1850
Lisbeth und Katherine
oder belehrende Weibergespräche
über
religiöse Freiheit
In
der Mundart des Volkes im Binger Kreis, im unteren Rheingau, in der ganzen
Pfalz und der Nahegegend
Verlag
August Stritt,
Frankfurt am Main
Diese sehr frühe
deutschkatholische Publikation ist der gelungene Versuch, weite
kleinbürgerliche und bürgerliche Bevölkerungskreise mit den Anschauungen und
dem Wesen des Deutschkatholizismus vertraut zu machen.
Es ist anzunehmen, dass es sich bei der Schrift um eine Reaktion auf
die seitens der Amtskirche getätigten Kommentare gegen den Deutschkatholizismus
handelt. Der Verfasser bleibt anonym, wahrscheinlich, weil er bei offenem
Eintreten für den Deutschkatholizismus mit Repressalien rechnen musste.
Der Erfolg dieser frühen deutschkatholischen Werbeschrift beruhte auf
zwei Faktoren. Das ist einmal ihr betont regionaler Charakter. Die beiden
Frauen sprechen konkret von den Gottesdiensten in der deutschkatholischen
Gemeinde Rüdesheim. Zweitens ist die Sprache, in der das geschieht, nicht
Hochdeutsch, sondern Dialekt. Da im Dialekt bestimmte intellektuelle
Sachverhalte nur schwer oder gar nicht dargestellt werden können, konnten die
Leser seinerzeit sicher sein, wirklich „handfeste“ Dinge über den
Deutschkatholizismus erfahren zu können.
Allerdings erweist sich das, was damals den Erfolg der Publikation
ausmachte, heute als hinderlich. Der Dialekt zwischen Rheingau, Bingen, Nahe
bis in die Pfalz hinein hat sich verändert. Die damalige Mundart ist nur noch
schwer verständlich. Obwohl ich selbst zu dem Kreis gehöre, der in der Familie
und mit hiesigen Freunden und Bekannten Dialekt spricht, habe ich gemerkt, wie
schwer mir die Entzifferung des Textes gefallen ist. Ich gehe davon aus, dass
es anderen genauso schwer fallen wird. Deshalb habe ich mich entschlossen, den
Text ins Hochdeutsche zu übertragen,
auch wenn das meinem innersten Empfinden zutiefst widerspricht. Andererseits
halte ich den Inhalt dieser Publikation für zu wichtig als ihn nur aus diesem
Grunde weiter der Vergessenheit preiszugeben.
Lothar Geis
Vorwort
Immer trüber und immer trauriger
gestalten sich unsere deutschen Zustände. Das Pfaffen- und das Fürstentum
erhebt wieder gewaltig das Haupt, und sie stützen sich auf ihre vermeintliche
Macht und auf die Unwissenheit und den Aberglauben des armen geknechteten
Volkes. Diese Macht zu brechen, ist unsere Aufgabe; es ist unsere heilige
Pflicht, es ist die Aufgabe der Demokratie.
Ja,
deutsche Brüder, das Schwert müssen wir ziehen, das Schwert des Geistes! Es
schlägt nieder die Willkür, es schlägt nieder die Gewalt. Verstummen werden die
Kanonen, und sich strecken werden die Bajonette, wenn wir das Schwert mit
Geschick und Ausdauer zu führen wissen. Hinaus müssen wir auf das Feld des
religiösen Gebietes. – Nur dort allein werden und müssen wir den Sieg erringen.
Ablegen müssen wir aber vor allem
den heillosen Indifferentismus, die so genannte Gleichgültigkeit, welche
namenloses Unglück über unser armes deutsches Vaterland gebracht hat. Mit
Achselzuckereien ist noch nie etwas getan, noch ausgeführt worden. Zur Tat
müssen wir schreiten, wenn wir über Willkür und Gewalt den Sieg davontragen
wollen.
Auch Du, Atheist, schließe Dich
der guten Sache an, wenn Du Anteil für Dich und Deine Kinder an dem Sieg der
Freiheit haben willst!
Auch Du,
Strenggläubiger, der Du noch an den alten verrosteten Formen hängst, wisse,
dass Christus alle toten Formen über den Haufen warf und an deren Stelle die
Wahrheit und die Menschenliebe setzte! Erfasse den ewigen Geist, reiche uns
Deine Bruderhand zur Versöhnung und ziehe mit uns zur Vereinigung der ganzen
Menschheit in das Feld des freien religiösen Gebietes und hilf mit kämpfen für
Freiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit!
Vor Jahren schon hat ein dem
Greisenalter nahe stehender Bürger aus dem Gewerbestand dieses Feld betreten,
um zu kämpfen für Volks- und Schulbildung, und für die ewig unveräußerlichen
Menschenrechte. Und wenn ihm auch manchmal eine Wunde geschlagen wurde, so hat
er dennoch nicht das Feld geräumt und nimmt immer wieder den Kampf von neuem
auf. Deshalb wagt er auch jetzt ein Heftchen dem Druck zu übergeben in der
gewöhnlichen Mundart und Ausdrucksweise des Volkes, unter dem er lebt. Es hat den
Zweck, unsere Mitbrüder und Schwestern, denen gelehrte Schriften über das hier
Besprochene nicht zugänglich sind, religiös aufzuklären und sie für die
Freiheit und den Bruderbund aller Menschen empfänglich zu machen.
Am Rhein, im September 1850
Der Verfasser
Erstes Gespräch
Katherine : Na, Lisbeth, du warst ja einmal mit deinem Mann am Sonntag in
Rüdesheim; erzähle mir doch etwas davon.
Lisbeth : Ach, Katherine, wärst du nur dabei gewesen. Ich habe tausendmal an dich
gedacht. Du würdest gewiss nie mehr über die Deutschkatholiken schimpfen.
Kath. :
Ei, du hast doch auch als geschimpft und dich mit deinem Mann oft gezankt.
Lisb.:
Freilich hab´ ich das; wenn man aber nichts weiß und von anderen aufgestachelt
wird, dann schimpft man „so der Spur nach“. Es tut mir aber jetzt herzlich
Leid, das ich das getan und deswegen oft Verdruss gehabt habe mit meinem Mann.
Mein Glück war, dass mein Mann so eine gute Natur hat und nicht gleich so bös
sein kann wie andere Männer. Schau, Lisbethchen, hat mein Mann zu mir gesagt,
wenn ich recht geschimpft und ihm Vorwürfe gemacht habe, dass er von seinem
Glauben abgefallen wäre, „tue ich etwas Unrechtes?“ Was wirfst du mir denn vor?
Ich bin ja gar nicht von meinem Glauben abgefallen, ich glaube ja alles, was
Christus gelehrt hat und was göttlich und vernünftig ist. Nur glaube ich keine
Lügen, die uns von den Pfaffen „aufgebunden“ worden sind. Du weißt, Lisbetchen,
dass ich Lügen nicht ausstehen kann, denn wer sich das Lügen angewöhnt, ist gewiss
kein guter Mensch. Wenn man aber gezwungen werden soll, Lügen zu glauben, das
ist noch schändlicher, weil es eine Gotteslästerung ist, denn die Wahrheit muss
doch Gott wohlgefälliger sein als die Lüge.
Schau mal.
Wie oft hätte ich dir wegen deiner vielen Kirchenbesuche böse sein können.
Morgens um 5 Uhr stehst du auf und gehst in die Frühmesse, und bleibst dann so
lange weg, dass man zehn Messen hätte hören können. Und was tut ihr? Ihr steht
miteinander auf der Straße und klatscht über die Leute. Das ist eure ganze
Andacht; und ich armer Teufel sitze Zuhause wie auf „heißen Kohlen“ bei den
Kindern, die währenddessen wach geworden sind. Dem einen muss ich dann den
Schnuller in den Mund stecken, das andere muss ich im Arm wiegen, damit sie nur
ein wenig still bleiben, und währenddessen hätte ich recht gut meiner Arbeit
nachgehen und Geld verdienen können.
Sag einmal,
Lisbethchen, hat er zu mir gesagt, sag einmal ganz aufrichtig, ob das nicht
wahr ist? Von den Kirchenbesuchen allein kann man nicht leben; wir müssen Gott
danken für unsere Gesundheit, damit wir das verdienen können, was wir brauchen,
und danken kann man dem lieben Gott ja überall.
Wie ich das gehört habe, bin ich in mich gegangen und bin jetzt mäuschenstill und lass ihn gewähren. Das muss ich dir aber auch sagen, Katherine, dass mein Mann ganz anders geworden ist, seit er nach Rüdesheim geht. Er geht nicht mehr so oft ins Wirtshaus wie sonst und statt drei Schoppen trinkt er höchstens nur noch einen. Und wenn er sonntags in Rüdesheim war, trinkt er gar keinen oder nur einen halben, weil er damit das Fahrgeld einspart. Denk einmal, was er an meinem Namenstag getan hat!
Kat. : So, was denn?
Lisb. : Komm mal her, Lisbethchen, hat er mich gerufen und an sein Pult
geführt. Schau mal, was man nur allein durch weniger Schoppentrinken sparen
kann, und zieht die Schublade auf und zahlt mir 8 fl. und 36 kr. aus. Das habe
ich für dich gespart, weil ich gesehen habe, dass du für den Winter ganz
notwendig ein warmes Kleid brauchst. Das schenke ich dir jetzt zu deinem
Namenstag! Was meinst du, Katherine, wie ich da geschaut und was für eine
Freude ich gehabt habe? Vor lauter Freude habe ich ihm einen dicken Kuss
gegeben und davor hat er mich schon herzhaft geküsst.
Kath.: Da hast du auch ganz Recht gehabt, dass du deinen Mann gewähren lässt.
Ich würde Gott danken, wenn meiner so wäre. Bei uns ist es gerade umgekehrt.
Mein Mann geht Tag für Tag in die Frühmesse und bleibt so lange weg, dass er
währenddessen ein Dutzend Messen hätte hören können, und wenn er heimkommt,
dann riecht er, als hätte er in einem Tresterfass gesteckt, und ist dann
obendrein streitsüchtig und grob. Wenn ich ihm seinen Kaffee aufgehoben habe
und er ihm nicht mehr so gut schmeckt wie ein frisch gekochter, dann schüttet
er ihn mir vor die Füße und schreit: Da, sauf du deine Plörre! Und dann darf
ich kein Wörtchen dazu sagen, und ich muss mäuschenstill sein.
Lisb.: Denk mal, ich habe immer geglaubt, er wäre so ordentlich und brav
gewesen, als er dich geheiratet hat?
Kath.: Ja, am
Anfang war er ganz ordentlich und brav, da war ich das Katherinchen vorne und
hinten. Es hat aber gar nicht lange gedauert, da hat er mich nur noch Katherine
gerufen, und jetzt ruft er mich nicht anders als „Hörst du!“ – und auch gelegentlich:
„Du Himmels-Sakrament-As!“ Den solltest du einmal schimpfen hören auf die
Deutschkatholiken. Die Erde fängt an zu zittern, wenn der anfängt. Die
Spitzbuben, die schlechten Kerle, die keine Religion haben und von ihrem
Glauben abfallen, vergiften, hängen, verbrennen und aufs Rad schlagen soll man
sie! Ganz rasend wird er, wenn er von denen anfängt. Aber fromm ist er, recht
fromm, das muss man schon sagen. Wenn die Glocken läuten, ist er in der Kirche,
und wenn es sonntags zur Kirche läutet, dann fragt er mich gleich: Rufen die
Glocken? Dann sage ich immer: ja, damit ich ihn ein bisschen früher „vom Hals
kriege“. Dann läuft er so schnell er kann, damit er die Sache nicht versäumt.
Dann kommt er aber nicht vor 12 Uhr nach Hause, und dann bringt er aber
ordentlich was [Rausch] mit.
Das
Beste ist, dass er sich gleich nach dem Essen zum Schlafen legt, dann habe ich
doch ein bisschen Ruhe. Punkt 3 Uhr wird er aber wieder wach und geht in seine
Predigt, um dabei ganz auszuschlafen. Danach bleibt er aber munter, ohne zum
Nachtessen heim zu kommen, bis 11, 12 Uhr, manchmal sogar wird es 1 Uhr, bis er
heim kommt. Wenn ich ihn dann holpernd und polternd kommen höre, dann muss ich
gleich in meinem Bett Platz machen, und muss fast in die Wand hinein kriechen,
denn er lässt sich mitsamt seiner Kleidung ins Bett plumpsen. Sein Nachtgebet
vergisst er aber nicht, und wenn er noch so volltrunken ist. Wenn er damit
anfängt, schlägt er übermäßig weit ausholend das Kreuz; das ist aber lang nicht
so groß wie das, was ich mit ihm zu tragen habe.
Am
nächsten Tag habe ich aber noch darunter zu leiden. Dann kommen die Leute zu
mir und sagen: Herr Jesus, was hat dein Mann wieder alles angestellt, er kommt
vors Polizeigericht! Dann erschrecke ich zu Tode, und habe dann nichts weiter
zu tun, als herumzulaufen und die Leute zu bitten, dass sie ihn nicht anklagen,
was sie mir zuliebe auch tun, denn er bringt das nicht fertig. Wenn er nüchtern
ist, kann er keine Katze hinterm Ofenloch herauslocken. Schimpfen, schimpfen,
das ist alles, was er kann.
Aber
Lisbeth, wir sind so ganz von unserem Gespräch abgekommen. Ich habe dich fragen
wollen, wie dir´s in Rüdesheim gefallen hat?
Lisb.: Ja, Katherine, das wollen wir auf ein anderes Mal aufsparen, da kann
ich dir vielleicht noch mehr erzählen, denn am Sonntag ist wieder Kirche in
Rüdesheim bei den Deutschkatholiken; wenn es mir wieder möglich ist, dann gehe
ich mit meinem Mann hinüber. Heute haben wir ein bisschen zu lange geplauscht,
und ich will doch meinen Mann, der so brav ist, nicht entzürnen.
Kath.: Na dann bis nächste Woche!
Lisb.: Es bleibt dabei!
Zweites Gespräch
Kath.: Na, Lisbeth, warst du am Sonntag mit Deinem Mann in Rüdesheim?
Lisb.: Nein, ich konnte nicht, meine Kinder waren krank, da habe ich bleiben
müssen, so gerne ich mitgegangen wäre; mein Mann aber war drüben und hat mir
wunderbares von der Predigt erzählt.
Kath.: Sag mir doch erst einmal, wie es dir gefallen hat, als du drüben warst.
Lisb.:
Das will ich
dir sagen. Ich
bin mit meinem Mann zuerst nach
Kempten gegangen und von da erst sind wir über den Rhein gefahren, damit die
Leute nichts merken und nicht darüber reden. Unterwegs hat mein Mann zu mir
gesagt: Lisbetche! Sieh, du musst dir nicht einbilden, dass du in eine
ordentliche Kirche hinein kommst, wo viele Lichter brennen und Heiligenbilder
stehen; auch siehst du den Geistlichen nicht mit aufgeputzten, mit goldenen und
silbernen Bordüren und mit daran hängenden goldenen Quasten verzierten
Kleidern.
