt.). „Beobachtet und tut daher alles, was sie euch sagen.“ (Das heißt, was gut und vernünftig sei.) „Nach ihren Handlungen aber richtet euch nicht, denn sie tun selbst nicht, was sie lehren.“ (Na, das ist nichts Neues!) „Ja, sie binden schwere und unerträgliche Lasten zusammen und legen sie auf die Schultern der Menschen, aber sie berühren sie auch nicht mit einem Finger.“ (Den vierten Vers habe ich schon einmal von der Lisbeth gehört, habe ich ihm gesagt, und der bezieht sich auf die Ohrenbeichte, weil die Ohrenbeichte eine Bürde und Last ist. Du hast ganz Recht, Katherine, hat er gesagt, na weiter!) „Alles, was sie tun, das tun sie bloß, um von den Menschen gesehen zu werden, sie machen sich breite Denkzettel und große Quasten auf ihre Kleider.“ (Ganz richtig, wie heute noch.) „Bei den Mahlzeiten haben sie die ersten Plätze, in den Synagogen (oder jetzt in der Kirche) den Vorsitz. Auf öffentlichen Straßen wollen sie zuerst begrüßt sein, und von den Leuten Rabbi (oder jetzt Hochwürden) genannt werden.“ (Das ist gerade wie jetzt noch.) Da hätte sich der Kaplan H. erinnern können, wie er mit seinem langen Rock über die Straße gegangen ist, rechts und links nach den Leuten geschaut hat, ob sie ihm auch nicht ein „Hernätermich“ oder ein „Fehlemich“ machen würden.) „Ihr aber sollt euch nicht Rabbi (das heißt jetzt Hochwürden) nennen lassen, denn nur einer ist euer Lehrer, ihr aber seid alle Brüder.“ (Ganz vernünftig.)


 

„Auch sollt ihr keinen von euch auf Erden Vater nennen, denn einer nur ist euer Vater, der im Himmel ist.“ (Das ist für den Heiligen Vater in Rom eine bittere Pille.) „Lasst ihr euch auch nicht Lehrmeister nennen, denn einer ist euer Meister, nämlich Christus.“ (Den wollen sie aber jetzt schulmeistern.) „Der Größte unter euch soll wie euer Diener sein.“ (Jetzt sagen aber die Pfaffen, wir sind die Größten und ihr müsst unsere gehorsamen Knechte sein und ihr müsst euch alles gefallen lassen, was wir euch befehlen. Auch nicht übel! Aber weiter.) „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt, und wer sich erniedrigt, wird erhöht werden.“ (Das haben wir gesehen beim Empfang des noch nicht einmal eingeweihten Bischof [gemeint ist Ketteler]. Haben wir nicht gemeint, unser Herrgott käme selbst daher? Jetzt kommt es erst recht, Katherine, besser gesagt, pass´ einmal auf!) „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Leuten das Himmelreich auf- und zuschließt, ihr selbst aber geht nicht hinein, und die hinein wollen, lasst ihr nicht hinein.“ (Es ist ganz natürlich, für viel Geld versprechen sie dem größten Sünder das Himmelreich, und sie selbst können nicht hineinkommen, weil sie nicht recht handeln; und diejenigen, die besser denken als sie und nichts von denen haben möchten, da sehen sie gleich: Das sind Ketzer, die sind verdammt! Es kommt noch schöner!) „Aber wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Die ihr die Häuser der Witwen verschlingt unter dem Vorwand, dass ihr lange betet, deshalb wird über euch ein strenges Gericht ergehen.“ (Lest das einmal, ihr Pfaffen, und ihr müsstet euch schämen! Woher habt ihr denn euren Reichtum? Denkt einmal an die Klöster und Güter! Habt ihr euren Reichtum nicht erschlichen und für ein bisschen Seligkeitsversprechen die Kinder und die Erben um ihr Vermögen gebracht? Wo kann es für euch noch ein Himmelsreich geben? Das muss ein sauberes Himmelsreich sein, wo ihr hinkommt. Also weiter!) „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! die ihr zu Wasser und zu Lande umherzieht, um einen neuen Glaubensgenossen zu machen, und wenn er es geworden ist, so macht ihr ein zweimal ärgeres Höllenkind aus ihm, als ihr selber seid.“ (Das ist sehr natürlich. Sie wissen und kennen ihre Lügen. Wenn sie aber anderen unwissenden Menschen ihre Lügen als Wahrheiten aufgebunden haben und denen dann mit Verlust der Seligkeit gedroht haben, wenn sie davon abgehen sollten, dann sind freilich jene ärger als die. Hat ja nicht einer gesagt, als der Bischof hier war: Das ist aber ein Mann, der wird den Deutschkatholiken in Ober-Ingelheim ihre Streiche schon vertreiben, aufgehängt müssten die alle werden! Wer ist jetzt Schuld, dass der Mann so ist? Er nicht, denn ich halte ihn für einen ordentlichen, braven Mann. Also weiter!)

„Wehe euch! Ihr blinden Führer, die ihr lehrt, wenn jemand bei dem Tempel schwört, das hat nichts zu bedeuten, aber wer bei dem Gold des Tempels schwört, ist verpflichtet.“


 

Sehen wir nicht da im 16-ten Vers, dass der Pfaffe für Geld und Gott selbst ungeeignet ist?) „Ihr Toren und Blinden, was ist wichtiger, das Gold oder der Tempel, der das Gold heiligt? Ferner, wenn jemand bei dem Altar schwört, das hat nichts zu bedeuten, wenn aber jemand bei der Gabe auf demselben schwört, der ist verpflichtet. Ihr Blinden, was ist wichtiger, die Gabe oder der Altar, der die Gabe billigt? Wer bei dem Altar schwört, der schwört bei diesem und bei allem, was darauf ist, und wer bei dem Tempel schwört, der schwört bei diesem und bei dem, der darin wohnt, und wer bei dem Himmel schwört, der schwört bei dem Thron Gottes und bei dem, der darauf sitzt.“ (Christus muss die Sorte Mensch durch und durch als „Batzenarren“ [geldgieriger Mensch] gekannt haben, und Batzenarren sind sie noch, schwört hin schwört her, wenn sie uns kein Geld bringen, haben eure Schwüre nichts zu bedeuten. Schwört einmal, ihr Heuchler, nach dem 22. Vers, dann haben wir Respekt vor euch! Oder meint ihr vielleicht, was Christus im Tempel gesagt hat, das wäre ein Gebäude oder eine Kirche? Da irrt ihr euch ganz gewaltig; das ist das Gewissen, und auf euer Gewissen könnt ihr keinen Schwur tun, weil ihr ganz gewissenlos seid. Also erneut weiter!)

„Wehe euch ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr vermengt Krauseminze, Anis und Kümmel, aber das Wichtigste des Gesetzes, Gerechtigkeit, Menschenliebe und Treue lasst ihr beiseite. Dieses sollt ihr tun und jenes nicht lassen.“ (Christus will damit sagen, zuerst sollst du Gerechtigkeit, Menschenliebe und Treue üben, und später könnten sie auch gut essen, dafür sind sie ja bekannt. Krauseminze,
Anis und Kümmel müssen gute Liköre gewesen sein, die sie auf das gute Essen drauf gesetzt haben, von wegen der Verdauung; o, so ein gutes Likörchen verschmähen sie heute noch nicht, obgleich sie vom Wein, besonders wenn der recht gut ist, große Liebhaber sind! Na, das kann ich ihnen auch gar nicht verdenken, mir geht es auch so; je besser sie essen, desto besseren Wein müssen sie haben; das versteht sich von selbst! – Große Liebhaberei haben sie an jungen Hähnen, Kapaunen, französische jungen Enten, Gänschen, Feldhühner, Schnepfen, Krammetsvögel, Hase, Reh, Schwarzwild, auch dann und wann für eine Vesper mit Westfälischem Schinken. Das sind so die gewöhnlichen Fleischspeisen auf einem gewöhnlichen geistlichen Tisch. Aber mit den Fastentagen sind sie übel dran, und die müssen sie doch beachten, denn das Gebot dürfen sie nicht übertreten, weil es von Leuten ihresgleichen herkommt!

Na, dann behelfen sie sich, so gut sie es können, mit Hecht und Kartoffeln, Schellfisch, Kabeljau, Nudeln und Kapern und Soße, gebackenen Karpfen oder Barsch, zum Knabbern Krebse und dann zum Abschluss ein wenig Schweizerkäse mit Butter, kleinen Süßigkeiten, und einer guten Tasse Kaffee drauf. Und so, denken sie, könnten sie auch die Fas-tentage überstehen und auch einmal die Fleischspeisen auf einen Tag entbehren!

Und wenn ihre Köche immer recht gut kochen und sich sonst noch recht gut benehmen, dann dürfen sie auch mit ihnen am Tisch essen. (Darauf sind sie sogar noch stolz, das kann man ihnen nachsagen.)

„Blinde Führer, die Mücke feiget [siebt] ihr durch, das Kamel aber verschluckt ihr!“ (Das heißt, anstelle eines kleinen Bröckchens nehmen sie einen ganz großen Brocken.)

„Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Die äußere Seite des Bechers und der Schüssel haltet ihr rein, aber inwendig seid ihr voller Staub und Ungerechtigkeit.“

(Das kann auch der dümmste Bauer verstehen. Mit aufgeputzten Kleidern sieht man sie überall, aber inwendig? – pfui)

„Du blinder Pharisäer, mache das Innere des Bechers zuerst rein, so wird auch die Außenseite rein sein!“

(Das soll heißen: Reinigt euer Gewissen zuerst, dann seht ihr viel schöner aus! Aber weiter!)

„Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Übertünchten Gräbern seid ihr ähnlich, die zwar schön in die Augen fallen, inwendig aber voller Leichen und Moder sind.“

(Das heißt: Äußerlich sind es schöne Grabmäler, die wir betrachten und für schön halten, innen in den Gräbern stinkt es aber gewaltig! Das nehmt euch ad notam, ihr Heuchler! So gebt auch ihr euch äußerlich den Schein vor den Leuten als Gerechte, innerlich seid ihr voll Heuchelei und Bosheit! Deutlicher kann gewiss nichts gesagt werden.)

„Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Die ihr die Grabmäler der Propheten baut und die Gräber der Gerechten ziert und sagt: Hätten wir zur Zeit unserer Väter gelebt, wir hätten mit ihnen uns nicht verschuldet am Blut der Propheten! So bezeugt ihr euch selbst, dass ihr Söhne der Prophetenmörder seid, und ihr macht das Maß eurer Väter voll. Ihr Schlangen- und Natternbrut, ihr Otterngezücht, wie wollt ihr der Verurteilung zur Hölle entgehen! Darum siehe, ich sende Propheten, Weise, Schriftgelehrte zu euch; aber von diesen werdet ihr einige töten und kreuzigen, andere in euren Synagogen (oder jetzt Kirche) geißeln und von Stadt zu Stadt verfolgen, so dass alles unschuldige Blut, das auf Erden vergossen wurde, über euch komme, vom Blut des gerechten Abels an, bis zum Blut des Zacharias, Barachias Sohn, den ihr zwischen dem Tempel und Altar getötet habt! Wahrlich, ich sage euch, dies alles wird über dies Geschlecht kommen. Jerusalem, Jerusalem, die du die Propheten tötest und steinigst, die zu dir gesandt sind; wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Jungen unter die Flügel sammelt, aber ihr habt nicht gewollt! Siehe, eure Wohnung wird euch verwüstet werden.“

(Gell, ihr Herrscher, das schmeckt euch nicht oder glaubt ihr vielleicht, wir wären so dumm, dass wir nicht wüssten, wer gemeint ist!


 

Gell, wenn unsereiner über euch so schimpfen würde, dann würdet ihr gleich zum Staatsanwalt rennen: Der Mensch hat die Religion beschimpft, der muss bestraft werden! Ihr aber seid doch noch lange nicht die Religion! Es ist recht gut, dass unser armer, guter, lieber Christus nicht mehr lebt, denn vor eurer Bosheit wäre er gewiss nicht sicher, und die Piusleute würden helfen, ihn zu verurteilen. Aber das könnt ihr mir sicher glauben, dass Christus doch noch lebt, und ihr könnt ihn doch nicht erwischen, auch wenn ihr noch so sehr schimpft. Er lebt noch fort in dem Gesicht der Wahrheit und der Gerechtigkeit; die könnt ihr nicht einsperren und verfolgen: aber das sage ich euch, eure Lügen müsst ihr lassen, so wahr ein Gott im Himmel ist! Habt ihr es nicht gehört im zweitletzten Vers: Euere Wohnungen werden euch verwüstet werden? Bedenkt nur einmal, was diese Worte bedeuten! Ihr wisst es gar wohl, ihr wollt aber nicht hören.)

Jetzt ist es aus, Katherine, hat er gesagt, die haben ihr Fett. Und noch komischer ist es, dass ich trotz meiner häufigen Kirchenbesuche mein Lebtag noch niemals von Matthäus, 23. Kapitel, auch nur eine Silbe gehört habe! Jetzt ist es mir ganz klar.

Was glaubst du, Lisbeth, wie ich da geschaut habe, als ich das von meinem Mann gehört habe, meinem Mann, der jeden Vers auch ausgelebt hat, der vor lauter Kirchenbesuchen nur noch die Hälfte gearbeitet und so wüst geschimpft hatte? Ich habe gar nicht geglaubt, dass das möglich sei; ich habe ihn immerfort betrachtet, ob das wirklich mein Mann ist;
aber er war es. Es muss ein Wunder mit ihm geschehen sein, habe ich bei mir gedacht; obwohl ich doch gar nicht an Wunder glaube!

Nun sag mir doch einmal, habe ich ihn gefragt, du hast doch alle Verse im Leben versucht umzusetzen, dass man es gut begreifen konnte. Ich hätte einen solchen Wandel bei dir mein Lebtag nicht vermutet. Darauf hat er zu lachen begonnen:

Na, ich will es dir doch sagen. Gestern ist mir Lisbeths Mann begegnet und hat mich angesprochen: Komm, hat er gesagt, lass uns mal miteinander einen Schoppen trinken! Du weißt, man braucht mich so nicht zweimal einzuladen, und gleich sind wir in das erstbeste Wirtshaus, wo ein guter Schoppen ausgeschenkt wird. Dort haben wir uns an einen leeren Tisch gesetzt und als wir einen kräftigen Schluck genommen hatten, hat er angefangen und sagte zu mir: Schau, Franz, wir waren doch so gute Schulkameraden und immer die besten Freunde. Sag mir doch einmal, warum du mich nicht mehr anschaust. Habe ich dir etwas angetan? Sag’s mir doch, sei aufrichtig, es tut mir zu leid, dass du böse auf mich bist! Weißt du denn nicht mehr, wie wir als Buben den ganzen Tag zusammen waren, zusammen „Klicker“ [Murmeln] gespielt haben, Veilchen, Erdbeeren und Birnen stibitzt haben? Gott was haben wir als Buben doch so viel Spaß miteinander gehabt, und da waren wir noch nicht so vernünftig wie jetzt!


 

Schau Franz, hat er gesagt, jetzt sind wir doch Männer und müssen doch vernünftiger sein als zu der Zeit, wo wir noch Buben waren. Komm, gebe mir die Hand, wir wollen Brüder sein! Ich habe ihm gleich meine Hand gereicht, habe aber kein Wörtchen reden können vor lauter Rührung. Also, stoß an auf ewige Freundschaft! So sollten es alle Menschen machen, und ich versichere dir Franz, dann würde es auf der Welt besser werden. Sieh, Franz, hat er gesagt, du weißt, ich bin Deutschkatholik. Ich weiß auch, dass du über alle Deutschkatholiken geschimpft hast, und ich war doch nicht böse mit dir, weil du ganz unschuldig bist. Du hast zuviel jenen geglaubt, die eigentlich gar keinen Glauben haben, als den, die Menschen zu verdummen, weil sie ohne diese Verdummung nicht mehr herrschen können. Und er hat’s mir durch viele Beispiele ganz begreiflich gemacht. Dann zog er das Neue Testament aus der Tasche und hat mir das 23. Kapitel vorgelesen und mir dabei alles so schön ausgelegt, dass ich es habe recht gut begreifen können, gerade so, wie ich dir die Verse erklärt habe.

Als wir unseren Schoppen ausgetrunken hatten, habe ich ihm noch einmal die Hand gereicht und zu ihm gesagt: Nehm´ mir bitte nicht übel, was ich über die Deutschkatholiken gesagt habe. Ich bin aufgehetzt worden. Ich sehe aber jetzt ein, dass die Deutschkatholiken recht haben, weil sie das Gute wollen, nämlich die Verbrüderung der Menschheit, gerade so wie es Christus gelehrt und gewollt hat. Wenn du das nächstemal nach Rüdesheim gehst, dann möchte ich auch mitgehen. Es bleibt dabei, hat er gesagt. Jetzt weißt du es, Katherine, wer mich ein bisschen aufgeklärt hat, und darüber bin ich herzlich froh. Gell, Franz, habe ich zu ihm gesagt, du schimpfst doch nicht mehr so? Nein, gewiss nicht mehr! Es ärgert mich, so oft ich nur daran denke. Ach, Lisbeth, das gibt jetzt ein herrliches Leben! Man soll nicht glauben, dass es möglich gewesen wäre, dass sich ein Mann wie meiner einer war, so geschwind ändern konnte; und das ist ganz allein deinem Mann zu verdanken. Sag ihm nur, dass ich ihm von Herzen danke.

Lisb.: Das will ich ausrichten. Aber, Katherine, was wirst du bald eine Freude haben, wenn er mit meinem Mann nach Rüdesheim geht! Weißt du was, geh auch mit, dann gehen wir alle zusammen, denn am nächsten Sonntag ist Gottesdienst, wo die Kinder zum ersten Mal zum
Abendmahl gehen, und das wäre sehr rührend anzuhören.

Kath.: Das will ich tun, Lisbeth, und wenn ich alles stehen und liegen lassen muss. So wie mein Mann ist, so will ich auch sein. Aber Lisbeth, ich habe dich ja etwas anderes fragen wollen, habe ich dir das vorige Mal gesagt, und vor lauter Freude, dass mein Mann jetzt ganz anders ist, habe ich es ganz vergessen, und für heute ist es doch schon ein bisschen zu spät.

 


 

Lisb.: Nun, was hast du mich denn eigentlich fragen wollen? Wenn es für heute schon zu spät ist, dann kann ich dir´s ein anderes Mal beantworten.

Kath.: Ich wollte dich fragen, ob auch die Deutschkatholiken an die Dreieinigkeit glauben?

Lisb.: Ja, liebe Katherine, darüber ist viel zu sagen, und es ist heute gewiss zu spät, aber ich möchte dir für heute noch sagen, dass mein Mann gesagt hat, dass die Deutschkatholiken eher an die Vierunddreißigeinigkeit glauben als an die Dreieinigkeit. Die Dreieinigkeitslehre wäre die allerunvernünftigste, die nur im Christentum hätte erfunden werden können. Beim Nächstenmal werde ich es dir beweisen.

Kath.: Also auf das Nächstemal bin ich schon ganz gespannt.

 

 

Fünftes Gespräch

Kath.: Denk einmal, Lisbeth, ich habe über die Lehre von der Dreieinigkeit die ganze Nacht nachgedacht und gar nichts gescheites daran finden können.  Ich habe an die 10 Gebote gedacht, wo es heißt: Ich bin der Herr, dein Gott; du sollst keine fremden Götter neben mir haben!