Du kommst
in eine ganz einfache große Stube mit einem Altar, auf dem ein Kruzifix steht
und ein paar Leuchter mit Kerzen und dann die Kanzel.
Wenn du
hinein kommst, brauchst du kein Kreuz
zuschlagen, denn das haben wir genug. Auch werden wir nicht mit Weihwasser bespritzt, weil wir ohnehin
„nass bis an den Hals sind“. Auch wird kein Weihrauch
gemacht, denn wir sind „angeraucht genug“. Du hörst auch kein Geklingel oder Geschelle, um auf die Brust
zu klopfen; ohne Geschelle wird dir doch das Herz von selbst klopfen, wenn der
Geistliche die kraftvollen Gebete betet und auf der Kanzel so liebevolle Worte
zu der ganzen Menschheit spricht, und wie der liebe Gott so viele Millionen
Menschen auf der Welt geschaffen hat, nicht dass der eine katholisch, der
andere lutherisch, die übrigen Juden, Heiden und Türken sein sollen; nein, sie
sollen Menschen sein und sich brüderlich einander lieben und sich helfen mit
Rat und Tat; und wer seinen Mitmenschen liebt, der kann auch nicht böse sein,
er kann nicht lügen und betrügen, er kann ihn nicht hassen und verfolgen und
ihn um sein Vermögen bringen.
Du
wirst nichts hören, Lisbethchen, hat mein Mann zu mir gesagt, von Hölle und Fegefeuer; das wäre die
Schatzkammer der Pfaffen gewesen – Hölle und Fegefeuer hätten wir auf der Welt
genug! Auch die Erbsünde wäre erfunden, das wirst du hören, der liebe Gott sei
allgütig und barmherzig, der würde keine Sünde
fortbestehen lassen. Du hörst auch nichts von Heiligen, weil kein Mensch heilig
sein kann, denn nur einer wäre heilig, das wäre der liebe Gott.
Wie wir so
im Gespräch vertieft nach Rüdesheim gekommen sind, habe ich es genauso
vorgefunden wie mein Mann es mir geschildert hatte. Die Stube war ganz voll,
auch die Nebenzimmer, mit lauter schönen und vornehmen Leuten. Wie ich das
gesehen habe, da habe ich mir gedacht: Es muss doch gut und schön sein, denn
die vornehmen Leute wissen doch mehr als unsereiner. Auf einmal hat die Kirche
begonnen und ein hübscher junger Mann hat mir ein Gesangbuch in die Hand
gegeben.
Der
Geistliche war ein schwarzhaariger schöner Mann, er trug einen langen schwarzen
Rock und hat sich an den Altar gestellt. Die Gebete,
die der Mann aber gebetet hat, die, Katherine, hättest du einmal hören sollen!
Solche hast du gewiss noch keine gehört, die gehen einem durch Mark und Bein, ohne Tränen in den Augen kann
man die nicht hören,
und
der liebe Gott hört sie ganz gewiss! Aber die Predigt
erst, nein, solch eine Predigt habe ich mein Lebtag noch nicht gehört. Einen
ganzen Tag könnte ich da zuhören, ohne müde zu werden. Alles, was er gepredigt
hat, war nichts als lauter Menschenliebe, und er hat uns als Muster der Liebe
Jesus Christus dargestellt und durch viele Beispiele bewiesen, wie der alle
Menschen geliebt hat, und keine Unterschiede in der Religion kannte. Zum
Beispiel vom barmherzigen Samariter, Jesus am Jakobsbrunnen, Jesus im Tempel zu
Jerusalem, wie es ihn so tief schmerzte, dass die Heiden im Vorhof noch nicht
einmal ein Platz gefunden hatten, Gott in Ruhe anbeten zu können, wegen der
vielen Käufer und Verkäufer, bis er sie aus dem Tempel heraus jagte und noch
viele andere schöne Beispiele.
Christus
hat nicht gesagt, die oder jene Religion ist die beste, das ist die allein
Seligmachende; nein, an den Früchten wird man euch erkennen, dass ihr meine
Jünger seid! Was auch der Apostel Paulus gesagt hat: Sage mir einmal einen
Glauben ohne Werke, dann sage ich dir den Glauben durch die Werke. Und Christus hat weiter gesagt: Was du nicht
willst , dass dir geschehe, das tu auch keinem anderen, und was du gerne getan
hättest, das tue auch anderen, in diesen Worten bestünde die ganze Religion,
und das glaube ich auch.
Wie die
Kirche aus war, ist gerade der Pfarrer an mir vorbei gegangen, und wenn mich
nicht geschämt hätte, so hätte ich ihm um den Hals fallen und ihn küssen mögen.
Jetzt, Katherine, bin ich so gut deutschkatholisch wie mein Mann. Auf dem
Rückweg hat mein Mann immer gesagt: Denk einmal, Lisbethchen, der Apostel
Paulus war ein Jude, der die Christen aus Fanatismus ganz gewaltig verfolgt
hat. Er war aber auch ein gescheiter Mann. Als er sah, dass die Christen gute
Menschen waren, hat er darüber nachgedacht und gefunden, dass er auf dem Irrweg
war und hat sich herum gewendet und wurde der beste Christ der Welt, und er ist
der eifrigste Beförderer des Christentums geworden. Wenn aber jetzt [sich] so
ein Paulus oder ein geistlicher Herr herum wendet zum reinen Christentum ohne
Menschensatzungen, dann schreien die Pfaffen Mordio und machen den Menschen
weis: Das war ein schlechter Pfaff, wir sind froh, dass wir ihn entdeckt haben;
so muss sich die heilige Mutterkirche reinigen! Wenn sie sich aber so weiter
reinigt, dann stehen sie bald da wie die Sonne bei einer totalen Verfinsterung.
Wenn man
aber sagt: Warum hat aber der Mann 2000 oder 3000 fl. Einkommen vertauscht
gegen 700, dann sagen sie wieder: Der hat ein unzüchtiges Leben geführt, dem
steckte das Heiraten in der Nase! Darüber möchte man sich mausetot lachen. Ja,
ja, ja! Fasst euch doch an eure eigene Nase und denkt an den Apostel Paulus,
wie er in seinem Brief an die Korinther schreibt: Ein Bischof soll sein eines
Weibes Mann und soll gehorsame Kinder haben, damit der als guter Haus-vater
anderen mit gutem Beispiel vorangehen soll! Meinen guten Apostel Paulus aber
haben die Pfaffen ganz fallen gelassen, weil er “ihre Liedchen nicht singt“ und
sogar von den Festtagen nichts wissen will, weil er gesagt hat: „Nicht, was in
den Mund hineingeht, verunreinigt den Menschen, sondern, das, was aus ihm
herausgeht!“ Auch hat der Apostel Paulus genau so wie Christus gesagt: „Niemand
ist heilig, als der Vater im Himmel!“ Jetzt
sag mir mal, Katherine, haben wir nicht schon oft eine ganze Litanei von
Heiligen anrufen müssen, die für uns bitten sollten? Wenn die zuhören und sehen
würden, dann hätten wir Millionen von Göttern, und wir sollen doch nur an einen
Gott glauben, der nur allein alles hört und sieht. – So, Katherine, hat mein
Mann mich belehrt, und weißt du auch mit was?
Kath.: Mit was
denn? Das möchte ich doch hören.
Lisb.: Im Neuen Testament hat er alles nachgeschlagen, da steht es so
haargenau drin, wie er es gesagt hat. Du musst auch noch eins haben, denn wir
Mädchen haben ja das Neue Testament in der Schule haben müssen. Der Herr Kaplan
Riffel, jetzt Doktor und Professor, hat das eingeführt. Ob aber die Kinder es
jetzt noch im Unterricht benötigen, das weiß ich nicht. Ich habe gehört, nein!
Das Buch würde sich nicht mehr für die Kinder eignen, weil sie so viel
nachgrübeln würden, und sie sollen doch nicht aufgeklärt werden, weil die
Aufklärung den Pfaffen nicht gefällt.
Kath.: Warum aber sollen die Kinder nicht aufgeklärt werden?
Lisb.: Weil die Pfaffen besser über die Dummheit herrschen können als über die
Aufklärung.
Kath.: Ach so, jetzt versteh ich es bald, zum Beispiel über solche Leute wie
meinen Mann, der nichts wie schimpfen kann über die Deutschkatholiken und den
Pfaffen „die Stange hält“.
Lisb.: Dein Mann wird auch noch anders. Gebe ihm nur ein paar gute Worte und
sage ihm, dass der liebe Gott doch gewiss keine Freude am Schimpfen und Fluchen
haben könnte, und gebe ihm das Neue Testament zu lesen. Ich habe schon mehrere
solcher Männer kennen gelernt, die so grausam über die Deutschkatholiken
geschimpft haben. Später haben sie sich darüber selbst geärgert und haben es
von da an mit den Deutschkatholiken gehalten.
Kath.: Na, das will ich mal probieren, und wenn das Gottes Wille wäre, dass
mein Mann besser wird, dann will ich so froh darüber sein wie ein Engel. Aber
jetzt, Lisbeth, möchte ich dich noch allerlei fragen.
Lisb.: Na, was denn Katherine?
Kath.: Glauben denn auch die Deutschkatholiken an die Erbsünde?
Lisb.: Nein,
daran glauben sie nicht!
Kath.: Warum denn nicht?
Lisb.: Weil die Erbsünde mit der Allwissenheit, der Allgütigkeit und
Barmherzigkeit Gottes im Widerspruch steht.
Kath.: Wieso?
Lisb.: Weil der liebe Gott allwissend ist und im Voraus hätte wissen müssen,
dass die ersten Menschen von der verbotenen Frucht doch essen würden, hätte er
es ihnen nicht verbieten dürfen.
Kath.: Warum hätte der liebe Gott es ihnen nicht verbieten dürfen?
Lisb.: Weil er
es durch seine Allwissenheit im Voraus gewusst hat, dass die ersten Menschen
die Frucht doch essen. Ich will dir´s jetzt ganz klar machen. Zum Beispiel: du
hast über eine bezahlte Schuld eine Quittung in der Hand, und das Geld wird
noch einmal gefordert, und der Gläubiger will vor Gericht schwören, dass du ihm
das Geld nicht bezahlt hast, so darfst du ihn nicht schwören lassen, weil du
ganz sicher weißt, dass er durch einen falschen Eid sündigt und sich strafbar
macht, und kann es dir bewiesen werden, dass du eine Quittung in der Hand
hattest und ihn dennoch hast schwören lassen, so bist auch du schuldig, denn du
hast eine Sünde begangen, weil du deinen Mitmenschen wissentlich ins Unglück
hast laufen lassen.
Gott
hätte also dereinst gesündigt und nicht die ersten Menschen, aber Gott kann
nicht sündigen, deshalb ist die Lehre von der Erbsünde falsch.
Und
wie könnte auch der liebe Gott so böse aufgebracht sein, nur wegen eines solch
lumpigen Apfelbisses die Menschen aus dem Paradies hinauszujagen und sie und
ihre Nachkommen zu verfluchen? Wie stimmt das denn mit der Lehre von der
Allgütigkeit und Barmherzigkeit Gottes überein? „Was meinst du denn dazu“,
Katherine?
Kath.: Alles, was du mir jetzt über die Erbsünde gesagt hast, habe ich
freilich nicht in der Christenlehre gehört, aber ich glaube dir alles, weil es
vernünftig ist und ich es begreifen kann. Ich glaube also auch nicht an die
Erbsünde und halte das für ein Märchen. Ich habe dich noch viel zu fragen,
Lisbeth, denn ich muss alles wissen; aber für heute ist es zu spät. Morgen
komme ich wieder zu dir.
Lisb.: Das ist mir recht, komme nur rechtzeitig.
Drittes Gespräch
Kath.: Du hast
ganz recht gehabt, Lisbeth, mit der Erbsünde, das ist nichts. Ich habe mein
Neues Testament durch und durch gestöbert und kein Sterbenswörtchen darin von
der Erbsünde gefunden, also ist daran auch nicht zu glauben. Jetzt muss ich
dich aber wieder etwas fragen.
Lisb.: Na, was denn?
Kath.: Beichten die Deutschkatholiken auch?
Lisb.: O ja, sie beichten auch
Kath.: Wem denn?
Lisb.: Dem lieben Gott selbst, der nur alleine Sünden vergeben kann, wie es
geschrieben steht. Bei dem müssen sie nicht lügen, denn der weiß alles, was wir
gesündigt haben, der braucht keinen Advokat.
Kath.: Sie beichten also ihre Sünden nicht dem Geistlichen?
Lisb.: Nein, die Ohrenbeichte haben die Deutschkatholiken abgeschafft, weil es
ein Zwang ist, und sich so etwas mit einem freien Christentum nicht verträgt.
Kath.: Aber, Lisbeth, ich habe doch im Neuen Testament gelesen, dass Christus
zu seinen Jüngern gesagt haben soll: Gehet hin und lehrt alle Völker, und denen
ihr ihre Sünden vergebt, denen sollen sie vergeben sein, und denen ihr sie
aufbehaltet, sollen sie auch vergeben sein!
Lisb.: Das ist
wohl wahr, dass das im Neuen Testament steht. Damit hat aber Christus nicht
gemeint, dass man einem anderen seine Sünden ins Ohr sagen soll. Erstens haben
die ersten Christen viele Jahrhunderte keine Ohrenbeichte gekannt, die ist
später erst durch die Pfaffen erfunden worden. Wie sie uns richtig in ihre
Knechtschaft hinein gebracht haben, da haben sie auch die Ohrenbeichte
eingeführt, weil sie gerne wissen wollten, was wir tun, damit sie uns recht
„über den Kamm scheren„ können. Die Ohrenbeichte hat diesen Leuten schrecklich
viel Geld eingebracht. Wenn sie zum Beispiel einen Mann gesucht haben, der
krank und recht reich war, den haben sie gleich im Visier gehabt, und je größer
der Sünder war, desto lieber war es ihnen und um so teurerer haben sie ihm
durch die Sündenvergebung das Himmelsreich verkauft. Und das, was sie für das
viele Geld selbst aufgewendet haben, hat sie keinen Kreuzer gekostet. Jetzt
aber geht das nicht mehr so recht, sie wollen es aber doch wieder so weit
bringen, aber da wird nichts mehr daraus.
Darum
schimpfen sie auch so über die Deutschkatholiken, sie seien abgefallen. Und
darin haben sie ganz recht, hat mein Mann zu mir gesagt, abgefallen von allem
Lug und Trug, aber frei gemacht von der Pfaffenherrschaft. Und zu Gefallen der
Wahrheit und dem reinen Christentum.
Zweitens
hat Christus gesagt: Mein Joch ist süß, meine Bürde ist leicht, liebet euch
einander, und so habt ihr mein Gebot erfüllt! Das steht auch im Neuen
Testament.