Lisb.: Da bis du ganz auf dem richtigen Weg, Katherine; das hat auch mein Mann gesagt: und dann hat er noch gesagt, wie kann man denn sagen: Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist, und dann die drei Götter zu Personen und wieder die drei Personen zu einem Gott machen! Auf diese Art würde der große allmächtige Gott, der allgütige Vater aller Menschenkinder in drei Stücke zerrissen und dann wieder diese drei Stücke zu einem Gott zusammengesetzt werden. Das kann glauben wer will, ich glaube es nicht, hat mein Mann gesagt, weil diese Lehre zur Vernunft im Widerspruch steht.

Wir mögen hingehen, wohin wir nur immer wollen, in der großen ganzen, schönen und mächtigen Naturschöpfung sehen wir nur einen Gott, und dessen Allmacht ist in der Natur überall sichtbar. Einen heiligen Geist gibt es wohl, aber der ist keine Person in Gestalt einer Taube! Einen Gottesgeist gibt es und einen Geist der Wahrheit! Das wäre der Heilige Geist!

Und der Sohn Gottes wäre der Mensch, wenn er durch seine Handlungen beweist, dass er Gottes Kind ist, so wie Christus ein Gottessohn war. Siehst du Lisbethchen, hat mein Mann zu mir gesagt, so habe ich die Dreieinigkeit zusammengeflickt; meinst du nicht, dass der Mensch an so eine Dreieinigkeit eher glauben könnte? Die ersten Christen haben nur einen Gott gehabt, und Christus war ihr Meister. Die Dreieinigkeitslehre ist erst später auf einem Konzil von den Pfaffen erfunden und als zu glauben festgestellt worden.


 

Das Nachgrübeln darüber war bei größter Kirchenstrafe streng verboten. Der Ausspruch dieser Herrscher ist unfehlbar, und die Vernunft ist bei solchen Menschen ein ganz anfälliges Etwas. Der blinde Glaube wäre die Hauptsache, sagen sie, und würde allein selig machen, und die Dummen habe es ihnen lange genug geglaubt, und Millionen glauben ihnen noch; und wenn sie gesagt hätten: Gott Vater, Gott Mutter, Gott Sohn, Gott Tochter! Sie hätten es ihnen auch geglaubt und würden es ihnen noch glauben.

Kath.: Dein Mann hat ganz Recht, Lisbeth, und wie er die Dreieinigkeit erklärt hat, dem kann ich folgen, weil ich das gut begreifen kann, aber an die Version, an die wir schon so lang haben glauben müssen, nein, an die glaube ich mein Lebtag nicht mehr. Also beim Nächstenmal frage ich wieder etwas anderes. Adieu, Katherine!

 

 

Sechstes Gespräch

Kath.: Mit der Dreieinigkeit wäre ich jetzt durch und im Klaren. Jetzt aber, Lisbeth, möchte ich dich einmal fragen, ob auch die Deutschkatholiken an die Göttlichkeit von Christus glauben?

Lisb.: Gewiss glauben die Deutschkatholiken an die Göttlichkeit von Christus! Wir sollen ja auch göttlich sein. Wenn wir einen Lebenswandel führen wie Christus, dann sind wir auch alle göttlich, denn es steht geschrieben: Du sollst Gott ähnlich werden! Das bedeutet, wenn du brav bist und niemand etwas zuleide tust und Gott preist in der Wahrheit. So hat das mein Mann gesagt, und ich habe ihm Recht gegeben.

Kath.: Ja, so habe ich das aber nicht gemeint, Lisbeth! Ob Christus selbst Gott war? Das habe ich fragen wollen.

Lisb.: Das habe ich auch meinen Mann gefragt und ich will dir sagen, was er mir zur Antwort gegeben hat. Nein, für einen wirklichen Gott hat sich Christus nie ausgegeben und sich auch nicht geben können, weil er von Eltern geboren, Brüder und Schwestern hatte, arm und bedürftig war und sich durch Arbeit ernährt, gegessen und getrunken hat. Ein Gott braucht sich nicht im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen. So etwas wäre für die Menschen bestimmt. Auch müsste das ein wunderlicher Gott sein, der auf die Welt kommt und sich von den Menschen beschimpfen und sich kreuzigen lässt.

Kath.: Das hätte aber sein müssen, dadurch hätte er uns von der Erbsünde erlöst, hat man uns beigebracht.

Lisb.: Aber Katherine, über die Erbsünde haben wir doch schon einmal geredet und sind überein gekommen, dass an der Erbsünde nichts dran ist.


 

Kath.: Es ist wahr, Lisbeth, daran habe ich nicht mehr gedacht, so versessen war ich darauf. Die Männer haben ganz Recht, dass die Frauen ein bisschen verwirrt sind, aber die Phantastereien in den Romanen, Gespenster, Hexengeschichten, Prophezeiungen von heiligen Narren, und was ihnen sonst noch von den Pfaffen weis gemacht wird, das würde in ihnen stecken bleiben, und das würden sie ihr Leben lang nicht vergessen. Von der Wahrheit wollten sie [die Frauen] aber nichts wissen, selbst wenn man es ihnen mit einem Trichter oben [in den Kopf] eingießen würde. So habe ich einmal ein paar Männer miteinander reden gehört, und sie hatten ganz Recht, ich habe das an mir selbst bemerkt.

Jetzt aber ist es ganz anders mit mir, Lisbeth.

Lisb.: Du bringst mich ganz schön zum Lachen, Katherine, so ist es!

Ich weiß, wie schwer es mir gefallen ist, die Wahrheit zu glauben. Aber das muss ich dir schon sagen, Katherine, wenn die Frauen einmal aufgeklärt sind, dann sind die härter als die Männer, das habe ich an mir bemerkt, und wenn das einmal bei allen der Fall sein wird, dann – o weh, ihr Pfaffen! Die Augen kriegt ihr ausgekratzt. Dann könnt ihr eure Sachen einpacken, und euer Regiment ist zu Ende. Wie geschwind würden die dann umsatteln und ein anderes Liedchen singen! – Auf uns Frauen sind sie aber noch gewaltig stolz, darum loben sie uns auch so gewaltig und wollen barmherzige Schwestern aus uns machen. Ja, barmherzig wollen wir sein gegenüber allen Menschen, von eurer Barmherzigkeit wollen wir aber nichts mehr wissen, denn mit der ist es nicht weit her.

Wenn die die Gewalt hätten, hat mein Mann gesagt, dann würden sie aus lauter Barmherzigkeit und zur größten Ehre Gottes alle Protestanten und Deutschkatholiken verbrennen lassen, selbst wenn Christus dabei wäre, denn der war auch kein Freund von ihnen, das haben wir gelesen bei Matthäus im 23. Kapitel.

Aber, Katherine, wir sind von unserem Gespräch ein bisschen abgekommen. Ich möchte dir noch mehr sagen und beweisen, dass Christus nicht selbst Gott war.

Kath.: Ja, Lisbeth, das möchte ich hören.

Lisb.: Schau, Lisbeth, hat mein Mann zu mir gesagt, wenn Christus selbst Gott gewesen wäre, dann hätte er auch Anteil an dem Fluch wegen des Apfelbisses gehabt, und fluchen konnte er ja gar nicht, denn er war die Liebe und Gütigkeit selbst. Du hast doch in der biblischen Geschichte gelesen, dass Christus die Kinder zu sich hat kommen lassen und sagte: Lasset die Kinder zu mir kommen, denn ihnen ist das Himmelreich! Und wie er sie geherzt und geküsst hat. Die Kinder waren nicht getauft, und ohne Taufe würde doch angeblich niemand selig werden! Ist uns das so nicht beigebracht worden, Katherine?


 

Kath.: Freilich!

Lisb.: Wo bleibt denn da die Selbstgottheit von Christus? Und hast du nicht gelesen, Christus wurde vom Teufel versucht; lässt sich denn Gott vom Teufel versuchen? Steht denn die Gottheit nicht höher als der Teufel? Ist das nicht der größte Beweis gegen ihre eigene Lehre, dass Christus nicht selbst Gott war?

Und dann weiter! Wie kann Gott der Vater seinen eigenen Sohn und Mitregent an der Gottheit (wie die Pfaffen behaupten) auf die Erde herunter schicken und von Menschen beschimpfen und kreuzigen lassen, um durch den Martertod seines eigenen liebsten Sohnes mit der Menschheit ausgesöhnt zu werden, nur wegen des einfältigen Apfelbutzens? Wird durch solch eine  Lehre nicht der Barmherzigkeit Gottes ein Schlag ins Gesicht versetzt? Und der barmherzige Gott soll zusehen, wie sein eigener lieber Sohn, der nur Gutes getan hat, wie der von Menschen gemartert und gekreuzigt wurde? Nein, Katherine, das wäre schrecklich – und das sollen wir so mir nichts dir nichts glauben? Ja, Prost Mahlzeit, das kann nur ein törichter Mensch glauben, ein vernünftiger Mensch, der den lieben Gott für barmherzig hält und halten muss, der kann das nicht glauben! Dem menschlichen Vater (hat mein Mann gesagt) würde das Herz bluten, wenn er zusehen sollte, wie seinem Sohn, selbst wenn der den Tod durch Raub und Mord verdient hätte, der Kopf abgehauen wird! Er würde ihm gewiss vom Tode erretten, wenn er könnte, weil er ein Vaterherz hat!

Und so ein allgütiger Vater soll so ruhig zusehen, wenn sein liebster Sohn dahin geschlachtet wird? Und er hätte ihn doch gewiss retten können! Nein, Katherine, Christus war ein göttlicher Mensch, aber nicht selbst Gott. Und wenn er gewusst hätte, dass ihn die Schriftgelehrten und Pharisäer zum Gott selbst machen würden, er hätte sie noch heftiger beschimpft als in Matthäus im 23. Kapitel beschrieben.

Kath.: Aber Lisbeth, Christus soll doch Wunder getan haben, mit denen er seine Gottheit bewiesen hätte? Er hätte Blinde sehend, Lahme gehend gemacht und Tote auferweckt, selbst wenn sie schon gestunken haben, wie Lazarus, und er hätte auch Teufel ausgetrieben!

Lisb.: Dass er Teufel ausgetrieben hat, das glaube ich. Er hat aber die Teufelsaustreiberei mit seinem Leben bezahlen müssen. Und wenn er wieder auf der Welt wäre und bei denen Teufel austreiben wollte, in denen er drin steckt, sie würden ihm, wenn sie könnten, wieder den Garaus machen. Die anderen Wunder sind nichts als Pfaffenmärchen. Ich will dir nur eines nennen, Katherine, das all die Wunder, die Christus getan haben soll, mausetot schlägt. Mein Mann, den ich auch darüber befragt habe, hat das Neue Testament aufgeschlagen, und dort steht bei Matthäus, 16. Kapitel, 1. – 4. Vers: Die Schriftgelehrten und Pharisäer haben ihn  überall  beobachtet,   und  einmal  haben  sie  ihn  aufgefordert,   er solle ihnen doch einmal ein Zeichen am Himmel erscheinen lassen, damit sie auch an ihn glauben könnten. Da hat er zu ihnen gesagt: Wenn ihr des Abends den Himmel rot seht, dann sagt ihr, morgen gibt es schönes Wetter, und seht ihr am Morgen den Himmel rot, dann sagt ihr, heute gibt es schlechtes Wetter; also könnt ihr das Aussehen des Himmels beurteilen, ihr Heuchler, aber die Zeichen der Zeit könnt ihr nicht deuten! Er ließ sie stehen und ging weiter.

Siehst du, Katherine, die Menschen wollen gar zu gerne Wunder sehen, und sie sind dann gleich bereit, sie zu glauben, besonders die Frauen! Das wissen die Pfaffen recht gut, darum wollen sie uns wieder an Wunder zu glauben gewöhnen. Das haben wir ja Anno 1844 bei der Rockgeschichte gesehen. Da hat es ja lauter Wunder gegeben, und am Ende, was waren das für Wunder? Gerade so wie bei den zwei hiesigen Fällen, die [angeblich] geheilt worden seien. Wir sind doch Augenzeugen, dass es eine gewaltige Lüge war, und doch haben die Pfaffen sich von dummen, gutherzigen Menschen, von 65 Personen, ein Zeugnis ausstellen lassen, dass das Wunder geschehen sei.

Wenn jetzt das gedruckte Wunder [der Bericht] in 50, 60 Jahren gelesen wird, dann wird es bestimmt Leute geben, die es glauben, denn es steht gedruckt und wird bezeugt durch so viele Leute. Bis dahin aber, glaube ich, gibt es keine dummen Menschen mehr. Siehst du, Katherine, so verhalten sich alle Wundergeschichten.  Es handelt sich um lauter Lügereien, jedoch haben diese Lügereien den Pfaffen viel Geld eingebracht.

Sie haben brav Ablässe ausgestellt, und Ablässe haben Geld gekostet. Im Fabrizieren von Wundern gab es keine geschickteren Leute als die Pfaffen; da hat ein Muttergottesbild die Augen verdrehen müssen; dort haben sie dafür gesorgt, dass der Heiland Blut ausschwitzte, hier hat ein Heiliger die Hand zum Himmel gestreckt und noch so viele tausend andere [„Wunder“ sind geschehen.]

Ist das nicht der schrecklichste Betrug, den die Pfaffen mit der unwissenden Menschheit haben treiben können? hat mein Mann gesagt. Wenn der dumme, unwissende, betrogene Mensch so ein Wunder sieht, ist da nicht sein bisschen Verstand ganz weg? Vernunftgründe helfen da nichts mehr, denn er hat selbst gesehen, dass die Mutter Gottes die Augen verdreht und wie der Heiland Blut geschwitzt hat.

Kath.: Ja, wie haben sie das aber machen können?

Lisb.: Warst du schon einmal in einem Wachsfigurenkabinett?

Kath.: O, ja, Potz Blitz, ja da habe ich gesehen, wie da Wachsfiguren die Augen verdreht und die Hände erhoben haben!

Lisb.: Und so kann man auch bewerkstelligen, dass Blut aus den Augen fließt, und das haben die Pfaffen gut verstanden. Sie hatten ja sonst nicht  zu tun  gehabt, besonders die Klosterpfaffen, als zu essen und zu trinken und sonst noch so allerlei, was ihnen gut gefallen hat, und hauptsächlich, die Menschen dumm zu halten.

Ist es nicht eine Schande, hat mein Mann gesagt, wie alljährlich die armen unwissenden Menschen nach Waldüren wallfahren, um das von Zeit zu Zeit neu angepinselte heilige Blut zu sehen, oder nur anrühren zu dürfen? Wie viele Menschen sind nicht schon auf dem Hinweg oder Rückweg verunglückt, und wie vielen Schaden haben sich die Leute Zuhause angetan, wo sie so viel Arbeit im Stich haben lassen müssen! Wen trifft denn die Schuld anders als die Pfaffen? Wenn es gefühlvolle, wahrheitsliebende Menschen wären, so würden sie die Leute belehren und von einer so beschwerlichen und ihnen nachteiligen Reise abraten. Die Wunder, die Gott alle Tage den Menschen durch seine Allmacht in der Natur zeigt, diese sichtbaren Wunder, hat mein Mann gesagt, die erscheinen damit nur als Bagatellwunder gegen die von den Pfaffen erfundenen.

[Den Pfaffen] wird es aber einmal so ergehen, wie den zwei Studenten zu Trier. Na, was haben die denn gemacht? habe ich meinen Mann gefragt. Hast du im ganzen Neuen Testament bei den vielen Wundern, die Christus all getan haben soll, je gehört, dass er einen Buckligen gerade gemacht hat? Nein, habe ich gesagt. Hast du gehört, dass von all den Wunderdoktoren, die je auf der Welt und auf einer Wallfahrt waren, ein Buckliger seinen Buckel verloren hat? Du auch nicht?.

Na, dann will ich dir sagen, wie ein buckliger Student durch das Berühren des Heiligen Rocks seinen Buckel recht hübsch und ganz verloren hat. Wie das denn zugegangen ist? habe ich gefragt. Das will ich dir sagen. Zwei lustige Studenten waren zu dieser Zeit in Trier; da hat der eine zum anderen gesagt, wir wollen uns einmal einen Spaß machen, die dummen Leute glauben zurzeit alles. Ich binde mir eine ordentliche [Schweins]blase hinten auf den Rücken, damit alle Leute sehen können, dass ich herzhaft bucklig bin. Und dann gehen wir zusammen in den Dom, und du stellst dich ein bisschen lahm und gehst immer hinter mir her bis zum Altar, wo der Heilige Rock hängt. Wenn ich dann den Heiligen Rock berühre, stichst du mir mit der Nadel in den Buckel, und so werde ich gleich den Buckel verloren haben, besonders wenn ich meine Jacke vorne ein wenig zusammen ziehe. Wie gesagt so getan. Die Studenten haben den Studentenstreich richtig ausgeführt. Gleich darauf war Hallelujah in allen Ecken: Ein Buckliger, ein Buckliger hat seinen Buckel verloren, ein Wunder über alle Wunder! Zu Hunderten sind die Menschen den Studenten nachgekrochen bis ans Wirtshaus. Auf einmal blieb der eine Student stehen und zog die [Schweins]blase aus seinem Rücken hervor und rief: Das war mein Buckel! Ganz verblüfft haben die Menschen da gestanden und haben sich einander angeschaut. Aber dann ging es los. Als die dummen Menschen sahen, dass sie getäuscht worden  waren, da sind sie auf die Studenten los gegangen, und wenn die beiden keine so flinken Burschen gewesen und sich ins Haus geflüchtet und hinten über die Mauer gesprungen wären, dann wären sie massakriert worden.

So geht es euch [Pfaffen] auch einmal, ihr Wunderfabrikanten! Die Studenten waren doch noch ehrlich und haben den Menschen gezeigt, dass [da nichts war.] Ihr [Pfaffen] aber stellt euch auf die Kanzel, wie es der Herr Professor Riffel getan hat, und sprecht: Kommt her ihr Ungläubigen, und seht die Wunder, die durch den Heiligen Rock geschehen sind! Es war freilich ein Wunder, dass ein so gescheiter Mann auf der Kanzel so [etwas] reden konnte, hat mein Mann mir gesagt. Die zwei Leute sind geblieben wie sie waren, wir haben sie ja alle Tage gesehen.

Aber wartet nur, ihr Wundermacher, ihr Wunderverteidiger und Wunderausstreuer, es soll euch gehen wie den zwei Studenten. Reißaus müsstet ihr nehmen, wenn das Volk erst einmal weiß, dass es von euch betrogen worden ist. Die Augen werdet ihr euch ausweinen wie die Mutter Gottes, und Blut werdet ihr schwitzen wie der Heiland vor lauter Angst, ihr Augenverdreher und  Blutschwitzerfabrikanten! Kennt ihr denn nicht das Sprichwort: „Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht?“ Und mein Mann, Katherine, hat ganz Recht, so wird es auch einmal kommen.

Kath.: Je öfter ich zu dir komme, Lisbeth, desto leichter wird es mir von Mal zu Mal. Was habe ich eine Angst ausgestanden vor den Gespenstern und Hexen und wegen der Wundermacher mit ihrer Hölle und Fegefeuer. Man hat sein Leben auf der Welt nicht genießen können. Vor Gott können die das gar nicht verantworten, und Gott müsste sie noch einmal für die Streiche, die sie mit der Menschheit getrieben haben, strafen. Ich bin dir recht dankbar dafür, Lisbeth, dass ich jetzt ganz anders [geworden] bin und mein Leben in Freude zubringen kann.