Jetzt
sag einmal, Katherine, ob das Beichten nicht ein Joch und eine Bürde war, oder
hast du schon einmal gerne gebeichtet?
Kath.: Nein,
Lisbeth, gerne gebeichtet habe ich nicht. Wann immer die Zeit zum Beichten
gekommen war, da habe ich gemeint, ein Berg würde auf mir liegen!
Lisb.: So ging mir es auch. Jetzt sage mir einmal aufrichtig, Katherine, wenn
du gebeichtet hast, hast du dann auch alles gebeichtet, was du getan hast? Ei,
Katherine, du wirst so durch und durch rot! Ach, das brauchst du nicht zu
werden, es ist mir gerade so gegangen. Mein Mann hat mir schon oft gesagt, die
Pfaffen werden in der Beichte angelogen, dass sie ganz schwarz werden, noch
schwärzer als sie es schon sind!
Damit du
aber recht begreifst, Katherine, warum die Ohrenbeichte abzulehnen ist, will
ich dir ein Beispiel geben, das mein Mann verwendet hat. Zum Beispiel, hat er
gesagt, ich hätte einen Sohn, für den ich alles getan hätte, um ihn zu einem
ordentlichen Menschen zu erziehen. Er aber ist in böse Gesellschaft geraten,
wurde liederlich und ungezogen; und wo er mich hätte betrüben können, hätte er
es getan. Am Ende hätte ich ihn aus meinem Haus fortgejagt, so schmerzlich mir
dies auch gefallen wäre. Jetzt sind Jahre vergangen, und ich habe seither nie
mehr etwas von ihm oder über ihn gehört, obgleich ich tausendmal an ihn gedacht
und mich immer wieder daran erinnert habe, wie er als kleiner Junge mir so viel
Spaß bereitet hatte und wie ich ihn geherzt und geküsst habe und wie ich immer
in Sorge um ihn war.
Und auf
einmal kommt jemand zu mir und richtet mir einen Gruß von meinem Sohn aus, und
der hat ihm [dem Überbringer des Grußes] den Auftrag gegeben, er solle mit mir
reden, damit ich ihm all das Ungemach, das er mir angetan hätte, verzeihen
solle. Er wäre jetzt älter und zu Vernunft gekommen. Was werde ich jetzt dem
Zwischenträger sagen? Geh hin und grüße ihn auch von mir und sage ihm, er solle
zu mir selbst kommen, und wenn ich dann aufrichtige Reue bei ihm bemerken
würde, dann werde ich ihn auch wieder in meine Vaterarme aufnehmen. Und so ist
es auch, wenn wir Gott beleidigt haben durch schlechte Handlungen, die wir aber nicht wieder begehen wollen. Dann geht
man zu Gott selbst, der keine Beamte benötigt, die in seinem Namen etwas tun
wollen.
Schau
einmal da, Lisbethchen, hat mein Mann zu mir gesagt und schlägt das Neue
Testament auf, Matthäus, 23. Kapitel,
wie da Christus mit den Schriftgelehrten und Pharisäern redet und sie Heuchler
nennt. Sieh einmal, und lese den ersten Vers: „Ja,
sie binden schwere und unerträgliche Lasten zusammen und legen sie auf die
Schultern von Menschen, sie berühren sie aber nicht mit einem Finger [dabei.]“
Sieh, das
spricht auch gegen die Ohrenbeichte! Und dann ist sie auch ganz unvernünftig.
Wie kann ein sündiger Mensch da sitzen und im Namen Gottes anderen Menschen
Sünden vergeben? Die Vernunft sträubt sich dagegen, und die Vernunft ist
göttlich, weil sie uns Gott vor allen anderen Tieren gegeben hat, damit wir
durch die Vernunft die Wahrheit erkennen und in derselben vollkommener und Gott
ähnlicher werden sollen, und deswegen haben die Deutschkatholiken die
Ohrenbeichte verworfen.
Und weiter
hat mein Mann zu mir gesagt: Sieh einmal, wie viele Millionen und Milliarden
Menschen hat Gott auf der Welt geschaffen; von denen beichten die
allerwenigsten. Glaubst du denn, Lisbetchen, hat er gesagt, dass der liebe
Gott, den wir Gott der Gerechtigkeit nennen, seine übrigen Kinder, weil sie
sich nicht die allein Seligmachenden nennen und nicht an die Erbsünde glauben,
dass er die verdammt? Nein, gewiss nicht!, habe ich ihm gesagt, sonst wäre er
ein ungerechter Gott, und das ist er nicht und kann es nicht sein, weil er
gütig und barmherzig ist!
Er
ist kein Pfaffe wie jene, hat mein Mann gesagt, die alle Menschen verdammen,
welche ihrem selbstgerechten Glauben nicht folgen wollen. Was meinst du,
Lisbethchen, hat er gesagt, wenn der Bonifazius, der das Christentum bei uns
eingeführt hat, mit der Ohrenbeichte gekommen wäre, was unsere Ureltern, die
doch Heiden waren, mit ihm gemacht hätte? Aus dem Land hätten sie ihn gejagt.
Mit dem Beichten, Katherine, ist also nichts.
Kath.: Ach, Lisbeth, was bin ich jetzt so froh, du hast mir es jetzt ganz
leicht gemacht und einen Stein von meinem Herzen genommen. Du hast mir´s jetzt
so klar gemacht, dass mich auch kein Teufel mehr zum Beichten bringt. Hätte ich
nur nicht so über die Deutschkatholiken geschimpft!
Lisb.: Das hat nichts zu sagen; ich habe es ja auch getan. An dem Schimpfen
ist, wie es auch jetzt noch geschieht, gerade das Beichten schuld.
Kath.: Na, dann wollen wir nicht mehr beichten und doch bessere Menschen
werden. Beim nächsten Mal, Lisbeth, habe ich wieder etwas anderes zu fragen.
Lisb.: Ja, das tu´ nur, Katherine, und komme recht oft zu mir.
Viertes Gespräch
Kat.: Ach, Lisbeth, ach Lisbeth, was bin ich so froh, was bin ich so froh,
was habe ich eine Freude, was habe ich eine Freude! Denk einmal, mein Mann ist
schon ganz anders. Die ganze Woche ist er noch nicht betrunken heim gekommen;
er schimpft nicht mehr und ruft nicht mehr: Hörst du! Er ruft mich nicht anders
mehr als Katherine!
Lisb.: Na, was hast du denn mit ihm gemacht?
Kath.: Gerade
wie du es mir gesagt hast, was ich es machen soll. Als er einmal ganz guter
Laune war, habe ich zu ihm gesagt: Geh, schimpfe doch nicht so auf die
Deutschkatholiken! Sieh einmal, Lisbeths Mann ist ja ein Deutschkatholik, was
hast du denn gegen den, ist er denn kein braver Mann? Du wirst den gewiss nicht
schimpfen hören, und wenn du
einen
Gefallen von ihm getan haben willst, dann tut er dir ihn herzlich gern. Sieh
da, lese doch einmal ein bisschen im Neuen Testament, das ich in der Schule
bekommen habe, das hast du gewiss noch nicht gelesen. Na, dann gebe es einmal
her, hat er gesagt, wenn ich Zeit habe, dann will ich gelegentlich einmal darin
ein bisschen lesen. Am anderen Tag habe ich gesehen, dass er das Buch in der
Hand gehabt und darin gelesen hat. Auf einmal hat er gesagt: Ei Donnerwetter,
das habe ich ja mein Lebtag noch nicht gelesen! An welcher Stelle bist du denn
gerade? habe ich ihn gefragt. Matthäus, 23.
Kapitel; Donnerwetter, wie kriegen da die Schriftgelehrten und
Pharisäer von Christus da den Marsch geblasen. Er schimpft sie nicht anders als
Heuchler!
Weißt du
denn auch, habe ich ihm gesagt, wer denn die Schriftgelehrten und Pharisäer
sind? Für so dumm wirst du mich doch nicht halten, dass ich das nicht wissen
sollte! Die Pfaffen! hat er gesagt. Als ich das gehört hatte, da habe ich bei
mir gedacht: Aha, Alterchen, jetzt haben wir dich! Glaubst du denn, dass es
jetzt keine Schriftgelehrten, Pharisäer und Heuchler mehr gibt? habe ich ihn
gefragt. Ei gewiss gibt es die noch, und recht viele davon; mit den Händen
könntest du sie greifen, so wie sie da in dem Buch stehen.
Ich will
dir einmal etwas vorlesen. Da setz dich einmal ein bisschen zu mir her! Das
habe ich dann auch gleich getan. Die Schriftgelehrten und Pharisäer sitzen auf
dem Lehrstuhl von Moses (Moses war ein ordentlicher Mann, das war kein Pfaffe,
hat Lisbeths Mann gesagt.). „Beobachtet und
tut daher alles, was sie euch sagen.“ (Das heißt, was gut und
vernünftig sei.) „Nach ihren Handlungen aber
richtet euch nicht, denn sie tun selbst nicht, was sie lehren.“ (Na,
das ist nichts Neues!) „Ja, sie binden
schwere und unerträgliche Lasten zusammen und legen sie auf die Schultern der
Menschen, aber sie berühren sie auch nicht mit einem Finger.“ (Den
vierten Vers habe ich schon einmal von der Lisbeth gehört, habe ich ihm gesagt,
und der bezieht sich auf die Ohrenbeichte, weil die Ohrenbeichte eine Bürde und
Last ist. Du hast ganz Recht, Katherine, hat er gesagt, na weiter!) „Alles, was sie tun, das tun sie bloß, um von den
Menschen gesehen zu werden, sie machen sich breite Denkzettel und große Quasten
auf ihre Kleider.“ (Ganz richtig, wie heute noch.) „Bei den Mahlzeiten haben sie die ersten Plätze, in
den Synagogen (oder jetzt in der Kirche) den Vorsitz. Auf öffentlichen Straßen
wollen sie zuerst begrüßt sein, und von den Leuten Rabbi (oder jetzt
Hochwürden) genannt werden.“ (Das
ist gerade wie jetzt noch.) Da hätte sich der Kaplan H. erinnern können, wie er
mit seinem langen Rock über die Straße gegangen ist, rechts und links nach den
Leuten geschaut hat, ob sie ihm auch nicht ein „Hernätermich“ oder ein
„Fehlemich“ machen würden.) „Ihr aber sollt
euch nicht Rabbi (das heißt jetzt Hochwürden) nennen lassen, denn nur einer ist euer Lehrer, ihr
aber seid alle Brüder.“ (Ganz vernünftig.)
„Auch sollt ihr keinen von euch auf Erden Vater nennen, denn einer nur
ist euer Vater, der im Himmel ist.“ (Das ist für den Heiligen Vater in Rom eine bittere Pille.) „Lasst ihr euch auch nicht Lehrmeister nennen, denn
einer ist euer Meister, nämlich Christus.“ (Den wollen sie aber
jetzt schulmeistern.) „Der Größte unter euch
soll wie euer Diener sein.“ (Jetzt sagen aber die Pfaffen, wir sind
die Größten und ihr müsst unsere gehorsamen Knechte sein und ihr müsst euch
alles gefallen lassen, was wir euch befehlen. Auch nicht übel! Aber weiter.) „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt, und
wer sich erniedrigt, wird erhöht werden.“ (Das haben wir gesehen
beim Empfang des noch nicht einmal eingeweihten Bischof [gemeint ist Ketteler].
Haben wir nicht gemeint, unser Herrgott käme selbst daher? Jetzt kommt es erst
recht, Katherine, besser gesagt, pass´ einmal auf!) „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr
den Leuten das Himmelreich auf- und zuschließt, ihr selbst aber geht nicht hinein,
und die hinein wollen, lasst ihr nicht hinein.“ (Es ist ganz
natürlich, für viel Geld versprechen sie dem größten Sünder das Himmelreich,
und sie selbst können nicht hineinkommen, weil sie nicht recht handeln; und
diejenigen, die besser denken als sie und nichts von denen haben möchten, da
sehen sie gleich: Das sind Ketzer, die sind verdammt! Es kommt noch schöner!) „Aber wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer,
ihr Heuchler! Die ihr die Häuser der Witwen verschlingt unter dem Vorwand, dass
ihr lange betet, deshalb wird über euch ein strenges Gericht ergehen.“
(Lest das einmal, ihr Pfaffen, und ihr müsstet euch schämen! Woher habt ihr
denn euren Reichtum? Denkt einmal an die Klöster und Güter! Habt ihr euren
Reichtum nicht erschlichen und für ein bisschen Seligkeitsversprechen die
Kinder und die Erben um ihr Vermögen gebracht? Wo kann es für euch noch ein
Himmelsreich geben? Das muss ein sauberes Himmelsreich sein, wo ihr hinkommt.
Also weiter!) „Wehe euch, ihr
Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! die ihr zu Wasser und zu Lande
umherzieht, um einen neuen Glaubensgenossen zu machen, und wenn er es geworden
ist, so macht ihr ein zweimal ärgeres Höllenkind aus ihm, als ihr selber seid.“
(Das ist sehr natürlich. Sie wissen und kennen ihre Lügen. Wenn sie aber
anderen unwissenden Menschen ihre Lügen als Wahrheiten aufgebunden haben und
denen dann mit Verlust der Seligkeit gedroht haben, wenn sie davon abgehen
sollten, dann sind freilich jene ärger als die. Hat ja nicht einer gesagt, als
der Bischof hier war: Das ist aber ein Mann, der wird den Deutschkatholiken in Ober-Ingelheim
ihre Streiche schon vertreiben, aufgehängt müssten die alle werden! Wer ist
jetzt Schuld, dass der Mann so ist? Er nicht, denn ich halte ihn für einen
ordentlichen, braven Mann. Also weiter!)
„Wehe euch! Ihr blinden Führer, die ihr lehrt, wenn jemand bei dem
Tempel schwört, das hat nichts zu bedeuten, aber wer bei dem Gold des Tempels
schwört, ist verpflichtet.“
Sehen wir
nicht da im 16-ten Vers, dass der Pfaffe für Geld und Gott selbst ungeeignet
ist?) „Ihr Toren und Blinden, was ist
wichtiger, das Gold oder der Tempel, der das Gold heiligt? Ferner, wenn jemand
bei dem Altar schwört, das hat nichts zu bedeuten, wenn aber jemand bei der
Gabe auf demselben schwört, der ist verpflichtet. Ihr Blinden, was ist
wichtiger, die Gabe oder der Altar, der die Gabe billigt? Wer bei dem Altar
schwört, der schwört bei diesem und bei allem, was darauf ist, und wer bei dem
Tempel schwört, der schwört bei diesem und bei dem, der darin wohnt, und wer
bei dem Himmel schwört, der schwört bei dem Thron Gottes und bei dem, der
darauf sitzt.“ (Christus muss die Sorte Mensch durch und durch als
„Batzenarren“ [geldgieriger Mensch] gekannt haben, und Batzenarren sind sie
noch, schwört hin schwört her, wenn sie uns kein Geld bringen, haben eure
Schwüre nichts zu bedeuten. Schwört einmal, ihr Heuchler, nach dem 22. Vers,
dann haben wir Respekt vor euch! Oder meint ihr vielleicht, was Christus im
Tempel gesagt hat, das wäre ein Gebäude oder eine Kirche? Da irrt ihr euch ganz
gewaltig; das ist das Gewissen, und auf euer Gewissen könnt ihr keinen Schwur
tun, weil ihr ganz gewissenlos seid. Also erneut weiter!)
„Wehe euch ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr
vermengt Krauseminze, Anis und Kümmel, aber das Wichtigste des Gesetzes,
Gerechtigkeit, Menschenliebe und Treue lasst ihr beiseite. Dieses sollt ihr tun
und jenes nicht lassen.“ (Christus will damit sagen, zuerst sollst du Gerechtigkeit,
Menschenliebe und Treue üben, und später könnten sie auch gut essen, dafür sind
sie ja bekannt. Krauseminze,
Anis und Kümmel müssen gute Liköre gewesen sein, die sie auf das gute Essen
drauf gesetzt haben, von wegen der Verdauung; o, so ein gutes Likörchen
verschmähen sie heute noch nicht, obgleich sie vom Wein, besonders wenn der
recht gut ist, große Liebhaber sind! Na, das kann ich ihnen auch gar nicht
verdenken, mir geht es auch so; je besser sie essen, desto besseren Wein müssen
sie haben; das versteht sich von selbst! – Große Liebhaberei haben sie an
jungen Hähnen, Kapaunen, französische jungen Enten, Gänschen, Feldhühner,
Schnepfen, Krammetsvögel, Hase, Reh, Schwarzwild, auch dann und wann für eine
Vesper mit Westfälischem Schinken. Das sind so die gewöhnlichen Fleischspeisen
auf einem gewöhnlichen geistlichen Tisch. Aber mit den Fastentagen sind sie
übel dran, und die müssen sie doch beachten, denn das Gebot dürfen sie nicht
übertreten, weil es von Leuten ihresgleichen herkommt!
Na, dann
behelfen sie sich, so gut sie es können, mit Hecht und Kartoffeln, Schellfisch,
Kabeljau, Nudeln und Kapern und Soße, gebackenen Karpfen oder Barsch, zum
Knabbern Krebse und dann zum Abschluss ein wenig Schweizerkäse mit Butter,
kleinen Süßigkeiten, und einer guten Tasse Kaffee drauf. Und so, denken sie,
könnten sie auch die Fas-tentage überstehen und auch einmal die Fleischspeisen
auf einen Tag entbehren!
Und wenn
ihre Köche immer recht gut kochen und sich sonst noch recht gut benehmen, dann
dürfen sie auch mit ihnen am Tisch essen. (Darauf sind sie sogar noch stolz,
das kann man ihnen nachsagen.)
„Blinde Führer, die Mücke feiget [siebt] ihr
durch, das Kamel aber verschluckt ihr!“ (Das heißt, anstelle eines
kleinen Bröckchens nehmen sie einen ganz großen Brocken.)
„Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Die
äußere Seite des Bechers und der Schüssel haltet ihr rein, aber inwendig seid
ihr voller Staub und Ungerechtigkeit.“
(Das kann
auch der dümmste Bauer verstehen. Mit aufgeputzten Kleidern sieht man sie
überall, aber inwendig? – pfui)
„Du blinder Pharisäer, mache das Innere des Bechers zuerst rein, so
wird auch die Außenseite rein sein!“
(Das soll
heißen: Reinigt euer Gewissen zuerst, dann seht ihr viel schöner aus! Aber
weiter!)
„Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler!
Übertünchten Gräbern seid ihr ähnlich, die zwar schön in die Augen fallen,
inwendig aber voller Leichen und Moder sind.“
(Das
heißt: Äußerlich sind es schöne Grabmäler, die wir betrachten und für schön
halten, innen in den Gräbern stinkt es aber gewaltig! Das nehmt euch ad notam, ihr Heuchler! So gebt auch ihr
euch äußerlich den Schein vor den Leuten als Gerechte, innerlich seid ihr voll
Heuchelei und Bosheit! Deutlicher kann gewiss nichts gesagt werden.)
„Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Die ihr
die Grabmäler der Propheten baut und die Gräber der Gerechten ziert und sagt:
Hätten wir zur Zeit unserer Väter gelebt, wir hätten mit ihnen uns nicht
verschuldet am Blut der Propheten! So bezeugt ihr euch selbst, dass ihr Söhne der
Prophetenmörder seid, und ihr macht das Maß eurer Väter voll. Ihr Schlangen-
und Natternbrut, ihr Otterngezücht, wie wollt ihr der Verurteilung zur Hölle
entgehen! Darum siehe, ich sende Propheten, Weise, Schriftgelehrte zu euch;
aber von diesen werdet ihr einige töten und kreuzigen, andere in euren
Synagogen (oder jetzt Kirche) geißeln und von Stadt zu Stadt verfolgen, so dass
alles unschuldige Blut, das auf Erden vergossen wurde, über euch komme, vom
Blut des gerechten Abels an, bis zum Blut des Zacharias, Barachias Sohn, den
ihr zwischen dem Tempel und Altar getötet habt! Wahrlich, ich sage euch, dies
alles wird über dies Geschlecht kommen. Jerusalem, Jerusalem, die du die
Propheten tötest und steinigst, die zu dir gesandt sind; wie oft habe ich deine
Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Jungen unter die Flügel sammelt,
aber ihr habt nicht gewollt! Siehe, eure Wohnung wird euch verwüstet werden.“
(Gell, ihr
Herrscher, das schmeckt euch nicht oder glaubt ihr vielleicht, wir wären so
dumm, dass wir nicht wüssten, wer gemeint ist!
Gell,
wenn unsereiner über euch so schimpfen würde, dann würdet ihr gleich zum
Staatsanwalt rennen: Der Mensch hat die Religion beschimpft, der muss bestraft
werden! Ihr aber seid doch noch lange nicht die Religion! Es ist recht gut,
dass unser armer, guter, lieber Christus nicht mehr lebt, denn vor eurer
Bosheit wäre er gewiss nicht sicher, und die Piusleute würden helfen, ihn zu
verurteilen. Aber das könnt ihr mir sicher glauben, dass Christus doch noch
lebt, und ihr könnt ihn doch nicht erwischen, auch wenn ihr noch so sehr
schimpft. Er lebt noch fort in dem Gesicht der Wahrheit und der Gerechtigkeit;
die könnt ihr nicht einsperren und verfolgen: aber das sage ich euch, eure
Lügen müsst ihr lassen, so wahr ein Gott im Himmel ist! Habt ihr es nicht
gehört im zweitletzten Vers: Euere Wohnungen werden euch verwüstet werden?
Bedenkt nur einmal, was diese Worte bedeuten! Ihr wisst es gar wohl, ihr wollt
aber nicht hören.)
Jetzt ist
es aus, Katherine, hat er gesagt, die haben ihr Fett. Und noch komischer ist
es, dass ich trotz meiner häufigen Kirchenbesuche mein Lebtag noch niemals von
Matthäus, 23. Kapitel, auch nur eine Silbe gehört habe! Jetzt ist es mir ganz
klar.
Was
glaubst du, Lisbeth, wie ich da geschaut habe, als ich das von meinem Mann
gehört habe, meinem Mann, der jeden Vers auch ausgelebt hat, der vor lauter
Kirchenbesuchen nur noch die Hälfte gearbeitet und so wüst geschimpft hatte?
Ich habe gar nicht geglaubt, dass das möglich sei; ich habe ihn immerfort
betrachtet, ob das wirklich mein Mann ist;
aber er war es. Es muss ein Wunder mit ihm geschehen sein, habe ich bei mir
gedacht; obwohl ich doch gar nicht an Wunder glaube!
Nun sag
mir doch einmal, habe ich ihn gefragt, du hast doch alle Verse im Leben
versucht umzusetzen, dass man es gut begreifen konnte. Ich hätte einen solchen
Wandel bei dir mein Lebtag nicht vermutet. Darauf hat er zu lachen begonnen:
Na, ich
will es dir doch sagen. Gestern ist mir Lisbeths Mann begegnet und hat mich
angesprochen: Komm, hat er gesagt, lass uns mal miteinander einen Schoppen
trinken! Du weißt, man braucht mich so nicht zweimal einzuladen, und gleich
sind wir in das erstbeste Wirtshaus, wo ein guter Schoppen ausgeschenkt wird.
Dort haben wir uns an einen leeren Tisch gesetzt und als wir einen kräftigen
Schluck genommen hatten, hat er angefangen und sagte zu mir: Schau, Franz, wir
waren doch so gute Schulkameraden und immer die besten Freunde. Sag mir doch
einmal, warum du mich nicht mehr anschaust. Habe ich dir etwas angetan? Sag’s mir
doch, sei aufrichtig, es tut mir zu leid, dass du böse auf mich bist! Weißt du
denn nicht mehr, wie wir als Buben den ganzen Tag zusammen waren, zusammen
„Klicker“ [Murmeln] gespielt haben, Veilchen, Erdbeeren und Birnen stibitzt
haben? Gott was haben wir als Buben doch so viel Spaß miteinander gehabt, und
da waren wir noch nicht so vernünftig wie jetzt!
Schau
Franz, hat er gesagt, jetzt sind wir doch Männer und müssen doch vernünftiger
sein als zu der Zeit, wo wir noch Buben waren. Komm, gebe mir die Hand, wir
wollen Brüder sein! Ich habe ihm gleich meine Hand gereicht, habe aber kein
Wörtchen reden können vor lauter Rührung. Also, stoß an auf ewige Freundschaft!
So sollten es alle Menschen machen, und ich versichere dir Franz, dann würde es
auf der Welt besser werden. Sieh, Franz, hat er gesagt, du weißt, ich bin
Deutschkatholik. Ich weiß auch, dass du über alle Deutschkatholiken geschimpft
hast, und ich war doch nicht böse mit dir, weil du ganz unschuldig bist. Du
hast zuviel jenen geglaubt, die eigentlich gar keinen Glauben haben, als den,
die Menschen zu verdummen, weil sie ohne diese Verdummung nicht mehr herrschen
können. Und er hat’s mir durch viele Beispiele ganz begreiflich gemacht. Dann
zog er das Neue Testament aus der Tasche und hat mir das 23. Kapitel vorgelesen
und mir dabei alles so schön ausgelegt, dass ich es habe recht gut begreifen
können, gerade so, wie ich dir die Verse erklärt habe.
Als
wir unseren Schoppen ausgetrunken hatten, habe ich ihm noch einmal die Hand
gereicht und zu ihm gesagt: Nehm´ mir bitte nicht übel, was ich über die
Deutschkatholiken gesagt habe. Ich bin aufgehetzt worden. Ich sehe aber jetzt
ein, dass die Deutschkatholiken recht haben, weil sie das Gute wollen, nämlich
die Verbrüderung der Menschheit, gerade so wie es Christus gelehrt und gewollt
hat. Wenn du das nächstemal nach Rüdesheim gehst, dann möchte ich auch
mitgehen. Es bleibt dabei, hat er gesagt. Jetzt weißt du es, Katherine, wer
mich ein bisschen aufgeklärt hat, und darüber bin ich herzlich froh. Gell, Franz,
habe ich zu ihm gesagt, du schimpfst doch nicht mehr so? Nein, gewiss nicht
mehr! Es ärgert mich, so oft ich nur daran denke. Ach, Lisbeth, das gibt jetzt
ein herrliches Leben! Man soll nicht glauben, dass es möglich gewesen wäre,
dass sich ein Mann wie meiner einer war, so geschwind ändern konnte; und das
ist ganz allein deinem Mann zu verdanken. Sag ihm nur, dass ich ihm von Herzen
danke.
Lisb.: Das will ich ausrichten. Aber, Katherine, was wirst du bald eine Freude
haben, wenn er mit meinem Mann nach Rüdesheim geht! Weißt du was, geh auch mit,
dann gehen wir alle zusammen, denn am nächsten Sonntag ist Gottesdienst, wo die
Kinder zum ersten Mal zum
Abendmahl gehen, und das wäre sehr rührend anzuhören.
Kath.: Das
will ich tun, Lisbeth, und wenn ich alles stehen und liegen lassen muss. So wie
mein Mann ist, so will ich auch sein. Aber Lisbeth, ich habe dich ja etwas
anderes fragen wollen, habe ich dir das vorige Mal gesagt, und vor lauter
Freude, dass mein Mann jetzt ganz anders ist, habe ich es ganz vergessen, und
für heute ist es doch schon ein bisschen zu spät.
Lisb.: Nun, was hast du mich denn eigentlich fragen wollen? Wenn es für heute
schon zu spät ist, dann kann ich dir´s ein anderes Mal beantworten.
Kath.: Ich wollte dich fragen, ob auch die Deutschkatholiken an die
Dreieinigkeit glauben?
Lisb.: Ja, liebe Katherine, darüber ist viel zu sagen, und es ist heute gewiss
zu spät, aber ich möchte dir für heute noch sagen, dass mein Mann gesagt hat,
dass die Deutschkatholiken eher an die Vierunddreißigeinigkeit glauben als an
die Dreieinigkeit. Die Dreieinigkeitslehre wäre die allerunvernünftigste, die
nur im Christentum hätte erfunden werden können. Beim Nächstenmal werde ich es
dir beweisen.
Kath.: Also auf das Nächstemal bin ich schon ganz gespannt.
Fünftes Gespräch
Kath.: Denk einmal, Lisbeth, ich habe über die Lehre von der Dreieinigkeit die
ganze Nacht nachgedacht und gar nichts gescheites daran finden können. Ich habe an die 10 Gebote gedacht, wo es
heißt: Ich bin der Herr, dein Gott; du sollst keine fremden Götter neben mir
haben!
Lisb.: Da bis
du ganz auf dem richtigen Weg, Katherine; das hat auch mein Mann gesagt: und
dann hat er noch gesagt, wie kann man denn sagen: Gott Vater, Gott Sohn und
Gott Heiliger Geist, und dann die drei Götter zu Personen und wieder die drei
Personen zu einem Gott machen! Auf diese Art würde der große allmächtige Gott,
der allgütige Vater aller Menschenkinder in drei Stücke zerrissen und dann
wieder diese drei Stücke zu einem Gott zusammengesetzt werden. Das kann glauben
wer will, ich glaube es nicht, hat mein Mann gesagt, weil diese Lehre zur
Vernunft im Widerspruch steht.
Wir mögen
hingehen, wohin wir nur immer wollen, in der großen ganzen, schönen und
mächtigen Naturschöpfung sehen wir nur einen Gott, und dessen Allmacht ist in
der Natur überall sichtbar. Einen heiligen Geist gibt es wohl, aber der ist
keine Person in Gestalt einer Taube! Einen Gottesgeist gibt es und einen Geist
der Wahrheit! Das wäre der Heilige Geist!