Lisb.: Keine Ursache, Katherine; es freut mich nur, dass du alles so schön begriffen hast, und dass du jetzt froher bist. Wenn nur alle Frauen die Wahrheit so gut begreifen und sich belehren lassen würden, es gäbe gewiss kein Zank und Streit mehr in den Häusern, und sie würden bestimmt friedlicher mit ihren Männern leben.

Kath.: Ja gewiss würden sie das, denn das habe ich ja an mir selbst erfahren. Seit mein Mann auf dem rechten Weg ist, [herrscht] jetzt ein wahres Götterleben in unserem Haus. Ich danke dir nochmals und werde dich noch recht oft besuchen.

Lisb.: Ja, mach das, Katherine, wir wollen weiter Freundschaft miteinander halten.


 

Siebentes Gespräch

Kath.: Was halten denn die Deutschkatholiken von der Taufe, Lisbeth?

Lisb.: Das will ich dir sagen, Katherine, wie mir mein Mann die Taufe erklärt hat. Die Taufe sei die Abwaschung aller Menschensatzungen und der Eingang zum neuen Bund, und deshalb hätte sich auch unser Heiland und Erlöser taufen lassen, damit alle Menschen an dem neuen Bund teilnehmen sollen, denn er hat ja gesagt: Wenn ihr teilnehmt am neuen Bund, so wird es einen Hirt und eine Herde geben. Die Pfaffen haben aber Christus 1800 Jahre zum Lügner gemacht, und wir können ihnen mit Recht zurufen, wie Christus im Matthäus 23. Kap. 37. Vers zu den Schriftgelehrten und Pharisäern spricht: Wie oft habe ich eure Kinder versammeln wollen, [so] wie eine Henne ihre Jungen unter die Flügel nimmt, ihr aber habt es nicht gewollt! Und sie wollen noch nicht! – Lese doch einmal die Mainzer Sonntagsblätter und das Mainzer Journal, wie da die Pfaffen und Piusleute gegen die Aufklärung und gegen jene Menschen losziehen, die sich von ihnen lösen wollen. Nichts als Zorn, Wut und Bosheit, Gift und Galle, das sind ihre Verteidigungsmittel gegen den unaufhaltsamen Geistesaufschwung, hat mein Mann gesagt; und dann wollen sie noch von Gott und Christus sprechen!

Ist denn Zorn, Wut und Bosheit, Verleumdung und Angeberei göttlich und christlich? O, ihr anfälligen Männer, habe ich zu meinem Mann gesagt, ihr geht mit diesen Männern viel zu glimpflich um, und spaßt nur mit ihnen, damit sie noch ärger in Wut geraten, und je wütender sie werden, desto mehr Freude habt ihr dran, und desto mehr lacht ihr darüber, und das ist auch Recht so.

Mit diesen Menschen darf man aber nicht lange spaßen, da muss man grob sein, recht grob, denn das sind die auch. Die sollten einmal mit uns Frauen anfangen, Katherine, was meinst du dazu? Die würden wir schon nach Hause schicken und so zurecht machen, dass kein Hund mehr ein Stück Brot von ihnen nähme! Bei uns würde aller Spaß aufhören. Ich glaube, die würden dann sagen: Ja, wenn die anfangen, dann hört alles auf, da ist nichts mehr zu machen! Und so wird’s auch einmal kommen, wenn unsere Männer nicht mehr so anfällig bleiben.

Kath.: Wenn es einmal dazu kommt, Lisbeth, dann tue ich auch, was ich kann. Wenn die Männer alle so wären wie meiner, dann wäre man gleich mit ihnen fertig, denn der kann grob sein. So wie der geschimpft hat und grob gegenüber den Deutschkatholiken war, genauso kann er das jetzt gegen die Pfaffen, weil er hinter deren Schliche gekommen ist. Aber, Lisbeth, du hast doch vorhin etwas gesagt vom Heiland und Erlöser. Halten denn die Deutschkatholiken Christus auch für ihren Heiland und Erlöser?

Lisb.: Freilich!

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Kath.: Von was hat er uns denn geheilt und erlöst? Ich habe nichts anderes gewusst, als dass er uns von der Erbsünde erlöst hat; aber mit der Erbsünde ist es ja nichts, wie du mir das erklärt  hast. Wie ist aber Christus als Heiland zu verstehen, und von was hat er uns denn erlöst?

Lisb.: Geheilt hat uns Christus von allem Lug und Trug, und erlöst hat er uns von der Pfaffenherrschaft und geistiger Knechtschaft.

Kath.: Ach, das klingt ein bisschen anders und vernünftiger und ist auch zu glauben, das will ich mir merken. Was ist das denn für ein Bund, den wir eingehen sollen?

Lisb.: In den Bund der Freiheit, der Wahrheit, der Menschenliebe und Brüderlichkeit! So hat das mein Mann gesagt, und dem glaube ich. Und wer sich von Lug und Trug nicht heilen lassen will, und nicht in die Freiheit und Wahrheit eingehen möchte, der soll nur ganz still sein von Christus, denn der glaubt nicht an seine Lehre.

Kath.: Ach! Das ist ja der schönste Bund der Welt, und in den Bund möchte ich auch; meinem Mann will ich das auch sagen, der bleibt gewiss nicht zurück. In den Bund sollten sich alle Menschen einschreiben lassen, dann wäre es eine Freude, auf der Welt zu leben.

Lisb.: Dazu wird es noch kommen, nur abgewartet! Die Menschen sind nicht mehr so dumm, denn sie fangen überall an nachzudenken.

Kath.: Wie kam es, Lisbeth, dass die Menschen mit dem Nachdenken begonnen haben?

Lisb.: Da waren die Pfaffen selbst dran schuld, hat mein Mann gesagt. Der Bischof von Köln hat zuerst damit angefangen, dass kein Katholik keinen Protestanten heiraten soll, und wenn so etwas [trotzdem] geschieht, dann sollten die Kinder katholisch werden. Da „hat es auf einmal gebrannt in allen Ecken“. [Daraufhin] hat es Zwiespalt über Zwiespalt in der friedlichsten Ehe gegeben. Hass und Bosheit haben die Pfaffen dadurch erzeugt. Aha, [hieß es daraufhin] wir sollen ausgerottet werden! Und dann ist der Kampf losgegangen. Wir haben damals gar nichts anderes in der Zeitung gelesen, als von gemischten Ehen und von den Anmaßungen der Pfaffen. Und alle Pfaffen waren Affen [Gefolgsleute] des Bischofs von Köln. Um die Vorschriften des Apostel Paulus haben sie sich gar nicht bekümmert.

Kath.: Was sind denn das für Vorschriften, Lisbeth?

Lisb.: Ich will dir berichten, wie mein Mann mir aus dem Neuen Testament vorgelesen hat, aus Paulus, erstes Sendschreiben an die Korinther 7. Kap. 12, 13, 14.

Da heißt es: Wenn ein Bruder eine Nichtchristin zur Frau hat, und es gefällt ihr ihm beizuwohnen, so scheide er sich nicht von ihr. Auch wenn eine Christin einen Nichtchristen zum Manne hat, und er zufrieden ist, ihr beizuwohnen, so scheide sie sich nicht von ihm; denn der nichtchristliche Mann wird durch die christliche Frau geheiligt, und die nichtchristliche Frau wird durch den christlichen Mann geheiligt; sonst wären ja eure Kinder unheilig, nun aber sind sie heilig!

Kann man das nicht verstehen, Katherine?

Kath.: Recht gut, Lisbeth! Da haben [damals] ja Christen Heiden zu Männern und Frauen gehabt, und der Apostel Paulus hat gesagt, die Ehe wäre gut und die Kinder wären heilig. Und jetzt wollen die Pfaffen noch nicht einmal die Ehe zwischen Katholiken und Protestanten dulden? Sind denn die Protestanten keine Christen? Das kommt mir ein bisschen komisch vor!

Lisb.: Du bist auf dem richtigen Weg, Katherine, und so ist es auch. Es hat aber etwas ganz anders dahinter gesteckt, und ich will dir sagen, wie es war, so wie mir mein Mann das gesagt hat!

Als Anno 31 [1831] die Menschen ein wenig nach der Freiheit geschnappt haben, was jedoch durch die Russen und Polen wieder zunichte gemacht wurde, da hat der Haupt-Fuchs zu den anderen Füchsen gesagt: Ich weiß ein Mittel, wie wir die Kanaille der Freiheitshähne vertreiben! Na, wie denn, haben die anderen Füchse gefragt?

Lasst die Pfaffen los, war die Antwort. Wir stützen und schützen sie und geben ihnen in allem Recht, was immer sie treiben. Sie müssen eine Religionsketzerei anfangen und die ganze Menschheit aufwiegeln. Wenn dann die Kanaille mit der Religion zu tun hat, dann vergessen sie leicht ihren Freiheitsschwindel. Und der schlaue Fuchs hat Recht gehabt. Durch die Unterstützung, die den Pfaffen garantiert wurde, sind sie unvernünftig geworden, und in ihrem Übermut haben sie das Heiligste vergessen, die Liebe und die Duldsamkeit, und sie haben sich sogar erlaubt, mit der Religion einen großen Spott zu treiben, wie wir durch die Trierer Rockfahrt gesehen haben und wie die armen unwissenden aufgewiegelten Menschen haben singen müssen: „Heiliger Rock, bitte für uns!“ Einen größeren Spott kann man doch gewiss nicht treiben!

Da war es dann aus. Die ganze Menschheit ist erwacht. Männer, denen es noch um wahre Religiosität ging, sind aufgetreten gegen dieses gotteslästerliche Schauspiel und haben den Bischof von Trier zugerufen: „Bis hierher und nicht weiter!“

Ronge, ein würdiger katholischer Priester, war entrüstet über so einen gewaltigen Religionsunfug und hat dem Bischof zu Trier in seinem [offenen] Brief tüchtig Vorhaltungen gemacht [Originaltext: „die Anck geputzt“], und das zu Recht!