Und
der Sohn Gottes wäre der Mensch, wenn er durch seine Handlungen beweist, dass
er Gottes Kind ist, so wie Christus ein Gottessohn war. Siehst du Lisbethchen,
hat mein Mann zu mir gesagt, so habe ich die Dreieinigkeit zusammengeflickt;
meinst du nicht, dass der Mensch an so eine Dreieinigkeit eher glauben könnte?
Die ersten Christen haben nur einen Gott gehabt, und Christus war ihr Meister.
Die Dreieinigkeitslehre ist erst später auf einem Konzil von den Pfaffen
erfunden und als zu glauben festgestellt worden.
Das
Nachgrübeln darüber war bei größter Kirchenstrafe streng verboten. Der
Ausspruch dieser Herrscher ist unfehlbar, und die Vernunft ist bei solchen
Menschen ein ganz anfälliges Etwas. Der blinde Glaube wäre die Hauptsache,
sagen sie, und würde allein selig machen, und die Dummen habe es ihnen lange
genug geglaubt, und Millionen glauben ihnen noch; und wenn sie gesagt hätten:
Gott Vater, Gott Mutter, Gott Sohn, Gott Tochter! Sie hätten es ihnen auch
geglaubt und würden es ihnen noch glauben.
Kath.: Dein Mann hat ganz Recht, Lisbeth, und wie er die Dreieinigkeit erklärt
hat, dem kann ich folgen, weil ich das gut begreifen kann, aber an die Version,
an die wir schon so lang haben glauben müssen, nein, an die glaube ich mein
Lebtag nicht mehr. Also beim Nächstenmal frage ich wieder etwas anderes. Adieu,
Katherine!
Sechstes Gespräch
Kath.: Mit der Dreieinigkeit wäre ich jetzt durch und im Klaren. Jetzt aber,
Lisbeth, möchte ich dich einmal fragen, ob auch die Deutschkatholiken an die
Göttlichkeit von Christus glauben?
Lisb.: Gewiss glauben die Deutschkatholiken an die Göttlichkeit von Christus!
Wir sollen ja auch göttlich sein. Wenn wir einen Lebenswandel führen wie
Christus, dann sind wir auch alle göttlich, denn es steht geschrieben: Du
sollst Gott ähnlich werden! Das bedeutet, wenn du brav bist und niemand etwas
zuleide tust und Gott preist in der Wahrheit. So hat das mein Mann gesagt, und
ich habe ihm Recht gegeben.
Kath.: Ja, so habe ich das aber nicht gemeint, Lisbeth! Ob Christus selbst
Gott war? Das habe ich fragen wollen.
Lisb.: Das habe ich auch meinen Mann gefragt und ich will dir sagen, was er
mir zur Antwort gegeben hat. Nein, für einen wirklichen Gott hat sich Christus
nie ausgegeben und sich auch nicht geben können, weil er von Eltern geboren,
Brüder und Schwestern hatte, arm und bedürftig war und sich durch Arbeit
ernährt, gegessen und getrunken hat. Ein Gott braucht sich nicht im Schweiße
seines Angesichts sein Brot verdienen. So etwas wäre für die Menschen bestimmt.
Auch müsste das ein wunderlicher Gott sein, der auf die Welt kommt und sich von
den Menschen beschimpfen und sich kreuzigen lässt.
Kath.: Das hätte aber sein müssen, dadurch hätte er uns von der Erbsünde
erlöst, hat man uns beigebracht.
Lisb.: Aber Katherine, über die Erbsünde haben wir doch schon einmal geredet
und sind überein gekommen, dass an der Erbsünde nichts dran ist.
Kath.: Es ist
wahr, Lisbeth, daran habe ich nicht mehr gedacht, so versessen war ich darauf.
Die Männer haben ganz Recht, dass die Frauen ein bisschen verwirrt sind, aber
die Phantastereien in den Romanen, Gespenster, Hexengeschichten, Prophezeiungen
von heiligen Narren, und was ihnen sonst noch von den Pfaffen weis gemacht
wird, das würde in ihnen stecken bleiben, und das würden sie ihr Leben lang nicht
vergessen. Von der Wahrheit wollten sie [die Frauen] aber nichts wissen, selbst
wenn man es ihnen mit einem Trichter oben [in den Kopf] eingießen würde. So
habe ich einmal ein paar Männer miteinander reden gehört, und sie hatten ganz
Recht, ich habe das an mir selbst bemerkt.
Jetzt
aber ist es ganz anders mit mir, Lisbeth.
Lisb.: Du
bringst mich ganz schön zum Lachen, Katherine, so ist es!
Ich weiß,
wie schwer es mir gefallen ist, die Wahrheit zu glauben. Aber das muss ich dir
schon sagen, Katherine, wenn die Frauen einmal aufgeklärt sind, dann sind die
härter als die Männer, das habe ich an mir bemerkt, und wenn das einmal bei
allen der Fall sein wird, dann – o weh, ihr Pfaffen! Die Augen kriegt ihr
ausgekratzt. Dann könnt ihr eure Sachen einpacken, und euer Regiment ist zu
Ende. Wie geschwind würden die dann umsatteln und ein anderes Liedchen singen!
– Auf uns Frauen sind sie aber noch gewaltig stolz, darum loben sie uns auch so
gewaltig und wollen barmherzige Schwestern aus uns machen. Ja, barmherzig
wollen wir sein gegenüber allen Menschen, von eurer Barmherzigkeit wollen wir
aber nichts mehr wissen, denn mit der ist es nicht weit her.
Wenn die
die Gewalt hätten, hat mein Mann gesagt, dann würden sie aus lauter
Barmherzigkeit und zur größten Ehre Gottes alle Protestanten und
Deutschkatholiken verbrennen lassen, selbst wenn Christus dabei wäre, denn der
war auch kein Freund von ihnen, das haben wir gelesen bei Matthäus im 23.
Kapitel.
Aber,
Katherine, wir sind von unserem Gespräch ein bisschen abgekommen. Ich möchte
dir noch mehr sagen und beweisen, dass Christus nicht selbst Gott war.
Kath.: Ja, Lisbeth, das möchte ich hören.
Lisb.: Schau,
Lisbeth, hat mein Mann zu mir gesagt, wenn Christus selbst Gott gewesen wäre,
dann hätte er auch Anteil an dem Fluch wegen des Apfelbisses gehabt, und
fluchen konnte er ja gar nicht, denn er war die Liebe und Gütigkeit selbst. Du
hast doch in der biblischen Geschichte gelesen, dass Christus die Kinder zu
sich hat kommen lassen und sagte: Lasset die Kinder zu mir kommen, denn ihnen
ist das Himmelreich! Und wie er sie geherzt und geküsst hat. Die Kinder waren
nicht getauft, und ohne Taufe würde doch angeblich niemand selig werden! Ist
uns das so nicht beigebracht worden, Katherine?
Kath.: Freilich!
Lisb.: Wo
bleibt denn da die Selbstgottheit von Christus? Und hast du nicht gelesen,
Christus wurde vom Teufel versucht; lässt sich denn Gott vom Teufel versuchen?
Steht denn die Gottheit nicht höher als der Teufel? Ist das nicht der größte
Beweis gegen ihre eigene Lehre, dass Christus nicht selbst Gott war?
Und dann
weiter! Wie kann Gott der Vater seinen eigenen Sohn und Mitregent an der
Gottheit (wie die Pfaffen behaupten) auf die Erde herunter schicken und von
Menschen beschimpfen und kreuzigen lassen, um durch den Martertod seines
eigenen liebsten Sohnes mit der Menschheit ausgesöhnt zu werden, nur wegen des
einfältigen Apfelbutzens? Wird durch solch eine
Lehre nicht der Barmherzigkeit Gottes ein Schlag ins Gesicht versetzt?
Und der barmherzige Gott soll zusehen, wie sein eigener lieber Sohn, der nur
Gutes getan hat, wie der von Menschen gemartert und gekreuzigt wurde? Nein,
Katherine, das wäre schrecklich – und das sollen wir so mir nichts dir nichts
glauben? Ja, Prost Mahlzeit, das kann nur ein törichter Mensch glauben, ein
vernünftiger Mensch, der den lieben Gott für barmherzig hält und halten muss,
der kann das nicht glauben! Dem menschlichen Vater (hat mein Mann gesagt) würde
das Herz bluten, wenn er zusehen sollte, wie seinem Sohn, selbst wenn der den
Tod durch Raub und Mord verdient hätte, der Kopf abgehauen wird! Er würde ihm
gewiss vom Tode erretten, wenn er könnte, weil er ein Vaterherz hat!
Und
so ein allgütiger Vater soll so ruhig zusehen, wenn sein liebster Sohn dahin
geschlachtet wird? Und er hätte ihn doch gewiss retten können! Nein, Katherine,
Christus war ein göttlicher Mensch, aber nicht selbst Gott. Und wenn er gewusst
hätte, dass ihn die Schriftgelehrten und Pharisäer zum Gott selbst machen
würden, er hätte sie noch heftiger beschimpft als in Matthäus im 23. Kapitel
beschrieben.
Kath.: Aber Lisbeth, Christus soll doch Wunder getan haben, mit denen er seine
Gottheit bewiesen hätte? Er hätte Blinde sehend, Lahme gehend gemacht und Tote
auferweckt, selbst wenn sie schon gestunken haben, wie Lazarus, und er hätte
auch Teufel ausgetrieben!
Lisb.: Dass er
Teufel ausgetrieben hat, das glaube ich. Er hat aber die Teufelsaustreiberei
mit seinem Leben bezahlen müssen. Und wenn er wieder auf der Welt wäre und bei
denen Teufel austreiben wollte, in denen er drin steckt, sie würden ihm, wenn
sie könnten, wieder den Garaus machen. Die anderen Wunder sind nichts als
Pfaffenmärchen. Ich will dir nur eines nennen, Katherine, das all die Wunder,
die Christus getan haben soll, mausetot schlägt. Mein Mann, den ich auch
darüber befragt habe, hat das Neue Testament aufgeschlagen, und dort steht bei
Matthäus, 16. Kapitel, 1. – 4. Vers: Die Schriftgelehrten und Pharisäer haben
ihn überall beobachtet,
und einmal haben
sie ihn aufgefordert, er solle ihnen doch einmal ein Zeichen am
Himmel erscheinen lassen, damit sie auch an ihn glauben könnten. Da hat er zu
ihnen gesagt: Wenn ihr des Abends den Himmel rot seht, dann sagt ihr, morgen
gibt es schönes Wetter, und seht ihr am Morgen den Himmel rot, dann sagt ihr,
heute gibt es schlechtes Wetter; also könnt ihr das Aussehen des Himmels
beurteilen, ihr Heuchler, aber die Zeichen der Zeit könnt ihr nicht deuten! Er
ließ sie stehen und ging weiter.
Siehst du,
Katherine, die Menschen wollen gar zu gerne Wunder sehen, und sie sind dann
gleich bereit, sie zu glauben, besonders die Frauen! Das wissen die Pfaffen
recht gut, darum wollen sie uns wieder an Wunder zu glauben gewöhnen. Das haben
wir ja Anno 1844 bei der Rockgeschichte gesehen. Da hat es ja lauter Wunder
gegeben, und am Ende, was waren das für Wunder? Gerade so wie bei den zwei
hiesigen Fällen, die [angeblich] geheilt worden seien. Wir sind doch
Augenzeugen, dass es eine gewaltige Lüge war, und doch haben die Pfaffen sich
von dummen, gutherzigen Menschen, von 65 Personen, ein Zeugnis ausstellen
lassen, dass das Wunder geschehen sei.
Wenn jetzt
das gedruckte Wunder [der Bericht] in 50, 60 Jahren gelesen wird, dann wird es
bestimmt Leute geben, die es glauben, denn es steht gedruckt und wird bezeugt
durch so viele Leute. Bis dahin aber, glaube ich, gibt es keine dummen Menschen
mehr. Siehst du, Katherine, so verhalten sich alle Wundergeschichten. Es handelt sich um lauter Lügereien, jedoch
haben diese Lügereien den Pfaffen viel Geld eingebracht.
Sie
haben brav Ablässe ausgestellt, und Ablässe haben Geld gekostet. Im Fabrizieren
von Wundern gab es keine geschickteren Leute als die Pfaffen; da hat ein
Muttergottesbild die Augen verdrehen müssen; dort haben sie dafür gesorgt, dass
der Heiland Blut ausschwitzte, hier hat ein Heiliger die Hand zum Himmel
gestreckt und noch so viele tausend andere [„Wunder“ sind geschehen.]
Ist
das nicht der schrecklichste Betrug, den die Pfaffen mit der unwissenden
Menschheit haben treiben können? hat mein Mann gesagt. Wenn der dumme,
unwissende, betrogene Mensch so ein Wunder sieht, ist da nicht sein bisschen
Verstand ganz weg? Vernunftgründe helfen da nichts mehr, denn er hat selbst
gesehen, dass die Mutter Gottes die Augen verdreht und wie der Heiland Blut
geschwitzt hat.
Kath.: Ja, wie haben sie das aber machen können?
Lisb.: Warst du schon einmal in einem Wachsfigurenkabinett?
Kath.: O, ja, Potz Blitz, ja da habe ich gesehen, wie da Wachsfiguren die
Augen verdreht und die Hände erhoben haben!
Lisb.: Und so
kann man auch bewerkstelligen, dass Blut aus den Augen fließt, und das haben
die Pfaffen gut verstanden. Sie hatten ja sonst nicht zu tun
gehabt, besonders die Klosterpfaffen, als zu essen und zu trinken und
sonst noch so allerlei, was ihnen gut gefallen hat, und hauptsächlich, die
Menschen dumm zu halten.
Ist es
nicht eine Schande, hat mein Mann gesagt, wie alljährlich die armen unwissenden
Menschen nach Waldüren wallfahren, um das von Zeit zu Zeit neu angepinselte
heilige Blut zu sehen, oder nur anrühren zu dürfen? Wie viele Menschen sind
nicht schon auf dem Hinweg oder Rückweg verunglückt, und wie vielen Schaden
haben sich die Leute Zuhause angetan, wo sie so viel Arbeit im Stich haben
lassen müssen! Wen trifft denn die Schuld anders als die Pfaffen? Wenn es gefühlvolle,
wahrheitsliebende Menschen wären, so würden sie die Leute belehren und von
einer so beschwerlichen und ihnen nachteiligen Reise abraten. Die Wunder, die
Gott alle Tage den Menschen durch seine Allmacht in der Natur zeigt, diese
sichtbaren Wunder, hat mein Mann gesagt, die erscheinen damit nur als
Bagatellwunder gegen die von den Pfaffen erfundenen.
[Den
Pfaffen] wird es aber einmal so ergehen, wie den zwei Studenten zu Trier. Na,
was haben die denn gemacht? habe ich meinen Mann gefragt. Hast du im ganzen
Neuen Testament bei den vielen Wundern, die Christus all getan haben soll, je
gehört, dass er einen Buckligen gerade gemacht hat? Nein, habe ich gesagt. Hast
du gehört, dass von all den Wunderdoktoren, die je auf der Welt und auf einer
Wallfahrt waren, ein Buckliger seinen Buckel verloren hat? Du auch nicht?.
Na, dann
will ich dir sagen, wie ein buckliger Student durch das Berühren des Heiligen
Rocks seinen Buckel recht hübsch und ganz verloren hat. Wie das denn zugegangen
ist? habe ich gefragt. Das will ich dir sagen. Zwei lustige Studenten waren zu
dieser Zeit in Trier; da hat der eine zum anderen gesagt, wir wollen uns einmal
einen Spaß machen, die dummen Leute glauben zurzeit alles. Ich binde mir eine
ordentliche [Schweins]blase hinten auf den Rücken, damit alle Leute sehen
können, dass ich herzhaft bucklig bin. Und dann gehen wir zusammen in den Dom,
und du stellst dich ein bisschen lahm und gehst immer hinter mir her bis zum
Altar, wo der Heilige Rock hängt. Wenn ich dann den Heiligen Rock berühre,
stichst du mir mit der Nadel in den Buckel, und so werde ich gleich den Buckel
verloren haben, besonders wenn ich meine Jacke vorne ein wenig zusammen ziehe.
Wie gesagt so getan. Die Studenten haben den Studentenstreich richtig
ausgeführt. Gleich darauf war Hallelujah in allen Ecken: Ein Buckliger, ein
Buckliger hat seinen Buckel verloren, ein Wunder über alle Wunder! Zu Hunderten
sind die Menschen den Studenten nachgekrochen bis ans Wirtshaus. Auf einmal
blieb der eine Student stehen und zog die [Schweins]blase aus seinem Rücken
hervor und rief: Das war mein Buckel! Ganz verblüfft haben die Menschen da
gestanden und haben sich einander angeschaut. Aber dann ging es los. Als die
dummen Menschen sahen, dass sie getäuscht worden waren, da sind sie auf die Studenten los
gegangen, und wenn die beiden keine so flinken Burschen gewesen und sich ins
Haus geflüchtet und hinten über die Mauer gesprungen wären, dann wären sie
massakriert worden.
So geht es
euch [Pfaffen] auch einmal, ihr Wunderfabrikanten! Die Studenten waren doch
noch ehrlich und haben den Menschen gezeigt, dass [da nichts war.] Ihr
[Pfaffen] aber stellt euch auf die Kanzel, wie es der Herr Professor Riffel
getan hat, und sprecht: Kommt her ihr Ungläubigen, und seht die Wunder, die
durch den Heiligen Rock geschehen sind! Es war freilich ein Wunder, dass ein so
gescheiter Mann auf der Kanzel so [etwas] reden konnte, hat mein Mann mir
gesagt. Die zwei Leute sind geblieben wie sie waren, wir haben sie ja alle Tage
gesehen.
Aber
wartet nur, ihr Wundermacher, ihr Wunderverteidiger und Wunderausstreuer, es
soll euch gehen wie den zwei Studenten. Reißaus müsstet ihr nehmen, wenn das
Volk erst einmal weiß, dass es von euch betrogen worden ist. Die Augen werdet
ihr euch ausweinen wie die Mutter Gottes, und Blut werdet ihr schwitzen wie der
Heiland vor lauter Angst, ihr Augenverdreher und Blutschwitzerfabrikanten! Kennt ihr denn
nicht das Sprichwort: „Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht?“ Und
mein Mann, Katherine, hat ganz Recht, so wird es auch einmal kommen.
Kath.: Je öfter ich zu dir komme, Lisbeth, desto leichter wird es mir von Mal
zu Mal. Was habe ich eine Angst ausgestanden vor den Gespenstern und Hexen und
wegen der Wundermacher mit ihrer Hölle und Fegefeuer. Man hat sein Leben auf
der Welt nicht genießen können. Vor Gott können die das gar nicht verantworten,
und Gott müsste sie noch einmal für die Streiche, die sie mit der Menschheit
getrieben haben, strafen. Ich bin dir recht dankbar dafür, Lisbeth, dass ich
jetzt ganz anders [geworden] bin und mein Leben in Freude zubringen kann.
Lisb.: Keine Ursache, Katherine; es freut mich nur, dass du alles so schön
begriffen hast, und dass du jetzt froher bist. Wenn nur alle Frauen die
Wahrheit so gut begreifen und sich belehren lassen würden, es gäbe gewiss kein
Zank und Streit mehr in den Häusern, und sie würden bestimmt friedlicher mit
ihren Männern leben.
Kath.: Ja gewiss würden sie das, denn das habe ich ja an mir selbst erfahren.
Seit mein Mann auf dem rechten Weg ist, [herrscht] jetzt ein wahres Götterleben
in unserem Haus. Ich danke dir nochmals und werde dich noch recht oft besuchen.
Lisb.: Ja,
mach das, Katherine, wir wollen weiter Freundschaft miteinander halten.
Siebentes Gespräch
Kath.: Was halten denn die Deutschkatholiken von der Taufe, Lisbeth?
Lisb.: Das
will ich dir sagen, Katherine, wie mir mein Mann die Taufe erklärt hat. Die
Taufe sei die Abwaschung aller Menschensatzungen und der Eingang zum neuen
Bund, und deshalb hätte sich auch unser Heiland und Erlöser taufen lassen, damit
alle Menschen an dem neuen Bund teilnehmen sollen, denn er hat ja gesagt: Wenn
ihr teilnehmt am neuen Bund, so wird es einen Hirt und eine Herde geben. Die
Pfaffen haben aber Christus 1800 Jahre zum Lügner gemacht, und wir können ihnen
mit Recht zurufen, wie Christus im Matthäus 23. Kap. 37. Vers zu den
Schriftgelehrten und Pharisäern spricht: Wie oft habe ich eure Kinder
versammeln wollen, [so] wie eine Henne ihre Jungen unter die Flügel nimmt, ihr
aber habt es nicht gewollt! Und sie wollen noch nicht! – Lese doch einmal die
Mainzer Sonntagsblätter und das Mainzer Journal, wie da die Pfaffen und
Piusleute gegen die Aufklärung und gegen jene Menschen losziehen, die sich von
ihnen lösen wollen. Nichts als Zorn, Wut und Bosheit, Gift und Galle, das sind
ihre Verteidigungsmittel gegen den unaufhaltsamen Geistesaufschwung, hat mein
Mann gesagt; und dann wollen sie noch von Gott und Christus sprechen!
Ist
denn Zorn, Wut und Bosheit, Verleumdung und Angeberei göttlich und christlich?
O, ihr anfälligen Männer, habe ich zu meinem Mann gesagt, ihr geht mit diesen
Männern viel zu glimpflich um, und spaßt nur mit ihnen, damit sie noch ärger in
Wut geraten, und je wütender sie werden, desto mehr Freude habt ihr dran, und
desto mehr lacht ihr darüber, und das ist auch Recht so.
Mit
diesen Menschen darf man aber nicht lange spaßen, da muss man grob sein, recht
grob, denn das sind die auch. Die sollten einmal mit uns Frauen anfangen,
Katherine, was meinst du dazu? Die würden wir schon nach Hause schicken und so
zurecht machen, dass kein Hund mehr ein Stück Brot von ihnen nähme! Bei uns
würde aller Spaß aufhören. Ich glaube, die würden dann sagen: Ja, wenn die
anfangen, dann hört alles auf, da ist nichts mehr zu machen! Und so wird’s auch
einmal kommen, wenn unsere Männer nicht mehr so anfällig bleiben.
Kath.: Wenn es einmal dazu kommt, Lisbeth, dann tue ich auch, was ich kann.
Wenn die Männer alle so wären wie meiner, dann wäre man gleich mit ihnen
fertig, denn der kann grob sein. So wie der geschimpft hat und grob gegenüber
den Deutschkatholiken war, genauso kann er das jetzt gegen die Pfaffen, weil er
hinter deren Schliche gekommen ist. Aber, Lisbeth, du hast doch vorhin etwas
gesagt vom Heiland und Erlöser. Halten denn die Deutschkatholiken Christus auch
für ihren Heiland und Erlöser?
Lisb.:
Freilich!
.
Kath.: Von was hat er uns denn geheilt und erlöst? Ich habe nichts anderes
gewusst, als dass er uns von der Erbsünde erlöst hat; aber mit der Erbsünde ist
es ja nichts, wie du mir das erklärt
hast. Wie ist aber Christus als Heiland zu verstehen, und von was hat er
uns denn erlöst?
Lisb.: Geheilt hat uns Christus von allem Lug und Trug, und erlöst hat er uns
von der Pfaffenherrschaft und geistiger Knechtschaft.
Kath.: Ach, das klingt ein bisschen anders und vernünftiger und ist auch zu
glauben, das will ich mir merken. Was ist das denn für ein Bund, den wir
eingehen sollen?
Lisb.: In den Bund der Freiheit, der Wahrheit, der Menschenliebe und
Brüderlichkeit! So hat das mein Mann gesagt, und dem glaube ich. Und wer sich
von Lug und Trug nicht heilen lassen will, und nicht in die Freiheit und
Wahrheit eingehen möchte, der soll nur ganz still sein von Christus, denn der
glaubt nicht an seine Lehre.
Kath.: Ach! Das ist ja der schönste Bund der Welt, und in den Bund möchte ich
auch; meinem Mann will ich das auch sagen, der bleibt gewiss nicht zurück. In
den Bund sollten sich alle Menschen einschreiben lassen, dann wäre es eine
Freude, auf der Welt zu leben.
Lisb.: Dazu wird es noch kommen, nur abgewartet! Die Menschen sind nicht mehr
so dumm, denn sie fangen überall an nachzudenken.
Kath.: Wie kam es, Lisbeth, dass die Menschen mit dem Nachdenken begonnen
haben?
Lisb.: Da waren die Pfaffen selbst dran schuld, hat mein Mann gesagt. Der
Bischof von Köln hat zuerst damit angefangen, dass kein Katholik keinen
Protestanten heiraten soll, und wenn so etwas [trotzdem] geschieht, dann
sollten die Kinder katholisch werden. Da „hat es auf einmal gebrannt in allen
Ecken“. [Daraufhin] hat es Zwiespalt über Zwiespalt in der friedlichsten Ehe
gegeben. Hass und Bosheit haben die Pfaffen dadurch erzeugt. Aha, [hieß es
daraufhin] wir sollen ausgerottet werden! Und dann ist der Kampf losgegangen.
Wir haben damals gar nichts anderes in der Zeitung gelesen, als von gemischten
Ehen und von den Anmaßungen der Pfaffen. Und alle Pfaffen waren Affen
[Gefolgsleute] des Bischofs von Köln. Um die Vorschriften des Apostel Paulus
haben sie sich gar nicht bekümmert.
Kath.: Was sind denn das für Vorschriften, Lisbeth?
Lisb.: Ich
will dir berichten, wie mein Mann mir aus dem Neuen Testament vorgelesen hat,
aus Paulus, erstes Sendschreiben an die Korinther 7. Kap. 12, 13, 14.
Da heißt
es: Wenn ein Bruder eine Nichtchristin zur Frau hat, und es gefällt ihr ihm
beizuwohnen, so scheide er sich nicht von ihr. Auch wenn eine Christin einen
Nichtchristen zum Manne hat, und er zufrieden ist, ihr beizuwohnen, so scheide
sie sich nicht von ihm; denn der nichtchristliche Mann wird durch die
christliche Frau geheiligt, und die nichtchristliche Frau wird durch den
christlichen Mann geheiligt; sonst wären ja eure Kinder unheilig, nun aber sind
sie heilig!
Kann
man das nicht verstehen, Katherine?
Kath.: Recht gut, Lisbeth! Da haben [damals] ja Christen Heiden zu Männern und
Frauen gehabt, und der Apostel Paulus hat gesagt, die Ehe wäre gut und die
Kinder wären heilig. Und jetzt wollen die Pfaffen noch nicht einmal die Ehe
zwischen Katholiken und Protestanten dulden? Sind denn die Protestanten keine
Christen? Das kommt mir ein bisschen komisch vor!
Lisb.: Du bist
auf dem richtigen Weg, Katherine, und so ist es auch. Es hat aber etwas ganz
anders dahinter gesteckt, und ich will dir sagen, wie es war, so wie mir mein
Mann das gesagt hat!
Als Anno
31 [1831] die Menschen ein wenig nach der Freiheit geschnappt haben, was jedoch
durch die Russen und Polen wieder zunichte gemacht wurde, da hat der
Haupt-Fuchs zu den anderen Füchsen gesagt: Ich weiß ein Mittel, wie wir die
Kanaille der Freiheitshähne vertreiben! Na, wie denn, haben die anderen Füchse
gefragt?
Lasst
die Pfaffen los, war die Antwort. Wir stützen und schützen sie und geben ihnen
in allem Recht, was immer sie treiben. Sie müssen eine Religionsketzerei
anfangen und die ganze Menschheit aufwiegeln. Wenn dann die Kanaille mit der
Religion zu tun hat, dann vergessen sie leicht ihren Freiheitsschwindel. Und
der schlaue Fuchs hat Recht gehabt. Durch die Unterstützung, die den Pfaffen
garantiert wurde, sind sie unvernünftig geworden, und in ihrem Übermut haben
sie das Heiligste vergessen, die Liebe und die Duldsamkeit, und sie haben sich
sogar erlaubt, mit der Religion einen großen Spott zu treiben, wie wir durch
die Trierer Rockfahrt gesehen haben und wie die armen unwissenden aufgewiegelten
Menschen haben singen müssen: „Heiliger Rock, bitte für uns!“ Einen größeren
Spott kann man doch gewiss nicht treiben!
Da
war es dann aus. Die ganze Menschheit ist erwacht. Männer, denen es noch um
wahre Religiosität ging, sind aufgetreten gegen dieses gotteslästerliche
Schauspiel und haben den Bischof von Trier zugerufen: „Bis hierher und nicht
weiter!“
Ronge, ein
würdiger katholischer Priester, war entrüstet über so einen gewaltigen
Religionsunfug und hat dem Bischof zu Trier in seinem [offenen] Brief tüchtig
Vorhaltungen gemacht [Originaltext: „die
Anck geputzt“], und das zu Recht!
Aber, wie
sind dann die Pfaffen über ihn (Ronge) hergefallen und haben ihn einen
Abgefallenen genannt. Ja, hat ihnen Ronge zur Antwort gegeben, abgefallen bin ich
von eurem Spott und Hohn, den ihr mit der Gottheit und der ganzen Menschheit
treibt; ja, abgefallen bin ich von euch, die ihr die Menschheit durch euren
aufdringlichen Aberglauben zu verdummen strebt, damit ihr das arme Volk
aussaugen und eure Herrschbegierde befriedigen könnt; aber nicht abgefallen bin
ich von der Gottheit und der reinen Christenlehre, wie ihr! Bis zu meinem
letzten Atemzug werde ich die reine Christenlehre verteidigen, wenn ihr
dieselbe zu lästern wagt!