Aber, wie sind dann die Pfaffen über ihn (Ronge) hergefallen und haben ihn einen Abgefallenen genannt. Ja, hat ihnen Ronge zur Antwort gegeben, abgefallen bin ich von eurem Spott und Hohn, den ihr mit der Gottheit und der ganzen Menschheit treibt; ja, abgefallen bin ich von euch, die ihr die Menschheit durch euren aufdringlichen Aberglauben zu verdummen strebt, damit ihr das arme Volk aussaugen und eure Herrschbegierde befriedigen könnt; aber nicht abgefallen bin ich von der Gottheit und der reinen Christenlehre, wie ihr! Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich die reine Christenlehre verteidigen, wenn ihr dieselbe zu lästern wagt!

So hat Ronge mit ihnen geredet, Lisbethchen, hat mein Mann gesagt. Aber auch andere tüchtige Männer haben ihm beigestanden und ihm Recht gegeben, wie der katholische Dekan und Schriftsteller Dr. Theiner und unser all verehrter, jetzt tot geschossener Robert Blum und noch so viele andere würdige Männer und katholische Priester. Überall haben sich Gemeinden gebildet, die sich von Rom und ihren Menschensatz-ungen losgesagt und sich der reinen unverfälschten Schriftenlehre angeschlossen haben.

Siehst du, so Lisbethchen, hat mein Mann gesagt, ist die ganze Bewegung gekommen und hat kommen müssen. Die Pfaffen haben anderen eine Grube graben wollen und sind selbst hinein gefallen! Bis du jetzt zufrieden Katherine?

Kath.: Recht herzlich bin ich zufrieden, und wir können Gott nicht genug danken, dass es so gekommen ist. Es wird doch einmal Gottes Wille sein, dass die Religionsstreitereien aufhören, die so viel Uneinigkeit unter die Menschen gebracht haben. Ach, Lisbeth, wie schön könnte es doch auf der Welt sein, wenn die Menschen, wie dein Mann gesagt hat, doch Christus nachfolgen würden und sich nicht mehr hassten und verfolgten wegen der Religion. Gott hasst uns ja auch nicht und lässt alle Tage die Sonne über uns Menschen scheinen, damit wir Nahrung und Brot haben sollen. Ich sehe es jetzt erst richtig ein, wie gewaltig mein Mann und ich auf dem Irrweg waren. So wie du von deinem Mann belehrt worden bist, so hast du es mir erklärt; und tausendmal Dank deinem Mann, dass er meinen Mann belehrt hat. Von da an ist nichts wie Frieden in unserem Haus, und mein Mann und ich haben seit dieser Zeit keinen Disput mehr über solche Fragen gehabt. Und denk einmal, Lisbeth, das hätte ich beinahe vergessen, dir zu sagen: Gestern abend ist mein Mann leicht angeheitert [vom Wein] heimgekommen. Anstatt wie sonst grob zu sein, war er freundlich und voller Freude. Katherinchen, hat er gesagt und hat mir die Wangen gestreichelt, liebes Katherinchen, heute hatte ich viel Freude. Na wie denn, du hast ja schon einiges getrunken, habe ich ihm geantwortet. Da kann sein, Katherinchen; ich war in einer Gesellschaft, da hat es mir so gut gefallen, dass ich einen halben Schoppen mehr getrunken habe als sonst, da war es eine wahre Freude zuzuhören.

Na, dann erzähl mal, habe ich zu ihm gesagt. Es waren lauter tüchtige Männer beisammen,  die es mit  allen Menschen gut meinen; aber auch ein paar Pfaffenknechte waren dabei.  Die haben gesagt:  Unsere ganze Freiheit ist dahin. Das sehen wir von Tag zu Tag. Es bleibt uns nur noch ein Weg, um unsere Freiheit ohne Krawall wieder zu erlangen, sagte einer. Wie denn? hat ihn ein anderer gefragt. Wir Menschen müssen uns zusammenschließen und die vielen Religionen abschaffen, weil sie ganz unnötig und schädlich und für unsere Freiheit hinderlich waren und noch sind. Wenn wir das getan haben, dann müssen sich die Fürsten auch mit uns versöhnen und vereinen, und sie können dann mit ihren Spazierstöcken unter uns spazieren gehen, ohne dass ihnen nur das Geringste geschieht. Ihre Schildwachen an ihren Schlössern können sie dann ruhig abschaffen, weil wir sie beschützen und weil wir auch uns und unsere Freiheit beschützen.

Eine Ehre ist die andere wert. Dann braucht ihr auch keine großen Steuern mehr zu bezahlen, weil der Krieg in Deutschland aufhört. Und wenn dann die Franzosen oder Russen kommen wollen, dann sind wir alle bei der Hand und jagen sie zum Tempel raus. Wenn wir einig sind, dann sind wir auch stark, und kein Teufel kann uns mehr unsere Freiheit nehmen. Und denen habe ich recht gegeben.

Und gerade das wollen die Deutschkatholiken oder die freien Christen, hat wieder ein anderer gesagt; und dennoch gibt es noch diese dummen Menschen, die über die Deutschkatholiken schimpfen. Ich bin noch kein Deutschkatholik, hat er gesagt, ich werde aber einer, weil diese nämlich eine Vereinigung wollen, und weil ihre Gottesverehrung vernünftig ist.

Dann fing ein anderer an und meinte: Denkt einmal, ich habe heute Nacht geträumt, ich hätte mit unserem Herrgott geredet. Darüber haben die anderen alle herzlich gelacht und gerufen: Was denn? Heraus damit! Ach, lieber Herrgott, habe ich zu ihm gesagt, helfe uns doch einmal, dass es uns besser geht. Ja, lieber Sohn, hat der gesagt, wie soll ich das denn anfangen? Jeder von euch will etwas anderes, und ich müsste Tag und Nacht am ewigen Weltrad drehen, und dadurch würde ich alles verpfuschen.

Denk einmal, hat er gesagt, da soll ich dem Fürsten helfen, weil er sich tituliert, er wäre von meiner Gnade, von der ich doch gar nichts anderes weiß, als dass ihr alle von meiner Gnade seid!

Da soll ich dem Papst helfen, weil der sogar ein Kamerad von mir sein will und heilig und Vater von euch sein möchte, was doch gewiss nicht sein kann.

Da will einer Regen haben, der andere Sonnenschein; da hat einer ein paar tausend Malter Frucht auf dem Speicher, dem soll ich keine neue Frucht wachsen lassen, dort hat wieder einer ein paar hundert Stück Wein im Keller, dem soll ich keinen neuen Wein wachsen lassen, etc. etc. :.

Sieh, lieber Sohn, hat er gesagt, wie ist es möglich, da zu helfen? Ich meine,  ich würde  gerade  genug für euch sorgen! Lasse ich nicht alle Tage die Sonne über euch scheinen und gebe euch Nahrung, und habe ich euch nicht die Vernunft und den Verstand gegeben, damit ihr euch selbst helfen könnt?  Schau mal, hat er gesagt, ich habe euch doch so geschaffen, dass keiner vor dem anderen einen Vorzug haben und keiner des anderen Knecht sein soll, aber jeder soll seinem Bruder Diener sein. – Und solange ihr das so befolgt habt, ist es euch gut gegangen; aber auf einmal habt ihr Menschen Streit mit mir angefangen, weil es euch zu gut gegangen ist, und ihr habt von mir verlangt, ich soll euch einen König geben, was mich recht geärgert hat! Ich habe euch vor einem König gewarnt und euch gesagt, dass ihr dem König eure Kinder und euer Geld geben müsst, und dass eure Freiheit verloren wäre. Ihr wart aber nicht einsichtig, ihr habt unbedingt einen König haben wollen, und ich habe euch einen gegeben. Da habe ich gedacht, ihr hättet mich in den Ruhestand versetzt und wolltet euch einmal von einem König regieren lassen.

Aber lieber Herrgott, bin ich ihm ins Wort gefallen, das waren doch nicht wir, das war doch vor vielen tausend Jahren  daran sind wir doch ganz unschuldig! Und ich bin auch ganz unschuldig, dass ihr jetzt unter der Knute seid, hat der liebe Herrgott geantwortet. Eure Könige sind gescheiter als ich! Wenn ihr einen Streit mit ihnen anfangt, dann versprechen sie euch alle Freiheiten und geben euch später gar nichts! So hätte ich es auch machen sollen! Helft euch jetzt selber und seht, wie ihr sie wieder los werdet.

Aber, lieber Herrgott, habe ich gesagt, wie sollen wir das denn anfangen? Gebe uns doch einmal einen guten Rat!

Euch ist schwer zu raten, hat er geantwortet; ihr tut es ja doch nicht, denn ihr glaubt viel eher euren Pfaffen als mir. Doch weil du ein ordentlicher Sohn bist, so will ich dir sagen, wie es bewerkstelligt werden kann. Schau, hat er gesagt, ich habe viel Verdruss damit, dass ihr so uneinig seid und dass ihr euch eurer Religion wegen verfolgt. Habe ich denn Heiden, Türken, Christen und Juden geschaffen? Gewiss nicht! Ich habe euch als Menschen, als freie Menschen geschaffen, damit ihr vollkommen werdet und euch einander liebt und helft, und damit ihr wie Brüder und Schwestern sein sollt. Nur dann kann ich mich an euch erfreuen! Glaubt ihr denn, dass der Mensch, der auf einer Insel wohnt und gar keine Religion hat, mir weniger lieb ist als ihr? Also, wofür euer Streit, den ihr mit der Religion führt? Und solange ihr diesen Streit fortführt, seht ihr mich als einen ungerechten Gott an, und deshalb muss ich erst recht erzürnt über euch sein.

Die Deutschkatholiken haben ganz Recht, die sehen alle Menschen als ihre Brüder und Schwestern an und halten mich für einen gerechten Gott. Stellt also eueren Streit ein und werdet alle meine Kinder! Schenkt den Pfaffen kein Gehör, die führen euch in den Irrtum, weil sie über euch herrschen wollen.