So hat
Ronge mit ihnen geredet, Lisbethchen, hat mein Mann gesagt. Aber auch andere
tüchtige Männer haben ihm beigestanden und ihm Recht gegeben, wie der
katholische Dekan und Schriftsteller Dr. Theiner und unser all verehrter, jetzt
tot geschossener Robert Blum und noch so viele andere würdige Männer und
katholische Priester. Überall haben sich Gemeinden gebildet, die sich von Rom
und ihren Menschensatz-ungen losgesagt und sich der reinen unverfälschten
Schriftenlehre angeschlossen haben.
Siehst
du, so Lisbethchen, hat mein Mann gesagt, ist die ganze Bewegung gekommen und
hat kommen müssen. Die Pfaffen haben anderen eine Grube graben wollen und sind
selbst hinein gefallen! Bis du jetzt zufrieden Katherine?
Kath.: Recht
herzlich bin ich zufrieden, und wir können Gott nicht genug danken, dass es so
gekommen ist. Es wird doch einmal Gottes Wille sein, dass die
Religionsstreitereien aufhören, die so viel Uneinigkeit unter die Menschen
gebracht haben. Ach, Lisbeth, wie schön könnte es doch auf der Welt sein, wenn
die Menschen, wie dein Mann gesagt hat, doch Christus nachfolgen würden und
sich nicht mehr hassten und verfolgten wegen der Religion. Gott hasst uns ja
auch nicht und lässt alle Tage die Sonne über uns Menschen scheinen, damit wir
Nahrung und Brot haben sollen. Ich sehe es jetzt erst richtig ein, wie gewaltig
mein Mann und ich auf dem Irrweg waren. So wie du von deinem Mann belehrt
worden bist, so hast du es mir erklärt; und tausendmal Dank deinem Mann, dass
er meinen Mann belehrt hat. Von da an ist nichts wie Frieden in unserem Haus,
und mein Mann und ich haben seit dieser Zeit keinen Disput mehr über solche
Fragen gehabt. Und denk einmal, Lisbeth, das hätte ich beinahe vergessen, dir
zu sagen: Gestern abend ist mein Mann leicht angeheitert [vom Wein]
heimgekommen. Anstatt wie sonst grob zu sein, war er freundlich und voller
Freude. Katherinchen, hat er gesagt und hat mir die Wangen gestreichelt, liebes
Katherinchen, heute hatte ich viel Freude. Na wie denn, du hast ja schon
einiges getrunken, habe ich ihm geantwortet. Da kann sein, Katherinchen; ich
war in einer Gesellschaft, da hat es mir so gut gefallen, dass ich einen halben
Schoppen mehr getrunken habe als sonst, da war es eine wahre Freude zuzuhören.
Na, dann
erzähl mal, habe ich zu ihm gesagt. Es waren lauter tüchtige Männer beisammen, die es mit
allen Menschen gut meinen; aber auch ein paar Pfaffenknechte waren
dabei. Die haben gesagt: Unsere ganze Freiheit ist dahin. Das sehen
wir von Tag zu Tag. Es bleibt uns nur noch ein Weg, um unsere Freiheit ohne
Krawall wieder zu erlangen, sagte einer. Wie denn? hat ihn ein anderer gefragt.
Wir Menschen müssen uns zusammenschließen und die vielen Religionen abschaffen,
weil sie ganz unnötig und schädlich und für unsere Freiheit hinderlich waren
und noch sind. Wenn wir das getan haben, dann müssen sich die Fürsten auch mit
uns versöhnen und vereinen, und sie können dann mit ihren Spazierstöcken unter
uns spazieren gehen, ohne dass ihnen nur das Geringste geschieht. Ihre
Schildwachen an ihren Schlössern können sie dann ruhig abschaffen, weil wir sie
beschützen und weil wir auch uns und unsere Freiheit beschützen.
Eine
Ehre ist die andere wert. Dann braucht ihr auch keine großen Steuern mehr zu
bezahlen, weil der Krieg in Deutschland aufhört. Und wenn dann die Franzosen
oder Russen kommen wollen, dann sind wir alle bei der Hand und jagen sie zum
Tempel raus. Wenn wir einig sind, dann sind wir auch stark, und kein Teufel
kann uns mehr unsere Freiheit nehmen. Und denen habe ich recht gegeben.
Und
gerade das wollen die Deutschkatholiken oder die freien Christen, hat wieder
ein anderer gesagt; und dennoch gibt es noch diese dummen Menschen, die über
die Deutschkatholiken schimpfen. Ich bin noch kein Deutschkatholik, hat er
gesagt, ich werde aber einer, weil diese nämlich eine Vereinigung wollen, und
weil ihre Gottesverehrung vernünftig ist.
Dann fing
ein anderer an und meinte: Denkt einmal, ich habe heute Nacht geträumt, ich
hätte mit unserem Herrgott geredet. Darüber haben die anderen alle herzlich gelacht
und gerufen: Was denn? Heraus damit! Ach, lieber Herrgott, habe ich zu ihm
gesagt, helfe uns doch einmal, dass es uns besser geht. Ja, lieber Sohn, hat
der gesagt, wie soll ich das denn anfangen? Jeder von euch will etwas anderes,
und ich müsste Tag und Nacht am ewigen Weltrad drehen, und dadurch würde ich
alles verpfuschen.
Denk
einmal, hat er gesagt, da soll ich dem Fürsten helfen, weil er sich tituliert,
er wäre von meiner Gnade, von der ich doch gar nichts anderes weiß, als dass
ihr alle von meiner Gnade seid!
Da soll
ich dem Papst helfen, weil der sogar ein Kamerad von mir sein will und heilig
und Vater von euch sein möchte, was doch gewiss nicht sein kann.
Da
will einer Regen haben, der andere Sonnenschein; da hat einer ein paar tausend
Malter Frucht auf dem Speicher, dem soll ich keine neue Frucht wachsen lassen,
dort hat wieder einer ein paar hundert Stück Wein im Keller, dem soll ich
keinen neuen Wein wachsen lassen, etc. etc. :.
Sieh,
lieber Sohn, hat er gesagt, wie ist es möglich, da zu helfen? Ich meine, ich würde
gerade genug für euch sorgen!
Lasse ich nicht alle Tage die Sonne über euch scheinen und gebe euch Nahrung, und
habe ich euch nicht die Vernunft und den Verstand gegeben, damit ihr euch
selbst helfen könnt? Schau mal, hat er
gesagt, ich habe euch doch so geschaffen, dass keiner vor dem anderen einen
Vorzug haben und keiner des anderen Knecht sein soll, aber jeder soll seinem
Bruder Diener sein. – Und solange ihr das so befolgt habt, ist es euch gut
gegangen; aber auf einmal habt ihr Menschen Streit mit mir angefangen, weil es
euch zu gut gegangen ist, und ihr habt von mir verlangt, ich soll euch einen
König geben, was mich recht geärgert hat! Ich habe euch vor einem König gewarnt
und euch gesagt, dass ihr dem König eure Kinder und euer Geld geben müsst, und
dass eure Freiheit verloren wäre. Ihr wart aber nicht einsichtig, ihr habt
unbedingt einen König haben wollen, und ich habe euch einen gegeben. Da habe
ich gedacht, ihr hättet mich in den Ruhestand versetzt und wolltet euch einmal
von einem König regieren lassen.
Aber
lieber Herrgott, bin ich ihm ins Wort gefallen, das waren doch nicht wir, das
war doch vor vielen tausend Jahren daran
sind wir doch ganz unschuldig! Und ich bin auch ganz unschuldig, dass ihr jetzt
unter der Knute seid, hat der liebe Herrgott geantwortet. Eure Könige sind
gescheiter als ich! Wenn ihr einen Streit mit ihnen anfangt, dann versprechen
sie euch alle Freiheiten und geben euch später gar nichts! So hätte ich es auch
machen sollen! Helft euch jetzt selber und seht, wie ihr sie wieder los werdet.
Aber,
lieber Herrgott, habe ich gesagt, wie sollen wir das denn anfangen? Gebe uns
doch einmal einen guten Rat!
Euch ist
schwer zu raten, hat er geantwortet; ihr tut es ja doch nicht, denn ihr glaubt
viel eher euren Pfaffen als mir. Doch weil du ein ordentlicher Sohn bist, so
will ich dir sagen, wie es bewerkstelligt werden kann. Schau, hat er gesagt,
ich habe viel Verdruss damit, dass ihr so uneinig seid und dass ihr euch eurer
Religion wegen verfolgt. Habe ich denn Heiden, Türken, Christen und Juden
geschaffen? Gewiss nicht! Ich habe euch als Menschen, als freie Menschen
geschaffen, damit ihr vollkommen werdet und euch einander liebt und helft, und
damit ihr wie Brüder und Schwestern sein sollt. Nur dann kann ich mich an euch
erfreuen! Glaubt ihr denn, dass der Mensch, der auf einer Insel wohnt und gar
keine Religion hat, mir weniger lieb ist als ihr? Also, wofür euer Streit, den
ihr mit der Religion führt? Und solange ihr diesen Streit fortführt, seht ihr mich
als einen ungerechten Gott an, und deshalb muss ich erst recht erzürnt über
euch sein.
Die
Deutschkatholiken haben ganz Recht, die sehen alle Menschen als ihre Brüder und
Schwestern an und halten mich für einen gerechten Gott. Stellt also eueren
Streit ein und werdet alle meine Kinder! Schenkt den Pfaffen kein Gehör, die
führen euch in den Irrtum, weil sie über euch herrschen wollen.
Sie
sprechen viel von mir, aber sie erkennen mich nicht! Übergebt ihnen nicht euer
teuerstes Gut, eure Kinder zur Erziehung! Lasst sie durch brave Lehrer in der
Wahrhaftigkeit und in der Gerechtigkeit erziehen, und so könnt ihr auch frei
werden. Und wenn eure Söhne so erzogen sind, dann werden sie sich nicht zur
Unterdrückung eurer Freiheiten gebrauchen lassen und eure Fürsten werden eure
Brüder sein, denn sie müssen es sein, weil ich ihnen in der Natur nicht mehr
Recht gegeben habe als euch!
Dann habe
ich ihn noch etwas fragen wollen, da haben die Preußen geblasen duh! duh! duh!
– und ich war wach. – Zum Donnerwetter, habe ich da geflucht, können einen die
Preußen nicht einmal ruhig mit unserem Herrgott reden lassen?
Ich
glaube, wenn es der Hecker [1]
gewesen wäre, hätten sie mich aus dem Bett heraus geholt, denn die Preußen sind
gewaltig pfiffig.
Jetzt
aber, Katherinchen, hat mein Mann gesagt, hättest du uns mal hören sollen, wie
wir alle zusammen gelacht haben. Daraufhin meinte einer: Und wenn das auch nur
ein Traum war, so ist es doch genau so, wie ich es euch vorhin gesagt habe,
nämlich dass auf dem Weg dorthin nur wir allein uns helfen können, um unsere
ganze Freiheit ohne Krawall zu erringen. Hätten die Franzosen vor 60 Jahren [gemeint ist die Französische Revolution]
sich religiös frei gemacht und die Jesuiten zum Teufel gejagt, so wäre das
viele Blut damals in Frankreich nicht vergossen worden. Und so lange sie das
nicht tun, gebe ich auch keinen Pfifferling für ihre ganze Freiheit.
Das
Schönste war dabei, Katherinchen, was dabei die Pfaffenknechte von Anfang an
für Gesichter geschnitten haben. Später aber haben sie sich immer wieder
einander angesehen und sich etwas ins Ohr geflüstert. Auf einmal haben wir die
Gläser zur Hand genommen, angestoßen und gerufen: Es lebe die Vereinigung, es
lebe die Wahrheit, es lebe die Gerechtigkeit, es lebe die Brüderlichkeit! Als
das die Pfaffenknechte gehört hatten, da sind ihnen die Tränen [der Rührung]
die Wangen herunter gelaufen, und dann haben sie auch die Gläser erhoben und
mit uns angestoßen und sich mit uns verbrüdert.
„Hurra!“,
haben sie gerufen: „So soll es sein, so muss es sein; alle Deutsche müssen
Brüder sein und die Knechtschaft erledigt sich von selbst!“
Wir
haben uns dann recht herzlich die Hände gedrückt und noch einen Schoppen
zusammen getrunken und die Vereinigung und die Brüderlichkeit hoch leben lassen
und sind zusammen ganz vergnügt miteinander nach Hause gegangen.
Siehst Du,
Katherinchen, hat mein Mann zu mir gesagt, deswegen bin ich ein bisschen
zu lange weg geblieben und habe ein Gläschen mehr
als
sonst getrunken! Du bist doch nicht böse deswegen, Katherinchen? hat er gesagt.
Gewiss nicht! Warum soll ich denn böse über dein Verhalten sein, wenn du
vergnügt und in Gesellschaft von anderen braven Männern warst, habe ich ihm
geantwortet. Darüber war er dann ganz zufrieden. Nun, Lisbeth, darüber bist du
gewiss auch ganz froh?
Lisb.: Gewiss und recht herzlich froh; was wird erst mein Mann für eine Freude
haben, wenn ich ihm das alles erzähle!
Kath.: Ja, tu das, Lisbeth, erzähle ihm alles und sage ihm, dass mein Mann und
ich, wann immer in Rüdesheim wieder ein [deutschkatholischer] Gottesdienst
stattfindet, mit euch gehen werden, und dass wir jetzt ewige Freundschaft
miteinander halten wollen.
Lisb.: Das
will ich machen, Katherine. Ja, und ewige Freundschaft wollen wir miteinander
halten, aber auch Freundschaft mit allen Menschen; und an die Worte, die
Christus gesprochen hat, wollen wir uns bei all unseren Handlungen erinnern:
Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg´ auch keinem anderen zu! und was du gern getan hättest, das tue auch
anderen!
In
diesen Worten bestünde die ganze Christusreligion, hat mein Mann gesagt. Ja,
und hier, Katherine, habe ich ein Gebetbuch mitgebracht, das mir mein Mann
gegeben hat. Das Gebetbuch hat ein katholischer Pries-ter im Jahr 1797
geschrieben; es ist betitelt: „Für aufgeklärte Christen“. Er hat aber seinen
Namen nicht nennen dürfen, sonst wäre es ihm schlecht ergangen. Ich lese dir
daraus einmal etwas vor.
Kath.: Da bin ich aber gespannt, Lisbeth!
Lisb.: Lass
alle Menschen, o Gott, in der Erkenntnis dessen wachsen, was gut und was wahr
ist. Die Wahrheit führt zum Guten, und der Besitz des Guten macht glücklich.