 

Sie sprechen viel von mir, aber sie erkennen mich nicht! Übergebt ihnen nicht euer teuerstes Gut, eure Kinder zur Erziehung! Lasst sie durch brave Lehrer in der Wahrhaftigkeit und in der Gerechtigkeit erziehen, und so könnt ihr auch frei werden. Und wenn eure Söhne so erzogen sind, dann werden sie sich nicht zur Unterdrückung eurer Freiheiten gebrauchen lassen und eure Fürsten werden eure Brüder sein, denn sie müssen es sein, weil ich ihnen in der Natur nicht mehr Recht gegeben habe als euch!

Dann habe ich ihn noch etwas fragen wollen, da haben die Preußen geblasen duh! duh! duh! – und ich war wach. – Zum Donnerwetter, habe ich da geflucht, können einen die Preußen nicht einmal ruhig mit unserem Herrgott reden lassen?

Ich glaube, wenn es der Hecker [1] gewesen wäre, hätten sie mich aus dem Bett heraus geholt, denn die Preußen sind gewaltig pfiffig.

Jetzt aber, Katherinchen, hat mein Mann gesagt, hättest du uns mal hören sollen, wie wir alle zusammen gelacht haben. Daraufhin meinte einer: Und wenn das auch nur ein Traum war, so ist es doch genau so, wie ich es euch vorhin gesagt habe, nämlich dass auf dem Weg dorthin nur wir allein uns helfen können, um unsere ganze Freiheit ohne Krawall zu erringen. Hätten die Franzosen vor 60 Jahren [gemeint ist die Französische Revolution] sich religiös frei gemacht und die Jesuiten zum Teufel gejagt, so wäre das viele Blut damals in Frankreich nicht vergossen worden. Und so lange sie das nicht tun, gebe ich auch keinen Pfifferling für ihre ganze Freiheit.

Das Schönste war dabei, Katherinchen, was dabei die Pfaffenknechte von Anfang an für Gesichter geschnitten haben. Später aber haben sie sich immer wieder einander angesehen und sich etwas ins Ohr geflüstert. Auf einmal haben wir die Gläser zur Hand genommen, angestoßen und gerufen: Es lebe die Vereinigung, es lebe die Wahrheit, es lebe die Gerechtigkeit, es lebe die Brüderlichkeit! Als das die Pfaffenknechte gehört hatten, da sind ihnen die Tränen [der Rührung] die Wangen herunter gelaufen, und dann haben sie auch die Gläser erhoben und mit uns angestoßen und sich mit uns verbrüdert.

„Hurra!“, haben sie gerufen: „So soll es sein, so muss es sein; alle Deutsche müssen Brüder sein und die Knechtschaft erledigt sich von selbst!“

Wir haben uns dann recht herzlich die Hände gedrückt und noch einen Schoppen zusammen getrunken und die Vereinigung und die Brüderlichkeit hoch leben lassen und sind zusammen ganz vergnügt miteinander nach Hause gegangen.

Siehst Du, Katherinchen, hat mein Mann zu mir gesagt, deswegen bin ich ein  bisschen  zu  lange  weg geblieben und habe ein Gläschen mehr


 

als sonst getrunken! Du bist doch nicht böse deswegen, Katherinchen? hat er gesagt. Gewiss nicht! Warum soll ich denn böse über dein Verhalten sein, wenn du vergnügt und in Gesellschaft von anderen braven Männern warst, habe ich ihm geantwortet. Darüber war er dann ganz zufrieden. Nun, Lisbeth, darüber bist du gewiss auch ganz froh?

Lisb.: Gewiss und recht herzlich froh; was wird erst mein Mann für eine Freude haben, wenn ich ihm das alles erzähle!

Kath.: Ja, tu das, Lisbeth, erzähle ihm alles und sage ihm, dass mein Mann und ich, wann immer in Rüdesheim wieder ein [deutschkatholischer] Gottesdienst stattfindet, mit euch gehen werden, und dass wir jetzt ewige Freundschaft miteinander halten wollen.

Lisb.: Das will ich machen, Katherine. Ja, und ewige Freundschaft wollen wir miteinander halten, aber auch Freundschaft mit allen Menschen; und an die Worte, die Christus gesprochen hat, wollen wir uns bei all unseren Handlungen erinnern: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg´ auch keinem anderen zu!  und was du gern getan hättest, das tue auch anderen!

In diesen Worten bestünde die ganze Christusreligion, hat mein Mann gesagt. Ja, und hier, Katherine, habe ich ein Gebetbuch mitgebracht, das mir mein Mann gegeben hat. Das Gebetbuch hat ein katholischer Pries-ter im Jahr 1797 geschrieben; es ist betitelt: „Für aufgeklärte Christen“. Er hat aber seinen Namen nicht nennen dürfen, sonst wäre es ihm schlecht ergangen. Ich lese dir daraus einmal etwas vor.

Kath.: Da bin ich aber gespannt, Lisbeth!

Lisb.: Lass alle Menschen, o Gott, in der Erkenntnis dessen wachsen, was gut und was wahr ist. Die Wahrheit führt zum Guten, und der Besitz des Guten macht glücklich. Befördere die Hilfsmittel, durch welche schädliche Irrtümer aus der menschlichen Gesellschaft vertilgt werden. Wie oft halten wir das für böse, was gut ist. Wie oft stellen wir uns das Elend größer vor, als es ist; wie oft kennen wir das wahre Gute nicht, das vor unseren Augen liegt! Ach, wie viel Betrübnis des Geistes drückt die Menschenkinder, wenn ihr Verstand von diesen drei Irrtümern umnebelt ist! – Darum, o Gott, lass die Wahrheit immer mehr ausgebreitet werden, damit auch die Glückseligkeit deiner Menschen wachse und sie das Übergewicht des Guten in der Welt immer mehr fühlen und richtig schätzen lernen. Besonders erwecke, o Gott und Vater, alle Menschen immer mehr zur Erkenntnis heilsamer Religionswahrheiten, die Jesus gelehrt hat. Lass sie durch die Betrachtung der Natur, durch das Lesen der Heiligen Schrift und durch den Unterricht aufgeklärter und wohlmeinender Lehrer immer tiefer in den Geist des Christentums eindringen. Stärke alle Menschen in der Überzeugung, dass die christliche Religion eine  Religion  der  Liebe sei, und dass man sich nur durch tätige Erweisung der Liebe und des Wohlwollens gegen andere als einen wahren Christen bezeugen könne. Lass uns, Vater aller Menschen, nicht stolz auf unseren Glauben, auf bessere Religionseinsichten sein, damit dieser unchristliche Stolz nicht Zank und Hader unter uns stifte und wir niemanden verfolgen, niemanden im Genuss des Lebens stören und in Ausübung der gesellschaftlichen Pflichten gegen Andersdenkende nicht erkalten.

Lass die wahre Religion, welche Tugend, Rechtschaffenheit und Menschenliebe lehrt, immer mehr Bekenner und Freunde finden. Erhalte die Ruhe, den Frieden, die gesellige Eintracht unter den Christen. Bereite und lenke auch unser Bruderherz zur Liebe aller derjenigen, welche die Religion Jesu gar nicht kennen oder welche dein heiliges Wort anders als wir verstehen, damit wir das Christentum nicht durch Hass und Unduldsamkeit entehren, sondern bei allem Unterschied der Glaubensmeinungen wohltätig, freundlich, mitleidig gegen alle Menschen ohne Rücksicht auf ihre Religion uns bezeugen und in aufrichtiger Bruderliebe mit ihnen vergnügt leben.

Hilf, dass die ganze Christenheit

Dich recht und heilig ehre,

Dass weder Hochmut, Hass noch Neid

Dein heilig´s Wort verkehre.

Lass seine Macht des Irrtums Nacht,

Der Sünde Reich bestreiten

Und seinen Schall sich überall

Zu deinem Ruhm verbreiten!

Gott und Vater! Behüte die Menschen vor Aberglauben und mache, dass sie alle auf eine würdige Weise von dir denken. Lass sie nicht auf Nebendinge in der Religion verfallen, sondern immer nur an der Hauptsache festhalten (Math. 23), dass sie in guten und tugendhaften Gesinnungen immer wachsen; dass sie mit Mut und Klugheit ihre Geschäfte verrichten; dass sie in ihren Lüsten, Begierden und Vergnügungen nicht bis zum Übermaß, nicht bis zum Nachteil ausschweifen; dass jeder zu des anderen Glück, so viel in seinen Kräften steht, beitrage!

Gott! Diese Religion breite in dem Menschengeschlecht aus und lass die Früchte derselben von einem Ende der Welt bis zum anderen sich ins Tausendfache vervielfältigen. Segne, o Vater des Segens, und belebe den allgemeinen Fleiß der Menschen, dass sie vor allem sich selbst zu bilden und vollkommener zu machen sich bestreben. Leite ihren Verstand auf nützliche Untersuchungen; lenke ihr Herz auf wohltätige und gemeinnützige Handlungen und gib, dass alle öffentlichen Anstalten zur Verminderung des menschlichen Elends und zur Vermehrung der menschlichen Wohlfahrt gedeihen mögen.