Befördere die Hilfsmittel, durch welche schädliche Irrtümer aus der
menschlichen Gesellschaft vertilgt werden. Wie oft halten wir das für böse, was
gut ist. Wie oft stellen wir uns das Elend größer vor, als es ist; wie oft
kennen wir das wahre Gute nicht, das vor unseren Augen liegt! Ach, wie viel
Betrübnis des Geistes drückt die Menschenkinder, wenn ihr Verstand von diesen
drei Irrtümern umnebelt ist! – Darum, o Gott, lass die Wahrheit immer mehr
ausgebreitet werden, damit auch die Glückseligkeit deiner Menschen wachse und
sie das Übergewicht des Guten in der Welt immer mehr fühlen und richtig
schätzen lernen. Besonders erwecke, o Gott und Vater, alle Menschen immer mehr
zur Erkenntnis heilsamer Religionswahrheiten, die Jesus gelehrt hat. Lass sie
durch die Betrachtung der Natur, durch das Lesen der Heiligen Schrift und durch
den Unterricht aufgeklärter und wohlmeinender Lehrer immer tiefer in den Geist
des Christentums eindringen. Stärke alle Menschen in der Überzeugung, dass die
christliche Religion eine Religion der
Liebe sei, und dass man sich nur durch tätige Erweisung der Liebe und
des Wohlwollens gegen andere als einen wahren Christen bezeugen könne. Lass
uns, Vater aller Menschen, nicht stolz auf unseren Glauben, auf bessere
Religionseinsichten sein, damit dieser unchristliche Stolz nicht Zank und Hader
unter uns stifte und wir niemanden verfolgen, niemanden im Genuss des Lebens
stören und in Ausübung der gesellschaftlichen Pflichten gegen Andersdenkende
nicht erkalten.
Lass
die wahre Religion, welche Tugend, Rechtschaffenheit und Menschenliebe lehrt,
immer mehr Bekenner und Freunde finden. Erhalte die Ruhe, den Frieden, die
gesellige Eintracht unter den Christen. Bereite und lenke auch unser Bruderherz
zur Liebe aller derjenigen, welche die Religion Jesu gar nicht kennen oder
welche dein heiliges Wort anders als wir verstehen, damit wir das Christentum
nicht durch Hass und Unduldsamkeit entehren, sondern bei allem Unterschied der
Glaubensmeinungen wohltätig, freundlich, mitleidig gegen alle Menschen ohne
Rücksicht auf ihre Religion uns bezeugen und in aufrichtiger Bruderliebe mit
ihnen vergnügt leben.
Hilf,
dass die ganze Christenheit
Dich
recht und heilig ehre,
Dass
weder Hochmut, Hass noch Neid
Dein
heilig´s Wort verkehre.
Lass
seine Macht des Irrtums Nacht,
Der
Sünde Reich bestreiten
Und
seinen Schall sich überall
Zu deinem
Ruhm verbreiten!
Gott und
Vater! Behüte die Menschen vor Aberglauben und mache, dass sie alle auf eine
würdige Weise von dir denken. Lass sie nicht auf Nebendinge in der Religion
verfallen, sondern immer nur an der Hauptsache festhalten (Math. 23), dass sie
in guten und tugendhaften Gesinnungen immer wachsen; dass sie mit Mut und
Klugheit ihre Geschäfte verrichten; dass sie in ihren Lüsten, Begierden und
Vergnügungen nicht bis zum Übermaß, nicht bis zum Nachteil ausschweifen; dass
jeder zu des anderen Glück, so viel in seinen Kräften steht, beitrage!
Gott!
Diese Religion breite in dem Menschengeschlecht aus und lass die Früchte
derselben von einem Ende der Welt bis zum anderen sich ins Tausendfache
vervielfältigen. Segne, o Vater des Segens, und belebe den allgemeinen Fleiß
der Menschen, dass sie vor allem sich selbst zu bilden und vollkommener zu
machen sich bestreben. Leite ihren Verstand auf nützliche Untersuchungen; lenke
ihr Herz auf wohltätige und gemeinnützige Handlungen und gib, dass alle
öffentlichen Anstalten zur Verminderung des menschlichen Elends und zur
Vermehrung der menschlichen Wohlfahrt gedeihen mögen.
Segne, o Vater des Segens, den Hausstand; verleihe
den Eltern alle
Tugenden
und Freuden des Ehestandes; segne die Erziehung der Kinder, dass Eltern,
Obrigkeiten und Lehrer sich ein gemeinschaftliches Geschäft daraus machen, gute
Menschen, Bürger und Christen zu bilden und das Wachstum des bürgerlichen Wohls
auch für die Nachwelt zu befördern. Gib den Dienstboten Treue und Eifer in
ihrem Dienst und dann gute menschenfreundliche Herrschaften, welche daran
gedenken, dass auch Diener und Knechte ihre Mitmenschen und Brüder sind
(Kolos. 3, 18-25, Ephes. 6, 1-9). Lass dir, oh Vater, aller Menschen,
alle Menschen empfohlen sein. Gib, dass sie in dieser Welt deine unzählbaren
Wohltaten mit Dank und Freuden genießen; denn zum Genuss des Lebens erschufst
du den Menschen; und alle Güter der Erde schenkst du ihnen zu einem
vernünftigen Gebrauch. Gib, dass sie durch wechselseitige Hilfe und Trost sich
einander das Leben versüßen und miteinander vergnügt und fröhlich einher
wandeln. Gib, dass sie mit vereinigtem Fleiß die Erde bebauen; alles, was sie
liefert, zum allgemeinen Bedürfnis, zur Bequemlichkeit und selbst zur
Verschönerung des Lebens anwenden.
Richte
meine und aller Menschen Geschäftigkeit auf gute und nützliche Dinge, und lasse
uns dann am geschäftigsten sein, wenn wir einander helfen, einander trösten und
vergnügen können. (1. Tim. 2, 1-3).
O, Herr, ich bete für das Wohl aller lebendigen Geschöpfe, für alle Menschen.
Insbesondere empfehle ich deinem Schutz und Segen meine Obrigkeiten, meine
Eltern, Ehegatten und Kinder, meine Hausgenossen und Untergebenen, alle meine
Anverwandten und vornehmlich meine liebsten Freunde und Wohltäter, - aber auch
meine Feinde. Segne, o Vater des Segens, alle meine Beleidiger mit allem Segen,
den ich mir selbst wünsche. Gib mir Kraft, ihnen von Herzen zu verzeihen und
sie durch Liebe zu gewinnen. Gib allen Liebe, welche nicht lieben; gib allen
Verstand, welche sich in schädlichen Irrtümern befinden; gib allen Trost,
welche des Trostes bedürfen; gib allen unser tägliches Brot (Luk. 11, 3); gib
allen, welche Böses getan haben, ein reuevolles Herz; gib dem
Menschengeschlecht alles, wodurch es besser und vollkommener und seiner
Bestimmung näher gebracht wird.
Gib
uns Tugend, Weisheit und Freude und mache, dass wir alle erkennen, wie wenig
die Welt ohne Tugend, Weisheit und Freude wünschenswert sei. Mache endlich, o
Gott, dass ein jeder, nachdem er hier seinen Beruf durch einen tugendhaften
Genuss der Lebensgüter, durch Wachstum in der Tugend und in allem Guten erfüllt
hat, in jener Welt die Früchte eines rechtschaffenen Lebenswandels von deiner
Güte einernten möge. Dies, dies, o Gott und Vater, bitte ich dich. Nimm das
Rufen, das demütige und wohlgemeinte Gebet deines Kindes als einen Beweis seines
redlichen und wohlmeinenden Herzens an. – Aber nicht genug; ich will auch tun,
um was ich dich bitte; mein Gebet sei das
Losungswort meiner Handlungen. Mit erneuertem Eifer will ich zu meinem
und anderer Wohl arbeiten; mit unverletzlicher Gewissenhaftigkeit will ich alle
gesellschaftlichen Pflichten ausüben. Ich habe für mich und für andere gebetet
und will auch, nach dem Geiste meines Gebetes, für mich und für andere tüchtig
sein, damit ich nicht durch Nachlässigkeit, Ausschweifung oder Menschenfeindlichkeit
selbst das Gute hindere und störe, welches ich von deiner Güte, Menschenvater,
für mich und andere erbeten habe!
Amen.
Die christliche Menschenliebe
Gib
mir, o Gott, ein Herz
Das
jeden Menschen liebet,
Bei
seinem Wohl sich freut,
Bei
seiner Not betrübet;
Ein
Herz, das Eigennutz,
Und
Neid und Härte flieht,
Und
sich um anderer Glück,
Wie um
sein Glück bemüht.
Schöpfer!
Menschenliebe ist dein größtes Gebot. Du hast den Menschen zur Geselligkeit,
zum Wohltun, zur Liebe und durch die Liebe zur Glückseligkeit geschaffen; darum
gabst du ihm feinere Empfindungen als den Tieren, darum schufst du sein Herz so
weich, so der Liebe, des Mitleidens empfänglich. O Gott der Liebe, so ist
demnach die Menschenliebe der Mittelpunkt, in welchem alles zusammenfließt, was
von jeher Moses und die Propheten verkündet haben. So hat denn derjenige,
welcher seinen Bruder liebt, das ganze Gesetz erfüllt!
So
hast du mir keine höhere Schuld zu bezahlen auferlegt, als dass ich meine
Brüder lieben soll! So ist also Menschenliebe die Fülle des Gesetzes (Röm.
13, 8-10).
O
Gesetzgeber der Liebe, - Jesu! Menschenliebe ist also dein Gebot! „Das ist mein
Gebot!“, sprachst du nach dem letzten Gastmahl der Liebe, “dass ihr einander
liebt, wie ich euch geliebt habe“ (Joh. 15, 12). So ist also Menschenliebe das
königliche Gebot – das Reichsgesetz des Christentums (Jak. 2, 8). So sprachst
du vom Anfang bis zum Ende: „Liebt einander!“ So ist die Liebe das einzige
große Zeichen, an welchem wir unsere Rückkehr vom Laster zur Tugend, vom Tod
zum Leben erkennen (1. Joh. 3, 11. 14. 15).
Wenn
jemand spricht: ich liebe Gott!
Und
hasst doch seine Brüder
Der
treibt mit dem Glauben Spott
Und
reißt ihn ganz danieder.
Gott
ist die Lieb´ und will, dass ich
Den
Nächsten liebe, gleich als mich.
Wie
haben dir jetzt die Gebete gefallen, Katherine?
Kath.: Ach, wie schön! Wie schön! – Und das Gebetbuch ist verboten worden?
Lisb.: Freilich! Es war den hochwürdigen Herren zu aufgeklärt, weil sie ihre
Kundschaft nicht verlieren wollten. Wenn hingegen viel von Erbsünde, Hölle und
Fegefeuer, vom Teufel und Gespenstern, heiligen Litaneien Ablass und Dispensen,
Wallfahrten und Wundermärchen, von Ketzern, barmherzigen Schwestern und das
Blumengärtlein drin gestanden hätte, o, dann wäre das Buch zu Tausenden
gedruckt und verbreitet worden!
Kath.: So; na, dann wissen wir auch, woran wir sind und wo wir hingeführt
werden sollen!
Lisb.: Fahrt nur fort, ihr hochwürdigen Herren, hat mein Mann gesagt, denn ihr
tut jetzt Wunder, wie Christus, nur auf eine andere Art. Christus hat die
Blinden sehend gemacht durch die Lehre der Wahrheit; ihr aber macht die Blinden
sehend durch eure - - -. Hast du das verstanden, Katherine?
Kath.: Recht gut; o, ich bin nicht mehr so dumm! Adieu, Lisbeth! Ich bin jetzt
ganz kuriert.
Lisb.: Warte, Katherine, ehe du fort gehst, will ich dir noch ein Gedicht
vorlesen, das mir mein Mann gestern gegeben hat. Es hat im Alsfelder Intelligenzblatt gestanden anno 1847 vom 9. Oktober.
Kath.: Na, dann lese einmal [vor]!
An die Jesuiten
Ihr
verdammten Volksverdummer,
Falsche
Lehrer, Satansbrummer,
Finstre
Feinde der Vernunft
Aus
der Hokus-Pokus-Zunft!
Ihr
elenden Schriftverdreher,
Sündenböcke,
Messenkräher!
Beichtstuhlhocker,
wohlerfahren
Alte
Weiber derb zu narren,
Schöne
Mädchen arg zu plagen,
Ihr
Geheimnis zu erfragen!
O
ihr miserablen Schmeichler,
Freche
Lügner, freche Heuchler,
Freunde
nur vom Pfaffentum,
Falsche,
seelenschwarz und dumm!
Ihr
verdammten Ignoranten,
Ruhestörer,
Arroganten,
Fratzengoschen
wilder Affen,
Schlechteste
von allen Pfaffen!
Menschenfeind
in Tat und Worten,
Unheilstifter
aller Orten,
Störer
guter Anverwandten,
Bauernbeutel-Spekulanten!
Ihr
verschmitzten Kellerratten,
Freunde
nur von Nacht und Schatten,
Hochverräter,
Schlangenseelen,
Räuber,
die das Volk bestehlen!
Doppelsinn´ge
Bösewichter,
Finstre
Isegrimm-Gesichter,
Voll
von Satans Pfiffigkeit,
Nur
zum Schlechten stets bereit!
Ihr
verfluchten Alchemisten,
Feinde
aufgeklärter Christen,
Ihr
Aqua-Toffana-Spender, (
= starkes Gift)
Kindermörder,
Mädchenschänder!
Unkraut
in des Gartens Saaten,
Ekler
Auswurf aller Staaten,
Meister
ihr, den Schalk zu machen,
Erd
und Himmel auszulachen,
Ihr,
des freien Geists Tyrannen,
Hitzköpfe,
weicht von dannen!
Vagabunden
ohne Gleichen,
Ihr
könnt euch zum Teufel streichen,
Aller
Länder Spott und Schand,
Fort
mit euch aus unsrem Land!
Ihr
verfluchten Jesuiten,
Höllenfreunde,
Sodomiten,
Drachen
aus dem Höllenreich,
In
die Hölle fort mit euch!
O
Herr, erhör des Volkes Bitten:
Vertilg die
Rott´ der Jesuiten!
Dr.
Eremites und Dr. Albanus
Kath.: Ach,
Lisbeth! Geb’ mir doch das
Gedicht ein bisschen mit, damit ich es meinem Mann vorlesen kann. Denn das ist
etwas für ihn, den hat es jetzt gewaltig gegen die Pfaffen gepackt. Der wünscht
sie alle dahin, wo der Pfeffer wächst.
Lisb.: Da,
nimm es mit und vergiss das Wiederkommen nicht. Adieu, Katherine!
Ende
[1] Dr. Friedrich Hecker, Rechtsanwalt, Mitglied
des Vorparlaments und aktiver Teilnehmer
der Badischen Revolution