Segne,  o Vater des Segens,  den Hausstand;  verleihe  den  Eltern  alle


 

Tugenden und Freuden des Ehestandes; segne die Erziehung der Kinder, dass Eltern, Obrigkeiten und Lehrer sich ein gemeinschaftliches Geschäft daraus machen, gute Menschen, Bürger und Christen zu bilden und das Wachstum des bürgerlichen Wohls auch für die Nachwelt zu befördern. Gib den Dienstboten Treue und Eifer in ihrem Dienst und dann gute menschenfreundliche Herrschaften, welche daran gedenken, dass auch Diener und Knechte ihre Mitmenschen und Brüder sind
(Kolos. 3,  18-25, Ephes. 6,  1-9). Lass dir, oh Vater, aller Menschen, alle Menschen empfohlen sein. Gib, dass sie in dieser Welt deine unzählbaren Wohltaten mit Dank und Freuden genießen; denn zum Genuss des Lebens erschufst du den Menschen; und alle Güter der Erde schenkst du ihnen zu einem vernünftigen Gebrauch. Gib, dass sie durch wechselseitige Hilfe und Trost sich einander das Leben versüßen und miteinander vergnügt und fröhlich einher wandeln. Gib, dass sie mit vereinigtem Fleiß die Erde bebauen; alles, was sie liefert, zum allgemeinen Bedürfnis, zur Bequemlichkeit und selbst zur Verschönerung des Lebens anwenden.

Richte meine und aller Menschen Geschäftigkeit auf gute und nützliche Dinge, und lasse uns dann am geschäftigsten sein, wenn wir einander helfen, einander trösten und vergnügen können. (1. Tim. 2,  1-3).
O, Herr, ich bete für das Wohl aller lebendigen Geschöpfe, für alle Menschen. Insbesondere empfehle ich deinem Schutz und Segen meine Obrigkeiten, meine Eltern, Ehegatten und Kinder, meine Hausgenossen und Untergebenen, alle meine Anverwandten und vornehmlich meine liebsten Freunde und Wohltäter, - aber auch meine Feinde. Segne, o Vater des Segens, alle meine Beleidiger mit allem Segen, den ich mir selbst wünsche. Gib mir Kraft, ihnen von Herzen zu verzeihen und sie durch Liebe zu gewinnen. Gib allen Liebe, welche nicht lieben; gib allen Verstand, welche sich in schädlichen Irrtümern befinden; gib allen Trost, welche des Trostes bedürfen; gib allen unser tägliches Brot (Luk. 11, 3); gib allen, welche Böses getan haben, ein reuevolles Herz; gib dem Menschengeschlecht alles, wodurch es besser und vollkommener und seiner Bestimmung näher gebracht wird.

Gib uns Tugend, Weisheit und Freude und mache, dass wir alle erkennen, wie wenig die Welt ohne Tugend, Weisheit und Freude wünschenswert sei. Mache endlich, o Gott, dass ein jeder, nachdem er hier seinen Beruf durch einen tugendhaften Genuss der Lebensgüter, durch Wachstum in der Tugend und in allem Guten erfüllt hat, in jener Welt die Früchte eines rechtschaffenen Lebenswandels von deiner Güte einernten möge. Dies, dies, o Gott und Vater, bitte ich dich. Nimm das Rufen, das demütige und wohlgemeinte Gebet deines Kindes als einen Beweis seines redlichen und wohlmeinenden Herzens an. – Aber nicht genug; ich will auch tun, um was ich dich bitte; mein Gebet sei das  Losungswort meiner Handlungen. Mit erneuertem Eifer will ich zu meinem und anderer Wohl arbeiten; mit unverletzlicher Gewissenhaftigkeit will ich alle gesellschaftlichen Pflichten ausüben. Ich habe für mich und für andere gebetet und will auch, nach dem Geiste meines Gebetes, für mich und für andere tüchtig sein, damit ich nicht durch Nachlässigkeit, Ausschweifung oder Menschenfeindlichkeit selbst das Gute hindere und störe, welches ich von deiner Güte, Menschenvater, für mich und andere erbeten habe!

Amen.

 

Die christliche Menschenliebe

Gib mir, o Gott, ein Herz

Das jeden Menschen liebet,

Bei seinem Wohl sich freut,

Bei seiner Not betrübet;

Ein Herz, das Eigennutz,

Und Neid und Härte flieht,

Und sich um anderer Glück,

Wie um sein Glück bemüht.

Schöpfer! Menschenliebe ist dein größtes Gebot. Du hast den Menschen zur Geselligkeit, zum Wohltun, zur Liebe und durch die Liebe zur Glückseligkeit geschaffen; darum gabst du ihm feinere Empfindungen als den Tieren, darum schufst du sein Herz so weich, so der Liebe, des Mitleidens empfänglich. O Gott der Liebe, so ist demnach die Menschenliebe der Mittelpunkt, in welchem alles zusammenfließt, was von jeher Moses und die Propheten verkündet haben. So hat denn derjenige, welcher seinen Bruder liebt, das ganze Gesetz erfüllt!

So hast du mir keine höhere Schuld zu bezahlen auferlegt, als dass ich meine Brüder lieben soll! So ist also Menschenliebe die Fülle des Gesetzes (Röm. 13,  8-10).

O Gesetzgeber der Liebe, - Jesu! Menschenliebe ist also dein Gebot! „Das ist mein Gebot!“, sprachst du nach dem letzten Gastmahl der Liebe, “dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe“ (Joh. 15, 12). So ist also Menschenliebe das königliche Gebot – das Reichsgesetz des Christentums (Jak. 2, 8). So sprachst du vom Anfang bis zum Ende: „Liebt einander!“ So ist die Liebe das einzige große Zeichen, an welchem wir unsere Rückkehr vom Laster zur Tugend, vom Tod zum Leben erkennen (1. Joh. 3, 11. 14. 15).

Wenn jemand spricht: ich liebe Gott!

Und hasst doch seine Brüder

Der treibt mit dem Glauben Spott

Und reißt ihn ganz danieder.


 

Gott ist die Lieb´ und will, dass ich

Den Nächsten liebe, gleich als mich.

Wie haben dir jetzt die Gebete gefallen, Katherine?

Kath.: Ach, wie schön! Wie schön! – Und das Gebetbuch ist verboten worden?

Lisb.: Freilich! Es war den hochwürdigen Herren zu aufgeklärt, weil sie ihre Kundschaft nicht verlieren wollten. Wenn hingegen viel von Erbsünde, Hölle und Fegefeuer, vom Teufel und Gespenstern, heiligen Litaneien Ablass und Dispensen, Wallfahrten und Wundermärchen, von Ketzern, barmherzigen Schwestern und das Blumengärtlein drin gestanden hätte, o, dann wäre das Buch zu Tausenden gedruckt und verbreitet worden!

Kath.: So; na, dann wissen wir auch, woran wir sind und wo wir hingeführt werden sollen!

Lisb.: Fahrt nur fort, ihr hochwürdigen Herren, hat mein Mann gesagt, denn ihr tut jetzt Wunder, wie Christus, nur auf eine andere Art. Christus hat die Blinden sehend gemacht durch die Lehre der Wahrheit; ihr aber macht die Blinden sehend durch eure - - -. Hast du das verstanden, Katherine?

Kath.: Recht gut; o, ich bin nicht mehr so dumm! Adieu, Lisbeth! Ich bin jetzt ganz kuriert.

Lisb.: Warte, Katherine, ehe du fort gehst, will ich dir noch ein Gedicht vorlesen, das mir mein Mann gestern gegeben hat. Es hat im Alsfelder Intelligenzblatt gestanden anno 1847 vom 9. Oktober.

Kath.: Na, dann lese einmal [vor]!

An die Jesuiten

Ihr verdammten Volksverdummer,

Falsche Lehrer, Satansbrummer,

Finstre Feinde der Vernunft

Aus der Hokus-Pokus-Zunft!

Ihr elenden Schriftverdreher,

Sündenböcke, Messenkräher!

Beichtstuhlhocker, wohlerfahren

Alte Weiber derb zu narren,

Schöne Mädchen arg zu plagen,

Ihr Geheimnis zu erfragen!

O ihr miserablen Schmeichler,

Freche Lügner, freche Heuchler,

Freunde nur vom Pfaffentum,

Falsche, seelenschwarz und dumm!

Ihr verdammten Ignoranten,


 

Ruhestörer, Arroganten,

Fratzengoschen wilder Affen,

Schlechteste von allen Pfaffen!

Menschenfeind in Tat und Worten,

Unheilstifter aller Orten,

Störer guter Anverwandten,

Bauernbeutel-Spekulanten!

Ihr verschmitzten Kellerratten,

Freunde nur von Nacht und Schatten,

Hochverräter, Schlangenseelen,

Räuber, die das Volk bestehlen!

Doppelsinn´ge Bösewichter,

Finstre Isegrimm-Gesichter,

Voll von Satans Pfiffigkeit,

Nur zum Schlechten stets bereit!

Ihr verfluchten Alchemisten,

Feinde aufgeklärter Christen,

Ihr Aqua-Toffana-Spender,                     ( = starkes Gift)

Kindermörder, Mädchenschänder!

Unkraut in des Gartens Saaten,

Ekler Auswurf aller Staaten,

Meister ihr, den Schalk zu machen,

Erd und Himmel auszulachen,

Ihr, des freien Geists Tyrannen,

Hitzköpfe, weicht von dannen!

Vagabunden ohne Gleichen,

Ihr könnt euch zum Teufel streichen,

Aller Länder Spott und Schand,

Fort mit euch aus unsrem Land!

Ihr verfluchten Jesuiten,

Höllenfreunde, Sodomiten,

Drachen aus dem Höllenreich,

In die Hölle fort mit euch!

 


O Herr, erhör des Volkes Bitten:

Vertilg die Rott´ der Jesuiten!

Dr. Eremites und Dr. Albanus

 


Kath.: Ach, Lisbeth! Geb’ mir doch das Gedicht ein bisschen mit, damit ich es meinem Mann vorlesen kann. Denn das ist etwas für ihn, den hat es jetzt gewaltig gegen die Pfaffen gepackt. Der wünscht sie alle dahin, wo der Pfeffer wächst.

Lisb.: Da, nimm es mit und vergiss das Wiederkommen nicht. Adieu, Katherine!

Ende

 



[1]  Dr. Friedrich Hecker, Rechtsanwalt, Mitglied des Vorparlaments und aktiver Teilnehmer
   der Badischen Revolution